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Allgemeiner Anzeiger : 20.03.1912
- Erscheinungsdatum
- 1912-03-20
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- Urheberrechtsschutz 1.0
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- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-191203205
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id181900449X-19120320
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19120320
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- Zeitungen
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1912
-
Monat
1912-03
- Tag 1912-03-20
-
Monat
1912-03
-
Jahr
1912
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 20.03.1912
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Vas Attentat auf äen Xönig von Italien. Zu dem Attentat auf den König Viktor Emanuel wird halbamtlich aus Rom berichtet: Auf König Viktor Emanuel wurden Donnerstag früh 8 Uhr, als er sich zur Kirche begab, um einer Seelenmesse für seinen am 14. März 1844 geborenen Vater beizuwohnen, aus un mittelbarer Nähe aus einem Revolver zwei Schüsse abgegeben. Glücklicherweise wurde der König nicht getroffen, dagegen wurde der ihn begleitende Offizier ver wundet. Der geschlossene Wagen, in dem das Königspaar saß, war von Kürassieren unter dem Kommando des Maiors Langh begleitet, der zur Rechten des Wagens ritt. Im nächsten Wagen saß die Königin-Mutter. Die Straßen waren ziemlich menschenleer. Plötzlich krachten vor einem Kirchenportale zwei Schöffe. Der König, der nicht getroffen war, blieb ruhig. Er tröstete die Königin, die erbleicht war und sich an den König an klammerte. Der Attentäter feuerte nachträglich noch einen Schuß ab, der den Major Langh traf. Die Kugel prallte vom Helm ab und ver letzte den Hinterkopf leicht. Langh stürzte vom Pferde und trug eine schwere Gehirnerschütte rung davon. Radfahrende Polizei, die voraus fuhr, stürzte sich auf den Attentäter, der vorher schon von der Menge ergriffen und mißhandelt wurde. Der König setzte die Fahrt nach der Kirche fort, wo er die Messe für seinen Vater anhörte. Die Nachricht von dem Attentat hatte sich wre ein Lauffeuer in Rom verbreitet. Als der König heraustrat, brachte ihm die Menge begeisterte Kundgebungen dar. Das Publikum begleitete den königlichen Wagen nach dem Schlosse zurück und rief immer wieder: „Es lebe der König, es lebe die Königin!" Der verwundete Major Langh wurde nach dem Krankenhaus gebracht, wohin sich der König sofort nach seiner Rückkehr in das Schloß begab. Auch bei dieser Fahrt war der König Gegen stand begeisterter Huldigungen. Der Attentäter hatte bei der Ausführung seines Verbrechens auf dem Bürgersteig gestanden und die Schüsse nur einige Schritte vom Wagen des Königs entfernt abgegeben. Er wurde von der Menge halb tot geschlagen und dann auf das Polizei kommissariat gebracht, wo er angab, Antonio Dalba zu heißen. Er sei beschäftigungsloser Maurer, 21 Jahre alt und überzeugter Anarchist. — König Viktor Emanuel Hl. ist am 11. November 1869 geboren und hat den Thron Italiens als Nachfolger seines Vaters Humbert bestiegen, der am 29. Juli 1900 in Monza der Kugel des Anarchisten Gaetano Bresci zum Opfer fiel. Politische Kunälckau. Deutschland. * Die Meldung, KaiserWilbelm werde sich von Wien aus, wo der Monarch am 23. d. Mts. zum Besuch Kaiser Franz Josephs eintrifft, zu kurzem Aufenthalt nach Ungarn begeben, trifft nicht zu. Der Monarch wird vielmehr von Wien aus direkt nach Venedig fahren, wo die Zusammenkunft mit König Viktor Emanuel