Volltext Seite (XML)
England. Zur Geschichte der wichtigsten abergläubischen Meinungen und Spekulationen. ll. Gottesurtheile und Herenprozesse. (Schluß.) Doch es nabte die Zeit, wo der wüthcndstc Religionscifer und die rach süchtigste persönliche Feindschaft mild erscheinen, gegenüber der stupiden Grau samkeit derjenigen, die entweder in sinnlosem, panischem Schrecken, oder aus wahnsinnigem Blutdurst Menschen tödteten. Z» der ersten Hälfte des ISten Jahrhunderts verbreitete sich auf einmal der Glaube durch Europa, daß das Verbrechen der Zauberei in furchtbarem Grade zunchme. Wahrscheinlich tru gen zur Erzeugung dieses Glaubens dir absurden Prätcnsionen der Alchymistcn bei, welche gerade damals ihren Culminationspunkt erreicht hatten. Im Jahre ES fanden die berühmten Prozesse und Hinrichtungen wegen Hexerei in Arras statt, das früheste Beispiel in großem Maßstabe, wo unschuldige Per sonen wegen dieses Verbrechens, ohne anscheinende Veranlassung dazu von ihrer Seite, zum Tode gebracht wurden. Das schreckliche Beispiel wurde durch ganz Frankreich, Deutschland und die Schweiz mit Eifer nachgeahmt, und einige Jahre später wurde der Aberglaube von dem höchsten Bischof der christ lichen Kirche sanctionirt. Im Jahre 1488 gab Jnnocenz VIII. das Signal zu einer der abscheulichsten Verfolgungen, welche je die Menschheit schändeten, in dem er eine Bulle erließ', in welcher er alle gute Christen zur Rettung der Kirche vor den offenen Angriffen Satans und seiner sterblichen Verbündeten aufforderte. Seine Ermahnungen wurden von mehreren seiner Nachfolger er neuert, insbesondere auch von dem berüchtigten Alexander V l. Zum Theil gewannen die angeblichen Zauberer und Heren bei dieser Ver folgung, und die Welt drohte in der That das zu werden, was ein erschreckter Dämonologe sie nannte, „ein großes Tollhaus für Hexen und Teufel", um ihre Gaukeleien darin zu spielen. Die wirklich gläubigen Zauberer führ ten gewissenhaft alle anerkannte Ceremonien zur Beschwörung des Teufels aus und glaubten immer zuletzt, daß sie ihr Ziel vollkommen erreicht hätten. Die schlaueren und ungläubigeren begnügten sich damit, die Geheimnisse, deren Besitz sic sich zuschrieben, zur Erschreckung und Beraubung ihrer Nachbarn zu be nutzen. Andererseits vereinigte» sich hypochondrische Junker, erschrockene Bauer», hysterische Mädchen und muthwillige Kinder darin, ihre Leiden und Unfälle der Behexung zuzuschreiben, und bezeichneten gewöhnlich das erste beste alte Weib in ihrer Nähe als ihren Quälgeist. Diese Anklage» wurden von den gesetzliche» Behörden so bereitwillig angenommen und so schonungslos danach verfahren, daß die Zahl der Hinrichtungen selbst den gedankenlosen und aufgeregten Pöbel beunruhigte. Die ärmeren Klassen fingen an, mit Bcsorgniß der Zeit ent-, gegenzusehen, wo Alter und Häßlichkeit sie für das Schicksal, dein sie täglich ihre Nachbarn erliegen sahen, reif machen würden, und an vielen Orten wnr den die gerichtlichen Inquirenten durch das gewaltsame Einschreiten des Volks gezwungen, ihre Untersuchungen aufzugeben. Aber Prälaten und Könige fühlten solche Besorgniß nicht, und die Wuth der Verfolgung wurde täglich heftiger. An zweihundert Jahre nach dem Erlaß der Bulle des Papstes Jnnocenz wüthcte die Manie fort, ohne Spuren der Abnahme zu zeigen. Während des I6te» Jahrhunderts war sie hauptsächlich auf Frankreich und Deutschland be schränkt , in welchen Ländern die Zahl ihrer Opfer nach Hunderttausenden zu berechnen ist. Man kann sich eine» Begriff von der Größe derselben machen aus der Thatsache, daß viele Distrikte zwei-, drei- bis vierhundert Heren jähr lich verbrannten, und daß in einigen die jährlichen Executioncn beinahe ein Prozent der ganzen Bevölkerung vernichteten. Die Anklagen waren von der gewöhnlichen Art, außer im südlichen Frankreich, wo der Glaube an die Lykan- thropie oder an die Verwandlung der Menschen in Wölfe oder Währwölfe