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Allgemeiner Anzeiger : 17.01.1912
- Erscheinungsdatum
- 1912-01-17
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19120117
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- Zeitungen
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1912
-
Monat
1912-01
- Tag 1912-01-17
-
Monat
1912-01
-
Jahr
1912
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 17.01.1912
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Vie Keickstagswakl 1912. Die Wahlschlacht ist geschlagen, eine Ent scheidung über die Zusammensetzung des Reichs tags hat sie, wie zu erwarten war, aber nicht gebracht. Nur eine Tatsache, die allerdings nichts überraschendes hat, steht jetzt schon un zweifelhaft fest: die Sozialdemokraten haben auf den ersten Anhieb einen erheblichen Ge winn zu verzeichnen. Es ist also keine Frage, ein starker Ruck nach links kommt in den Wahlergebnissen zum Ausdruck, nur vollzieht er sich in der Hauptsache inner halb der Linken selbst; die Freisinnigen, oder, wie sie sich jetzt nennen, die Fortschrittliche Volkspartei und die Nationalliberalen verlieren zusammen etwa doppelt so viel Sitze als die Konservativen, und den Verlusten stehen nur geringe Gewinne gegenüber. Besonders schmerzlich dürften sie es empfinden, daß sie Kreise, wie Oletzko-Lyk, die sie unter der un mittelbaren Wirkung der Mißstimmung über die Reichsfinanzreform eroberten, nicht behaupten tonnten. In den Stichwahlen winkt ihnen freilich eine Sicherung ihres Be sitzes, soweit er ihnen in der Hauptwahl nicht genommen ist, aber irgend ein erheblicher Ge winn steht namentlich den Freisinnigen nicht in Aussicht, sie sind in vielen Kreisen, in denen sie Aussichten zu haben glaubten, in die letzte Reihe gedrängt worden. Wie die Wahlen im ganzen Reiche, haben auch die in Berlin keine Über raschung gebracht. Fünf von den sechs Abge ordneten, die die Reichshauptstadt in den Reichstag zu entsenden hat, haben die Sozial demokraten im ersten Ansturm durchgebracht, nur im ersten Kreise muß ihr Kandidat Düwell noch mit dem Freisinnigen Kämpf um den Sieg ringen. Wem er zufallen wird, das ist noch sehr unsicher. Soviel steht fest, daß in den neuen Reichstag ein sehr starker Prozentsatz neuer Männer ein ziehen wird. Von den alten Abgeordneten hatte ein Viertel schon vorher auf eine Wieder wahl verzichtet, und die Wähler haben auch unter denjenigen, die sich neu zur Wahl stellten, eine fürchterliche Musterung abgehalten. Das Bild des neuen Reichstages sieht nach den vor läufigen Nachrichten folgendermaßen aus: gewählt an Stichwahlen beteiligt: Konservative 30 (früh. 58) 41 Freikonservative 5 (früh. 25) 13 Reformpartei 0 (früh. 3) 4 Wirtschastl.Vereinigung 4 (früh. 17) 14 Zentrum 85 (früh. 103) 37 Polen 13 (früh. 20) 10 Nationalliberale 4 (früh. 51) 64 Fortschritt!. Volkspartei 0 (früh. 49) 60 Sozialdemokraten 66 (früh.) 53) 109 Wilde 4 (früh. 17) 6 Der Uabmettswechsel in Zrankreich. Obwohl man in Frankreich mit dem baldigen Sturz des Kabinetts Caillaux rechnete, ist es gerade jetzt einigermaßen überraschend gekommen. Die Presse ist erstaunt, daß man die Männer in die Wüste sendet, die Frankreichs stolze Nordafrikaträume verwirklicht haben. Es wird immer deutlicher, daß Herr Caillaux einer Intrige zum Opfer gefallen ist. Er selber äußerte über seinen Sturz: „Marineminister Delcassö, der zunächst das Amt des Ministers des Äußeren übernommen, drei