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Allgemeiner Anzeiger : 10.01.1912
- Erscheinungsdatum
- 1912-01-10
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
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- SLUB Dresden
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-191201106
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- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1912
-
Monat
1912-01
- Tag 1912-01-10
-
Monat
1912-01
-
Jahr
1912
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 10.01.1912
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Vas Mirrlal in Okina. Der aus Hedemünden in Hannover stammende Postdirektor Henne sollte nach den Berichten englischer Blätter am 22. Oktober Leim Aus bruch der chinesischen Revolution in Sianfu er mordet worden sein. Jetzt ist bei seinen Ver wandten in Hann.-Münden jedoch ein Brief eingetroffen, der am 12. November zur Post gegeben wurde und der für weite Äeise von Interesse ist, da er aus unparteiischer Feder eine Darstellung der Lage in China gibt. Das Schreiben lautet: „Ich habe vor einigen Tagen schon einen Brief und eine Karte an Ihre Adresse abgeschickt, doch bezweifle ich sehr, daß dieselben Sie erreichen werden, denn die Postverbindungen sind alle unterbrochen. Der Telegraph wird Sie schon eingehend über die Umwälzung, die in China vor sich geht, unterrichtet haben, und ich will hier nur kurz unsre eigenen Erlebnisse wiederholen. Am 22. Oktober brach auch hier die Revolution aus, plötzlich, doch kann ich nicht sagen, daß wir davon sehr überrascht waren. Gegen Mittag knatterten die Gewehre überall und das Militär ging gegen die Mandschu-Stadt vor, denn die völlige Vernichtung der Mandschus war ja der Zweck der Sache. Da man in Hankau und andern Plätzen die Fremden in keiner Weise belästigt hatte, so fühlten wir uns ganz sicher und unbeteiligt. Ich ritt noch schnell zum Hospital, um dort mit den Eng ländern Rücksprache zu nehmen. Auf dem Rückwege überfiel mich bewaffnetes Gesindel, etwa 150 oder mehr. Man nahm mir das Pferd ab, und ich hatte einen harten Stand, um mich bis an die nächste Straßenecke durch zukämpfen. Dann erhielt ich von einem Kerl mit einem etwa zehn Zentimeter dicken Knüppel einen furchtbaren Schlag auf die linke Schulter, und im nächsten Augenblick hielt mir ein andrer Halunke ein Gewehr entgegen, um mir eine Kugel in 8en Unterleib zu jagen. Ich stürzte mich auf den Menschen, schlug das Gewehr zur Seite, und der Schuß ging scharf an meiner rechten Seite vorbei. Was weiter passiert ist, weiß ich nicht, denn in demselben Augenblick muß man mich mit einem Schwerte nieder geschlagen haben. Ich kam erst wieder zur Be sinnung, als ich zu Hause war. Der Schreck meiner Frau war furchtbar, aber sie war sehr tapfer und verlor die Geistesgegenwart keinen Augenblick. Sie scheute sich nicht, die schrecklichen Kopfwunden, nicht weniger als elf an der Zahl, zu waschen und zu verbinden, bis wir mit Mühe und Not den Doktor, von Militär eskortiert, herbrachten, um mich zu vernähen. Mit Einbruch der Dunkelheit nahm aber das Morden und Brennen erst recht seinen Anfang. In unsrer Straße, wo fast nur reiche Chinesen wohnen und sich die großen Banken befinden, zog sich die ganze blutdürstige Meute zusammen und alle Häuser wurden geplündert. Ringsherum hatten wir Feuer. Das Gesindel lag beständig vor unserm Tor und verlangte Einlaß. Aber den Soldaten gelang es, die Hyänen abzulenken. Es war eine schreckliche Nacht. Ich lag halb- tot, völlig