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Allgemeiner Anzeiger : 23.03.1912
- Erscheinungsdatum
- 1912-03-23
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-191203237
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id181900449X-19120323
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19120323
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- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1912
-
Monat
1912-03
- Tag 1912-03-23
-
Monat
1912-03
-
Jahr
1912
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 23.03.1912
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Vie äeutfck-englilcke ^ebenbublerlckaft. G Jm Unterhause hat der Erste Lord der Admiralität (Marineminister) Churchill ge legentlich der Vorlegung des neuen Flottenetats eine bedeutsame Rede gehalten, in der — natürlich kann man beinahe sagen — auch Deutschland eine Rolle gespielt hat. Der Minister wies zunächst auf die durch den Kohlenstreik hervorgerufenen Verzögerungen im englischen Flottenbau hin, erklärte aber, daß dieser nicht von Einstuß auf das Flottenbau programm sein würde. „Wir haben nur das durchaus Notwendige gefordert," führte Churchill weiter aus, „aber wir haben eine etwaige Vermehrung der deutsche» Motte nicht berücksichtigt. Ich will dem Hause die Flottentrage mit vollkommener Offenheit dar legen. Es wird dies namentlich mit Bezug auf eine Macht notwendig sein. Durch eine ver schleierte Ausdrucksweise kann jetzt nichts ge wonnen werden. Im Gegenteil, die Deutschen sind ein Volk mit derbem Verstand, deren starker männlicher Sinn und Mut vor einer offenen und ungeschminkten Feststellung von Tatsachen nicht zurückweicht und nicht verletzt wird, wenn sie höflich und ehrlich ausgesprochrn werden. Die Deutschen werden an Seemacht durch eine Vermehning nichts gewinnen und durch eine Verminderung nichts verlieren. Dies ist ein vollkommen einfacher Plan, nach dem ohne diplomatische Verhandlungen, ohne Feilschen und ohne die geringste Beschränkung der souveränen Freiheit beider Mächte diese hitzige kostspielige Nebenbuhlerschaft zur See für eine Zeit abge stellt werden kann. Ich bin überzeugt, daß es besser ist, dies ganz einfach und offen der Be urteilung durch die Parlamente und das Volk vorzulegen." — Der Freimut Churchills ist durchaus anerkennenswert; dennoch haben seine Ausführungen einen Fehler. Sie träfen zu, wenn Deutschland seine Flotte zur Bedrohung Englands baute. Das ist aber nicht der Fall. Deutschland braucht seine Schiffe, um seinem Welthandel und seiner Kolonialwirtschaft einen starken Rückhalt zu sichern. Daß man das in England nicht verstehen will, ist eben der Grund immer erneuter Mißverständnisse. Aus solchem Mißverständnis hermis ist auch Winston Churchills neueste Flottenrede, über die noch manch Wörtlein zu reden sein wird, verständlich. Polmscke Aunälckau. Teutschland. * Kaiser Wilhelm wird, Wiener Blättern zufolge, auf der Fahrt von Venedig nach Korfu einen Abstecher nach Brioni machen, um dem dort weilenden österreichischen Thron folger Erzherzog Franz Ferdinand und seiner Gemahlin einen Besuch abzustatten. *Zu dem Rücktritt des Staatssekretärs des Reichsschatzamtes Wermuth versichert die „Köln. Ztg.h daß an den leitenden Stellen niemand daran gedacht hat, dem Staatssekretär Schwierigkeiten im Amte zu machen oder ihm die Amtsniederlegung nahezulegen. Diese ent'prang vielmehr lediglich dem eigenen, als solchen aus drücklich betonten Wunsche Wermuths. Der neue Staatssekretär des Reichsschatzamtes, Kühn, der bisher noch nicht an die Öffent lichkeit getreten ist, gilt in den Kreisen seiner Mitarbeiter als ein außerordentlich tüchtiger Finanzpolitiker. * Wie verlautet, wird