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Wssmullch ersSiriuen drei Nunnnern. Pränumeralionö^ Preis 22j Siibergr. (j Tdir.) vierleiiöhriich, Z Tdir. für da« aan;egadr, ohne Erhöhung, in aUen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Pränumerationen werden von jeder Buchhandlung (in Berlin bei Veit u. Comp., Iagerstraße Nr. 25), so wie von allen König!. Post-Aemtcrn, angenommen. Literatur des Auslandes. 128. Berlin, Donnerstag den 24- Oktober 1844. England. Physiologie des britischen Parlaments. II. DaS Oberhaus.') Die PairS-Kammer wird sehr richtig und charakteristisch mit dem Namen deS Oberhauses bezeichnet. DaS Unterhaus, das Haus der Gemeinen, ist ohne alle Widerrede niedriger, gemeiner; wir würden fast gemein sagen, wenn wir nicht fürchteten, gegen die Privilegien des HanseS zu verstoßen. Jedermann hat von den höheren und den niederen Ständen gehört; sie bilden zwei abgesonderte Klaffen der Gesellschaft, wie das Ober- und Unter haus zwei abgesonderte Klaffen der legislativen Gewalt bilden. Die höheren Stände sind wohlgcklcidet, ruhig, gentlemännisch, parsümirt, schweigsam, zurückhaltend, müßig — so auch das Oberhaus. Die niederen Stände sind nachlässig, lärmend, grob, polternd, plauderhaft, geschäftig — so auch das Unterhaus. DaS erstere stellt die feineren und künstlicheren, das letztere die derberen, wirksameren Elemente des gesetzgebenden Körper- dar. Wenn man eine Bierstube oder öffentliche Meeting verläßt, wo Jeder spricht und Niemand etwa- zu sagßn hat, und sich nach einer Versammlung von Quäkern bcgiebt, wo Keiner sprechen will, so heißt da- eben so viel, als daß man von dem Unterhaus« nach dem Oberhause geht; wird man plötzlich auS einer Schenke nach einem aristokratischen Zirkel versetzt, so vertauscht mau nur das Kau der Gemeinen mit der PairS-Kammer. Bringt da- Unterhaus durch seinen gänzlichen Mangel an Würde und Anstand einen ungünstigen Eindruck hervor, so verfällt das Oberhaus in den entgegengetetzten Fehler; hier ist Alles kalte Würde und stütze Gleichgültigkeit. Man wird gleichsam in die Musik-Galerie eines Salons eingeführt, wo ein Paar Dutzend ernster, respektabler, ältlicher Herren versammelt sind. Der Fußboden ist mit Scharlach-Tuch bedeckt, die Wände sind mit Scharlach- Tapeten ausgeschlagen, die Bänke haben scharlachrothe Kiffen mit gepolsterten, scharlachrothen Lehnen; in der That würde man ohne die Bänke und den scharlachrothe«, länglichen, bettähnlicheu Sitz, den man den Wollsack nennt, und den Thron mit seinem Baldachin, de» BersamnilungSsaal der Lord- von dem Speisesaal des ersten besten derselben nicht unterscheiden können. In diesem Räume ist Alles ruhig und gentlemännisch; selbst die Fremden auf der Galerie werden von der hochadligen Atmosphäre angesteckt und wagen kaum, um sich zu blicken. Der Thürstchcr ist ein würdevoller Mann, mit einer würdevollen Miene und würdevollem schwarzen Anzuge. Mit dem Portier des Unterhauses hat er durchaus keine Achnlichkeit; er weist den Fremden ihre Sitze mit einer ceremoniösen Verbeugung an und verbietet durch ein: Pst! Pst! jede Unterhaltung, ohne, wie der Andere, mit lauter Stimme: Lilencs! zu rufen. Die Thüren öffnen und schließen sich geräusch los, um Vie PairS ein - und auSzulaffen, welche auf den Stufen des Throns oder in der Mitte des Hauses stehen, oder auf den Querbänken zerstreut sind. Die jüngeren unterreden sich mit leiser Stimme, die älteren warten auf das Beginnen der Verhandlungen; Einige durchlesc» die Bittschriften, die sie cinzurcichen haben, Andere die gedruckte Liste der an der Tagesordnung stehenden Bills u. s. w- Hier nimmt man keine Springinsfelde wahr, die über Tisch und Bänke klettern, keine müßige Gruppen, die an der Barre plaudern, keine Neckereien, keine Poffen, kein Pferde-Gelächter — das Oberhaus lächelt, flüstert und wandelt ohne Tumult, ohne Geräusch umher. Es kleidet sich auch bester als da-Unterhaus; Jagdjacken, weiße Hüte, gestreifte Hemden, Kamaschen oder Halbstiefcln werden nie im Oberhause getragen; da- einzige ungewöhnliche Kleidungsstück, das uns dort ausfiel, ist ein Paar unendlicher karikier Pantalona. Die Bischöfe, die von dieser Entfernung aus (wir befinden uns jetzt auf der Galerie) einer Reihe pausbäckiger Kinder gleichen, sitzen in ihren schwarzen Gewändern und ungeheuren Batist-Aermeln sehr bescheiden auf einer fürste bestimmten Bank im Hintcrtheil deS HauseS; sonst haben wir nichts über Ihre hochwiirdige Lordschaften zu sagen, außer daß Niemand deren Anwesen heit zu bemerken scheint, und daß sie, mit wenigen Ausnahmen, unglaublich dick sind. Ein edler Lord") scheint auf der Schatzkammerbank zu schlafen; seine Füße sind steif vor ihm ausgestreckt und versperren den