Stunden später aber wieder abgelehnt hatte, wollte, daß der Präsident der Republik allerlei Garantien gebe, auf daß seine Politik vor jedem Zwischenfalt geschützt sei, und daß sein Eintritt in das Ministerium für ihn keinerlei Gemeinsamkeit mit meinem Kabinett bedeutet hätte! Außerdem stellte Herr Delcassö Bedingungen, daß er im Auswärtigen Amte erhalten bliebe, auch in einem Ministerium, das auf das unsre hätte folgen können. An gesichts dieser Ansprüche und des Zögerns des Herrn Delcasse war es mir unmöglich, die Lasten der Regierung länger auf uLk zu be halten. Nachdem ich vollkommen kühl die Lage betrachtet habe, erschien mir als einziger und mit unsrer Ehre zu vereinbarender Ausweg, als einzigster vernünftiger Ausweg die Ab dankung des Kabinetts." Je nach ihrer Partei stellung behandeln die Blätter den Sturz des Herrn Caillaux mit Bedauern oder mit Genug tuung. Am bemerkenswertesten sind die Aus führungen der ,France', die schreibt: „Herr Caillaux ist in einer außerordentlich schwierigen Stunde zur Regierung gekommen und hat eine Zeit sehr scharfer Prüfung durchzumachen ge habt, aus der das Land, ohne seine Würde und ohne die Interessen der Nation zu schädigen, herausgerettet hat. Wenn ihm irgend etwas vorzuwerfen ist, so ist es dieses, daß er vor seiner Ministerherrschaft Herrn Briand so große Schwierigkeiten bereitet hat. Warum läßt man ihn heute die gestrige Rechnung bezahlen? Das, was ihn zum Minister gemacht hat, wird jetzt der Grund seines Sturzes, und das ist eine schwere Ungerechtigkeit. Herr Caillaux hat noch eine schöne Zuknnst vor sich. Eines Tages wird man zu ihm zu- rückkehren und wird sich entschuldigen, wie das überhaupt mit fast allen Staatsmännern von unsrer Republik der Fall war, die als Opfer persönlicher Intrigen fielen, für die nachher nie mand die Verantwortung übernehmen wollte." Herr Caillaux selbst ist der Meinung, daß seine ministerielle Laufbahn mit seinem Sturz nicht beendet ist, denn in einem Kreise von Freunden äußerte er: „Ich werde sehr bald wiederkommen und dann meine Revanche haben." Interessant ist es, zu erfahren, welchen Eindruck in England die plötzliche Ministerkrise gemacht hat. Da hatten die Blätter zuerst mit lebhafter Genug tuung die Ernennung des Deutschenhetzers Delcassö zum Minister des Äußeren verzeichnet. Als dann auch Caillaux stürzte, weil er angeb lich neben den amtlichen Verhandlungen auch geheime Unterredungen mit Deutschland geführt hat, kam die Enttäuschung. Die,Times', deren Beziehungen zu dem englischen Auswärtigen Amt bekannt sind, meinten, wenn irgendwas das Kabinett hätte retten können, so sei das das Wiedererscheinen Delcassös gewesen, des tüchtigsten ManneS, den die dritte Republik bisher gehabt habe. Ein großes Stück diplomatischer Arbeit habe das alte Kabinett geleistet, nämlich den Abschluß des deutsch-französischen Abkommens. Ob nun Delcassö der neue Kabinettsminister des Äußeren werde oder nicht, klar sei eines (und damit geben die,Times' Herrn Falliöres einen sehr deutlichen Wink), daß nämlich die Richtlinie der auswärtigen französischen Politik wieder diejenige Delcassös vor 1905 werden müsse, die Politik des Mannes also, der durchaus den Krieg mit Deutschland wollte und abdankte, als die Mehrheit des Ministerrates sich gegen ihn erklärte. Und in allen Blättern liest man immer dasselbe: Delcassä müsse Minister des Äußeren, Herr Clemenceau, der sich oft genug als