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Allgemeiner Anzeiger : 31.01.1912
- Erscheinungsdatum
- 1912-01-31
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-191201314
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id181900449X-19120131
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19120131
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1912
-
Monat
1912-01
- Tag 1912-01-31
-
Monat
1912-01
-
Jahr
1912
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 31.01.1912
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Oer neue Keiebstrg. Am Donnerstag haben die letzten noch aus stehenden 83 Stichwahlen zum Reichstage statt gefunden. Auch an diesem dritten Stichwahl tage haben die Parteien der Linken und be sonders die Sozialdemokratie Erfolge errungen. Der letzte Stichwahltag hatte folgendes Er gebnis : Von den 33 Mandaten, über die ent schieden wurde, besaßen bisher die Konservativen acht, die Reichspartet drei, das Zentrum drei, die Polen drei, die Nationalliberalen drei, die Fortschrittliche Volkspartei acht und die Sozial demokraten fünf. Diesmal erhielten: die Konservativen 2 Mandat« „ Reichspartei 2 das Zentrum 2 die Polen 2 5» „ Nationalliberalen 7 „ Fortschr. Volkspartei 7 l» „ Sozialdemokraten 11 Das Gesamtergebnis der Reichstagswahlen ver anschaulicht folgende Tabelle über die Stärke der Parteien. Endgültig Bisherige gewählt Parteistärke Konservative 43 58 Deutsche Reichspartei 15 25 Deutsche Reformpartei 3 3 Wirtschaftliche Vereinigung 11 18 Zentrum 93 103 Polen 18 20 Nationalliberale 44 51 Deutscher Bauernbund 3 — Fortschrittliche Volkspartei 42 49 Sozialdemokraten 110 53 Elsässer > » 5 Lothringer s 3 Welfen 5 1 Wilde 3 6 Ob allerdings die Aufstellung zuverlässig ist, wird erst endgültig festgestellt werden können, wenn die Zahlen amtlich nachgeprüft sind; denn in einzelnen Wahlkreisen ist das Ergebnis zweifelhaft. So soll die Wahl in Berlin I an gefochten werden, weil angeblich nicht einwand- frei seststeht, daß der fortschrittliche Kandidat Kämpf wirklich 7 Stimmen mehr hatte, als der Sozialdemokrat. Auch in Alzey-Bingen steht noch nicht fest, ob der Nationalliberale oder der Fortschrittler gewählt ist. Was nun die künftige Mehrheit im Reichstage anbelangt, so läßt sich auch darüber nichts Ge naues sagen, da die politische Richtung einiger Abgeordneten nicht bekannt ist. Man wrrd daher erst nach dem Zusammentritt des neuen Reichstages ein Bild der neuen Gruppierung gewinnen. Eine Zählung ergibt, daß die bis herigen Mehrheitsparteien (also Konservative, Reichspartei, Reformpartei, Wirtschaftliche Ver einigung, Zentrum, Welfen, Polen und Elsässer) mit drei rechtsstehenden Wilden über 198 Mandate verfügen, während die bürgerliche Linke 89 Mandate, die Sozial demokratie 110 Mandate zählt. Es scheint also, daß die Linke über eine geringfügige Mehrheit verfügt. Die Zukunft wird lehren, ob die veränderten Parteiverhältnisse der Re gierung eine erfolgreiche Arbeit möglich machen. Im Interesse des Reiches kann man nur von ganzem Herzen hoffen, daß auch im neuen Reichstage die Parteien es nicht an Arbeits freudigkeit fehlen lassen werden — zum Segen des Vaterlandes. In England und Frankreich find die diesmaligen Wahlen mit seltenem Inter esse verfolgt worden; die meisten Blätter gaben ihrer Genugtuung über die vermeintliche