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Allgemeiner Anzeiger : 07.02.1912
- Erscheinungsdatum
- 1912-02-07
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-191202072
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19120207
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1912
-
Monat
1912-02
- Tag 1912-02-07
-
Monat
1912-02
-
Jahr
1912
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 07.02.1912
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s Der italienisch-türkische lkrieg. Die Nachrichten vom Kriegsschauplatz in Tripolis laufen äußerst spärlich ein, und wenn nicht die italienische Heeresleitung alle oder wenigstens fast alle fremden Korrespondenten aus dem Lande gewiesen hätte, so. wären sie mangels jedweder Tätigkeit längst abgereist. Seit zwei Mönchen, also seit dem 4. Dezember, wo Aiilzara von den Italienern erobert wurde, hat sich nichts Nennenswertes mehr ereignet, j Das ist indessen nicht überraschend, denn General Caneva, der italienische Oberfeldherr, hat nach den Oktober-Kämpfen, die erkennen s ließen, daß die Schlagkraft der Türken jener der Italiener keineswegs nachsteht, die Absicht - ausgesprochen, den von der öffentlichen Meinung 7 Italiens in Unterschätzung der Verhältnisse ge forderten Bormarsch in das Innere - erst im Frühjahr zu beginnen. Die Zeit bis 7 zum Frühjahr will der Oberkommandierende Lem Ausbau und der Festigung des an der Küste Gewonnenen und den Vorbereitungen für Len Vorstoß widmen. Diese kluge Bedächtig keit wird sich gewiß bezahlt machen. Gegen- ' wärtig dürften die Italiener in Tripolitanien und der Cyrenaika über 110 000 Mann ver- ' sammelt haben. Mit Ende Dezember belief sich Lie Zahl der italienischen Formationen auf 83 Bataillone, 11 Eskadronen, 21 Feld-, 13 Gebirgs- und 6 schwere Batterien. Da die italienische Armee im Frieden bisher 362 Bataillone zählte, befand sich mit Ende Dezember fast ein Viertel der gesamten Infanterie des Königreichs auf dem Kriegsschauplatz. Diese Vergleichszahl dürfte auch durch die inzwischen versügte Ver mehrung der Truppen des italienischen Heeres um 24 Bataillone keine wesentliche Änderung erfahren, da gegenwärtig bedeutende Truppennachschübe stattfinden, durch die der Stand des Expeditions- torps. um weitere 40 000 Mann, mithin auf 150 000 Mann erhöht werden soll. Die 7 Friedensstärke des italienischen Heeres beträgt 278 000 Mann; Italien versammelt somit in Tripolitanien und der Cyrenaika eine Armee, - Lie der Friedensstärke des gesamten italienischen Heeres nur um etwa hundertdreißigtausend Mann nachsteht. Aus diesen Gegenüber- f stellungen geht hervor, welch gewaltigen militärischen Aufwand der tripolitanische Feld- : zug schon bisher fordert. Und dabei stehen die . Italiener erst am Beginn des Unternehmens; ihr Besitz auf nordafrikanischer Erde beschränkt . lich noch heute auf eine schmale Küstenzone, die - m Tripolitanien zwanzig Kilometer in der f Tiefe, in der Cyrenaika kaum die Hälfte dieser s Ziffer beträgt. Und das ist das Ergebnis eines j viermonatlichen Feldzuges. Und doch kann man j das bisher Erreichte nicht dürftig nennen, wenn man die Kriegstüchtigkeit der Türken und ! Araber und die Schwierigkeiten, die in den s Eigenheiten des Landes selbst liegen, berück- l sichtigt. Die Kriegsbegeisterung in Italien ! hat unter solchen Umständen begreiflicherweise . nicht nur nachgelaffen, sondern sie ist einem immer stärker werdenden Groll gewichen, daß man ein