stattfindet. *Zur Deckung der Kosten der neuen Wehrvorlagen ist, wie halbamtlich ange kündigt, die Erhebung der vollen Verbrauchs abgabe für alle Spiritusbrennereien vorgesehen. Die Einbringung einer Erb schaftssteuer ist nicht beabsichtigt. (Bisher konnte jede Brennerei eine gewisse Menge Spiritus ohne jede Abgabe brennen.) *Die verstärkte Geschäftsordnungs kommission des Reichstages hat jetzt einen Beschluß über die sogenannten „kurzen An- fr a gen" gefaßt, nachdem zwei Mitglieder der Kommission beim Reichskanzler waren und mit ihm über diese Frage Rücksprache genommen haben. Der Reichskanzler habe erklärt, daß er kein grundsätzlicher Gegner der kurzen An'Hegen und daß er zur Mitwirkung bei ihrer Ein führung im Reichstage bereit ist. — Die Kom mission beschloß, daß an zwei Tagen der Woche solche Anfragen an den Kanzler gerichtet werden können; jedoch soll über die Antwort des Kanzlers nicht debattiert werden. Schwede«. *Jn Stockholm ist das Gerücht verbreitet, daß die Verhandlungen zwischen Schweden, Norwegen und Dänemark über ein Schutz- bündnisdernordischenStaaten dem Abschluß nahe sind. Sie werden insgeheim ge führt und sollen erst veröffentlicht werden, wenn alle Einzelheiten festgelegt sind. Somit ent steht im Norden Europas ein neuer Dreibund, der nicht ohne Einfluß auf die europäische Politik bleiben wird. Balkanstaaten. *Die Behauptung der Italiener, daß der weitaus größte Teil der Einwohner von Tripolis die Angliederung an Italien wünsche, kann nicht besser widerlegt werden, als durch jetzt beendeten Wahlen. Ohne Rücksicht auf die italienischen Angliede- rungserlaffe wurden die bisherigen tripolitani- schen Abgeordneten tür die türkische Kammer wiedergewählt. Amerika. *Nach den letzten Meldungen aus Mexiko haben die Revolutionäre ein Abkommen unter zeichnet, das dem Bürgerkriege ein Ende machen soll. Die Feindseligkeiten sollen ein gestellt und die strittige Präsidentenfrage einem Nationalkongreß zur Entscheidung übertragen werden. — Andern Meldungen zufolge hat der ehemalige Präsident Diaz eine Armee zu sammengebracht, mit der er versuchen will, die Macht wieder an sich zu bringen. Asten. *Der chinesische Geschäftsträger in Mulden ist in Peking eingetroffen, um Juanschikai über die Lage in der Mandschurei Bericht zu erstatten. Es war ihm von Juanschikai aufge tragen worden, die Absichten Rußlands und Japans auf die Mandschurei festzustellen. In seinem Berichte wird hervorgehoben, die Mandschurei sei von beiden Mächten bedroht, da sie sich über ihre Aufteilung verständigt hätten und es bestehe die dringende Notwendigkeit, ohne Zögern Vorsichtsmaßregeln zu ergreifen. Da China aber weder Geld noch verläßliche Truppen hat, so wird es schwerlich irgendwelche Vorsichtsmaßregeln ergreifen können. Zus ciem Aeickstage. Der Reichstag mikm am Donnerstag zunächst die Mitteilung des Präsidenten von dem Attentat auf das italienische Königspaar stehend entgegen und wandte sich der Interpellation des Zentrums über den Streik im Ruhrrevier zu. Abg. Schiffer- Borken (Zentr.) führte zur Begründung aus, daß die Bergarbeiter zweifellos berechtigte Forderungen erbeben. Wenn sich auch die Christlichen an der Streikbewegung nicht beteiligen, io verwahren sie sich doch dagegen, mit den gelben Gewerkschaften auf eine Stufe gestellt zu werden. Sie seien überzeugt, daß nur eine guttlorierende Industrie in der Lage sei, gute Löhne zu zahlen. Die jetzt bestehende be gründete Aussicht auf Lohnerhöhung könne aber nur auf friedlichem Wege erreicht werden. Staats