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Allgemeiner Anzeiger : 14.02.1912
- Erscheinungsdatum
- 1912-02-14
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-191202148
- PURL
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- Zeitungen
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1912
-
Monat
1912-02
- Tag 1912-02-14
-
Monat
1912-02
-
Jahr
1912
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 14.02.1912
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Jahresbericht äes R.eickskolonialamts. Der Jahresbericht des Reichskolonialamts, der jetzt veröffentlicht worden ist, enthält folgende interessanten Angaben: Der Gesamt handel der dem Reichskolonialamt unterstehenden Schutzgebiete im Kalenderjahr 1910 betrug in müden Zahlen: Einfuhr 129 500 000 Mk., die Ausfuhr 101000 000 Mk., zusammen 230 500 000 Mk. Das bedeutet gegen 1909 eine Zunahme: Einfuhr 22 250 000 Mk. oder 20 7 Prozent, Ausfuhr 31250 000 Mk. oder 44,9 Prozent, Gesamthandel 53 500 000 Mk. oder 30,2 Prozent. Am Gefamthandel ist Deutschland beteiligt: an der Einfuhr mit 83 50p 000 Mk. oder 64,5 Prozent, an der Ausfuhr mit 70 000 000 Mk. oder 69,3 Pro zent, am Gesamthandel mit 153 500000 Mk. oder 66,3 Prozent. Die Steigerung des Gesamthandels in Kamerun um 12 Mill. Mk. oder 37 Prozent in einem Jahre, darunter die der Einfuhr um 7,7 Mill. Mark oder 43 Prozent, ist zum Teil auch auf die Eisenbahnbauten direkt und indirekt zurück zuführen. Bemerkenswert ist dabei, daß der Anteil Englands am Kameruner Handel stärker gestiegen ist als der Deutschlands. Wie aus den Ein- und Ausfuhrstatistiken im einzelnen hervorgeht, ist mehr und mehr Kribi der Haupthandelsplatz des Schutzgebietes geworden. Ostafrika weist gleichfalls bei einem Gesamtaußenhandel von 60 Mill. Mk. eine sehr beträchtliche Zu wachsziffer gegenüber dem Vorjahr auf, sowohl an der Binnen- wie an der Küstengrenze. Namentlich der erstere hat wieder unter dem Einfluß der Ugandabahn eine ganz bedeutende Vergrößerung zu verzeichnen. In Togo ist der Einfuhrhandel aus Deutschland nach Aushören der Eisenbahnmaterialienzufuhr zurück- gegaugen und die Kaufkraft der Eingeborenen mehr der Baumwollwareu-Einfuhr aus Eng land zugute gekommen. Der Ausfuhrhandel ist in der Produktion ziemlich gleich geblieben. Dadurch sind auch die Hoffnungen auf eine an dauernd aufsteigende Entwicklung der Baum- Woll-Lieferungen Togos für den deutschen Markt etwas enttäuscht worden. Das laufende Jahr scheint nicht bloß in Oflafrika, sondern auch wieder in Togo bessere Ergebnisse zu bringen. Bei dem Außenhandel Samoas, der eine beträchtliche Steigerung aufweist, ist der zunehmende Anteil Deutschlands sowohl an der Ein- wie an der Ausfuhr in diesem so ent legenen Schutzgebiet bemerkenswert und er freulich. Auch die Ausfuhr hat sich ziemlich gesteigert, darunter die Kopraausfuhr, wenigstens dem Werte nach. Infolge des Mehrwertes der Ausfuhr nach Australien, namentlich von Kopra, gegenüber der Einfuhr von dort kommt auch ein ziemlicher Posten englischen Geldes in das Schutzgebiet, dem bisher noch ein Anschluß an den internationalen Bankoerkehr fehlt. In Neu - Guinea hat die Zunahme der Plantagenwirtschaft vor allem eine sehr beträchtliche Erhöhung der Aus fuhr, anderseits aber auch infolge Zunahme der Arbeiter und Angestellten, des Bedarfs an Ge räten usw. einen noch größeren