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WöHenUlch «jchcmen drei Nummern. Pränumeration--Preis 22^ Silbergr. (Z Thlr.) vierteljährlich, 3 Thlr. lu> va» ganze Jahr, ohne Erhöhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Pränumerationen Iptrven reu jeder Buchhandlung (in Berlin bei Veit X. Como., Iägerstraße Nr. 25), so wie von allen König!. Poß - Aemlern, angenommen. Literatur des Auslandes. 131. Berlin, Donnerstag den 3l. Oktober 1844. Lpanien. Reisebilder aus Spanien. Von Edgar Quinet. I. Die Reise nach Madrid. So wäre ich denn auf dem Wege nach Spanien und hielte mein Ver sprechen, Alles für Sie auszuzeichnen, was ich unter meinen Augen geschehen sehe. Wie anders ist mir heute zu Muth, als sonst, wenn ich abreiste! Wo dleibt die Begeisterung, die mich einst nach Griechenland, nach Italien und selbst nach Deutschland trieb? Ich fühle eine Oede in meinem Geiste, wenn ich an Spanien denke. Ich kann die Wolke vor meinem Auge nicht loswcrden, durch welche ich dieses Land sehe. Alle Mandolinen aller Sänger Andalusiens spiegle ich meinem Ohre vor, und dennoch werde ich nicht heiter. Sollte mich die trübe Jahreszeit verstimmen , oder wirken die Banditenkugeln, von denen die Wege voll sepn sollen, magisch unheimlich in die Ferne? Ich er warte die Langweile einsamer Steppen; laßt sehen, was ich finde. Der Rhone führte mich in einem Zuge nach Avignon. Zufällig schlief ich in demselben Bette, in welchem einst der Marschall Brune erschossen wurde. Noch zeigt man über dem Kopfende das Loch, das die Kugel in der Mauer Lemacht hatte. Zn der ersten Nacht auf einer Reise nach Spanien ist dies kein undeutliches Vorzeichen für einen Träumer. — Am folgenden Morgen war ich in Vaucluse. Um alle böse Vorbedeutungen zunichte zu machen, will ich meine Abreise von diesem schönen Platze aus datiren. Der Regen, der am Tage vorher in Strömen gefallen war, hatte aufgehört und zwischen zwei Wolken zeigte sich mir der Himmel der Provence- So hoch hatte ich mir den Felsen nicht gedacht, noch die Gegend so einsam, noch die Natur ringsum so groß. Eine Erinnerung tauchte in mir auf: ich hatte, als ich 1832 in Italien war, in Tivoli, der Villa des Horaz, an Vaucluse gedacht. Tivoli ist durch und durch reizend; selbst jetzt, da cs verlassen ist, fühlt man sich unter den Oelbäumen, wie ein Heide, fähig zum Genüsse. Die kleinen Wasserfälle, aus denen Tauben trinken, Hüpfen nach den Rhythmen des römischen DichterS; ein freundliches Lächeln liegt auf der ganzen Landschaft. Aber Vaucluse, wie ernst, wie nackt, wie paffend für die Mystik deö Mittel alters! Das ist das Asyl eines Anachoreten; kein Grün, als das des Feigen baums, der aus der Quelle cmportaucht, kein lebendes Wesen, als hier und da einen Klettervogel, der mit seinem Schnabel emsig auf den ungeheuren Felsen pickt. Hier war die Klause für den ascetischcn Theil von Petrarka'S Geist. Zn Avignon, Nom, Mailand wohnte der gelehrte, der genußsüchtige, der Weltmann Petrarka, aber das Herz des Dichters wohnte in Vaucluse und Laura war die Madonna des Klausners. Ich war aus dem alten gothischen Schlosse, dessen Ruinen über dem Bette der Sorgue hängen. Das Gebäude war schon zu Petrarka'S Zeiten im Ver fall. Wie oft mag er sein angebetetes Idol