der Staatssekretär des Reichspostamtes bei der nächsten Weltpost vereins-Konferenz, die in Madrid im Jahre 1913 stattfindet, auf eine einheitliche Gestaltung derTax- und Gewichtsstufen im ganzen Weltpo st verein hinwirken. Maßgebend für diesen Entschluß ist der Umstand, daß die Gewichtsgrenzen für einfaches Briefporto nicht überall gleich sind, und daß ein Brief, der in einem Lande genügend frankiert sei, im andern Lande trotzdem mit Strafporto belegt werde, weil nach den Bestimmungen des andern Landes zu wenig Porto bezahlt sei. Die Reichspostoerwaltung will nun auf dem nächsten Weltpostkongreß ihre Bemühungen dahin ein setzen, diese übrlstände durch Herstellung der Einheitlichkeit in den Tax- und Gewichtsstnfen im ganzen Weltpostverein aus der Welt zu schaffen. * Wie verlautet, werden die Wehr- und Deckungsvorlagen dem Reichstage vor Ostern nicht mehr zugehen. Der Reichstag ist bis dahin mit Arbeit reichlich versehen. Da gegen meint man, würden die neuen Vor lagen unsre Volksvertreter sogleich nach Wieder beginn der Sitzungen beschäftigen. Die Ver öffentlichung der Entwürfe soll nicht früher er folgen, als bis sie auch dem Reichstage bekannt- gegeben sind. *Die Schutz truppe für Süd West afrika wird mit dem 1. April d. Js. eine Verringerung um 209 Köpfe erfahren. Die Schutztruppe wird alsdann 90 Offiziere, 20 Sanitätsoffiziere, 22 Oberbeamte, 16 Unter- beamte, 369 Unteroffiziere und 1444 Mann schaften, insgesamt 1970 Köpfe zählen. Von dieser Zahl sind im Oktober 390 Köpfe abzu lösen. England. * Dem Unterhause ist eine dringende Gesetzes vorlage betr. den Min d estlo h n der Berg arbeiter zugegangen. Sobald dieses Gesetz vom Unterhause angenommen ist, dürfte der Bergarbeiterstreik, dessen Folgen sich im Wirt schaftsleben Englands immer schwerer bemerkbar machen, beendet sein. Holland. * Die holländische Küst en v erte i d i - gung erfährt jetzt eine beträchtliche Verstärkung, die mit den Ereignissen im letzten Sommer zu sammenhängt. Bei Vlissingen wird ein selb ständiges starkes Panzerfort errichtet. Alle andern Häfen werden mit neuen Forts versehen und mit schweren Geschützen in Panzertürmen ausgerüstet. So tritt das neutrale Holland, dessen Flottenetat in den letzten Jahren ständig wächst, in die Reihe der wettrüstenden euro päischen Mächte ein. Valkanftaaten. * Die Türkei hat den Mächten erklärt, daß sie die Friedensbedingungen Ita liens, wonach Tripolis gegen eine Geldent- chädigung italienisch werden und der Sultan lediglich die geistliche Oberhoheit behalten soll, ad lehne. Die Türkei sei entschlossen und stark genug, den Krieg noch jahrelang zu führen. *Um endlich einmal Ruhe vor den Kretern zu haben, haben jetzt die Schutzmächte beschlossen, im Einverständnis mit der Türkei die Ver waltung der Insel Kreta vorläufig — bis zu einer endgültigen Regelung — einer neutralen Macht zu übergeben. Jus clem AeicbstLge. Der Reichstag nahm am Montag die Beratung des Etats des Innern wieder auf. Die zum Titel „Reichsschulkommission" vorliegende und schon am vorigen Mittwoch begründete Resolution der Sozial demokraten wurde nach kurzer Aussprache abgelehnt. Beim Titel „Heimatswesen" begründete Abg Diez (Zentr.) eine das Zigeunsrwesen betreffende Reso lution, die einen besseren Schutz verlangte. Staats sekretär Delbrück teilte mit, daß ein gemeinsames Vorgehen der verbündeten Regierungen zur Be kämpfung der Mißstände angebahnt sei. Weiter lasse sich vorläufig nichts tun. Abg. Rupp (Wirtsch. Vgg.) verlangte, daß man den ausländischen Hausierern den Wandergewerbeschein entziehe. Die Resolution wurde angenommen. Zum Kapitel „Ausführung des Kaligesetzes" lag eine Resolution der Buvgetkommisfion vor, die die Bekanntgabe