Schwächung Deutschlands Ausdruck. So schreibt die deutschfeindliche,Daily Mall': „Die deutsche Regierung wird nunmehr ihre Rüstungspläne bis auf weiteres vertagen müssen." Und die Limes' erklären gar, „der ungeheure Sieg des Proletariats hat Deutschland an die Schwelle einer neuen Zeit versetzt." Auch in Frankreich beschäftigt man sich eifrig mit dem Ausfall der Wahlen. Dort aber wird vor einer Überschätzung des Wahlergebnisses gewarnt. Der .Radical' meint: „Der Sieg der Linken wird die politische Richtung der Regie rung wahrscheinlich ändern, aber im ausge sprochen liberalen Sinne: sie dürfte sich im Innern auf die Eroberung aller wesentlichen Freiheiten, nach außen auf die Wahrung des Friedens und freundschaftlicher Beziehungen mit allen Völkern Europas erstrecken. In der einen wie in der andern Hinsicht können wir uns zu diesem neuen Vorstoß des Liberalismus nur beglückwünschen — zu diesem Triumph des demokratischen Gedankens über militärischen Absolutismus und Junkertum in Europa." — Das,Paris-Journal' vermag in dem Anwachsen der deutschen Sozialdemokratie weder das Vor zeichen einer nahen Revolution, noch auch ein Unterpfand für den Frieden Europas zu er blicken. Das Blatt ist der Ansicht des Kaisers, der neulich lächelnd gesagt haben soll: „Ei was, meine Sozialisten sind gar nicht so schlimm, wie sie scheinen!" Politische Kuncllckau. Deutschland. -Kaiser Wilhelm hat den Reichs kanzler v. Bethmann-Hollweg und den Staatssekretär des Reichsmarineamtes von Tirpitz in Audienz empfangen. Wie ver lautet, war die neue Flottenvorlage Gegenstand einer eingehenden Besprechung. -Nach einem preußischen Ministerialerlaß vom 12. Mai v. Js. sind Heilmittel, die mit Methylalkohol (dessen Genuß vor einiger Zeit im Berliner Asyl für Obdachlose so viele Todesopfer forderte) oder mit Spiritogen, Spritol und dergleichen hergestellt werden, selbst wenn sie nur zum äußerlichen Gebrauch be stimmt sind, als zur allgemeinen Verwendung nicht geeignet anzusprechen. Sie dürfen daher weder in den Apotheken noch außerhalb der selben abgegeben werden. Auch die übrigen Bundesstaaten sind dieser preußischen Anordnung beigetreten. * Dem Ausschuß des gemeinschaftlichen Landtages der Herzogtümer Ko bürg und Gotha ist von der gothaischen Staatsregierung eine Vorlage betreffs Einführung direkter Wahlen zum Landtage zugegangen. Osterreich-Ungarn. * Der österreichische Minister des Äußeren, Graf Nhrenthal, leidet schwer an den Folgen einer Nierenentzündung, die ihn zur Zeit, als er Botschafter in Petersburg war, befiel und die niemals vollständig ausgeherlt wurde. Sie hat sich langsam zu einem chronischen Nierenleiden emwickelt, das eine Er krankung der Sehnerven nach sich zog und die Gefahr totaler Erblindung in sich birgt. Frankreich. * Die französische Senatskommission hat das deutsch-französische Abkommen über Marokko mit fünfzehn gegen zwei Stimmen bei vier Stimmenenthaltungen an genommen. Belgien. * In der Kammer ereignete sich ein Aufsehen erregender Zwischenfall: Als der sozialistische Führer Vandervelde sich aus dem Sitzungs saals der Deputiertenkammer in den Vorraum begab, trat ein Fremder auf ihn zu und sagte: „Mein Herr, ich bewundere zwar Ihre Bered samkeit, aber wünsche nicht, daß Sie sich mit meinen Angelegenheiten beschäftigen." Indem er dem Abgeordneten dann seine Visitenkarte inS Gesicht