Weg zwischen der Bank ') Ebenfalls nach „Nentle^'» Iüi-c-»»n>". ") Der Herzog von Weliinglon. und dem Tisch, so daß die PairS, die ihn in seiner Ruhe nicht zu stören wagen, zu einem Umwege genöthigt find; sein einfacher militairischer Ueber- rock ist bis an daS Kinn zugeknöpft, und sein Hut, der ihm den oberen Theil deS Gesichts bedeckt, ruht malerisch auf der Biegung seiner Adlernase. Er scheint zu schlafen, wie wir schon gesagt haben, aber seine Stellung ist noch im Schlafe wachsam — ja! er ist vielleicht in diesem Augenblick aufge weckter als irgend ein Anderer im Haust. Ihm gegenüber, auf dem Vordersitze, zeigt sich ein schöngeformtcs Bein, in eng anschließende PantalouS gehüllt, die der edle Inhaber von Zeit zu Zeit mit Wohlgefallen betrachtet, indem er seinen trefflich paffenden Stiesel mit einer in Silber gefaßte» Reitpeitsche klopft. Lord Melbourne ist ein Mann von angenehmem Acußcren, mit wohlgebildeten, das „(totes fsr nisnts" aus- sprechenden Zügen; es scheint uns aber doch nicht, daß er zu den Leuten ge hört, die von der Natur zu Premier-Ministern bestimmt find. Eine seltsame, bewegliche Nase guckt jetzt zur Thür herein, der ein selt samer, beweglicher Senator") nachhuscht. Er hüpft von Bank zu Bank, als ob er nicht wüßte, wo er sich niederlaffcn solle; fährt mit der Hand in die Tasche seiner karirten PantalonS, die ihm sowohl zu kurz als zu eng sind; fletscht mit den Zähnen, kratzt sich den Kopf, reibt seine kuriose Nase, die ärgerlich hin- und hcrwackelt; nimmt auf dem Wollsack Platz und springt dann wieder auf, als ob er nicht dahin gehöre; läuft nach beiden Seiten des Hauses, um, wie es scheint, die PairS nach etwas zu fragen, und eilt dann fort, ohne auf Antwort zu warten. Seine Bewegungen erinnern unS lebhaft an eine sehr große Ratte in einer sehr kleinen Falle. Während wir ihm Nach sehen, erscheint der Kanzler"), prunk- und geräuschlos, und sobald er aus den Wollsack geschlüpft ist, erhebt sich ein Pair, um eine Bittschrift vorzu legen, deren Inhalt er in einem einvernehmlichen Tone angiel>t, und man erfährt jetzt, daß die Verhandlungen begonnen haben. Ein edler Lord erhebt sich und richtet mit leiser Stimme eine Frage an den edlen Herzog, der zu schlummern scheint. Der edle Herzog nimmt mit großer Bedächtigkeit den Hut von der Nase, steht auf, nähert sich dem Tische, spricht mit fester, obwohl nicht lauter Stimme einige Worte, durch die er die Frage beantwortet oder sic zurückweist, setzt sich wieder hin, stülpt sich den Hut wie zuvor über die Rase und scheint wieder einzuschlummern. Nachdem man noch einige Fragen gestellt und Antworten gegeben hat, von denen wir uns nur wundern, wie die Reporters etwa- daraus machen können, erhebt sich wie gewöhnlich Lord Brougham, um das HauS mit einer Rede zu inkommodiren. Es ist unmöglich, sich eine ungünstigere Lokalität für einen Redner zu denken, als das Oberhaus; man würde eben so gut thun, eine Rede in den Katakomben zu halten. Das öde, menschenleere Ansehen deS Hauses, „die bettelhafte Reihe leerer Bänke", die uns an ein Provinzial-Theater bei einer Benefiz-Vorstellung erinnern; die sichtbare Apathie, Unachtsamkeit und Gleichgültigkeit der eilf PairS, die als Zuhörer dienen, und die Ungeduld der drei ministeriellen Lords, die das Ganze als Geschwätz betrachten; das zer streute Wesen des unglücklichen Lord-KanzlerS, der nach einer anstrengenden Sitzung im Gerichtshöfe sich zu einem wichtigen Nichterspruch vorzubcreiten wünscht; das Gähnen, Strecken und beständige Herauszichen der Uhren (cS fehlen jetzt nur fünf Minuten an sieben) — alles dieses würde genügen, um das Feuer jedes Redners (mit Ausnahme Brougham'S) zu ersticken, der je den Mund aufthat. Der edle und gelehrte Lord beginnt; er ist voll von seinem Thema und entschlossen, es in einer Rede auszuarbciten. Er setzt die Wichtigkeit des Gegenstandes aus einander und nimmt die Aufmerksamkeit deS edlen Herzogs in Anspruch. (Der edle Herzog bewegt den Fuß, als ob er sagen wollte: Glauben Sie nicht, daß ich eingeschlafen bin.) Er fährt fort, indem er sich zu erwärmen sucht, aber die Atmosphäre deS HauseS ist zu kühl, und die Worte scheinen ihm auf den Lippen zu gefrieren. Er wagt einen Scherz; ein krank hafte- Lächeln spielt auf dem Antlitz eines oder zweier PairS, welches in den Parlaments-Berichten des folgenden Tages in Parenthese als: (Gelächter) figurirt. Er spricht mit Ucberzeugung, aber er hat Niemande» zu überzeugen ; er wird beredt, aber er findet keine Sympathie. Wenn er die Marmor- Statuen der Elgin-Galerie anredete, so würde er eben so vielen Eindruck auf sie hervorbringen. Endlich berührt er eine Saite, die in den Herzen seiner Zuhörer wieder. ') Lord Brougham. ") Lord Lyndhurst.