Feind Deutschlands bekannt hat, aber Ministerpräsident werden. ES tut not, demgegenüber festzustellen, daß ein italienisches Blatt im Unrecht ist, wenn es schreibt: Deutschland habe gegen Delcassö nichts einzuwenden. Man kennt ihn in Deutsch land und wenn wir den unvermeidlichen Hetzer auch nicht fürchten, so zeigt sein Auftreten doch deutlich, wessen wir uns von Frankreich zu ver sehen haben. Politische Kunäscbau. Deutschland. *Kaiser Wilhelm wird die geplante Mittel m eerreije Ende Februar an treten. *Die von verschiedenen Zeitungen ver breiteten Angaben über eine Heeresvor lage entsprechen nicht den Tatsachen. Daß zu den Ausgaben, die den nächsten Reichstag beschäftigen werden, auch Fragen der deutschen Wehrhaftigkeit gehören, ist halbamtlich bereits angedeutet worden. Dagegen kann niemand in der Lage sein, über den Inhalt eines noch gar nicht existierenden Gesetzentwurfes nähere Mit teilungen zu machen. * Unter den Mitteilungen über den neuen preußischen Staatshaushaltsetat für das Rech nungsjahr 1912 befindet sich eine Nachricht, die für die Spieler der Preußischen Klassenlotterie von erheblichem Interesse sein dürste. Die preußische Finanzverwaltung hat sich danach, zahlreichen aus den Kreisen der Lotterie-Einnehmer und der Spieler an sie herangetretenen Wünschen entsprechend, dazu entschlossen, von der im Sommer d. IS. abzu spielenden 227. Lotterie an auf das so genannte Mitspiel der Freilose für die Staatskaffe dauernd zu verzichten. Dieser Entschluß dürste der Finanzverwaltung nicht ganz leicht geworden sein, denn es wird damit dauernd auf eine sichere Einnahme von rund einer halben Million aus dem Betriebe der Staatslotterie verzichtet, um welchen Betrag die Gewinnaussichten der Spieler sich gleichzeitig dauernd verbessern. Belgien. * Der Ministerrat, unter dem Vorsitz des Königs, beschäftigte sich mit der Frage der Vermehrung der belgischen Parla mentssitze auf Grund des Ergebnisses der Volkszählung vom 1. Januar 1910. Es ver lautet, daß die Kammersitze um zwanzig, die Senatssitze um zehn vermehrt werden sollen. Amerika. * Im brasilianischen Staate Bahia sind revolutionäre Unruhen ausgebrochen, denen das Regierungsgebäude zum Opfer fiel. Die Bundesregierung hat daher Kriegsschiffe zur Wiederherstellung der Ordnung in den Hafen von Bahia entsandt. Asten. * Noch immer hofft die persische Re gierung, das Schicksal des Landes, das durch die Einmischung Rußlands und Englands besiegelt zu sein scheint, abwenden zu können. Und da sie in dem ehemaligen Schah und seinen Versuchen, den Thron zurückzugewinnen, die Quelle alles Unheils sieht, hat sie be schlossen, dem Verbannten die ihn seit seiner Rückkehr nach Persien entzogene Pension wieder auszusetzen, falls er sich verpflichtet, Persien für immer zu verlassen. Ob damit aber der russische Vorstoß aufgehalten wird, erscheint sehr zweifelhaft. Vie Abdankung der Mandschu-Dynastie. Nach langem Zögern hat sich die Mandschu- Dynastie entschlossen, auf den Thron von China zu verzichten. So wenigstens besagen die neuesten Nachrichten aus China. Es soll an geblich vereinbart worden sein, daß, solange der junge Kaiser in China weilt, er mit den Ehren behandelt werden soll, die einem fremden Fürsten zukommen würden. Der Sommerpalast bei Peking und der Palast von Johel sollen ihm auch nach der Abdankung zur Verfügung bleiben, und es soll ihm eine auskömmliche Pension bewilligt werden. Die an Prinzen und