so gewaltiges Unternehmen mit unzu- j reichenden Mitteln ins Werk gesetzt hat. Nicht umsonst zögert man immer wieder mit der - Zusammenberufung des Parlaments; denn nur s mit der Erklärung, daß das Werk der Er- j oberung von Tripolis in der Hauptsache getan i ist, wird die Regierung den Sturm beschwichtigen und die notwendigen Kredite erhalten können. - Daß unter diesen Verhältnissen eifriger denn : je von einem bevorstehenden Friedensschlust gesprochen wird, ist leicht begreiflich. Nachdem man sich aber in Konstantinopel überzeugt hat, daß die Streitkräfte in der Lage sind, am Wüstenrande erfolgreichen Widerstand zu leisten, scheint man es mit dem Schluß der Feindselig keiten nicht mehr eilig zu haben. Italien hat > den günstigen Augenblick verpaßt. Es muß l nun die harte Nuß knacken. Aber alle Be- ! rechnungen über die vermutliche Dauer des Krieges und besonders auch übeV seine Kosten sind hinfällig. Jahrzehnte wird Italien zchtun haben, um sich von dem tripolitanischen Ern- teuer zu erholen, gleichgültig wie es enden -lag- Politische Kunälchau. Deutschland. * Wie verlautet, wird Kaiser Wilhelm den neuen Reichstag persönlich mit einer Thronrede eröffnen. * KaiserWilhelmhat dem Kronprinzen Boris von Bulgarien aus Anlaß seiner Großjährigkeitserklärung den Schwarzen Adler orden verliehen. Prinz Friedrich Leopold von Preußen hat im Auftrage des Kaisers die Aus zeichnung überreicht. * Eine vom Reichskanzler erlassene Ver ordnung über die Presse in den S chutz - gebieten Afrikas und der Südsee führt die hauptsächlichsten gewerblichen Rechtsnormen des deutschen Preßgesetzes in die Kolonien ein. Neu sind einige Rechtsbestimmungen, die sich auf Eingeborene beziehen. So ist die öffent liche Verbreitung von Druckschriften, die ge eignet sind, die Eingeborenen zur Gewalttätigkeit gegen Weiße aufzureizen, zum erhöhten Schutz der weißen Bevölkerung, insbesondere der weißen Frau, verboten und unter Strafe gestellt. Zur Vorbeugung ist dem Gouverneur die Be fugnis zum Verbot der Verbreitung solcher Druckschriften unter gewissen Einschränkungen erteilt worden. * Nach genauer Berechnung stehen sich in der sozialdemokratischen Reichstags- Fraktion 40 Radikale und 55 Gemäßigte (Revisionisten) gegenüber. Die übrigen 15 haben sich noch nicht bestimmt erklärt, aber 10 bis 12 dürften auch hier den Revisionisten zuzurechnen sein und diesen die Mehrheit sichern. Die Mehrzahl der Fraktion wünscht, daß die Partei mehr als bisher Mitarbeiten möge; der Stand punkt der grundsätzlichen Verneinung sei bei 110 Mann nicht mehr haltbar. * Die koburgische Staatsregie rung hat die Einführung einer Waren haus st euer für das Herzogtum abge lehnt. *Jn der elsaß-lothringischen Kammer erklärte gelegentlich der Beratung des Etats der Staatssekretär Zorn v. Bulach: Durch die Verfassung habe die Regierung neue Rechte und Pflichten bekommen. Die Regie rung habe schon gewußt, daß die Sozialdemo kraten das Budget nicht bewilligen würden, und man könne auch sicher sein, daß die Regierung die Sozialdemokraten als Partei entschieden be kämpfen werde, aber persönlich könne man mit einigen Abgeordneten sehr gut diskutieren und für das Land Ersprießliches ausrichten. Die Militär- und Marine-Vorlagen seien noch nicht eingebracht, man könne daher zu ihnen auch noch nicht Stellung nehmen. Die Regierung werde aber in Berlin kundgeben, daß Elsaß- Lothringen ein friedliches Land sei und daß die Elsaß-Lothringer nichts mehr wünschten