angezogen im Bett. In derselben Nacht wurde eine außerhalb des Südtores ge legene kleine Missionsschule für Knaben von Missionaren vom Pöbel vollständig zerstört. Sechs Kinder im Alter von 6 bis 15 Jahren sowie die Hausmutter und der Lehrer wurdenin der grausamsten Weise, die man sich nur denken kann, umgebracht, während es dem Hausvater gelang, mit dem jüngsten Kinde zu entkommen. Von der englischen Mission sind auch verschiedene Personen schwer verletzt und andre ausgeraubt worden. In einer Nacht sind über 10 000 Mandschus vollständig ausgerottet worden und weder Frauen noch Kinder sind geschont. Ich glaube, ein solches Morden steht in der Weltgeschichte einzig da. Der neuen Regierung sind die Ausschreitungen gegen die Europäer außerordentlich peinlich, und man hat vom zweiten Tage ab auch alles getan, nm uns zu beschützen. Jedes Vergehen wird mit dem Tode bestraft, und das Leben eines Spatzen ist jetzt mehr wert, als das eines Chinesen auf der Straße. Die Provinz, ja vielleicht das ganze Land — wir wissen nichts von der Außenwelt — ist in einer schrecklichen Ver fassung. Alle Städte sind ausgeplündert. Alle Landstraßen werden noch vom Gesindel belagert. Sobald wieder einigermaßen ge ordnete Verhältnisse hergestellt sind, gedenken wir nach der Küste zu reisen, um dort das weitere abzuwarten. Ich bin von dem Präsi denten der Republik Schansi mit der Leitung des Postwesens betraut worden, eigentlich gegen meinen Willen, denn ich habe nicht die geringste Neigung, hier zu bleiben. Die neue Herrschaft ist indessen aufrichtig bemüht, den schlechten Ein druck zu verwischen." Politische Kunälckau. Deutschland. *Das von einer Berliner Korrespondenz verbreitete Gerücht, KaiserWilhelm werde noch vor den Reichstagswahlen die geplante Mittelmeerreise antreten, bestätigt sich nicht. Der Monarch wird vielmehr erst Ende des Monats abfahren. * Immer wieder taucht in der Presse die Nachricht auf, Herr v. Bethmann-Holl weg sei amtsmüde und habe nur auf beson deren Wunsch des Kaisers daS Kanzleramt noch für die Zeit der Wahlen behalten. Der Reichs kanzler soll nach derselben Quelle noch Ende dieses Monats zurücktreten. Demgegenüber wird halbamtlich festgestellt, „daß die Frage eines Kanzlerwechsels an den maßgebenden Stellen nicht den Gegenstand von Erwägungen bildet." *Wie aus dem neuen Kolonialetat hervor geht, soll die Schutztruppe für Südwest afrika um 10 Prozent vermindert werden. In der Presse ist nun vielfach die Meinung vertreten worden, daß diese Verminde rung nicht den Versprechungen entspricht, die die Kolonialverwaltung dem Reichstage vor Jahresfrist gemacht habe, sie habe damals von einer wesentlichen Verminderung der Schutztruppe gesprochen. Die Kolonialverwaltung steht in dessen auf dem Standpunkt, daß sie mit der Verminderung der Schutztruppe um 10 Prozent ihr Versprechen eingelöst hat und die Stärke der Schutztruppe weiter nicht herabsetzen kann, wenn der militärische Schutz der Kolonie nicht erheblich darunter leiden soll. Es ist beab sichtigt, die Schutztruppe um eine ganze Kom panie zu vermindern und auch die drei Maschinengewehrzüge aufzulösen. Eine weitere Verminderung der Schutztruppe ist für längere Zeit ausgeschlossen. Selbst bei der Annahme der neuen Wehrordnung für Südwestafrika, die bekanntlich eine weiße Miliz schaffen will, kann eine weitere Herabsetzung der Schutztruppe nicht in Frage kommen. Es ist festgestellt worden, daß im Falle eines Aufstandes in Südwest afrika etwa 2800 Zivilpersonen eingezogen werden können. Von dieser