warf, versuchte er gleichzeitig, ihn zu schlagen. Vandervelde kam dem jedoch zuvor und versetzte dem Angreifer einen kräf tigen Faustschlag ins Gesicht, so daß er zurück taumelte und sich eiligst aus dem Staube machte. Die Visitenkarte ergab, daß es sich um den Unterleutnant der Kongotruppe, Baron von Lepin, handelt, den Vandervelde jüngst in einer Debatte beschuldigt hatte, sechs Neger nach einander erschossen zu haben. Verschiedene Abgeordnete befragten den Kolonialminister noch während der Sitzung über die Angelegenheit und erhielten den Bescheid, die Untersuchung habe ergeben, daß Lepin geisteskrank sei. Daß er sich aber in Brüssel auf freiem Fuße be fand. war nicht bekannt und berührte peinlich. Amerika. * Die Unruhen in Brasilien nehmen immer größeren Umfang an. Der Handel des Landes ist vollständig lahmgelegt; es finden Straßenkämpfe statt und die Revolutionäre haben Barrikaden errichtet. Die Bundestruppen verhalten sich auf höheren Befehl neutral. Der Präsident hat nach längerem Widerstande ab gedankt. Der Vizepräsident hat die Übernahme der Geschäfte wegen Mangels an Sicherheit ab gelehnt. Asten. * Das chinesischeKaiserhaus scheint tatsächlich den Gedanken an eine Abdankung endgültig aufgegeben zu haben. Wenigstens zeigt die Erhebung Juanschikais zum Marquis, daß sich der Thron noch sehr lebenskräftig fühlt. Juanschikai soll angeblich entschlossen sein, den Kampf gegen die Revolutionäre weiter zu führen, wenn ihm der Thron endlich die notwendigen Gelder zur Verfügung stellt. Vie Besprechungen in Rom. Der Staatssekretär des Äußeren v. Kiderlen- Wächter ist von seiner Romfahrt heimgekehrt. Wie die ,N. Fr. Pr.' erfährt, hatte Herr von Kiderlen-Wächter eine eingehende Unterredung mit dem italienischen Ministerpräsidenten Gio litti und dem Minister des Äußeren Giuliano, in der die Frage des Dreibundes eine hoch bedeutsame Rolle spielte. Aber die Richtlinien für seine Erneuerung konnten noch nicht festge legt werden. Daß er erneuert werden wird, steht bei allen maßgebenden Stellen in Berlin wie in Rom schon heute fest. Aber es sind noch grosse Schwierigkeiten zu überwinden. Sie liegen in den Verhält nissen in Wien. Sie zu klären und zu über winden, wird die Arbeit der kommenden Wochen für die Berliner maßgebenden Kreise sein. Herr v. Kiderlen-Wächter hat sich auch vom Fürsten Bülow informieren lassen, ein Faktum, das sehr wohl eingeschätzt zu werden verdient. Fürst Bülow ist in den Augen vieler Österreicher „unverbesserlich" als Anhänger des Abschlusses des Dreibundes mit Italien, und es kann an genommen werden, daß Fürst Bülow in diesem Sinne auch auf Herrn v. Kiderlen-Wächter ein gewirkt hat. Der Fürst gilt als der beste deutsche Kenner der politischen Verhältnisse Italiens. Heute aber vertritt Fürst Bülow schärfer noch als früher seinen alten Stand punkt, daß man Italien nicht ohne große Ge fahr und Schaden auS dem Bündnis heraus lassen darf. Fürst Bülow geht heute weiter: Italien wird, mit seinem neuen afrikanischen Besitz belastet, dagegen von seinen ehemaligen Verpflichtungen gegenüber Frankreich und Eng land entlastet, in dem neue« Dreibundverhältnis sich behaglicher fühlen und schwerlich zu neuen Extratouren Veranlassung finden. In den Be sprechungen ist auch viel die Rede gewesen von der wirtschaftlichen und militärischen Stärkung Italiens, von seinen