be sonders herrschend war. Die Reformation, die so vielen Irrglauben abschaffte, ließ diesen, den gehässigsten von allen, in voller Thätigkeit. Die Kirchen- männcr Englands, die Lutheraner Deutschlands, die Kalvinisten Genfs, Schottlands und Reu-EnglandS wetteiferten an Strenge mit den bigottesten Papisten. Ja, die letztgenannte Sekte, obwohl unter allen die heftigste Geg nerin der römischen Kirche, war gerade in dieser Beziehung die treueste Nach ahmerin ihrer Verirrungen. In Großbritanie» griff das Uebel erst spät um sich. Erst im Jahre >862 wurde die Ausübung der Magie von der Gesetzgebung förmlich für Felonie erklärt. Gegen das Ende der Regierung Elisabeth s war die Zunahme der Hexerei ein Lieblingsthema der Klage und Warnung bei den Hofpredigern geworden- Im Jahre I8SZ fand die bekannte Tragödie der Heren von Warbois statt, welche mit der öffentlichen Ermordung einer ganzen Familie endete, bloß auf die Reden eines wahnsinnigen Mädchens hi». Doch blieb dies eine Zeit lang nur ein einzelner Fall. Der Aberglaube, obgleich im Zunehmcn, hatte noch nicht seine Höhe erreicht, und der scharfe, obwohl ungesuchte Spott des Reginald Scott — eines Mannes, der sich den Ruhm verdient, gegen eine ganze Genera tion für die Sache der Vernunft und Menschlichkeit gekämpft zu haben U- hatte die Wirkung, seinen Fortschritt einigermaßen zu hemmen. Aber die Seuche brach von neuem aus, als Jakob s. den Thron bestieg. Dieser eitle Pedant hatte immer die Zauberei mit besonderem Schrecken betrachtet und fühlte sich sehr geehrt durch die unselige Schmeichelei, welche versicherte, daß er der ge- sürchtetste Feind ihres Bundes sey. Im Jahre 1363-war eine schottische Parlaments.Akte zur Unterdrückung der Zauberei angenommen worden; doch unter der Königin Maria fanden verhältnißmäßig wenig Hinrichtungen statt, obgleich immer noch mehr als in England. Jakob jedoch vermehrte sie schnell bis auf 400 jährlich, eine Zahl, die mehr als das Vierfache des früheren Be- laufs betrug, obgleich sie nicht größer war als die Zahl der Hinrichtungen in vielen einzelnen Städten dcs Kontinents. Jakob präsidirte bei dem berüchtigten Prozeß der Euphemia Macalzean und ihrer Mitschuldigen im Jahre 1891, welcher mit der Hinrichtung von dreißig Personen auf einmal endete. Auch schrieb er eine Abhandlung über Dämonologie, in welcher er die kindischsten Superstitionen der Herenfinder vertheidigte und den Reginald Scott offen des Sadducäismus anklagte, weil er die Möglichkeit des Verbrechens leugnete. Im Jahre 1604, gleich nachdem Jakob den englischen Thron bestiege», wurde eine neue Akte zur Entdeckung und Bestrafung von Zauberern erlassen, und seit dieser Zeit, kann man sagen, hat die eigentliche Verfolgung begonnen. Während des I7te» Jahrhunderts solle» in England allein 40,000 Personen wegen Hexerei hingerichiet worden sey»! In Schottland war die Zahl wahr scheinlich im Vcrhältniß zur Bevölkerung viel größer; denn man weiß, daß noch in den letzten 40 Jahren des I7ten Jahrhunderts die Zahl der Hinrich tungen nicht kleiner war als 17,000. Im Jahre 1634 hat wohl die Tollheit ihren Culminationspunkt erreicht: in diesem Jahr fand der berühmte Prozeß der Lancashire-Hexe» statt, wo acht unschuldige Personen durch die uiizu- sammenhängenden Unwahrheiten eines muthwillige» kleinen Buben ihres Lebens beraubt wurden. Der Bürgerkrieg scheint wo möglich die Verfolgung noch gesteigert zu haben; denn die cnglische» Puritaner und schottischen Cove- nanters waren dem Aberglauben eben so zugethan als ihre Gegner. In den Jahren 1644 und 48 gewann der berüchtigte Matthew Hopkins eine reichliche Subsistenz durch das Gewerbe eines Hercnfindcrs, das er zwar nicht immer ohne Verdacht, aber doch im Ganze» mit großem Erfolge trieb. Und noch zwanzig Jahre später wurde der Aberglauben durch die Autorität der Rechts- gelehrsamkeit sanctionirt; denn es war im Jahre 1664, wo der treffliche Sir