als den Frieden, vor allem den Frieden mit . ihrem früheren Vaterlande. Frankreich. *Die sozialistische ,Humanit^ veröffentlicht eine aufsehenerregende Unterredung mit dem deutschen Abgeordneten Dr. Liebknecht (soz.), der unter andrem gesagt haben soll: „Die Kräfte der sozialdemokratischen Partei müssen im Hinblick auf Kriegszeiten stärker sein als im Hinblick auf Friedenszeiten. Wenn der Krieg erklärt werden sollte, so müssen wir ihn verhindern können, indem wir uns ihm einfach widersetzen. Von den fünf Millionen Bürgern, die die Reservisten deS deutschen Heeres bilden, ist die Hälfte aus unsern Reihen hervorgegangen. Die beiden ersten Jahrgänge und die jungen Leute von 18 bis 20 Jahren gehören der Mehrzahl nach zu uns. Die Ne gierung weiß dies und ist darüber sehr beun ruhigt." Bemerkenswert ist eine Erklärung des Dr. Liebknecht, daß die in der .HumanM ver öffentlichte Unterredung auf Erfindung beruhe. *Jm Senat erklärte der Finanzminister Klotz bei der allgemeinen Besprechung des Budgets, man müsse auf eine gute Verwendung der Ausgaben achten. Er sei überzeugt, daß niemand um Lie notwendigen Ausgaben zur Verteidigung des Landes feilschen werde. Klotz wies auf die Notwendigkeit neuer Kredite für das militärische Flugwesen und die Verwirklichung des Flottenprogramms hin. Niemand könne anderseits daran denken, die Entwicklung der Gesetzgebung hintanzu halten, aber man müsse sich bemühen, den Steuerzahlern keine neuen Opfer aufzuerlegen. Das Land stehe am Vorabend einer Reform der direkten Steuern, aber die Einkommen steuer dürfe nur auf Grundlage der Gerechtig keit und Billigkeit reformiert werden. Die jenigen, die nur das Notwendigste besäßen, müßten entlastet, diejenigen aber, die Überfluß hätten, in mäßigem Umfange stärker herange zogen werden. Portugal. *Die Unruhen in Portugal, die aus Anlaß des Generalstreiks ausge brochen sind, dauern an, indessen ist die Re gierung nach hartnäckigem Widerstande der Arbeiter Henin der Lage in der Hauptstadt geworden. — In London fand eine Unterredung zwischen dem ehemaligen Könige Manuel und Don Miguel vonBraganza statt, der ebenfalls Ansprüche auf den Thron macht. Wie verlautet, hat letzterer erklärt, er wolle alles daran setzen, um Manuel den portugiesischen Thron zurückzugewinnen. In politischen Kreisen mißt man dieser Unterredung besondere Be deutung bei. Amerika. * In Mexiko sind aberinals ernste U n - ruhen ausgebrochen. Betrunkene Empörer plünderten in verschiedenen Städten des Nordens Gastwirtschaften, Läden und Privatwohnungen. Ein Zug der Mexiko-Zentralbahn, der nach Mexiko fahren sollte, ist auf dem Bahnhof Juarez angehalten und die Fahrgäste sind nach El Paso zurückgeschickt worden. Die Aufrührer haben die Bahnlinie nach Süden zerstört. Die Negierung erklärt, daß sie stark genug sei, den Aufstand niederzuschlagen. — Man will mit dieser Erklärung offenbar eine Einmischung der Ver. Staaten verhindern. Deutschlands zunkenteleMphie. MDie in wenigen Wochen erfolgende Inbetriebnahme des um das Doppelte erhöhten Funkenturms in Nauen, des „Berliner Eiffel turms", wird den Vorsprung, den Deutschland in der Funkentelegraphie den andern Ländern abgewonnen hat, erheblich vergrößern. Seit der Erfindung der „tönenden Funken" durch Graf Arco hat Deutschland sogar die vorher unerreicht an der Spitze stehende Marconigesell schaft erheblich überflügelt. Von den gegen wärtig bestehenden 1583 internationalen draht losen Stationen kommen allein 