Zuwachs in der Einfuhr zur Folge gehabt. Der Anteil Australiens am Gesamthandel ist dabei augen scheinlich andauernd im Wachsen, namentlich, wenn man vom deutschen Anteil die Bargeld zufuhr abzieht. Bon dem Handel des Znsel- gebiets ist das Hauptergebnis die große Phos- phorausfuhc.. Anderseits ist ein erheblicher Rückgang des Einfuhrhandels auf die Voll endung der Anlagen der Phosphatgesellschaften zurückzuführen. Politische Kunclsckau. Deutschland. *KaiserWilhelm wird anfangs März einen kurzen Besuch in Aachen und im Anschluß daran einen solchen in Hamburg machen. *Der englische Kriegsminister Haldane hat der Reichshauptstadt einen kurzen Besuch gemacht. Es heißt in englischen Blättern, er habe eine geheime Mission. Der Minister er klärt indessen, daß er nur zu privaten Zwecken nach Deutschland gekommen sei. Zu einem Festmahl, das die englische Botschaft dem Minister zu Ehren veranstaltete, war auch der Reichskanzler v. Bethmann-Hollweg geladen. * Generalfeldmarschall v. Hahnke ist im Alter von 78 Jahren in Berlin gestorben. Der Verstorbene war lange Zeit General adjutant Kaiser Wilhelms, Oberbefehlshaber in den Marken und Gouverneur von Berlin. Kurz nach dem Ableben des greisen Feldmarschalls erschien der Kaiser und bald darauf die Kaiserin, um den Hinterbliebenen ihre Teil nahme zu bezeigen. * über das neuePostscheckgesetz ver lautet: Die jetzt in Geltung befindliche Post scheckordnung ist vom Reichskanzler im Jahre 1908, mit Geltung ab 1. Januar 1909, im Verordnungswege erlassen worden. Der Nach tragsetat für das Jahr 1908 enthielt die Vor schrift, daß die gesetzliche Regelung des Post scheckwesens bis 1. April 1912 erfolgt sein muß. Dieser Termin wird voraussichtlich nicht einge halten werden können, doch wird dem Reichstag mit tunlichster Beschleunigung ein Gesetzentwurf zur verfassungsmäßigen Genehmigung zugehen. Das Gesetz soll nur die Grundlagen der künfti gen deutschen Postscheckordnung enthalten. Minder wichtige Bestimmungen sollen nach wie vor durch Verordnung geändert werden können, falls ein Bedürfnis hierzu vorliegt. Man hat nun, nach dem dreijährigen Bestehen des deut schen Postscheckverkehrs, hinreichende Erfahrungen gesammelt, um das Postscheckwesen auf eine ge sicherte gesetzliche Grundlage zu stellen. In dem Entwurf sind die Interessen von Handel und Gewerbe im weitgehendsten Maße berücksichtigt worden. Um über die Wünsche des Publikums genau unterrichtet zu sein, hat der Staatssekretär im Dezember des Vorjahres Vertreter aller Interessenten ins Reichspostamt geladen und ihre Ansichten entgegengenommen. * Die sozialdemokratischen Abgeordneten haben impreußischenAbgeordnetenhause Abänderungsanträge zu den bürgerlichen An trägen auf Reform des Wahlrechts ein gebracht, die das gleiche, direkte und geheime Wahlrecht für alle großjährigen Einwohner ohne Unterschied des Geschlechts fordern. Österreich-Ungarn. * Das „ Landtagselend" in Oster- reich breitet sich immer weiter aus. Nachdem bereits der niederösterreichische und der böhmische Landtag wegen Arbeitsunfähigkeit geschlossen worden sind, ist nun auch der tiroler Landtag wegen der durch den Widerstand der italienischen Abgeordneten hervorgerufenen Arbeitsunfähigkeit auf unbestimmte Zeit vertagt worden. Frankreich. *Der .Kriegsminister hat eine Verordnung erlassen, nach der künftig kein heeresfeind licher Soldat