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WSchinMch erscheinen drei Nummern. Pränumeralion«-Preis 22j Silbergr. (1 Tdlr.) vieneUährUch, Z Tdir. «üe dnS ganze Jahr, ohne Erhöhung, in allen Tdeiien der Preußischen Monarchie. Magazin für die Pränumerationen werden nen jeder Buchhandlung (in Berlin hei Veit u. Comp., Zligcrstraße Nr. 25), so wie von allen König!. Post - Aemtern, angenommen. Literatur des Auslandes. 139 Berlin, Dienstag den 10. November 1844. England. Ueber den Werth und das Wesen des englischen Geschwornen- gerichts. (Nach der vldUot.Ileyue Diüver^eUe.) Das englische Geschwornengericht ist ein Produkt der tausendjährigen eng lischen Geschichte und unterscheidet sich dadurch und durch seine eigcnthümliche Gestaltung sehr bedeutend von denen anderer Länder. In anderen Ländern hat die Jury keine Geschichte gehabt, sondern ist, wie die Minerva aus dem Haupte Jupiter's, reif und fertig aus dem Haupt der Revolution hervorgc- sprungcn. In England dagegen hat sie eine Geschichte gehabt, und zwar eine solche, die mit der politischen Geschichte des Landes genau zusammenhängt. Man kann daher die englische Jury nicht verstehen, ohne die englische Ge schichte zu kennen. Die erste Thatsache, die aus der Geschichte der englischen Jury hervor geht, ist die, daß der Zweck, den man bei ihrer Einführung und allmäligen Umgestaltung vor Augen hatte, ausschließlich politischer Art war. Die eng lischen Gesetzgeber haben, indem sie ihr Land mit dieser Institution begabten, sich nicht gefragt: Welches ist die beste Methode, zur gerichtlichen Wahrheit zu gelangen? sondern: Was muß man thun, um den englischen Bürgern ein für Alle gleiches Recht, unabhängig von der Regierungs-Gewalt und von aristokratischen Einflüssen, zu sichern? Wir zählen in der Kürze die vorzüglichsten historischen Data auf, welche zusammen keinen Zweifel lassen über den Geist, der die englische Gesetzgebung tu Vieser Materie get.it.t h«t. Der Grundsatz, daß jeder Bürger von seines Gleichen gerichtet werde, wurde nicht cingeführt, aber sanctionirt durch die >I»gn» Gmrts des Königs Johann, wo es sich sicherlich nicht darum handelte, Jrrthümcrn der Justiz vorzubeugen, sondern dem Umsichgreifen der königlichen Gewalt Schranken zu setzen. Seit jener Zeit war die Beschränkung dieser Gewalt, die Bcschützung der Verfassung und der Unterthanen gegen den Mißbrauch der königlichen Präro gativen das vorzüglichste, ja das einzige politische Interesse der Nation bis zur Revolution von 1688. Diesem Interesse sind alle andere untergeordnet, oft sogar geopfert worden. Die Nation hatte eine barbarische Strafgesetzgebung, viele Neste des LehnwcsenS, eine Menge Unvollkommenheiten in ihrer Civil- Gcsetzgebung, besonders in den Formen der Prozedur, viele Privilegien von Lokalitäten, Klassen und Personen beibchalten, welche für die Masse der Bürger demüthigend seyn mußten; es kam vor Allem darauf an, sich gegen die Prä rogative zu schützen, die Freiheit, das Vermögen, die bürgerliche Ehre aller Klassen von Bürgern gegen Angriffe sicher zu stellen. Der Sieg der Verfassung ist erst in der Revolution von 1688 durch den set ok selllemenr und die damit verbundene bill of rixlun definitiv errungen worden. Bis dahin hatten der geheime Nath des Monarchen unter dem Namen der „Sternkammer" und die eifrigsten Vertheidiger dieser Gewalt unter dem Namen der „hohen kirchlichen Kommission" eine willkürliche Juris diction auSgeübt, welcher kein Bürger sich entziehen konnte; bis dahin waren selbst die gewöhnlichen Richter ganz vom König abhängig, der sie ernannte und nach Belieben absetzen konnte; bis dahin hatten sich auch die beiden Par- lamcntshäuser in Kriminalsachen eine Jurisdiction zugeschrieben und auSgeübt, die zwar für die nationalen Freiheiten weniger gefährlich als die des Fürsten, aber nicht ^weniger willkürlich war;'bis dahin hatte endlich das Unterhaus durch die sogenannten biils uk sttsimier auf eine noch unregelmäßigere Weise sich Eingriffe in das Gebiet der Kriminal-Justiz erlaubt. Die Geschichte der Tudors wimmelt von willkürlichen Handlungen, die durch Gcrichtsbeamte der Krone, durch Richter, die der Sache der Präroga tive blind ergeben waren, durch weltliche und geistliche, von der Doktrin der absoluten Gewalt erfüllte Corporationen ausgeübt wurden. Die Verletzung der Unabhängigkeit der Munizipal-Corporationen unter Karl 11. ließ der indi viduellen Freiheit nicht einmal mehr den Schutz der niederen Tribunale. Andererseits hatte die Centralisation der monarchischen Gewalt, die Schwächung der großen Vasallen, endlich der Mangel an individuellen und lokalen Einflüssen, die im Stande gewesen wären, die Bürger gegen den Mißbrauch der Prärogative wirksam zu schützen, die Jury als einzige mögliche Schutzmauer zurückgelaffen. Noch heute ist diese Schutzwehr die Grundlage aller anderen, der Schlußstein des Gewölbes, dessen Zerstörung den Sturz