Zahl sind aber mindestens die Hälfte in Abzug zu bringen, da es ausgeschlossen sein wird, die Farmen voll ständig zu entblößen. Man kann im Fall eines Aufstandes also nur mit den Mann schaften rechnen, die in der Nähe der größeren Garnisonen oder in der Nähe der Eisenbahn sich angesiedelt haben. Die beabsichtigte Ver minderung der Schntztruppe dürfte daher als die letzte zu betrachten sein. *Aus Anlaß der letzten Eisenbahnunfälle hat die preußische Eisenbahnverwaltung neue Maßnahmen zur Sicherung der Eisen bahnzüge auf sogen. „Gesahrstellen" ange ordnet. Es werden auf den Langsamfahr strecken in einer Entfernung von 100 Metern vor den betreffenden Stellen besondere Tafeln aufgestellt, die dem Zugpersonal die verminderte Fahrgeschwindigkeit angeben. Belgien. *Jn Brüssel ist die Konferenz zur Be kämpfung des Alkoholgenusses in Afrika zusammengetreten. Balkanstaaten. * Die innerpolitische Lage in der Türkei ist äußerst kritisch. Zwischen dem Parlament und dem (eben neugebildeten) Kabinett sind ernste Meinungsverschiedenheiten über Ver- fassungssragen entbrannt. Es ist unter diesen Umständen begreiflich, daß der Wunsch nach Frieden mit Italien in türkischen Regierungs kreisen immer lebhafter wird, und wenn nicht alles täuscht, stehen die Feindseligkeiten vor ihrem unmittelbaren Ende. Der Großwesir hat nämlich an die Gouverneure im ganzen Reiche ein Rundschreiben erlassen, in dem er sie er mahnt, innerhalb ihres Gebietes eifrig für den inneren Frieden zu wirken. Das werde ihnen leicht sein, wenn sie darauf Hinweisen, daß die Türkei sehr bald einen ehrenvollen Frieden mit Italien schließen werde. — Hoffentlich recht fertigt sich diese Zuversicht. Amerika. * Der Konteradmiral Robley Evans ist plötzlich gestorben. Im spanisch-amerikani schen Kriege führte Evans das Schlachtschiff „Iowa" und gab den ersten Schuß auf das aus dem Hafen von San Jago de Cuba ent wichene spanische Geschwader ab. Während Prinz Heinrichs Amerikareise wurde er diesem, den er bereits in Ostasien kennen gelernt hatte, als ständiger Begleiter zugeteilt. Unter Roose velts Präsidentschaft führte er die amerikanische Flotte um das Kap Horn nach San Fran cisco und von da auf die berühmte Reise nach Japan. Evans hat ein Alter von 66 Jahren erreicht. Vie Disziplinlosigkeit -es englischen Heeres. M Zu der Meuterei der englischen Truppen in Longmoor, wobei mehrere Sergeanten ver wundet und die Meuterer erst beruhigt wurden, als ein Offizier einen von ihnen im Boxkampf besiegt hatte, wird von einem Kenner ge schrieben: Die Meuterei der englischen Truppen wegen Urlaubsverweigerung ist durchaus nicht so erstaunlich, wie sie allgemein betrachtet wird, wenn man mit den Gepflogenheiten der eng lischen Soldaten näher bekannt ist. Die Diszi plin im englischen Heere ist nach unsern preußi schen Begriffen durchaus minderwertig. Erlasse, die sich gegen die Disziplinlosigkeit der Soldaten richten, sind fast allwöchentlich in den englischen militärischen Zeitschriften zu lesen. Der stärkste Beweis für die Disziplinlosigkeit des englischen Soldaten ist aber das vorjährige Manöver der Territorialtruppen und der Spezialreserve der Feldarmee. Bei diesem Manöver konnte man nämlich die traurige Erfahrung machen, daß nicht weniger als 32 000 Mann, also ungefähr drei Divisionen, dem Einberufungshefehl nicht Folge geleistet hatten. Diese Tatsache ist um so erstaunlicher, als bekanntlich die englische Terri torialarmee sich aus freiwilligen Mannschaften zusammensetzt, die immerhin eine Ähnlichkeit