sekretär Delbrück führte aus, daß die Zechenver waltungen größtmögliches Entgegenkommen bewiesen haben. Der Streik war nicht notwendig. Eine Vermittlung habe nur dann einen Zweck, wenn beide Teile Entgegenkommen zeigen. Zurzeit könnte sie deu Streik nur verlängern. Der Anspruch auf Schutz der Arbeitswilligen sei berechtigt. Die preußischen Behörden seien sich ihrer Pflicht bewußt. Wo die Polizei nicht ausreiche, werde Militär zu gezogen. Die Regierung werde gegen die einschreiten, die die Freiheit andrer unwürdig beschränken. Das Haus beschloß die Besprechung der Interpellation. Abg. Sachse (soz.) bezeichnete die Bewegung der Bergarbeiter als durchaus berechtigt. Zu verlangen sei auch ein Schutz für die, die nicht arbeiten wollen. Als der Redner die Polizei bei ihrem Bestreben, Ordnung zu schaffen, Bluthunde nannte, rief ihn der Vizepräsident Dove zur Ordnung. Abg. Rogalla v. Bieber st ein ikons.) begrüßte die Entsendung von Militär ins Slreikgebiet und be zeichnete den Streik als vom Zaun gebrochen. Die eigentliche Ursache des Streiks sei der Haß gegen die Christlichen; er sei aus politischen Gründen her vorgerufen worden. Der Redner richtete den Appell an die preußische Regierung, mit allen Mitteln die Freiheit der Arbeitswilligen zu schützen. Preußischer Handelsminister v. Stzdow gab eine ausführliche Schilderung der zahlreichen Fälle, in denen Arbeits willige im Streikrevier belästigt und mißhandelt seien. Die Forderung einer 15 prozentigen Lohn erhöhung müsse die Zechen für alle Zukunft unren tabel machen. Abg. Böttger (nat.-lib.) bestritt, daß dem Streik eine innere Berechtigung zugesprochen werden kann. Am 13. d. Mts. steht auf der Tagesordnung dir dritte Lesung des Nachtragsetats für die Reichs» Versicherungsanstalt. Abg. Mumm swirtsch. Vgg.) bittet die Leitung der neuen Anstalt, die ihr zur Verfügung stehenden Mittel volkswirtschaftlich fruchtbringend, vielleicht zu Zwecken der Wohnungsfürsorge, anzulegen. König Viktor Emanuel von Italien. Die Vorlage wird angenommen. Die Besprechung der Nuhrstreik-Jnter- pellation wird fortgesetzt. Abg" Goth ein (fortschr. Vp.): Die Debatte ist wieder Parteigezänk geworden. Wenn die Berg arbeiter 15 Prozent Erhöhung fordern, so ist cs nicht ausgeschlossen, daß sie auch mit etwas weniger zufrieden gewesen wären. Verhandeln heißt eben handeln. Die Einschränkung der Über- und Neben schichten ist eine berechtigte Forderung. Auch den andern Forderungen kann man zustimmen. Be dauerlich ist, daß der Streik dutzch Kontraktbruch begann. Die Forderung des Minimallobnes ist gar keine sozialistenstaatliche, sie findet sich doch auch im Kali- geietz. In den regierenden Kreisen besteht augen scheinlich kein rechtes Verständnis für dis Psychologie des Volkes. Wenn die Vermittlung früher eingesetzt hätte, Wäre eS nicht zum Streik gekommen. Eine Sicherung des Koalitionsrechts ist notwendig. Auch wir wollen den Schutz der Arbeitswilligen. Den Schutzleuten wird ihr Dienst erschwert durch die Nervosität der Vorgesetzten. Die Scharfmacherreden im Herrenhause steigern diese Nervosität noch mehr. Der Herrenstandpunkt muß verschwinden. Jenseits der augenblicklichen Streitigkeiten sieht das Ziel der Gleichberechtigung im Arbeitsverhältnis, ein freies, zufriedenes Volk, und dazu muffen alle Mitarbeiten, auch die Regierung. Abg. SosinSki (Pole): Der Streik ist be rechtigt, denn alle Lebensmittel sind teurer ge worden, dis Löhne aber sind gesunken. Die Zahl der Streikenden nimmt ständig zu. Sie wissen, daß sie nur auf diesem