adeligen Mandschus bisher gezahlten Pensionen sollen nicht eher eingestellt werden, bis die Pensionäre anderweitig entschädigt wer den können. Die kaiserlichen Gräber und Tempel sind auf Staatskosten zu erhalten. Die Prinzen sollen Titel und Eigentum behalten. Die Mandschus, Mongolen, Mohammedaner und Tibetaner sollen alle gleiche Rechte mit de» Chinesen erhalten. Das kaiserliche Haus soll sich mit diesen Bedingungen einverstanden erklärt haben. Ob mit der Abdankung des Kaiserhauses aber der Bürgerkrieg beendet sein wird, ist mehr als zweifelhaft, wie Juanschikais eigene Worte be weisen, die er dem Vertreter des ,Daily Tele graph' gegenüber ausgesprochen hat. „Ich kämpfe nicht um die Erhaltung der Mandschu- herrschaft," erklärte er freimütig, „sondern um! die Erhaltung von Ordnung und Gesetz als Grundlage für jede Regierung. Meine militäri schen Pläne sind vorläufig nur aus die Ver teidigung beschränkt. Ich werde die Republikaner nicht angreifen, aber wenn die Feindseligkeiten trotzdem wieder ausbrechen, so werden meine Generale die weitgehendsten Befugnisse erhalten. Wir in Peking haben mehr Mittel, als man sich im Süden träumen läßt. Wie es jetzt aus sieht, scheint eine dauernde Trennung des Südens »nd Nordens von China, der unendliche Streitigkeiten folgen müssen, nicht abzuwenden zu sein." Damit aber wird die Zerstücklung Chinas nicht beendet sein. An den Außengliedern des großen Reiches wird bedenklich gerüttelt. Die Mongolei will sich selbständig machen unter einer russischen Schutzherrschaft, Tibet will unter englischem Schutz das gleiche tun, und da weder Rußland noch England ohne Japan etwas unternehmen können, so wird man Jasta« die Mandschurei überlassen. Daß Japan bestimmt mit dieser Entwicklung rechnet, zeigt ein Blick auf die japanischen Zeitungen. Die Meinungsäuße rungen der japanischen Presse stimmen darin überein, daß das russische Vorgehen in der Mongolei die Theorie von der Unverletzlichkeit Chinas, besonders bezüglich der äußeren Pro vinzen, zerstört. Es wird ferner darauf hinge wiesen, daß das russische Vorgehen unvermeidlich zu einem Wechsel in der Politik der Mächte und zu ähnlichen internationalen Unstimmigkeiten führe, wie seinerzeit bei dem Vorgehen ein zelner Mächte in Tibet und anderswo. Die Zeitungen fügen hinzu, aus der Tatsache, daß die Mächte jetzt keinen Einspruch erhoben hätten, folge nicht, daß sie das russische Vorgehen billigten, sie wollten vielmehr nur freie Hand für die Zukunft behalten. Man wird in Japan ohne Zweifel anders denken, sobald erst Rußland seinen Ver zicht auf die Ansprüche in der Mandschurei aus gesprochen hat. Das deuten ja die Worte an, wonach sich Japan freie Hand vorbehält, wie die andern Mächte. Zu diesen andern Mächten gehört außer Frankreich, Portugal und den Ver. Staaten vor allen Dingen Deutschland. Wenn es zu einer Auflösung Chinas kommt, dürfen wir nicht unbeteiligte Zuschauer bleiben; denn unser Handel bedarf des chinesischen Marktes im Norden sowohl wie im Süden. Darum erwächst der deutschen Diplomatie in Ostasien eine der schwierigsten Aufgaben. k)eer unct floNe. — Auch das Reichsmarine-Amt fördert die Jugendpflege in erfreulicher Weise. Bekanntlich wurden in einem Erlaß die Kriegervereine und Marinevereine vor einiger Zeit aufgefordert, Jugendpflege im vaterländischen Sinne zu be treiben. Der Marineverein zu Hamm hat sich nun an das Reichsmarineamt mit der Bitte um Überlassung