oder Rekrut für den See dienst verwendet werden darf, weder als Hilfs arbeiter in den Werften noch in sonst irgend einer Eigenschaft. Ebenso soll dis Einstellung in die Marine von Leuten, die eines gemeinen Verbrechens wegen eine Vorstrafe erlitten haben, verboten werden. England. *Die Bank von England hat den Diskont von 4 Prozent auf 3'/- Prozent herabgesetzt. Dänemark. *Nach den letzten Meldungen hat sich das Befinden des an Lungenentzündung erkrankten Königs Friedrich Vtil. wesentlich ge bessert. — Auch die Königin muß infolge einer Erkältung das Bett hüten. Rußland. * Wie verlautet, wird das Zarenpaar im Juni wieder einen längeren Besuch in Darmstadt machen. Die Zarin wird wieder die Kur in Bad Nauheim gebrauchen. Baltanstaate«. * Englische Blätter melden, Italien habe, müde des langen Krieges, die Mächte davon in Kenntnis gesetzt, daß, wenn die Türkei sich nicht bald zum Friedensschlüsse be quemen werde, die Operationen bis nach Konstantinopel ausgedehnt werden müßten. Die Türkei habe infolgedessen be schlossen, alle italienischen Banken, Versicherungs gesellschaften und andre italienischen Gesell schaften in der Türkei zu schließen. Aus clem keickstage. Am 8. d. Mts. eröffnet Alterspräsident Träger die Sitzung um 3 Uhr 15 Min.: Wir können in die Tagesordnung eintreten, es liegt aber ein Ver tagungsantrag Bassermann vor. Abg. Bassermann (nat.-lib.): Die Vorbe reitungen für die Wahl des Präsidenten haben große Schwierigkeiten ergeben. Da diese Schwierigkeiten bis jetzt noch nicht gelöst werden konnten, beantrage ich, die heutige Sitzung auf morgen mit derselben Tagesordnung zu vertagen. Abg. Gröber (Ztr.): Ich trete dem Vorschläge des Vorredners bei. Der Antrag wird angenommen. — Schluß 3 Uhr 20 Minuten. Am 9. d. MtS. steht auf der Tagesordnung die Wahl des Präsidiums. Nach Eröffnung der Sitzung durch den Alters präsidenten Träger verliest ein Schriftführer den auf die Präsidenten-Wahl bezüglichen Paragravhen der Geschäftsordnung. Von 385 abgegebenen Stimmzetteln entfallen auf den Abg. Spahn (Ztr.) 185, auf den Abg. Bebel (soz.) 110, auf den Abg. Prinz v. Schönaich-Carolath (nat.-lib.) 88 Stimmen. Dadurch wird ein zweiter Wahlgang notwendig, bet dem auf den Abg. Spahn 186, auf den Abg. Bebel 114 und auf den Abg. von Schönaich-Carolath 85 Stimmen entfallen. Es findet nun eine Stichwahl statt, in der der Abg. Spahn (Ztr.) mit 196 Stimmen gegen 175, die auf den Abg. Bebel entfielen, zum Präsidenten gewählt wird. Abg. Spahn (Ztr.): Ich nehme die Wahl an und danke dem hohen Hause für das mir bewiesene Vertrauen. Es folgt die Wahl der Vizepräsidenten. Zum ersten Vizepräsidenten wird der Abg. Scheidemann (ioz.) mit 188 Stimmen gegen 174, die auf den Abg. Dietrich (kons.) entfallen, gewählt. Zum zweiten Vizepräsidenten wird de: Abg. Paasche (nat.-ub.) gewählt. Nächste Sitzung: Dienstag. (Etatsberatung.) Vie Kritik an äem Marokko-Abkommen. Akan liebt in Frankreich das Theater, und nicht nur in den Bühnenhäusern, sondern über all, wo es gilt, in die Weite zu wirken. Darum finden jetzt im Senat noch einmal Redekämpfe statt, ob das deutsch - französische Marokko- Abkommen gut oder schlecht sei. Alle Welt weiß, daß Frankreich bei dem Vertrage nicht allzu ungünstig abgeschnitten hat, aber man gibt sich doch den Anschein, als sei dem Patriotismus ein schwerer Schlag versetzt worden. ES ist