270 Stationen auf Deutschland. Davon sind etwa 160 auf Passagierschiffen angebracht, die sämt lich im Besitz einer Gesellschaft, der von der Telefunkengesellschaft als Tochterunternehmen gegründeten deutschen Betriebsgesellschaft, sind. Diese Stationen dienen dem öffentlichen Ver kehr wie jede öffentliche Station auf dem Lande, wie diese stehen sie dem Publikum zur Ver fügung, und jedes Telegraphenamt nimmt Tele gramm-Bestellungen an die auf hoher See be findlichen Schiffe und ihre Passagiere an. Be deutender aber noch als der Bestand des in deutschen Händen befindlichen Anteils an der internationalen Funkentelegraphie ist die Tätig keit der Telefunkengesellschaft in der ganzen Welt. Von den 1583 Stationen, die gegen Ende des Jahres 1911 in verschiedenen Ländern in Betrieb waren, hat die genannte Gesellschaft allein im Jahre 1911 390 Stationen in dreißig Ländern aufgestellt. Damit wird bewiesen, in welchem Maße das Ausland dem deutschen System den Vorzug gibt. Die Vorteile, die es bietet, liegen übrigens auf der Hand. Bei dem deutschen System ist vor allem die Reichweite, dann aber auch die Ökonomie erheblich größer als bei den ausländischen Systemen, bei gleichem Kraftver hältnis ist es möglich gewesen, die Reichweite des deutschen Systems um 150 Prozent gegen früher zu steigern. Der Nauener Funkenturm hat bereits bei seiner früheren Höhe von 100 Metern und einer Kraftquelle, deren Maximum nur 100 Pferdestärken betrug, eine Entfernung von 5000 Kilometern überbrückt, durch die Verdoppelung seiner Höhe hofft man den Aktionsradius auf wenigstens 8000 Kilometer erweitert zu haben. Die Versuche, die gegen wärtig unter Ausschluß der Öffentlichkeit unternommen werden, sollen in nächster Zeit beendigt sein, so daß der Turm dann wieder seiner Bestimmung übergeben werden kann. Erfüllen sich die Hoffnungen, die auf den er höhten Turm gesetzt werden, dann wird eine direkte, unterbrechungslose Verbindung mit den deutschen Kolonien möglich sein. Von welch großer Bedeutung diese Verbindung wäre, ist leicht zu ermessen. Mne weitere Verbesserung der Zentrale in Nauen besteht in einer Verstär kung des Kraftwerks, das jetzt das Vierfache der früheren Pferdestärken leistet. Damit ist es möglich, einen früher vorhandenen Übelstand zu beseitigen, nämlich durch alle Nebengeräusche hindurch, die im Fernhörer durch Entladungen im Luftraum hervorgerufen werden und die früher oft zu völliger Einstellung des Betriebes zwangen, die tönenden Signale zu hören. Gerade diese Verbesserung ist für einen in Aus sicht, genommenen Verkehr mit den Kolonien von besonderer Wichtigkeit. Zweifellos wird die deuische Funkentelegraphie nach den erwarteten neuen Erfolgen einen noch erheblich größeren Aufschwung nehmen und noch weitergehende internationale Anerkennung finden. Eine wichtige Frage, die neben der technischen Ausgestaltung der drahtlosen Telegraphie eine Rolle spielt, ist die der Ausbildung des Personals, besonders des seemännischen, zur Bedienung der Apparate. Auch hierin ist die deutsche Funkentelegraphie weit dem Auslande voran. Die Navigations schulen in Hamburg, Bremen und Elsfleth, sowie das Technikum des Staates haben Unterrichtskurse für drahtlose Telegraphie ein geführt. k)eer unci flotte. — Wie halbamtlich gemeldet wird, sind die Zeitungsmeldungen von einer bevorstehenden Reise des Prinzen Adalbert nach Amerika und von der Entsendung eines deutschen Geschwaders nach den Ver. Staaten unbegründet. O