auf den Gipfeln dieser Felsen er blickt haben! Von oben sieht die Quelle am Fuße der Felswand aus, wie ein Taufbecken, das an der Schwelle einer Kathedrale cingegraben ist; und in der That, hier ist das geweihte Wasser, in dem die Poesie unserer Zeit die Taufe empfangen hat. Ein anderes Denkmal, das fast eben so beredt vom Mittelalter erzählt, ist der Palast der Päpste zu Avignon. Nichts macht einen traurigcrcn Ein druck, als dieses Gebäude. Im Ccntrum desselben liegt die Kapelle niit einigen Ilebcrresten von Gemälden Giotto's, aber ans diesem Heiligthum der Religion und der Kunst gelangt man aus beiden Seiten in Kerker. Das Papstthum lebte hier geschützt von Gefängnissen, Fallthüren, Grabgewölben, Inquisition und Scheiterhaufen. Ich.sah dort, was ich gewiß in Spanien nicht wieder- sinden werde, eine auf die Mauer in Schwarz gemalte Prozession von In quisitoren, ferner die Löcher, aus denen die Fragen der unsichtbaren Richter ertönten, die Folterkammer mit dem ganzen noch bestehenden Apparat, den ungeheuren Kamin für die Scheiterhaufen, und die Namen einiger Gefangenen, die in Stunden der schrecklichsten Erwartung mögen eingegraben worden sepn. Eines Tages fanden die Schrecken des Mittelalters ihr Echo in denen von »3, und seit dieser Zeit ziehen sich fünf blutige Streifen durch zwei Stockwerke des tour üe la Oluoiöre. Die alte Frau, die mich in diese Hölle führte, schien mir selbst ein Theil dieses Marter-Apparats. Als ich den Kessel und den Kamin sah, machte ich eine Bewegung, die sie verstand. „Aber, mein Herr", sagte sie, „das war das Gesetz!" Ich durchreise die Provence und Languedoc unter Regengüssen, die mich bis an die Pyrenäen begleiten. Die Brücken über den Rhone und die Durance brechen hinter mir ab, die Sandflächen bei ArlcS und Nimcö werden zu Seen. Einen Augenblick erinnerten mich in der Kathedrale von Arles die Züge und die Tracht der Frauen an meine Wirthinnen auf den Cykladen. Alte, von der Sonne der Zugend vergoldete Erinnerungen! Und jetzt; mit Lebensgefahr passirc ich die Brücke über den Gard. Wo scyd ihr, olympische Götter, die ihr mich nach Griechenland und Italien führtet und mir jede Ruine in euer unsterbliches Licht hülltet? Von euch Allen ist Keiner mir treu geblieben, als der düstere Jupiter Pluvius! In Bayonne erfahre ich, daß der Weg nach Madrid höchst unsicher sep. Der Postwagen, in dem ich morgen fahre, ist seit drei Tagen dreimal angc- fallen worden, das letzte Mal in AlcobeudaS an den Thoren Madrids. Man kam mit dem Verlust eines Pferde- davon. Unter Besprechung solcher Neuig keiten rücke ich in das gelobte Land der Dichter ein. Ob, waö mir eben beim Betreten des spanischen Bodens begegnete, ein gutes oder ein böses Zeichen scyn mag? Der Wagen hatte die Bidaffoa- Brücke passirt. Schon verschlang ich mit den Augen das Land, dessen Gränze wir kaum überschritten hatten. Zwei junge BiScayerinncn, meine einzige Reisegesellschaft, lachten und weinten zugleich in diesem immer feierlichen Augenblicke. Man hält; ein Haufe Soldaten stürzt an den Wagen; ich be greife, daß meine Reise fehlgcschlagen ist, mein Paß ist unvollständig, ich muß nach Frankreich zurückkehrcn. Ich mache Einwendungen; ein Soldat schreit mir mit einer Banditenstimme zu: » roria! Um