Wege bessere Löbne erreichen können. Ausschreitungen jeder Art verurteilen wir. Aber in vielen Fällen ist die Polizei schuld. Jetzt verbietet man unsern Arbeitern, während des Streiks in den Versammlungen Polnisch zu sprechen. Wie sollen sie sich da verständigen? Das ist gegen das Vereinsgesetz I Billigt der Staatssekretär dieses frivole Vorgehen der Polizei? Man hat unsre Streikbureaus aufgehoben! Die Regierung will, daß Blut vergossen wird. Vizepräsident Paasche ruft den Redner zur Ordnung. Abg. Sosinski: Es ist doch so. Wenn man den Scharfmachern nachgibt, wird der Streik auch aus andre Reviere übergehen. Auch der Fiskus er ¬ höht die Löhne nicht. Er hat in Oberscklesien die besten Gewinne, zahlt aber die niedrigsten Löhne. Abg. Mertin-Ols (Rp.): Wir danken dem Staatssekretär für die Entschiedenheit und Energie seines Tones, zumal wir in dieser Beziehung von ihm nicht verwöhnt sind. Wir verlangen eine energische Politik und nicht bald Kompromisse hier, bald Kompromisse oort. sZuruf der Sozialdemokraten: Junker!) Ich bin kein Junker und weiß nicht, ob ich es einmal werde. Bedenklich an der Rede des Staatssekretärs war, daß er erklärte, die Gründe des Streiks seien neben sächlich. Nein, sie sind das allerwichtigste. Denn der Streik ist ein schwerer Eingriff in das ganze Wirtschaftsleben. Die Sozialdemokraten sind doch nicht etwa die Hüter der Wahrheit in diesem Hause. In dieser Halle der Wiederholungen will ich nur er klären, daß wir den Streik für frivol halten. Wir denken nicht daran, die Lohnforderungen der Arbeiter für ungerecht zu erklären. Aber 15 Prozent sind zu viel. Die übrigen Forderungen sind meist dekorativ, zum Teil schon erfüllt. In solchen un moralen Zeiten wie dieser verlangen wir, daß die Regierung alles aufbietet, um jeden zu schützen, einerlei ob er arbeitet oder streikt oder ob er Sozialdemokrat ist. Die Gesundheit und die Ehre aller Arbeiter steht uns genau ebenso hoch, wie die der Arbeitgeber. Ick komme zum Schluß: Die Regierung möge sich auS diesen Gründen eines Eingriffs enthalten; auch weil das nur Verzögerung Hervorrufen würde. Wir wollen die Koalitionsfreiheit nicht antasten, nur wollen wir keinen Koalitionszwang. Wir wollen Schutz der Arbeit gegen den Terrorismus, die Freiheit und das Recht der Arbeit wollen wir auf allen Gebieten schützen. Abg. Behrens swirtsch. Vgg.): Es mag ja für die Mitglieder dieses Hauses, die nickt in der Arbeiterbewegung stehen, dieses „Gezänk der Arbeitcrsekretäre" wenig angenehm sein. Die Arbeitersekretäre erfüllen aber in diesem Hause eine wichtige Pflicht, mindestens ebenso wichtig, wie die langen schönen Reden Gotheins über die Zollpolitik; warum diese Reden gehalten werden, versteht kein Mensch, Vorteil bringen sie nicht. Ick habe schon bei der Etatdebatte erklärt: über die Berechtigung der Erhöhung der Löhne besteht unter den Arbeiterorganisationen an der Ruhr kein Streit, Wir halten auch das Lobnsystem und den Arbeitsvertrag für reformbedürftig. Politische Er wägungen spielen im christlichen Verein keine Rolle. Ein Slreik kann nur dann erfolgreich durchgeiührt werden, wenn das ganze Volk auf feiten der Arbeiter steht. Das ist jetzt nicht der Fall. Wir machen einen Putsch nicht mit, der die Arbeiter ausrütteln soll, damit sie nicht cinschlasen. (Abg. Sachse (wz.): Wer sagt daSdl Ich will den Namen nicht nennen. (Abg. Sachse: Lüget) Vizepräsident Dove ruft den Abg. Sachse zur Ordnung. Abg. Behrens (fortfahrend): Wenn die Re gierung iür Schutz sorgt, io ist das ihre Pflicht. Wir sind