der Durchschnittslohne in jedem Betrieb, eine Änderung in der Verteilung der Kaliabgabe dahin, daß ein Teil der in dis Reichskaffs fließende Abgabe dem Reich Verbleibi, sowie eine Denkschrift über die Löhne und Arbeitszeit u. a. wünschte. Abg. Hoch (soz.) betonte die Pflicht zur Kontrolle über das Syndikai. Nur solche Korporationen dürfen Propagandagelder erhalten, die auch wirklich Propaganda machen. Die Verffaarlichung sei das einzig richtige Mittel. Umer- staatssetretär Richter gab die Abneigung der Ne gierung kund, an dem Kaiigejetz von 1910 jetzt schon wieder Änderungen vorzunehmen, man müsse erst die Wirkungen des Gesetzes abwarten. Am 19. d. Mts. wird die Besprechung des Etats des JNnern unter Fortsetzung des Kapitels „Ausführung des KaligefetzeS" weitergeführt. Abg. Cohn (soz.): Wir verlangen die Ver öffentlichung der Durchschnütslöhne im Kalibergbau. Er verstößt gegen den politischen Anstand, wenn eine politische Organisation, wie der Bund der Land wirte, Kaligelder einsteckt. Die Verstaatlichung des Kalibergbaues ist notwendig für die Industrie, für dis kleinen Landwirte, die jetzt daS Kali am teuersten bezahlen müssen, und vor allem für die Arbeiter. Ich erhebe Protest gegen die Beleidigung, die sich gestern der Minister des Innern im preußischen Abgeordnetenhause gegen ihn herausgenommen hat. Präsident Kämpf: Ich bitte den Redner, zum Kali zurückzukehren. Unterstaatssekretär Richter: Ob der Bund der Landwirte ein politischer Verein ist oder nicht, ist hier nicht zu untersuchen. Die Propagaudagelder werden nach Maßgabe des Gesetzes und der Be stimmungen des Bundesrats verausgabt, politische Momente dürfen nicht hineingetragen werden. Ich habe nur den Auftrag, pflichtmäßig zu prüfen, ob die Gelder aus dem Reichsamt des Innern wirklich für Propagandazwecke verwendet werden. Zu Wahl kosten sind sie nicht verwendet worden, das ist wohl eine Verwechslung mit den. Rabatten, und was damit gemacht wird, geht uns nichts an. Der Bund der Landwirte hat übrigens bisher noch nicht einen Pfennig aus der Reichskaste erhalten, es werden vielmehr erst jetzt seine Ausgaben für 1910 und 1911 geprüft. Abg. Goth ein (fortsch. Vp.): Wir stehen auf dem Standpunkte, daß einem Privatmonopol, das sich aus natürlichen Voraussetzungen entwickelt, ein Reichsmonopol vorzuziehen ist. DaS Kali- Syndikat hat sich aber nicht aus natürlichen Vor aussetzungen entwickelt. Zwanzig der größten Werke waren wohl imstande, sich so auszubanen, daß sie den ganzen Bedarf Deutschlands und der Ausfuhr decken könnten. Ich möchte noch warnen vor der Annahme, daß mit Kalikuxen Geld zu verdienen ist. Der Krach in der Kaltindustrie ist nicht aufzu halten. Abg. Graf Westarp (kons.): Wir können nicht schon wieder das Gesetz ändern. Dadurch würde die Kaliindustrie schwer beunruhigt und die Spekulation herausgcsordert werden. Die Propa- gandageider sind notwendig. Auch der Bund der Landwirte bezieht sie zu Recht. Zu politischen Zwecken wird das Geld nicht verwendet. Das Reichsamt des Innern kontrolliert das dadurch, daß es den Verwendingsrechweis fordert. Nach weiteren Bemerkungen des Abg. Hoch (soz.) schließt die Aussprache. Die Resolutionen der Budgetkommission werden angenommen. Es folgt das Kapitel „Statistisches Amt". Eine Resolution der Forächrittler ersucht um Ermitte lungen über Verkauf und Zukauf von Getreide, Mehl, Brot u. a. der landwirtschaftlichen Haupt- und Nebenbetriebe für das Erntejahr 1912 in der Weise zu veranstalten, wie solche in Baden von den großhcrzoglichen Amtsvorständen 1912 durchgeführt wurden. Abg. Schumann (soz.): Wie steht es mit den Erhebungen über die Sonntagsruhe in der Binnenschiffahrt? Arbeitszeiten von 40 