Matthew Hale nach einem Prozcß, den er mit seiner gewöhnlichen Geduld und Unparteilichkeit, obwohl gewiß nicht mit seiner gewöhnliche» Unbefangen- hcit führte, zwei Frauen als Heren zum Tode verurtheilte, worauf auch beide hingerichiet wurden. Endlich jedoch, bald nach der Mitte des l7ten Jahrhunderts, fing der Aberglaube an, Zeichen der Abnahme zu zeigen. In einigen Ländern wurde die Reactio» durch den Glauben hcrbcigesührt, daß die Mächte der Finsterniß den allgemeinen Schrecken als ein Mittel zur Vernichtung der Unschuldigen benutzt hälfen, und daß die Herenfinder entweder selbst Zauberer oder diaboli scher Täuschung unterworfen seyen. Diese glückliche Gegen-Illusion brachte in viele» Theilen Deutschlands und auch in Neu-England große Wirkung her vor; in dieser Kolonie brach die Manie um das Jahr 1670 mit plötzlicher Heftigkeit aus und verschwand eben so plötzlich und unerklärlich, nachdem sie neunzehn Leben hinweggerafft. In anderen Ländern wurde de»; Uebel Einhalt gethan durch eine geschickte Anwendung der gewöhnlichen Ucbcrführungsmittel gegen die Dämonologe» selbst. Der Tod dcs Betrügers Hopkins war die Folge eines solchen Verfahrens. Die Bevölkerung von Suffolk, welche lange durch seine Anwesenheit geängstigt worden, kam plötzlich darauf, ihn seiner eigenen Lieblingstortur, dem Waffer-Ordal, zu unterwerfen, und da die Probe unglücklich für ihn ausfiel, so wurde er auf der Stelle getödtet. Ein sehr glückliches Experiment ähnlicher Art wurde gleichzeitig von deni Herzog von Braunschweig versucht, welcher, da er bei dem Verhör einer angeblichen Here präsidire» müßte, sie durch eine geschickte Verwickelung von Fragen dahin brachte, zwei Jesuiten, welche bisher eifrige und bigotte Dämonologen ge wesen waren, als ihre Mitschuldigen anzugeben. Die beiden erschrockenen Priester kamen dadurch zu dem Rcwußtseyn ihrer bisherigen Ungerechtigkeit, und einer von ihnen, Namens Spee, gab eine Schrift über Herenprozesse heraus, welche in Deutschland eine sehr heilsame Wirkung hervorbrachte. In England trat der erste Moment verhältnißmäßiger Abnahme unter dem Protektorat ein. Sir Walter Scott hat dies durch die humoristische Vcr- muthung erklärt, daß man unter einer so unendlichen Menge von Sektjrcrn auch die direkte Verehrung des bösen Prinzips für erlaubt halten mochte. Doch es ist nicht mehr als billig, diese wobltbätigc Veränderung der Vor- urthcilslosigkcit und Humanität Cromwell s selbst zuzuschreiben, welcher, ob wohl sein Andenken durch einige wenige Handlungen grausamer Strenge be fleckt ist, doch in den meisten Fällen eine nnter seinen Zeitgenossen sehr seltene Achtung des Menschenlebens zeigte. Diese gute Richtung dauerte nach der Restauration sort. Prozesse kamen noch vor, aber die Richter nahmen c» mit den Beweisen sehr streng, und daher waren Uebersührungen verhältnißmäßig selten. Dasselbe Resultat wurde in Schottland durch die Bemühungen des berühmten Sir George Mackenzie herbeigefübrt, jenes Feindes religiöser Frei heit, dem die verfolgten Covenanter den Titel des „blutigen Mackenzie" gaben. Die Männer, welche man als die Väter der schottischen Kirche be trachtet, zeigten sich weniger aufgeklärt, als ihre tyrannischen Feinde. Nicht bloß Mackenzie selbst, sondern auch Lauderdale, Rothes, Middleton, Erz bischof Sharpe und fast alle bedeutende Episkopalen wurden von den westlichen Presbyterianern für die vertrauten Diener des Bösen gehalten. Bekannt sind auch die Sagen von dem diabolischen Zauber gegen Stahl und Blei, den der General Dalziel besaß, und von dem kohlschwarzen Pferde, das der Feind der Menschheit dem berüchtigten Grahame von Clavcrhouse schenkte. °) Doch ehe die Krankheit für immer verschwand, sand noch mehr als ein Rückfall statt. Im Jahre t 66» wurden in einem Dorfe DalekarlienS in '> Dal. über diese Männer den Artikel: „Die RcligionS-Bersoünmgen in Schottland" in Nr. »8 des diesjährigen Magazins.