keine Freunde der Zuziehung von Militär. Wenn sich die Dinge so zugespitzt haben, so wünsche ich, daß das Militär so wirken möge, daß es zu einem Eingriffe nicht kommt. Es arbeiten viel mehr sozialdemokratische Bergarbeiter als christliche. Wir wünschen, daß die berechtigten Forderungen in Er füllung gehen ohne große Opfer. Preußifcher Handelsminister Sydow erklärt auf die Frage des Abg. Behrens, daß die fiskalischen Bcrgwerksdirektionen angewiesen seien, die Zu ständigkeit der Arbeiterausichüsse in Lohnfragen «m» zuertennen. Abg. Erdmann (soz.i: Heute liegen keine andern Verhältnisse vor als 1905. Die Unterstellung, daß das Attentat in Italien auf dem gleichen Boden steht, ist unsinnig. Wir brauchen nicht zu Hetzen, das tun die Verhältnisse ganz von selbst. Keine Arbeiterkaiegorie ist so von Krankeil heimgesucht wie die der Bergarbeiter. Wenn der Bergniann er bittert wird, so kommt eS eben zur Entladung. Herr v. Bieberstein sollte einmal in einer Bergarbsiter- samilie leben, wo das Oberhaupt pro Tag 5 Mark bekommt. Dann würde er wohl anders reden. Man sagt von den freien Gewerkschaften: „Und willst du nicht mein Bruder sein, so schlag ich dir den Schädel ein." Aber die christlichen Gewerk schaften sagen ebenso und fügen nur noch hinzu: „In Gottes Namen. Amen." Sollte der Be lagerungszustand das einzige Ergebnis des Streiks sein, so wird es keine sieben Jahre dauern, bis der vierte große Bergarbetterstreik ausbricht. Die Arbeiterfordcrungen sind berechtigt und müssen erfüllt werden: mag es biegen oder brechen! Das Haus vertagt sich. K 6m stiller Mensch. 17) Roman von Paul Bliß. (Fortsetzung.) Wieder errötete die junge Frau leicht, doch erwiderte sie ganz keck: „Wieso? Willst du mich so bald wieder los sein?" „Ich gewiß nicht!" polterte Onkel Klaus derb los. „Aber so'n junges, wildes Blut hat ja hier bei uns keine Ruh'." „Und wenn du dich nun täuschest?" Fröhlich sahen sie sich in die Augen. „Also bleibst du diesmal ein bißchen länger?" Schelmisch nickte sie ihm zu. „Mädel, das ist eine gottvolle Idee von dir!" „Na na, sei nur ganz ehrlich: vielleicht Verde ich dir doch lästig?" Schallend lachte er auf. „Ach, du süßer Aff' du! Die ganze Etage oben steht ja leer. Meinethalben magst du den ganzen Winter über dableiben." „Das eben wollte ich ja auch!" rief sie heiter. Nun war er aber doch so erstaunt, daß er sich einen Moment lang gar nicht fassen konnte. Wieder errötete sie ein wenig, als sie das merkte. Doch dann rappelte sie sich schnell auf und erklärte ihm, daß ihr der Winter in der Hauptstadt mit seinen vielen gesellschaftlichen Verpflichtungen zu angreifend sei, und gerade jetzt, da sie so allein dastehe, seien ihr die vielen geräuschvollen Feste, denen sie nun ein mal nicht entgehen könne, geradezu eine Qual, denn sie sehne sich jetzt nach ein wenig Ruhe, um mal in Muße und in Sammlung über ihr vergangenes Leben, aber auch über ihre Zu kunft nachdenken zu können. Deshalb habe sie beschlossen, einen ganzen Winter lang sich irgendwo in Vergessenheit einzubuddeln. Natür lich sei der liebe alte Onkel Klaus dabei in erster Linie in Betracht gezogen worden — und so weiter. Der liebe alte Onkel hörte sie ganz still an. Das Erstaunen schwand auch bald von seinem Gesicht und machte einer ehrlichen Freude Platz, denn diese überraschende Wendung der Sache übertraf seine allerkühnsten Pläne. Natürlich war sie ihm willkommen, sehr sogar l Denn er war sich auch nicht einen Augenblick lang un klar darüber, weshalb sie dableiben wollte! Ordentlich leicht