Stunden sind keine Seltenheit. Auch im Transportarbeitergewerbe herrschen un glaubliche Verhältnisse. Abg. Sittard (Zentr.): Die Teilerhungen in Preußen genügen, um eine Unterlage für die über aus wichtigen Preiscrhebuugen zu bieten. Wertlos, wie der Vorredner meinte, sind sie nicht. Dis Arbeiisverhältnisse im Straßenbahnbetriebe sind tat sächlich unhaltbar. Eine bestimmte Sonntagsruhe ist notwendig. Der Sonntag hat einen größeren Einfluß auf die Arbeitssreudigkeit wie ein Wochentag. Unterstaatssekrstär Caspar: RsiLssrhebuugen sind nicht mögüch. Eine einheitliche Regelung der Sonntagsruhe ist nicht möglich, da die Verhältnisse in jedem Orte anders liegen. Abg. v. Schulze-Gävernitz (sortschr. Vp.): Wir empfehlen Ihnen unsre Resolution zur An nahme. Die badische Statistik bietet eine gute Grundlage. Sie ist auch für das Reich durchführbar. Sie bildet eine Grundlage für eine vernünftige Wirtschaftspolitik. Radikaler Schutzzoll und radi kaler Freihandel sind veraltete Gegensätze. Der Mitteipunkc der Bauernwirtschaft ist der Stall. Wir Volksparteiler sind Erziehungszöllen im Sinne Liszts nicht abgeneigt. Was ein maßvoller Ge treidezoll ist, wird die gesündeste, Statistik darlegen. Ich rufe also: Mehr Licht in der Agrarpolitik. Abg. Ortel (kons.): Ler Vorredner hat dem Bunde der Landwirle gute Dienste geleistet. Er hat anerkannt, daß die Milchpreise schon sehr hoch sind. DaS werden wir uns merken! Die Volkspartei will eine Verzollung der Braugerste, die gerade von kleineren Bauern gebaut ist. Das ist die Bauerv- politik der Volkspartei. Die Angabe, daß die Volks partei eine Bauernpartei ist, hat der Redner selbst belächelt. Er glaubt wohl selbst nicht daran. Der Resolution werden wir zusiimmen. Der Bauernstand ist jetzt klüger geworden. Um 6 Uhr wird die Sitzung vertagt. Es findet eine Abendsitzung statt, die gleich mit einem kleinen Skandal beginnt. Abg. Cohn (soz.) hatte vorher in seiner Jungfernrede eine Wendung gebraucht, aus der an einzelnen Stellen der Vorwurf gegen den preußischen Minister des Jnnnern herausgehört wurde, daß er wegen Verbrechens bestrafte Beamte im Amte behalte. Der Präsident erklärte, daß er die Worte nicht so aufgesaßt und deshalb dem Redner einen Ordnungsruf nicht erteilt habe. Staatssekretär Delbrück war der Meinung, baß Abg. Cohn den Vorwurf erhoben habe und legte dagegen scharfe Verwahrung ein. Di« Rechte zollte seinen Ausführungen lauten Beifall, die Sozialdemokratie hingegen erhob lärmenden Widerspruch, namentlich als der Staatssekretär aus» führte, daß einem Mitglieds des Reichstages über haupt eine Kritik an der Geschäftsführung bundes staatlicher Minister nicht zustehe. Nach und nach glätteten sich dann die Wogen der Leidenschaft und das Haus begann die Fort setzung der zweiten Beratung des Etats für da» Reichsamt des Innern. Zum Kapitel „Reichsgesundheitsamt" liegen acht, Resolutionen vor, wovon sich zwei auf die Wein frage beziehen. Abg. Hartrath (Zentr.) begründet eine Re solution, die eine scharfe Kontrolle bei der Einfuhr ausländischer Weine fordert. Abg. Struve (sortschr. Vp.): Wann komm^ ein Gesetz für das Krankenpflegepersonal? Mein Freund Mugdan hat das schon mehrfach angeregt. Der Redner spricht weiter über das praktische Jah« und die Zurückweisung von Praktikanten, wie im Falle von Britz, wegen ihrer jüdischen Religion. Staatssekretär Delbrück: Das Reich hat nach den gesetzlichen Bestimmungen gar nicht die Möglich keit, eine Verpflichtung zu statuieren. Es spricht aber auch eine Reihe ernster Gründe dagegen, einen Zwang auszuüben, daß jeder Praktikant ausgenommen wird, der sich meldet. Abg. Gröber (Zentr.): Es ist überaus be denklich, wenn aus konfessionellen Gründen