be- dauEH, daß auch ein Mann wie Pichon, der ehemalige Minister des Äußeren, in diesem Sinne cm dem Abkommen Kritik übt. In einer längeren Rede führte- er u. a. aus: „Der Ver trag bildet das Ergebnis unsres hartnäckigen Widerstandes gegen übertriebene Forderungen, aber er bezeichnet auch den Wunsch, einem Streit ein Ende zu bereiten, der beinahe schwere Verwicklungen nach sich gezogen hätte. Man hat Unrecht getan, die Erstlingsfrucht zu teuer zu bezahlen, man hätte die Frucht umsonst haben können, indem man sie reif werden ließ. Die deutschen Forderungen waren mehrfach unannehmbar: es genügte, ihnen Widerstand zu leisten." Pichon kam dann auf den Marich nach Fez zu sprechen (der sich als eine Durchbrechung der Algeciras akte darstellte und Deutschland zu seinem Vor gehen veranlaßte) und erklärte diesbezüglich: Wir waren sicher vor den Einsprüchen aller Mächte; aber Deutschland war offenbar er mutigt durch die bisherigen Verhandlungen. Pichon behauptete ferner, der Gedanke, ein Stück Kongo abzutreten, stamme aus Deutsch land und zwar habe Herr Kiderlen-Wächter in den ersten Besprechungen die Abtretung des ganzen Kongo verlangt. Darauf erinnerte Redner an die Affäre von Agadir und die Verhandlungen, welche folgten, Verhandlungen, in die einzu treten Frankreich höchst unrecht getan. Herr v. Bethmann-Hollweg wollte sich ganz allein mit Frankreich verständigen, habe man gesagt; aber man habe der öffentlichen Meinung in Frankreich die Bedingungen dieser Verständi gung verheimlicht, da sie sich sonst aufgelehnt haben würde. Die Regierung habe unrecht getan, in die Stärke der französischen Nation nicht genug Vertrauen gesetzt zu haben. Der Minister erhob Einspruch gegen die übertriebene Geheimhaltung der Verhandlungen. Es scheine, daß der Gedanke der deutschen Unterhändler gewesen sei, sich die Forderung weiterer Konzessionen vorzubehalten. Der Vertrag von 1911 sei ein sehr gefährlicher Handel. Frank reich befinde sich in Marokko in derselben Lage, wie England in Ägypten; das sei kein sehr beruhigendes Regime. „Was haben wir Deutschland für diesen Vertrag angeboten?" fragte der Redner mit erhobener Stinime. „Wir haben die Einheit unsres innerasrika- nischen Reiches unterbrochen. Es bleibt uns zwar noch die Verbindung zur See, voraus gesetzt, daß der Besitz der Inseln sichergestellt sei; aber schon erheben sich Schwierigkeiten über diesen Punkt. Wir haben Spanisch-Guinea ein geschlossen und haben unser Vorkaufsrecht auf Belgisch-Kougo geändert. Wie sollte sich Belgien nicht beun ruhigt fühlen? Sind wir selbst sicher, unser Gebiet im Kongo zu bewahren? Einige deutsche Zeitungen erklären schon, daß es weise von uns wäre, darauf zu verzichten. Endlich müssen wir uns mit dem Sultan verständigen, um dem mit Hypotheken belasteten Marokko wieder Wert zu geben. Deutschland verheim licht nicht seine Absicht, eine bevorzugte Stellung, selbst vom Verwaltungsstandpunkt aus, zu be wahren. Frankreich darf also nicht glauben, daß es ein gutes Geschäft gemacht habe. Nie mand wolle dieses Abkommen, wenn man es auch annehme." Zum Schluß wies der Redner noch einmal darauf hin, daß Volk und Regierung vollstes Vertrauen zur Armee, der Stärke des Vaterlandes, haben können. — Wann endlich wird man mit dieser Tragikomödie in Frankreich Schluß machen? Ein Vierteljahr ist ins Land gegangen, seit der Vertrag geschloffen