des ganzen Gebäudes nach sich ziehen würde. Was wäre die individuelle Freiheit des englischen Bürgers ohne eine unabhängige Jury, welche Be schwerden über Verletzungen der Habcaskorpus-Akte annimmt? was wäre die Freiheit der Presse, wenn nicht eine unabhängige Jury die Libellgesetze in Anwendung zu bringen hätte? was wäre die Oeffentlichkeit der Parlaments- Verhandlungen ohne die Preßfreiheit und folglich ohne die Jury? was würde auö dem WiderstandSrccht, aus der Unverletzlichkeit des Hauses und deö Eigcn- thumS, wenn gewaltsame Maßregeln nicht das Verdikt einer unabhängigen Jury zu fürchten hätten? wenn das Eigenthum nicht durch die Jury geschützt würde, was würde aus den Rechten und Privilegien des Unterhauses, welche alle darauf beruhen, daß der Monarch seiner Bewilligungen bedarf, um die materiellen Mittel zum Regieren zu erlangen? Man darf sich nur an diese Verhältnisse erinnern, um cinzusehen, daß die Jury von dem englischen Gesetzgeber und den einsichtsvollen Publizisten Englands als eine constitutionelle Garantie, als eine politische Institution betrachtet werden mußte, und daß alle Statuten, durch welche sie organisirt und umgestaltet wurde, von der >lsxn» OlmrtL bis zur For'schcn Bill, zum vorzüglichsten Zweck hatten, das Geschwornengericht als politische Garantie, nicht als gerichtliche Institution zu vervollkommnen, es geeignet zu machen zur Verhinderung nicht der Jrrthümer, denen jede menschliche Rechtspflege ausgesetzt ist, sondern der Gewaltmißbräuche und der ungebührlichen Ein flüsse, welche die Organisation der Gesellschaft und der Regierung in Eng land von Seiten permanenter, von der Krone ernannter Richter fürchten ließen. Die politische Garantie, wie fle aus der gegenwärtigen Combination der großen oder Anklage-Jury und der kleinen oder Urtheils-Jury hcrvorgeht, wird von den englischen Rcchtsgelehrten in folgender Weise formulirt: Kein Bürger kann zu einer Straf« an seinem Körper, seiner Ehre und seinem Ver mögen anders vcrurtheilt werden, als durch das einstimmige Verdikt von vicrundzwanzig seiner Mitbürger. Das Verdikt, vere üietum, ist ein Zeug- niß, nicht ein Urtheil, obgleich die Uaxnu Olmrt» sich des Wortes juüieium bedient; die Jury wird'also als ein „gerichtlicher Beweis" angesehen; das Zeugniß, d. h. das Verdikt der zwölf Mitglieder der kleinen Jury, ist, eben so wie das Gcstäudniß des Angeklagten, ein Beweis, daß der Angeklagte schuldig ist. Diese Idee findet ihre Erklärung und Rechtfertigung in der Ge schichte der Jury: „Die Jury, wie sie anfänglich beschaffen war", sagt ReevcS in seiner Geschichte der Loiwnon Isw, „unterschied sich wesentlich von dem, was sie heute ist. Heutzutage sind die Geschwornen die obersten Richter des Prozesses. Sie gründen ihre Ueberzeugung auf mündliche oder schriftliche Beweise, und ihr Verdikt ist ein wahres Urthcil. Die alten Geschwornen dagegen wurden nicht berufen, die Fakta als Richter zu beurtheilen; diese Fakta wurden nicht einmal vor ihnen verhandelt. Sie waren nur Zeugen, und das Verdikt war nur das Resultat ihres Zeugnisses, das regelmäßig, aber ausschließlich zur Feststellung der streitigen Thatsache angcrusen wurde. Die Geschwornen unter, schieden sich von anderen Zeugen nur durch den Eid, den sie leisten mußten, durch ihre bestimmte Anzahl, den Rang, den das Gesetz ihnen anwies, und den Einfluß, der daraus hervorging. „Die meisten Vertheidiger dieser Institution nehmen an, daß sie uns ohne Veränderung seit der Regierung Alfred's überliefert worden, und ahnen nicht den wahren Charakter, den sie ursprünglich hatte. Nach dem normannischen Gesetz wurden die Angeklagten überführt oder freigesprochen von der Anklage durch eine Untersuchungs-Kommission, die aus vicrundzwanzig guten und loyalen Bewohnern des Landes bestand, welche von dem Sergeanten in der Nachbarschaft des OrteS, wo das Verbrechen begangen worden, zusammcn- gerufen wurden. Dieser Beamte mußte die Personen, die er mit den Um ständen des Faktums am besten bekannt glaubte, answählen. Der Ankläger und der Angeklagte verwarfen diejenigen, deren Rechtschaffenheit und Glaubwürdig keit ihnen verdächtig schienen; eben so wurden die erklärten Freunde oder Feinde und die nahen Verwandten der Parteien von der Liste entfernt- Diese Zeugen mußten ohne Aufschub und ohne vorausgegangene Citation erscheinen, um nicht eingeschüchtert oder bestochen zu werden. Ehe die Verhandlung begann, schritt man zu einer vorläufigen Anfrage bei vier Rittern, welche erklären mußten, ob sic den Angeklagten für schuldig hielten; dann fragte der Bailly in Gegenwart dieser Ritter die vierundzwanzig Geschwornen einzeln und ab gesondert aus und konfrontirte sie dann mit dem Angeklagten, der sie aus rechtlichen Gründen beanstanden konnte. Wenn diese Beanstandung angenom men wurde, so wurde das Zeugniß der Geschwornen verworfen. Zuletzt sprach der Richter das Urtheil aus und trug es zu Protokoll."