neuen Aufgaben zur See, endlich, aber nicht zuletzt, von einer Verstän digung mit der Türkei, an der Italien nach dem Friedensschluß sehr viel gelegen sein wird, jedenfalls mehr als Frankreich und England angenehm sein kann. Alles in allem: In Rom hat man sich über eine Änderung der Politik der drei großen Bündnismächte ein gehend unterhalten, die auf einer neuen Grund lage der Sache des Friedens besser als bisher dienen zu können glauben. — Entgegen diesen aus gutunterrichteter Quelle stammenden Nach richten, wird in englischen and französischen Blättern das Gerücht verbreitet, die Auflösung des Dreibundes könne als sicher betrachtet werden. Vie Erbschaft äes Mnisterpräliäenten. » Für einen alten Bewohner der Seine stadt ist es ein ganz ungewöhnliches Ereignis, zu sehen, daß Paris sich durch einen Minister wechsel aus seinem Gleichmute aufschrecken läßt. Kabinettskrisen stoßen sonst auf die größte Gleichgültigkeit; der Sturz Caillaux' aber war ein wirkliches Ereignis für das Pariser Leben. Der Sturz des Premiers verdarb der Pariser Gesellschaft auf einige Zeit die Laune. Denn M. Caillaux war jung verheiratet, seine Gattin ist entzückend und gilt als geistreich, und die großen Empfänge sollten gerade jetzt beginnen. Allgemein erwartete man eine große Saison gesellschaftlicher Feste und reizende Überraschungen. Alle diese schönen Träume sind nun zerstört. Der neue Premierminister Poincarö ist weder ein Führer gesellschaftlicher Mode noch jung verheiratet. Er ist nur ein Gelehrter und ein Politiker von ungewöhnlicher Begabung. Aber von ihm kann man die Wiederkehr einer neuen Directoirezeit nicht erhoffen, und bis Caillaux wieder einmal Ministerpräsident wird, wird wohl noch viel Wasser die Seine hinablaufen. Eine Erbschaft aber hat er seinem Nachfolger über lassen, die dieser wohl oder übel antreten müssen wird. Das erste, was Poincarö bei seinem Amtsantritt vorfand, war eine stattliche Rechnung. Sein jungverheirateter Vorgänger wollte seiner Gattin eine Freude machen und ' ließ daher alle Zimmer der ihm vom Staate zur Verfügung gestellten Ministerwohnung um bauen und renovieren. Und obgleich Caillaux ein reicher Mann ist, ließ er diese Neuaus stattung natürlich auf Staatskosten vornehmen. Er brachte einen kleinen Kredit von 80 000 Frank für diesen Zweck ein; inzwischen wurden die Arbeiten ausgeführt, und sein Nachfolger in der Wohnung, der neue Minister des Innern, wird für die Bezahlung dieser Rech nung einzutreten haben. Der neue Minister aber, M. Steeg, hat jedoch keine Vorliebe für die reizenden kleinen Umwandlungen, die Herr Caillaux getroffen hat. Er liebt die Einfachheit und Poincars wird es nicht leichr haben, seinen Ministerkollegen dazu zu bringen, die Ange- legenhsit zu ordnen. Denn die Renovierung hat natürlich viel mehr als die ausgesetzten 80000 Frank gekostet, und nun erhebt sich die Frage: wird M. Steeg eine Renovierung be zahlen, die er nicht bestellt hat, oder soll der gestürzte M. Caillaux alle die schönen Neue rungen bezahlen, die er und seine junge Frau nicht genießen werden? Von unä fern. Unfall des Weltreise-Dampfers „Cleve land". Dem Dampfer „Cleveland" der Ham- burg-Amerika-Linie, der sich mit einer großen Anzahl von Passagieren aus einer Reise um die Welt befindet, stieß bei der Einfahrt in den Hafen von Honolulu mir dem amerikanischen Kreuzer „Kolorado" zusammen Der Kreuzer erlitt schwere Beschädigungen. Ein Geschütz, ein Turm und wahrscheinlich auch die Schraube des Kreuzers wurden beschädigt. Der Zusammen stoß wurde dadurch herbeigeführt, daß der Lotse Sanders, als er den „Cleveland" in den Hafen dirigieren wollte, einen Schlaganfall er litt und auf der Kommandobrücke tot zu sammenbrach. Verhaftung eines Spions in Krakau. Die Polizei verhaftete in Krakau einen der ge fährlichsten Spione, die im Dienste Rußlands tätig sind. Der Verhaftete nennt sich Paul Pelka, doch dürfte sein Name anders lauten. Man fand bei ihm Berichte an den russischen Generalstab in Warschau sowie Photographien der galizischen Festungen und andres wertvolles Material über die Schutzmaßregeln an der öster reichischen Nordgrenze. — Pelka wurde bereits einmal in Brandenburg verhaftet und zu vier Jahren Zuchthaus wegen Spionage im Dienste Frankreichs verurteilt. Er soll auch mit dem kürzlich aus der Festung Glatz entwichenen französischen Spion Lux in Verbindung gestanden haben. Revolverattentat im Gerichtssaal. Im Justizpalast von Marseille gab ein ehemaliger Wirt, namens Voran, während des gerichtlichen Verkaufes seiner Häuser auf die Anwälte Journet und Beißere zwei Revolverschüsse ab und schoß sich sodann eine Kugel in den Mund. Die Verletzungen der beiden Anwälte wie auch des Täters sind sehr schwer. Hi Ein stiller Mensch. Sj Roman von Paul Blitz. (Fortsetzung.» Aber nun, was nun? Bruno war jetzt auf der Höhe des Lebens. Was sollte nun weiter werden? Für wen hatte er geschafft und ge spart? Einsam, einsam stand er da, — einsam sein Herz, einsam seine Seele. Jetzt in dieser kcaftwürzigen Frühlingsnacht, in der alles zu neuem Leben keimte und drängte, jetzt empfand er es zum ersten Male so ganz ttar, wie — wie unendlich einsam er doch eigentlch war. Ein leiseS, wehes Weinen ging durch seine Seele: die Erkenntnis von dem Unvollkommenen in der Wett, — von der Sehnsucht, die nie Erfüllung findet. Und mit einmal dachte er wieder an den jüngeren Bruder. Ja, der stand mitten in Glanz und Fülle! Den umjubelte und ver wöhnte man! Der war das Schoßkind des GlückeS! — Ihn aber, den Einsamen, den Men und ungelenk schwerfälligen Menschen, ihn mied man, ihn überließ man seiner Einsam keit, — mochte aus ihm werden, was wollte! Das Herz krampfte sich ihm zusammen vor Weh und verhaltenem Kummer. Und müde, wie hoffnungslos, ließ er jetzt, da niemand ihn beobachtete, einen Augenblick den Kopf sinken, und seine Augen wurden feucht. Aber auch einen Augenblick nur, schon im nächsten riß er sich zusammen, stolz und hart und zäh, richtete den Kopf wieder auf und blickte mutig und füll in die Zukunft. * H: * Inzwischen hatte man im Festsaal den Konter zu Ende getanzt. Onkel Klaus war wirklich bereit gewesen, das sitzengebliebene Fräulein Breitmann zu engagieren, aber als er zur Stelle war, hatte Kurt, der Unermüdliche, doch noch einen vakanten Herrn aufgetrieben, und so war die Ehre des Hauses gerettet. Still lächelnd ging Onkel Klaus weiter. Es war ihm auch so lieber. Im Nebenraum traf er seinen Vetter, den Jubilar. Gerade stand Tante Marie bei ihm und berichtete brühwarm, mit leiser, aber erregter Stimme, über den Zu sammenstoß mit Bruno. Der alte Herr hörte schweigend zu, aber auf seiner Stim sammelten sich Falten des Verdrusses und der Betrübnis. Endlich