ist, acht Wochen, seit die deutsche Volksvertretung Stellung zu ihm nahm — und in Frankreich wird noch immer für und wider verhandelt, trotzdem die Annahme sicher ist. k)eer unct floNe. — Der dem Reichstage zugegangene Neichs- haushaltsetat für 1912 enthält auch einen Ver gleich der Ausgaben, einschließlich Überschrei tungen, und der Forderungen für die Rech nungsjahre 1901 bis 1912 mit der Geldbedarfs berechnung zum Flottengesetz und mit den Denkschriften zum Etat 1906 und 1908 unter Berücksichtigung der Ausgaben für die Auf besserung der Gebührnisse. Danach ergab sich im Jahre 1900 eine Überschreitung beim Bau des Linienschiffs „Wittelsbach" von 3,6 Mill. Mark. Für 1901 stellte sich die Geldbedarfs berechnung zum Flottengejetze auf 200,7 Mill., die tatsächliche Ausgabe auf 194,8 Mill., für 1902 auf 212,4 und auf 205,3 Mill., für 1903 auf 217,7 und 212,6 Mill., >ür 1904 auf 217,0 und 206,5 Mill., für 1905 auf 222,8 und 231,0 Mill., für 1906 auf 251,8 und 245,4 Mill., für 1907 auf 273,9 und 290,8 Millionen, für 1908 auf 342,0 und 337,1 Mll., für 1909 auf 408,9 und 410,6 Mill., für 1918 auf 444,2 und 426,1 Mill., die Geldbedarfs berechnung auf 465,1 und der Etatsansatz auf 450,1 Mill, und sür 1912 jene auf 452,5, dieser auf 449,5 Mill. Mark. Insgesamt hat danach die Gelvbedarfsberechnung zum Flottengesetze sich auf 3709 Millionen Mark gestellt, die tat sächliche Ausgabe oder der Etatsansatz aber nur auf 3663,5 Millionen Mark oder auf 45,5 Mill. Mark weniger. K bin stiller jVlensck. 7j Roman von Paul Bliß. (Fortsetzung.) Und nun Kurt groß und ein Mann war, nun störten Augst und Sorge noch immer nicht auf. Ach, wohin sollte das noch führen! Endlich erhob sie sich und verließ den Raum. Der Bruder schlief gottlob noch. Sie gab auch strenge Weisung, daß er unter keiner Bedingung gestört werden dürfe. Das Tagewerk begann eintönig, gleichmäßig, wie immer; ruhig, gewohnheitsgemäß tat sie ihre Pflicht. Dann saß sie einsam am Frühstückstisch. Und wieder kamen ihr die Tränen. Stunde auf Stunde verrann und der Junge kam und kam nickt. Immer ängstlicher, immer nervöser wurde sie. Das geringste Geräusch ließ sie zusammen fahren. Und wenn nun der Bruder erwachte, — natürlich würde er zuerst nach dem Jungen fragen, — was wollte sie ihm sagen? Mit Bangen dachte sie an diese Minute. Gegen halb zehn klopfte es leise. Sie schrak zusammen und lief an die Tür. Proksch, der Prokurist, der älteste Angestellte des Hauses, war da. Als Tante Marie sein besorgtes Gesicht sah, erschrak sie von neuem und sah ihn fra gend an. „Ich möchte wohl gern mal den Herrn Prinzipal einen Augenblick sprechen," sagte der Alte. „Unmöglich, lieber Proksch. Mein Bruder ist so schwach, daß ihm jede Erregung fem ge halten werden soll. Was gibt es denn übrigens?" Der Alte zog Augenbrauen und Schultern hoch, er wollte nicht so recht heraus mit der Sprache. Endlich erwiderte er: „'ne ganz eigentümliche Sache ist das. So lange ich hier bin — und das sind doch nun bald vierzig Jahre — ist sowas hier noch nicht vorgekommen." Das Tantchen wurde immer erregter, doch nahm sie sich zusammen. „Was ist es denn so Sonderbares? Darf ich es nicht auch er fahren ?" „O ja, das schon! Es ist nämlich ein Wechsel vom jungen Herm da." „Von Kurt?" Fast stand ihr das Herz füll vor jähem Schreck. Er nickte. „Eigentlich wäre das ja nichts so Besonderes. Zwar