mit einem Volksheere haben, während bekanntlich die Feldarmee nur aus Söldnern besteht. Diese Freiwilligen waren zu einer vierzehntägigen Übung einberufen worden und sollten das Manöver mitmachen. Der Manöverbericht, der das unentschuldigte Fehlen von mehr als 30000 Mann und rund 1500 Offizieren feststellt, spricht sich zugleich dahin aus, daß die übenden Mannschaften sehr schwer zur Ausführung der Befehle zu bringen waren. Es machte sich nach dem Bericht ein passiver Widerstand geltend, der sich darin äußerte, daß die Mannschaften sich unter dem Vorwande von Erkrankungen und unter ähnlichen andern den Übungen zu entziehen wußten. Die Disziplinlosigkeit derjenigen Mannschaften, die tatsächlich zu den Übungen gekommen waren, nahm allmählich nach dem Bericht des Kom mandeurs derartige Formen an, daß ganz ernst haft im Kriegsministerium die Frage erörtert werden mußte, wie derartigen Vorkommnissen abgeholfen werden kann, um die Landesver teidigung wenigstens Halbwegs aufrecht erhalten zu können. Der Kriegsminister hat den Kom mandeuren aus diesem Grunde folgenden Vor-' schlag zur Begutachtung unterbreitet, der von der Zuchtlosigkeit der englischen Soldaten Bände erzählt. Es sollen jedem Mann, der sich zu den Übungen einstellt, und dabei keinen passiven Widerstand zeigt, sondern sich fünf zehn Tage lang allen Anforderungen fügt, Geld entschädigungen in Höhe vcki 3 Mk. für jeden Tag eines guten Betragens ausgeworfen worden. Die Entschädigungen sollen am Ende der 15 tägigen Übungszeit zahlbar sein und einen Gesamtumfang von 45 Mk. erreichen. Für besonders hervorragende Dienstleistungen während der Übungszeit sollen außergewöhnliche Belohnungen von 1 Pfund gezahlt werden. Der Vorschlag ist von den meisten militärischen Stellen als durchaus annehmbar und als das einzige Mittel bezeichnet worden, die Frei willigen der Landarmee zu den Übungen heran zuziehen. Es ist dämm große Aussicht vor handen, daß er dem Parlament vorgelegt werden wird, um die Mittel, die dafür not wendig sind, zu erhalten. So sieht es mit der Zucht des englischen Soldaten aus. Maa kann daraus erkennen, welch ein wertvolles Material und Kriegswerkzeug England in seinem Heere hat. k)eer und flotte. — Das Kanonenboot „Panther" hat von Kiel aus die Ausreise nach der westafrikanischen Station angetreten. Es wird auch das Kongo gebiet besuchen, doch hängt es von Wind und Wetter ab, ob das Schiff auch den Kongofluß weit hinauffahren kann. 8? Im Marineetatsvoranschlag sind Mittel für den Kieler Kriegshafen angefordert worden. Es handelt sich, wie der Korrespondenz ,Heer und Politik' aus Marinekreisen mitgeteitt wird, um Verbesserungsarbeiten, die an dem Kriegs hafen vorgenommen werden sollen. In der Hauptsache beabsichtigt man im Jahre . 1912, den Hasen in bedeutendem Umfange auszu baggern, um einige Verschlechterungen der Tiefenverhaltnisse, die im Lause der Jahre in folge von Versenkungen und andern Umständen eingetreten sind, wieder zu verbessern und den Hafen in großem Zuge wieder instand zu setzen. Die Verbesserungen werden sich fernerhin auf die Fahrwasserverhältnisse erstrecken. Die ge steigerten Größenverhältnisse unsrer neuesten Kriegsschiffe machen auch eine Verbesserung der Fahrwasserrinne nötig. Wenn die Fahrwasser verhältnisse auch in ihrem jetzigen Zustande noch allen Anforderungen entsprechen, so sind doch bei den gesteigerten Größenverhältnissen unsrer Kriegsschiffe etwaige Unfälle nicht ganz un möglich. Es ist darum die Pflicht der Marine verwaltung, die geeigneten