dem An hänger einer bestimmten Konfession die Möglichkeit der Ausbildung geradezu genommen wird. DaS Reich hat doch eine Aufsichtsbesugnis. Es ist eine Verletzung des Gesetzes von 1869 über die Gleich berechtigung der Konfessionen. Eine aus öffentlichen Mitteln unterhaltene Anstalt hat nicht das Recht, aus solchen Gründen einen Kandidaten zurückzu weisen. Was heute den Israeliten passiert, kann morgen den Katholiken passieren; und die Neigung, eine solche Auslese zu machen, besteht leider in manchen Kreisen. Staatssekretär Delbrück: In dem Brltzer Fall hat der preußische Kultusminister ausdrücklich di« Zurückweisung der jüdischen Medizinalpraktikanten beanstandet. Abg. Struve (sortschr. Vp.): Nach der vom Reichskanzler erlassenen Prüfungsordnung sind Kan didaten nur wegen sittlicher Verfehlungen zurückzu» weisen. Hierin liegt der Beweis, daß eine Zurück weisung aus konfessionellen Gründen nicht statthaft ist- Staatssekretär Delbrück: Eine Verpflichtung zur Annahme von Medizinalpraktikanten können wir nicht statuieren. Das Haus vertagt sich. Ver öergarbeiterltreik im Kukrgebiet beenäet. Angesichts der von Tag zu Tag gestiegenen Zahl der Arbeitswilligen hat die Streikleitung im Ruhrrevier den weiteren Kampf aufgegeben. Die Nevierkonferenz der drei Slreikverbände hat nach einer langen Beratung in Bochum das Abbrechen des Bergarbeiterstreiks beschlossen. Die Mehrzahl der Redner sprach sich allerdings für die Fortsetzung des Kampfes aus. Nach dem Reglement kann ein Streik oder die Fort setzung eines solchen aber nur mit Dreioiertel- Mehrheit beschlossen werden. Bei der Ab stimmung über die Frage, ob weiter gestreikt werden solle, ergaben sich 349 Stimmen dafür, 215 dagegen, mit 13 Stimmenenthaltungen. Die Dreiviertel-Mehrheit war also nicht erreicht. Die Belegschaften wurden demgemäß aufge fordert, die Arbeit wieder aufzunehmen. — Die Grubenbesitzer haben die verfügte Einbehaltung der Lohnschichten und die angedrohte Aus weisung aus den Arbeiterkolonien rückgängig gemacht. Zweifelhaft bleibt aber, ob unbequeme Elemente überall ohne weiteres zur Arbeit ange nommen werden. (S. u. „Nah und Fern".) K 6m stiller ^enlck. LSj Roman von Pani Blitz. (Fortsetzung.) Wenn Frau Grete auch keinen Augenblick ver kannte, daß sie von jetzt an zwischen zwei Feuern stehen würde: drüben Onkel Klaus mit seinem Eheplan und hier das Geschwisterpaar, das ihr den Kurt zugcdacht hatte I Unwillkürlich mußte sie leise lächeln, als sie das bedachte. Wer sie war doch nicht behebt genug, um cm den Ausgang dieses Wettstreites denken zu können. Nach zwei angenehm verplauderten, ganz amüsanten Stunden verabschiedete sie sich und versprach, recht bald und von nun an auch ohrw Einladung wiederzukommen, was allgemein mit ehrlicher Freude ausgenommen wurde. Da es schon anfing zu dämmern, begleitete Kurt sie nach Hause. Er war jetzt Feuer und Flamme. Lebhaft sagte er: .Auf diesen Muter freue ich mich ganz unmenschlich!" „Aber wieso denn?" fragte fie ganz harmlos. „Weil er sich dir zu Ehren ganz besonders gesellschastsreich und festlich gestalten soll!" „Oho I Ich bin doch hergekomme», um hier Dor allem Ruhe zu haben. Ich werde kaum viel mitmachen." „Na, daraus wird nuu wohl nichts werde»! Ich will dann schon dafür sorgen, daß man dich »st einladen wird." Lachend rief sie: „Das dürfte dir wenig uützen." „Aber du kannst doch deine Jugend nicht so einsam vertrauern wollen?" entgegnete er mit ehrlichem Erschrecken. „Und warum nicht, wenn es mir Spaß mächtig Fragend sahen sie sich an. Als Kurt aber ihren lachend lebensfrohen Blick gewahrte, wurde er ganz außer sich vor Entzücken. Schnell erfaßte er ihre Hand und küßte sie. Aber ebenso schnell hatte er