eines Bootes der Kaiserlichen Marine gewandt, das der Jugendpflege dienen soll. Das ReichSmarineamt entsprach diesem Ersuchen und überwies durch die Kaiserliche Werst in Wilhelmshaven ein Kriegsschiffboot für die oben genannten Zwecke. Es handelt sich bei der artigen Unterstützungen, die das Reichsmärine- amt den vaterländischen Vereinen zur Jugend pflege angedeihen läßt, natürlich nur um solche Boote, die im Frontdienst nicht mehr Verwender werden können. Der hohe Seegang und das Anbordhissen der Boote mit voller Bemannung (14 Mann) stellen natürlich hohe Anforderungen an ihre Haltbarkeit im Interesse der Sicherheit der Mannschaften. Nach einer bestimmten Be nutzungsdauer müssen sie darum ausgeschieden und durch neue ersetzt werden. Für die Zwecke der Marinevereine und andrer vaterländischer Vereine, die nur Übungen auf kleineren Binnen gewässern und mit erheblich geringerer Belastung vornehmen, sind die Boote aber noch völlig brauchbar, zumal sie dauernd im Wasser ge halten werden. U I^mäesUebe. Roman von Rolf CormanS. (Fortsetzung.) „Schließlich aber, — und das war der Haupt trumpf, ohne den alles übrige doch vielleicht verlorene Liebesmüh' gewesen wäre —" fuhr Sieveking fort, „gaben nicht weniger als vier Schreibsachverständige, denen auf meinen An trag der bei den Akten befindliche Wechsel nebst zahlreichen Proben von deiner nnd deines Vaters Handschrift vorgelegt wurde, und die ihr gleichlautendes Gutachten mit aller Be stimmtheit dahin ab, daß der Wechsel und das Akzept des Professors Bardow ohne jeden Zweifel nicht von dir, sondern von dem Ge heimen Negierungsrat Gernsdorfs geschrieben worden sei. Im Besitze dieses schätzbaren Materials hatte ich für alles andre leichtes Spiel; aber wer weiß, ob auch die Herren Richter sich der Sache mit solchem Eifer ange nommen hätten, wenn nicht einer deiner Freunde, der vorläufig ungenannt sein will, und um den du es — nebenbei bemerkt, gar nicht ver dient hast, eine Audienz beim Justizminister er wirkt, und diesen edlen, menschenfreundlichen Mann mit einer flammenden Beredsamkeit, deren eben nur die — die wahre Freundschaft fähig ist, für deine Angelegenheit interessiert hätte. Augenblicklich liegen die Dinge so, daß es sich nur noch um die Erfüllung von Forma litäten handelt. Der Präsident hat mir sogar im Vertrauen bereits den Tag bezeichnet, den ec für die neue Hauptverhandlung in Aussicht genommen hat, und es war also durchaus kein dummes Geschwätz, wenn ich mir vorhin erlaubte, dich für heute in vier Wochen zu einer Flasche Johannisberger einzuladen." Der junge Rechtsanwalt, der in dem stolzen Bewußtsein des durch seine Bemühungen und seinen Scharfsinn errungenen beispiellosen Er folges bei seiner Darstellung mehr und mehr iu Hitze geraten war, hatte doch wohl erwartet, daß Walter Gemsdorffs unvernünftiger Eigen sinn nun endlich besiegt sein und daß der wider seinen Willen Gerettete ihm gerührt um den Hals fallen würde. Aber er hatte sich getäuscht. Gemsdorff blieb minutenlang stumm und regungslos, um dann mit schwer atmender Bmst und gepreßter Stimme zu sagen: „Du Haft es gut gemeint, Sieveking — ich danke dir von Herzen, dir und dem unbekannten Freunde, dessen Namen ich wirklich nicht zu erraten vermag. Aber es war dennoch alles umsonst." Er schien es jedoch selbst zu fühlen, daß er es dem Freunde gegenüber nicht bei dieser Zurückweisung bewenden lassen dürfe, ohne ihm wenigstens eine Motivierung