Von der vorjährigen geringwertigen Ernte wird auch die preußische Heeresverwaltung in Mitleidenschaft gezogen. Die Landwirte halten ihre Futtervorräte zurück oder machen nur ganz knappe Angebote. Die Proviant ämter haben daher mit Schwierigkeilen zu kämpfen, um ihren Bedarf zu decken. Nament lich ist es schwer, die erforderlichen Mengen Hafer für die Kavallerie, Artillerie usw. herbei zuschaffen. Die Proviantämter sind deshalb ge zwungen, das Ausland zur Abgabe von Offerten für Hafer aufzufordern. Der Bezug ausländischen Hafers wird eine bedeutende Mehrbelastung herbeiführen, denn beispielsweise sind die russischen Preise so hohe, daß sie sich vergleichsweise teurer stellen als die Preise für deutschen Hafer. Den Magazinen ist die Weisung gegeben, in Plata-Hafer noch keine Abschlüsse zu machen. — In andern Bedarfs artikeln, wie z. B. Stroh, Heu und Linsen früchten, herrscht ebenfalls teilweise Knappheit vor, doch wird sich hier ein Ausgleich ermög lichen lassen. Von unä fern. Die strengste Kälte dieses Winters in Ost- und Westpreußen hat am letzten Sonntag geherrscht. In Allenstein fiel das Thermometer auf annähernd 30 Grad unter Null, in Tilsit auf 28 Grad, in Insterburg auf 27 Grad Celsius. In Elbing sank das Quecksilber auf — 25 Grad und auf der Höhe betrug die Kälte 27 bis 28 Grad Celsius. Die stärkste Kälte dürfte aber Schwetz am Sonntag gehabt haben, denn dort sind 32 Grad Celsius unter Null registriert worden. Oü bin stiller Mnlck. 5j Roman von Paul Bliß. Gortsrtznng.) Während der alte Herr Büttner so über alles nachdachte und sich ärgerte, erstand auf einmal wieder die ganze erregte Aussprache vor ihm, und er sah die hohe, stolze Gestatt Brunos, und sah dessen ernstes, mannhaftes Gesicht, seine würdevolle Haltung und seinen unbeugsamen Stolz, — und jetzt mit einmal, zum erstenmal im Leben, bekam er Respekt vor dem Jungen. Znm Kuckuck nochmal! In solchen Worten hatte noch niemand zu ihm geredet! Unwillkürlich dachte er sofort an seinen zweiten Sohn, an seinen Liebling Kurt. Der hätte es nie gewagt, in solchem Ton zu ihm zu sprechen. Und einmal bei diesem Gedanken ange kommen, verglich er nun seine beiden Söhne, Zug um Zug, lange und eindringlich. Und endlich, so lieb und ans Herz gewachsen ihm sein Kurt auch war, mußte er es doch bedauern, daß er so gar nichts von dem Stolz und Trotz und von der knorrigen Zähigkeit seines Erst geborenen hatte. Kurz vor Tisch kam er zu Hause an. Seine Mißstimmung hatte noch zugenommen. Gleich die erste Frage galt Kurt. Tante Marie, die gerade den Tisch ordnete, sah ein wenig erstaunt auf, als sie aus seiner Frage den gereizten und erregten Ton heraus hörte. „Kurt ist mit dem Elfuhr-Zuge nach Berlin gefahren." antwortete sie nur. Unwillig sah er auf. Sein Gesicht war leicht gerötet und die Zornadern schwollen ein wenig an. Dann sagte er, beinahe heftig wer dend: „Schon wieder nach Berlin? Bereits das dritte Mal in dieser Woche. Das wird mir nachgerade doch ein bißchen zu bunt mit dem Jungen." Die Schwester wurde immer erstaunter. „Was hast du denn gehabt, daß dn so auf geregt bist?" Aber das beruhigte ihn nun gar nicht. Miß mutig erwiderte er: „Ich bin durchaus nicht erregt. Wer dies flotte Leben von Kurt be- hagt mir auf die Dauer ganz und gar nicht. Das wird sich ändern, und zwar schon von heute an. Dafür werde ich sorgen." Tante Marie sagte nichts dazu. Sie kannte ihre Leute. Sie wußte, wann es am besten war, zu schweigen. Deshalb ging