mich zu verständigen, suche ich nach einigen Briefen, mit denen mich meine Freunde versehen haben. Leider aber sind sie französisch geschrieben und an Franzosen gerichtet, so daß ich keinen Nutzen aus ihnen ziehen kann. Endlich finde ich ein Billet mit der Unterschrift: 1). LuIIu^i-mu Morax». Bei diesem jetzt allmächtigen Namen verschwindet alle offizielle Rohheit der Soldaten; ein Talisman hätte nicht rascher wirken können. Die Thür unseres Wagens wird ehrerbietig ge schlossen, die Maulesel galoppiren, die junge» Mädchen lachen wieder — wir kommen nach Jrun. Wenn ich yicht weiter reisen dürfte, so hätte ich schon hier ein Bild ganz Spaniens vor Augen. Die elendesten Häuser haben ihre Balkons aus Holz, und schon sehe ich alle Heldinnen Calveron'S, Vega s, Molina's sich über diese Balkons lehnen. Die Frauen mit ihren in Flechten über die Schultern hängenden Haaren, die Bauern im heroischen Mantel, die Wagen, wie zu den Zeiten der Iberer, mit ungefcnsterten Rädern, die Guitarrcntöne — Alles, als spielte man Calveron'S „Leben ein Traum" (?'). Und auch du, bescheidener Esel, der du auf dem Hofe der Venta im Futtersacke des Arriero umherwühlst, du darfst nicht vergessen werden in dem Gruße des Fremden auf dem Boden des katholischen Königreichs. — Ich bin hier an der Küste einer neuen Welt. Ehe ich Jrun sah, hatte ich lauter Fatalitäten auf meiner Reise; jetzt fesselt eS mich, ich fühle in der Luft den Zauber ferner Geister. Gestern hätte ich ohne großes Opfer der Reise entsagen können; heute würde ich un glücklich darüber sepn, wenn ich nicht Spanien bis zum äußersten Sandkorn von Cadir sehen könnte. Ein vollständiges Arsenal von Waffen aller Art lärmt mir von der Decke des Wagens aus um die Ohren. Pistolen, Büchsen, Karabiner, Flinten hängen, bis zur Oeffnung geladen, ans beiden Seiten bis an die Thürcn herunter; ich höre ein fortwährendes Klirren, wie vor dem Anfang eines Kampfes. Zwei EScopetcrvS sitzen auf der Wagendecke und bilden die Be satzung der wandernden Citadclle. So geschützt, durcheilen wir die Pyrenäen. Der Abend bricht an, der Mond erhebt sich, ferne Wasserfälle erzählen von Ro land und NonceSvall. Wir kommen durch die finsteren Straßen von Tolosa und Vergara. Von all den wilden Leidenschaften, die diese Orte mit Blut gefärbt haben, regt sich nichts zu dieser Stunde; nur der Wächter schreitet mit seiner Lanze von Straße zu Straße und singt seine klagenden Melodicen. Alles Geräusch verstummt, wir gewinnen langsam den Gipfel des Salinas- FelsenS. Spanien schläft einen bleiernen Schlaf, nicht ein Heimchen zirpt im Sande. Plötzlich höre ich dicht neben mir einen Schuß; ich stürze an die Thür, und sehe auf beiden Seiten im Dunkeln zwei Männer mit langen Flinten auf den Schultern gravitätisch neben dem Wagen hcrgehen, als folgten sic rincr Prozession. Ohne Zweifel, dachte ich, führen sic dich in cin Gebüsch, um dich zu berauben ; denn daß sie eS so machen, wußte ich aus allen Reisebcschrci- bungen. Jetzt war der Augenblick gekommen, jene Kaltblütigkeit zu zeigen, die bei solchen Fällen, so viel ich weiß, keinem Reisenden in seinen Erzählungen gefehlt hat. Als ich mich durch diese Betrachtung in den Muth hincingedacht Calveron'S „Leven ein Traum" spielt in Polen.