wurde ihm auf einmal ums Herz, dem alten Knaben, und der günze Himmel hing ihm nun wieder voller Geigen. Gewiß doch, mochte sie dableiben, so lange sie nur wollte I Sehr, sehr willkommen sei sie ihm. Dankbar schüttelte sie ihm die Hand und gab ihm einen herzhaften Kuß. Und als er sie nach oben in ihre Zimmer geleitet hatte und dann allein wieder hinunter ging, da dachte er: „So, diesmal wollen wir die Sache aber allein ihren Gang gehen lassen und uns am Schicksal-Spielen nicht wieder die Finger verbrennen" * * * Armer Onkel Klaus l Noch war der Besuch nicht mal warm ge worden, da begann schon das Leiden des allen, lieben Mannes. Natürlich war Kurt Büttner wieder der Zankapfel. Er hatte die junge Frau ankommen sehen und meinte, er müsse „nun selbstverständlich der erste sein, der sie hier begrüßte." Aber da kam er schön an. Onkelchen fragte sehr erstaunt: „Selbstverständlich, sagst du? Was soll das heißen? Du kennst doch meine Nichte kaum. Ein paarmal habt ihr euch ge sehen. Also wozu diese Eile? Du wirst ihr schon früh genug guten Tag sagen können. Für heute unterlaß das gefälligst. Man stört Menschen, die eben erst angekommen sind, nicht so taktlos." Kurt wußte wohl, daß er bei dem alten Herrn nicht allzugut angeschrieben stand, des halb war er ihm bisher auch stets möglichst aus dem Wege gegangen, nun er ihn aber brauchte, ignorierte er das alles und ging tapfer auf sein Ziel los. Lebensfroh und flott fuhr er schnell fort: „Aber, Onkel Klaus, sei doch nicht so grausam I Du warst doch auch einmal jung. Gönne mir doch mein bißchen Glück." Das Gesicht des Alten wurde immer er staunter. Ziemlich ungnädig fragte er: „Was hat denn das mit deinem Glück zu tun?" „Nun, ich interessiere mich eben für Grete," gestand Kurt ganz offenherzig. Onkelchen sank vor Erschrecken in seinen Polsterstuhl. Doch sofort erhob er sich auch wieder. Und nun wurde sein Gesicht ernst, und mit abweisender Stimme antwortete er: „Du Weißt, daß Grete mein Mündel ist. Ich ver trete also Vaterstelle an ihr und habe über ihr Wohlergehen zu wachen. Deshalb verbiete ich dir ganz einfach, in solchem Ton von ihr zu reden." Kurt bekam einen heißen Kopf. Wie ein abgekanzelter Schuljunge kam er sich vor. Ver letzt und verärgert stand er da und konnte kein Wort herausbringen. Onkelchen aber sprach in ehrlicher Empörung: schnell weiter: „Denn das merke dir nur: so was dulde ich ganz einfach nicht! Für leicht herzigen Flirt ist mir das Frauchen denn doch zu schade. Und daß ich deine Gefühle ernst nehmen soll, das wirst du mir hoffentlich nicht zumuten wollen; dazu kenne ich deine laxe Lebensanschauung denn doch zu genau." Noch immer schwieg Kurt. Er rang mit einem Entschluß. Was sollte er sich hier ver teidigen! Würde ihm geglaubt werden, daß er sich Besserung gelobt hatte? Wohl kaum. Mso weshalb hier erst noch viele Worte machen! Es war ja doch vergeblich. Kurz entschlossen nahm er seinen Hut und sagte mit leichter Herbheit: „Du scheinst nicht bei bester Laune zu sein, Onkel Klaus. Ich muß eben warten, bis du eine bessere Meinung von mir bekommen hast." Mit höflichem Gruß empfahl er sich. Als er draußen war, kam erst der ganze Ärger in ihm hoch. — Weshalb hatte er hier sein Interesse verraten? Ja, weshalb war er überhaupt hierher gegangen ?» Er hätte sich doch denken können, daß der alte Querkopf ihm den Weg erschweren würde. Sie hatten beide doch nun mal so gar nichts füreinander übrig. Ja, es war eine Dummheit gewesen, sich hier so zu.
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