wandte er sich an Onkel Klaus mit der Frage: „Was sagst du nun dazu wieder? Ist so ein Be nehmen nicht direkt unerhört?" Onkelchen zog die Augenbrauen hoch, zuckte mit den Schultern und sagte vorerst nichts. Die Anwesenheit der Tante Marie störte ihn. Der Vater aber sprach ärgerlich weiter: „Das ganze Vergnügen stört er einem, der Trotzkopf. Immer rätselhafter wird sein Bettagen. Ich finde absolut keine Erklärung dafür." „Wirklich nicht?" - Fragend sah Onkel Klaus auf. Erstaunt blickte das Geschwisterpaar den Sprechenden an. „Wie meinst du denn das?" hob endlich Herr Waldemar Büttner an. Onkelchen setzte seine sarkastische Miene auf und erwiderte ganz zielbewußt: „Hast du dich wirklich noch nie ernsthaft gefragt, wodurch der Junge so still und so herb geworden ist, lieber Waldemar?" Der alte Herr war einen Moment ganz sprachlos. Tante Marie aber wollte sich empören, indem sie ironisch sagte: „Es scheint, du willst solchen Eigensinn gar noch entschuldigen!" „Meine liebe Base," entgegnete Onkel Klaus spöttelnd, „ich glaube, deine Anwesenheit ist drüben bei den Gästen entschieden vonnöten." Sie warf ihm einen Wutblick zu. Immer stand sie mit ihm auf Hieb und Stich. Dann rauschte sie wortlos davon. Als sie allein waren, sah der Jubilar seinen Vetter au, ein wenig unsicher zwar, doch zwang er seine Stimme zur Ruhe. „Ich glaube, du willst mir einen Vorwurf machen, wie?" „Machst du dir den denn nicht selber, lieber Waldi?" „Wieso? Habe ich nicht stets für den Jungen gesorgt, so lange er meiner bedurfte? Hat es ihm je an irgend etwas gemangelt?" „Äußerlich vielleicht nicht. Aber da drinnen! Ich frage dich, hat er jemals deinem Herzen auch nur halb so nahe gestanden, wie dein Kurt? Nun bitte, sei einmal ganz ehrlich." „Ich habe für den einen wie für den andem gesorgt," klang es ein wenig kleinkaut zurück. „Bestreite ich nicht, lieber Waldemar. Aber innerlich, wie stehst du da zu ihm? Ich fürchte, ihr seid euch jetzt völlig entfremdet." „Und wenn es so ist, liegt es vielleicht an mir?" > „Ich glaube beinahe." , „So? Also hätte ich vielleicht dem Trotz kopf noch Abbitte leisten sollen, wie?" „Du hättest ihm die gleiche Liebe an-, gedeihen lassen sollen, wie deinem zweiten Sohn." „Kurt steht mir näher! Er liebt mich, wie ich ihn liebe!" „Und Bruno? Warum steht er dir ferner?" „Weil er störrisch und trotzig war, von aller frühster Jugend an!" ' „Nein, Waldemar, du bist nicht ehrlich. Gesteh' es nur selber ein. Bruno stand dir immer ferner, weil er von deiner ersten Frau stammt. Das war der recht« Grund." Ruhig, mit milder Stimme hatte es Onkel Klaus ge sagt und ebenso zart suhr er nun fort: „Ich mußte dir das einmal sagen, lieber Vetter, ehe es zu spät wird, ehe die Kkrst zwischen euch unüberbrückbar wird." Der greise Jubilar hatte sich gesetzt. Der Vorwurf traf ihn. Er mußte seinen Kopf stützen. Endlich begann er wieder: „Was soll ich dir ein Hehl daraus machen. Du weißt es ja, daß man mich in diese erste Ehe hineingedrängt hatte. Es war eine reine Geldheirat. Mein Herz sprach nie darin mit." „Aber durch diese Geldheirat schufst du dir die Existenz und die Stelle, die du heute hier einnimmst. Das vergiß nicht, Waldemar." „Ich habe es nie vergessen." „Es scheint doch. Sonst hättest du Bruno nicht so aufwachsen lassen."
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