Maßnahmen für diese Zwecke zu ergreifen. Ähnliche Verbesse rungsarbeiten sind bereits in den letzten Jahren im Kieler Torpeobootshafen vorgenommen wor den, da sich auch hier die Notwendigkeit einer Vertiefung durch die bedeutende Entwicklung unsrer Torpedobootsflottille herausstellte. Die Baggerungen in dem Kriegshafen werden vor aussichtlich im Frühjahr 1912 in Angriff ge nommen werden. Von uncl fern. Naubüberfall auf einen Kasseuboten im Auto. Einen ungewöhnlich dreisten, sorg fältig vorbereiteten Raubüberfall verübte in Berlin in einem Automobil der Bankbeamte Friehe an dem Kassenboten Hans Klein von der Darmstädter Bank. Während der Kraft wagen durch die Straße am Tiergarten suhr, warf Friehe dem Klein eine Mesfingschnur um den Hals, uw ihn zu erdrosseln und ihm die Geldtasche mit über 40 000 Mk. zu rauben. Auf die Hilferufe des Überfallenen hielt der Chauffeur sofort, und der Verbrecher ließ sich, nach dem Mißlingen des Anschlags völlig zu sammengebrochen, ohne Widerstand von einem Schutzmann festnehmen. X Sieben Söhne — sieben Soldaten! Den 80. Geburtstag feierte dieser Tage der ehemalige Achäfer August Deinert in Schweid nitz in Schlesien. Er nahm beim 10. Infan terieregiment am Feldzuge 1866 teil und hat sieben Söhne, die sämtlich beim Militär gedlent haben. M Geburtstagsgeschenk ließ ihm der Kaiser 150 Mk. überweisen ' D.1) laufs-id.' Femlletoü wird durch lolgrndc ErzLhlimg »ni.lbrochen: K Liren enLauben. 1) Novelle von Paula Kaldcwe Y *l Nach seiner Verabschiedung war Oberst von Bergau in das liebliche Harztädtchen gezogen, das zweierlei Anziehungspunkte für ihn hatte. Einmal war es Standort eines Infanterie- Bataillons; er konnte also des Abends am Stammtisch, auch nachdem er den geliebten bunten Rock ausgezogen, im Kreise der Kameraden militärische Fragen erörtern; ferner, und das war ebenso wichtig, rühmte sich G. der stolzen Bezeichnung: Luftkurort. Es besaß eine Bade verwaltung und ein Kurhaus, in dem Fremde und Einheimische alle Samstag-Abende bei der Reunion zusammentrasen. Er, der alte Offizier, hätte natürlich gern ans all' das verzichtet, was so ein Badeleben an Vergnügungen und Zerstreuungen mit sich brachte; aber für seine Ilse, sein einziges Töchterlein, da wünschte er, daß sie die Freuden der Jngend in reichem Maße genießen möchte. Die Saison in G. hat ihren Höhepunkt erreicht. Hotels und Pensionate sind bis ans das letzte Plätzchen besetzt und auf den Straßen wimmelt es von Kurgästen und Passanten. Auch die Reunion im Kmhause ist so gut besucht wie kamn zuvor. Die jungen Offiziere des Bataillons find vollzählig erschienen und augenblicklich eifrig bemüht, sich die lieblichen Wüdchenblüten als Tänzerinnen zu sichern. Vor Jffe von Bergau, einer schlanken *) Unberechtigter Nachdruck wird verfolgt. Blondine in lichtem Voilekleid steht ein hoch- gewachfener dunkelbättiger Oberleutnant und bittet mit ehrfurchtsvoller Verneigung um die Gunst des Tanzes. Errötend nickt das junge Mädchen; die Musik intoniert den Waldteuselschen Walzer: „Sirenen zauber" und gleich darauf legt Kurt Hellmers den Arm um Ilse und zieht sie in den Strudel der Tanzenden. Mehrere Male durchkreisen sie de« Saal; endlich machen sie hochaufatmend halt. Dann führt der junge Offizier seine Partnerin in eines der lauschigen Winkelchen, die aus Lorbeer bäumen und andern Gewächsen geschaffen sind. „Gnädiges Fräulein wissen wohl bereits," beginnt er, nachdem sie Platz genommen haben, „daß ich heute unter Beförderung zum Ober leutnant an die