sie jetzt füll hinaus und sah in der Küche nach dem Rechten. Inzwischen fragte der alte Herr drüben im Kontor bei dem Prokuristen, ob etwas vorge kommen sei, das den jungen Herm nach Berlin gemfen habe. Als er aber nur verneinende Antworten bekam, nahm seine üble Laune noch mehr zu. Somit Werr die Stimmung bei Tisch nicht rosiger. Tantchen, die draußen vom Kutscher er fahren hatte, daß der Vormittags-Ausflug nach Schönau gerichtet war, glaubte jetzt natürlich den Gmnd für die brüderliche Verbitterung zu kennen. Sie meinte es gut und wollte einsenken, deshalb sagte sie jetzt: „Ärgere dich doch über die alte Geschichte mcht mehr. Du weißt doch, daß daran nichts mehr zu ändern ist." Erstaunt sah er von seinem Teller auf. „Wovon sprichst du denn?" „Von der Sache mit dem Bruno. Ich hörte, daß du draußen bei ihm warst." Aber nun bekmn er erst recht einen roten Kopf. Der ganze Groll über die erlittene De mütigung wachte in ihm auf, so daß ihm vor Erregung fast der Biffen im Halse stecken blieb und er gar nichts antworten konnte. „Es ist doch wirklich nicht der Rede wert, über den Trotzkopf überhaupt noch ein Wort zu verlieren," wollte sie trösten. Doch er mußte alle Kraft zusammennehmen, um jetzt nicht ein herbes Wort zu sagen. Mt verhaltener Erregung sprach er endlich: „Bitte, laß das, ein für allemal: ich wünsche nichts mehr über diese Angelegenheit hier zu hören." Damit stand er auf, verließ den.Tisch und ging in sein Zimmer. Nun war das Tantchen aber doch über alle Maßen erstaunt, denn so aufgeregt batte sie ja den Bruder seit undenklicher Zeit nicht mehr ge sehen. Das mußte ja draußen in Schönau eine böse Szene gegeben haben. Das schlimmste war nur, daß sie jetzt gar nichts Genaueres darüber zu erfahren bekam, denn wie die Stimmung jetzt war, durste sie vom Bruder doch sicher keine nähere Mitteilung darüber erhoffen. Erst gegen Abend ließ sich Herr Waldemar Büttner wieder blicken. Er hatte versucht, ein wenig zu ruhen, aber auch daS war ihm miß lungen, denn der Arger mit Bruno, aber auch die Sorge über Kurts flottes Leben ließen ihn den ersehnten Schlaf nicht finden. Mißlaunig, wie selten, kam er wieder zum Vorschein. Ngerlich griff er zum Kursbuch und blätterte darin. Natürlich suchte er die Züge, die von Berlin kamen. Wer wütend warf er den Band zur Seite. Vor neun Uhr kam kein Zug an. „Wenn der Junge nm offen zu mir spräche," begann er endlich wieder, „dies oftmalige nach Berlin fahren beunruhigt mich ganz einfach, ich muß wissen, was dahinter steckt." Tante Marie, die für ihren Liebling bangte, wm natürlich sofort zu seiner Verteidigung bereit. „Was soll denn Großes dahinterstecken? Er wird mit seinen früheren Regimentskameraden zusammen sein, .vielleicht hat man sich gestern hier verabredet. „Wer dreimal in einer Woche diese Fahrten, das ist mir zu viel, das will ich nicht." „Mein Himmel, mach' doch nicht so viel Aufhebens davon. Ein junger, lebensfroher Mensch wie er, kann doch hier in dem Nest nicht versauern." „Alles muß seine Grenze haben! Vergnügen kann er sich genug schaffen, ich gönne es ihm,, aber eS darf nicht ausarten." „Das wird es auch sicher nicht." „So, meinst du das? Ich bin andrer Ansicht. Ich habe mir heute mittag sein Privat konto angesehen. Und ich bin erschrocken. In den letzten vier Wochen hat er nahezu zehn tausend Mark verbraucht. Na, wohin soll denn das führen? Frag' dich doch mal selbst danach!"
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