pflegen wir nie mit Wechseln abzurechnen, sondem nur mit Scheck oder in bar. Aber warum soll der junge Herr nicht auch 'mal einen Wechsel geben? Vielleicht hat es der Umstand gerade bedingt. Das Verwunderliche daran ist nur, daß dieser Wechsel bei uns nirgends gebucht ist. Und daß er von einem in Berlin sehr bekannten Geld verleiher, — um nicht zu sagen: Wucherer, — präsentiert wird." Tante Marie war derart zusammengezuckt, daß sie sich setzen mußte. „Wie hoch ist die Summe?" fragte sie bebend. „Achttausend." „Und Sie können nicht zahlen?" „Das schon. Aber da der junge Herr doch nicht hier ist, möchte ich lieber erst den Herm Chef sprechen." „Das geht nicht, Proksch I Unbedingt un möglich! Mein Bruder darf dadurch nicht er schreckt werden ! Er ist zu schwach, viel zu schwach!" Aufgeregt, atemlos ging sie hin und her. „Was tun? Was tun? O, Gott, der Junge!" Endlich faßte sie sich einigermaßen. „Haben Sie so viel Geld in der Kasse?" „Aber gewiß, Fräulein!" „Dann, bitte, zahlen Sie gleich, lieber Proksch," bat sie inständigst, „und buchen Sie es nicht." „Ja, aber —" „Nein, nein! Buchen Sie es nicht! Mein Bmder soll und darf davon nichts erfahren! Ich will es nicht! Es handelt sich hier um eine Privatsache, die nur mich und den jungen Herm angeht. Verstehen Sie mich wohl!? Eine ganz direkte Privatsache! Und als Deckung dafür haben Sie hier meine Papiere." Bebend holte sie aus der Kommode eine Kassette, der sie Effekten entnahm. „Hier bitte, es sind meine Rüben-Aktten. Die verkaufen Sie noch heute! So, nun wissen Sie Bescheid!" „Aber ich bitte, Fräulein —" „Still! Kein Won weiter, lieber Proksch l Ich wollte die Dinger sowieso dieser Tage los schlagen, denn sie stehen ja enorm hoch. — Also nun beruhigen Sie'sich, lieber Proksch, und tun Sie, wie ich Ihnen gesagt habe. — Und ich nehme Ihnen Ihr Wort ab, daß mein Bruder nichts, gar nichts davon erfährt." Sie reichte ihm die Hand. Er schlug ein und empfahl sich dann. Atemlos sank sie in einen Polsterstuhl. Das also war es! Er hatte Schulden l O Gott, o Gott! Wohin sollte das noch führen! Vielleicht hatte er gar gespielt! Viel leicht gar ! Sie wagte nicht, noch weiter zu denken. O, dieser Junge, dieser Junge! Wer hätte ihm das zugetraut? Mit tränenumflorten Augen sah sie sinnend vor sich hin. Und plötzlich erwachte ihr Mit gefühl, ihr so sorgend mütterliches Empfinden für ihren Liebling. Der arme Junge! Was er wohl gelitten hatte an heimlicher Angst! Niemand wagte er sich anzuvertrauen, und mußte gar zu einem Wucherer gehen! Der arme, liebe Kerl! Und hatte sich nicht das geringste merken lassen, um uns hier nicht zu beunruhigen, — so ein zart- fühlender, lieber Bursche war er! — Mt wahr haft rührender Liebe gedachte sie seiner — Und eine halbe Stunde später kam er selbst. Er hatte bis gegen zwei Uhr gejeut, zuerst mit Glück, dann wieder alles verloren. Darüber hatte er den letzten Zug verpaßt. Wütend war er in sein Hotel gerannt, wollte nur ein paar Stunden ruhen und dann mit dem ersten Zuge heimfahren. Und nun war er so fest einge schlafen, daß er erst gegen neun Uhr erwachte. Wütend war er dann abgefahren. Doch seine Wut wurde noch größer, als er auf dem Bahnhof den Wucherer traf. Jetzt erst fiel ihm ein, daß der eine Wechsel ja gestern fchon fällig gewesen war. Und er hatte das
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