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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumerations-Preis 22j Sildergr. (j ^hlr.) vierteljährlich, Z das ganze Hahr, ohne Erhöhung, in allen ^heilen der Preustischen Monarchie. für die Pränumerationen werden von jeder Buchhandlung (in Berlin bei Veit u. Comp., Hägerstraße Nr. 25), so wie von allen König!. Post - Aemtern, angenommen. Literatur des Auslandes. V' 122 Berlin, Donnerstag den 10. Oktober 1844. England. Sidonia, ein jüdischer Banquier des 19. Jahrhunderts. Nach dem „ConingSby" von Benj. d'Israeli.') Wir theilen hier aus dem vielbesprochenen Roman des Herrn d'Jsraeli ein Kapitel mit, welches zu den interessantesten des ganzen Buches gehört. Der Verfasser scheint darin einige seiner leitenden Ideen und Tendenzen aus zusprechen oder wenigstens anzudeuten, und zwar legt er sie derjenigen Person in den Mund, die zwar nicht der Hauptheld, aber doch die geistig bedeutendste Person des Romans, eben der Hauptrepräsentant der Ideen des Verfassers ist. Diese Person ist der Jude Sidonia. Indem hierdurch die Rede auf das Judenthum kommt, werden auch über dieses, über seine Bedeutung und Ge schichte einige cigenthümliche Ansichten ausgesprochen, die nicht ohne Interesse sind; doch scheinen die Nachrichten, die uns der Verfasser über den politischen Einfluß der Juden in neuerer Zeit und über die vielen israelitischen Staats, männer, welche die Geschicke der Welt lenken, auftischt, nur ein Produkt seiner verschönernden poetischen Phantasie zu scpn, wie auch schon von einigen anderen Blättern gelegentlich bemerkt wurde. Der Verfasser stammt, wie schon sein Name andeutet, aus einer israelitischen Familie, und zwar ist sein Vater der rühmlichst bekannte Verfasser der in mehr als zwölf Auflagen der- breiteten Ouriositie-j of Literatur« und anderer geschätzter Schriften, Herr I. d'Jsraeli, der jedoch noch vor der Geburt seines Sohnes zum Christenthum übertrat und diesem dadurch die Pforten deö Parlaments eröffnete. Zu den Maßregeln, deren Durchführung sich der Letztere und auch seine Freunde (unter Anderen Herr Milnes, der kürzlich „orientalische Poesieen" herausgegeben) im Gegensatz zur alten Torpschule zur Aufgabe gemacht haben, gehört auch die zwar vom Unterhause bereits mehrmals votirte, jedoch immer vom Oberhaus« verworfene völlige Emancipation der Juden, zu welcher übrigens in England, wo sie bereits Wähler für das Parlament und auch zu Munizipal-Aemtern wählbar sind, nicht viel fehlt. Sidonia gehört einer alten sogenannten neuchristlichen Familie Aragoniens an, wie es deren bekanntlich in Spanien so wie in Portugal und Brasilien viele gegeben haben soll, die, während sie äußerlich, um der Verfolgung zu entgehen, zum Christcnthum übergetreten waren und dabei sogar die höchsten geistlichen Würden bekleideten, im Geheimen fortwährend dem alten Glauben anhingen und im Innersten ihrer Häuser die Ceremonien desselben auSübten. Der ältere Sidonia war während des Krieges auf der pprenäischcn Halbinsel nach England ausgewandcrt und war durch glückliche Speculationen der erste Kapitalist von Europa geworden. Sein Sohn ist es, der in unserem Roman eine so hervorragende Stelle einnimmt. Nachdem der Verfasser seine Persön- lichkeit näher geschildert, fährt er fort: „Sidonia studirte mit besonderem Interesse seine Abstammung und die Geschichte seines Volkes. Dem Gesetz des großen Gesetzgebers vom Sinai mit tiefer Verehrung anhängend, hätte er in seinem Glauben an eine bessere Zukunft, die dem auserwählten Volk bevorstehc, dem Märtprerthum getrotzt; aber sein Glaube stützte sich auch auf Argumente von mehr irdischer Natur. Die phpfiologischc Wissenschaft war eine von den Garantieen seines Vertrauens auf die Zukunft: er war der Ansicht, daß in der vornehmsten unter den fünf Racen des Menschengeschlechts, der kaukasischen, die arabischen Stämme nebst den Sachsen und den Griechen die erste Stelle cinnähmen. Aber Sidonia und seine Brüder, die Juden, konnten einen Vorzug geltend machen, den die Sachsen, die Griechen und die anderen kaukasischen Nationen verloren haben: die Hebräer sind eine ungemischte Race. Unter den Stämmen, die im Herzen der Wüste wohnen, dem gemeinsamen Vaterland der Araber des Moses und des Muhammed, findet man ein eben so reines Blut als das der Nach kommen des großen Scheich Abraham; aber die mosaischen Araber find die älteste, wo nicht die einzige, unvermischte Race unter den Bewohnern der Städte. Eine Race ohne Mischung mit einer bevorzugten Organisation ist die Aristokratie der Natur: eine solche Superiorität ist ein Faktum, nicht eine Fiction oder eine Sache der Etikette, sondern erkennbar an ihren physischen Vorzügen und an der Kraft ihrer Idiosynkrasie. Auf seinen langen Reisen hatte Sidonia alle jüdische Bevölkerungen der Erde besucht; er hatte gefunden, daß die niederen Klaffen fast überall sich im Zustand der Herabwürdigung befinden und die höheren in gewinnsüchtige Be strebungen vertieft sind; aber ihre Intelligenz war dieselbe geblieben. Dies -) Dgl. dkl, Attikel- Da« junge England in Nr. MI de« Magazin«. - hatte ihm Hoffnung gegeben. Wenn er sich erinnerte, welche Verfolgungen die Kinder Jsrael'S überlebt, was sie Alles gelitten hatten, so schien cs ihm wunderbar, daß sie nicht vom Boden der Erde verschwunden waren. Sie hatten dem Eril, den Martern, der Plünderung, dem Herabwürdigenden Ein fluß der merkantilischen Speculationen, sie hatten endlich der Zeit getrotzt! Seit dreitausend Jahren sind sie auf dem Erdball zerstreut. Ihrem uralten kaukasischen Typus und dem von Moses vorgeschriebenen Absonderungs-Prinzip schrieb Sidonia es zu, daß sie dem Geschick jener weniger ungemischten Racen entgingen, welche sie verfolgen, sich dabei aber abnutzen und verschwinden und ihre Opfer in der ewigen Jugend des arabischen Blutes zurücklaffen. Kurze Zeit nach seiner Ankunft in England besuchte Sidonia die be deutendsten Höfe Europa's, um die Monarchen und die Minister, von denen er so viel sprechen gehört, persönlich kennen zu lernen. Seine Stellung sicherte ihm einen ausgezeichneten Empfang; seine persönlichen Eigenschaften machten ihn bald beliebt. Er wußte zu gefallen; er konnte mehr, er wußte in Er staunen zu setzen. Durch eine scheinbar unbedeutende Bemerkung wußte er den ergrautesten Diplomaten zu ergreifen; durch ein Wort von berechneter Bedeutung erwarb er die Achtung, zuweilen das Vertrauen der Souveraine. Nachdem er die Intelligenz, die Europa regiert, und die man persönlich kennen muß, um sie zu würdigen, durchschaut hatte, kam er wieder nach England zurück. — Der positive und verständige Charakter des englischen Lebens mußte dem zusagen, der, wie Sidonia, die Sentimentalität scheute und sich ost hinter Sarkasmen zurückzog. Die männliche und thätige Intelligenz Eng lands beschäftigte und interesfirtc diesen Hellen Kopf. Sidonia war gerade der Mann, der in den britischen Zirkeln willkommen seyn mußte; sein Reichthum, seine soziale Erfahrung, sein Scharfsinn, die strenge Einfachheit seiner Sitten, sein Freimuth, der sich jeder Familiarität enthielt, seine Vorliebe für anstrcn- gcnde körperliche Uebungen, wie sie seiner angeborenen Energie nothwendig waren, dies waren Eigenschaften, welche von Engländern geschätzt und be wundert werden: man kann von Sidonia sagen, daß wenige Menschen popu lärer und keiner weniger verstanden war." Sidonia und Henry Coningsby treffen auf dem Schlosse des Lord Mon- mouth zusammen, wo sic sich bald einander anschließen. „Sie werden in der Geschichte dieses Landes einen eigenthümlichen Zug bemerken", sagte eines Tages Sidonia zu Coningsby, „daß nämlich der In haber der Gewalt daselbst immer unpopulär ist; Alle verbinden sich gegen ihn, bis er fällt. Erst waren die großen Barone im Besitz der Macht; die Kirche, sich des Königs als Werkzeug bedienend, stürzte sie. Die Macht ging auf die Kirche über; der König kaufte das Parlament und plünderte die Kirche. Nun blieb die Gewalt dem König; aber das Parlament, sich des Volkes bedienend, enthauptete, vertrieb und wechselte den König und setzte endlich an die Stelle des Königs einen administrativen Beamten. Seit hundertundfunfzig Jahren ist das Parlament im Besitz der Macht, und seit sechzig bis siebzig Jahren wird die Unpopularität des Parlaments immer größer. Im Jahre I8ZV versuchte eS, durch eine Regeneration die Gunst des Volkes wieder zu gewinnen; aber da hierdurch das Parlament nur seine Macht vermehrt hat, so ist es auch nur desto verhaßter geworden. So gut wie die Barone, die Kirche, der König einander verschlungen haben, bis zuletzt der König vom Parlament neutralisirt wurde, so geht auch gewiß diese Körperschaft ihrer Zerstörung entgegen. Der Scharfblick des Staatsmannes muß also zu entdecken suchen, unter welcher Form und von welcher Seite der kommen wird, der das Parlament verschlingen wird." „Sie betrachten unsere Lage in einem sehr düsteren Lichte", sagte Henry. „Einem trüben, aber nicht düsteren. Ich kann den politischen Institutionen nicht jenen außerordentlichen Einfluß zugestehen, den unser Jahrhundert ihnen zuzuschreiben geneigt ist. Der Senat, der den BrcnnuS auf seinen kurulischen Stühlen erwartete, war dieselbe Körperschaft, welche in einem anderen Zeit alter die wahnsinnigen Dekrete Nero's cinregistrirte. DaS Geschwornengericht wird als das Palladium unserer Freiheiten betrachtet. Doch ist cs nicht so lange her, daß unter Karl II. die Jury ein eben so ungerechtes Tribunal war, als die Inquisition." Dieser letztere Name wurde von Sidonia nur mit einer besonders ernsten Betonung ausgesprochen; er erinnerte ihn an die Leiden seines Stammes, und wie sehr sein eigenes Schicksal durch die Inquisition modifizirt worden. „Es giebt Familien in diesem Lande", fuhr er fort, „Familien, die den beiden historischen Parteien angehören, welche, wenn es die Verfolgung ihrer Häuser und die Ermordung und Proskribirung einiger ihrer berühmtesten Mitglieder galt, in einer Jury ihrer Mitbürger eben so unbillige und unerbittliche Richter gefunden haben, al« wir in den Konklaven von Madrid und Sevilla."