einen leichten Klaps weg. „Das wollen wir doch lieber nicht einführen," erklärte fie Hester, aber be stimmt und entschlüpfte mit kurzem Gruß schnell ins Haus. Er jedoch lief beglückt davon, denn fein junges Herz stand in lichten Flammen. Als fie zu Onkel Klaus kam, fand sie ihu gar nicht gut bei Laune. Sie ahnte natürlich den Grund, stellte sich aber ganz harmlos und ver suchte den alten, lieben Herrn aufzuheitern, was ihr denn auch bald gelang. Dann erzählte sie, wie sehr freundlich fie ausgenommen sei. Und darüber giftete Onkelchen sich dann von neuem, so daß er endlich heraus platzte : „übrigens, das kann ich dir nur sagen, mein liebes Kindx. wenn du dir nochmals von diesem Windhund so öffentlich wie eben die Hand küssen läßt, dann darfst du dich auch nicht wundern, wenn mau euch beide bald als Ver lobte ausposaunen wird. Du kennst doch unser Städtchen." Fröhlich rief die junge Faa: „Ach, du hast uns also gar belauscht!?" Natürlich hatte er das getan! Schon fest einer Stunde hatte er im dunklen Zimmer hinter der Gardine gestanden und wie ein Schießhund aufgepaßt! Aber das durfte er doch nicht eingestehen I Und so antwortete er denn ganz leichthin: „Ich denke gar nicht daran. So wichtig ist mir die Sache denn doch nicht. Zufällig stand ich gerade am Fenster, als ihr ankamt." An diesem Wend wollte nun doch keine so recht gemütliche Stimmung mehr aufkommen, so daß sich das Frauchen bald empfahl. „Schlaf deinen Groll aus, du alter Jsegrimm!" sagte sie fröhlich und gab ihm einen herzhaften Gutenachtkuß, als sie nach oben ging. Er nickte ihr zwar heiter und wieder ver söhnt nach, aber an schlafen war vorerst noch nicht zu denken; mit offenen Augen lag er da und sorgte sich um die Zukunft. Und immer wieder drängte zwischen all dem krausen Wirr warr der eine Gedanke sich hindurch: wenn man nur den dummen Kerl, diesen Bruno, mal heran- bringen könnte. Aber wie daS anstellen? Er hatte ihn fest jenem Frühlingstag nicht mehr ausgesucht. Denn er ärgerte sich noch immer über den Dickschädel, und wo er ihn kommen sah, war er ihm aus- gewichen. Dennoch aber war es sein heißer Wunsch, daß er bald kommen möge. Und siehe, der Wunsch sollte sich wirklich bald erfüllen. Ws am nächsten Freitag Getreidebörse war, lief Bruno, der eben seinen Weizen gut ver kauft hatte und bester Laune war, dem alten Onkel direkt in den Weg. Sie hatten sich beinahe fünf Monate lang nicht gesehen. Nun standen sie sich plötzlich gegenüber. „Na, Onkelchen, grollst du mir noch immer?" rief Bruno heiter und streckte dem Alten sein» beiden Hände hin. Der spielte zuerst zwar noch den Verletzten, wurde aber doch freundlicher und erwiderte: „Grund hätte ich doch wohl, sollt' ich meinen. Aber solchem Dickkopf, wie dir, darf man eben nichts übel nehmen." „Bravo! So ist's recht! Immer laß mich nur meinen eigenen Weg gehen." „Davor kannst du beruhigt sein, zum zweitenmal verbrenn' ich mir bei dir nicht die Finger." Bruno lachte herzhaft auf. Und das« gingen sie plaudernd weiter. Natürlich erwähnte der Alte kein Wort von seinem neu eingetroffenen Besuch. Plötzlich sagte Bruno: „Wollen wir nicht bei einem guten Schoppen unsre Versöhnung feiern?" „Gewiß, ich bin dabei," — damü wollte Onkelchen hinübergehen in die „Goldene Kugel', wo man einen guten Tropfen bekam. Bruno aber fragte erstaunt: „Dorthin? Weshalb denn nicht zu dir? Du hast doch immer einen guten Wein im Keller gehabt, und bei dir ist's doch viel traulicher als in so'ner Kneipe." Einen Moment lang zögerte der Mte und sah den Jungen an. Ob der schon von dem Besuch etwas wußte? Wer nein, seine Auge« verrieten es, er hatte noch keine Ahnung davon.
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