ostpreußische Grenze versetzt worden bin?" über das Antlitz Ilses zuckt es wie töd licher Schreck, schließlich antwortet sie mühsam: „Nein, mir hat niemand etwas davon gesagt!" „Das Scheiden von hier wird mir schwer, sehr schwer," fährt Hellmers fort und auch seine Stimme klingt seltsam erregt, „jetzt im Augen blick der Trennung darf mir wohl über die Lippen, was ich sonst still in mir verborgen. Ich liebe Sie, Ilse, habe Sie gesiebt vom ersten Sehen an und doch kann ich niemals daran denken, Sie zu erringen, Sie als mein Weib in die Arme zu schließen. Denn ich bin arm, das, was die Gnade des Königs mir gibt, ist alles, was ich zum Lebensunterhalt habe. Und Sie an mich fesseln auf endlos lange Jahre hinaus — das vermag ich nicht, der Gedarrte wäre mir unerträglich! Sie sollen frei sein, frei in Ihren Entschlüssen und Ihrem Handeln, und wenn dann eines Tages der Mann kommt, um Sie zu werben, der tausendmal würdiger ist als ich, dann vergessen Sie nicht, daß ich auf Erden nichts sehnlicher wünsche, als für Sie ein volles und ganzes Glück." Die Lider gesenkt, die Hände fest ineinander verschlungen, hört Ilse, was der Geliebte ihr sagt. Sie findet kein Wort der Erwiderung; der Schmerz macht sie stumm. Nur durch ihr Hirn, da wogt immer von neuem der Ge danke : du sollst ihn verlieren, ehe du ihn noch besessen — ihn, der dir teurer ist als alles auf der Welt. Helmers ahnt, was in der Geliebte« Vor geht ; das Herz will auch ihm schier brechen vor Weh, und doch heißt es stark bleiben, um der Menschen willen. „Ilse," flüstert er, „lassen Sie die Er innerung an diese Stunde nicht nur mit Bitternis gemischt sein. Die Musik spielt noch immer den „Sirenenzauber". Nach seinen Klängen — ich weiß, es ist Ihr Lieblings walzer — wollen wir die Neige der flüchtigen Zeit genießen, noch einmal im Tanze dahin fliegen. Und wenn er beendet, dann scheide ich für immer von dem Ort, wo ich des Lebens herbstes Leid erfahren." Willenlos folgt Isis dem treuen Manne. Die schmeichlerischen Töue der Musik ver mehren nur ihr Weh; ihr dünkt es, sie grüben sich in ihr Herz. Niemals, während ihres ganzen Lebens, wird sie vergessen, was sie verloren, indes jener verführerische Walzer zu Glück und Frohsinn lockte. Ein Wink und die Musik schweigt. Mit einer Verbeugung geleitet Hellmers seine Partnerin an den Platz zurück, dann fühlt sie seine Lippen mf ihrer Hand und gleich daraus ist er verschwunden. * * * Jahre sm! ins Land gezogen. Die Physio gnomie G.s Pt sich im allgemeinen wenig ver ändert. Sommerfrischler finden sich nach wie vor in dem idyllisch gelegenen Fleckchen Erde ein; einmal in der Woche trifft man sich aus der Reunion, und Oberst von Bergau besucht noch immer den Stammtisch im „Schwarzen Baren". Allein vor der früheren Fröhlichkeit hat er etwas eingeb M — er sorgt sich um Ilse. Wie hat die sich jedoch auch in den letzten fünf Jahren verändert! Aus dem sprühenden, lustigen Ding, das alle Wett durch seine Hefter- leit entzückte, ist ein ernstes, ruhiges Mädchen geworden, da§ trotz seiner dreiundzwanzig Jahre an den Bergrügungen der Jugend keinen Ge fallen mehr findet. Nie konurt ein Wort aus ihrem Munde, das Aufschluß S'bt über die Wandlung ihre« Wesens; die hoffnungslose Liebe, die ja auch für jedermann ein Geheimnis geblieben, hat Ilse tief eiM sargt in ihrem Herzen. Nur wenn sie sich allein weiß, dann dringt zuweilen der Name des Unvergeßlichen über ihre Lippen, oder sie eilt ar den Flügel und flieht in da«
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