derselben zu geben. Oftmals stockend, begann er ihm in ab gerissenen Sätzen seine früheren Seelenkämpfe zu schildern, die ihn zu dem Entschluß gebracht hatten, auch nach dem Tode des Vaters die Last der Schmach, die er durch seine Selbst aufopferung auf sich geladen, Wester zu schleppen. Nicht ohne tiefe innere Ergriffenheit hörte der Rechtsanwalt ihm zu. Er hütete sich aber wohl, etwas davon gewahr werden zu lassen, sondem sagte, als Gemsdorff geendet hatte, möglichst gelassen: „Eigentlich hätte ich mir derartiges denken können, Freund. Deine Offenheit erklärt mir ja nun alles; aber um so mehr muß ich dir sagen: es ist die höchste Zeit, dieser heroischen Torheit ein Ziel zu setzen, denn sie hat gegen wärtig gar keinen Zweck mehr. Nimm doch nur Vemunft an. Es steht ja bereits in den Akten, wer der wirkliche Täter gewesen ist. Niemand würde dir glauben, wenn du bei deiner Selbstbezichtigung beharren wolltest. Wer noch aus einem andern Grunde ist es deine Pflicht, nmunehr endlich der Wahrheit die Ehre zu geben." Er bemerkte deutlich, daß seine Worte nicht ohne Eindruck auf den Gefangenen geblieben waren; die trotzige Verbitterung wenigstens, die ihn bisher ganz und gar beherrschte, schien von ihm gewichen zu sein. Um den errungenen Vorteil Wester zu ver folgen, fuhr der Rechtsanwalt gleich fort, indem er dem Freunde die Hand auf die Schuller legte: „Du mochtest mit deiner Ehre und deinem Leben anfangen, was dir gefiel, so lange du in deiner wahnwitzigen Verblendung nur dich selbst ins Unglück brachtest. Jetzt aber hast du die Verantwortung auch für ein andres Menschen schicksal zu tragen und dein vermeintliches Heldentum würde zur Narrheit und zur Schurkerei werden, wenn du auch jetzt noch darin verharrtest." „Die Verantwortung für ein andres Menschenschicksal? Was willst du damit sagen ?" „So ahnst du nicht, wem du in Wahrheit deine Rechtfertigung verdankst? Nicht mir, bei, Gott, nicht mir! Als ein Gebrandmarkter und Geächteter hättest du dein verpfuschtes Dasein weiter schleppen können, wenn nicht ein edles, herrliches Geschöpf unerschütterlich an dich geglaubt hätte, dir und der Well zum Trotz!' Was ich dir hier als mein Werk ge schildert habe, sie allein hat es vollbracht und ich konnte ihr nichts als armselige Handlanger dienste dabei leisten. Sie war es, die mit ihrer rührenden Anhänglichkeit an dich deiner Stiefmutter jenes Geständnis abgezwungen; sie war es, die nicht müde wurde, immer neue Beweise zusammenzutragrn, unbekümmert darum, wie die Leute ihre unwerbliche Teilnahme für einen Sträfling beurteilen mochten, unbekümmert dämm, daß sie sich durch ihre Handlungsweise den häßlichsten Verdächtigungen und dem zer malmenden Zorn ihres Vaters aussetzte! Sie war es, die sich mit der Beharrlichkeit der Liebe einen Weg bis zum Kabinett des Justizministers zu bahnen wußte, und wenn man es von ihr verlangt hätte, daß sie ihr Blut tropfenweise hingeben sollte, um dir/ damit nur einen einzigen wetteren Tag deiner Leidenszeit zu ersparen — meine Ehre setze ich dafür ein: sie hätte es ohne Wimperzucken getan. Was kein Mann fertig gebracht hätte, ihr, dem schwachen, unerfahrenen Mädchen, ist es gelungen. In der Gewißheit ihres Er folges hält sie sich heute für das glücklichste aller Geschöpfe. Und wenn du erbärmlich genug sein könntest, Gernsdorfs, dieses Glück zu zer stören — bei Gott, ich —"
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