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Wöchentlich erscheinen drei Numnnrn. Pränumeration--Preis 22j Tttbeigr. sh Thlr.) vierteljährlich, Z Tb!r. siir da- ganze Jahr, ohne Erhöhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die ' Pränumerationen werden von jeder Buchhandlung sl» Berlin hei Beit u. Como., Jägerffrake A!r. 25), so wie non allen König!. Post Aeurtern, angenommen. Literatur des Auslände s. . 1/ 121. Berlin, Dienstag den 8. Oktober 1844, Frankreich. Eine neue Ausgabe von Händel's Werken in Frankreich. Bei Gelegenheit einer jetzt bei S. Richault in Paris erscheinenden, von einem wackeren Dilettanten, dem General Baron C., veranstalteten Ausgabe der Oratorien Händel's und einiger anderen klassischen Musikwerke macht ein fran zösischer Kritiker, Herr F. Genin, folgende Bemerkungen über das Leden, den Charakter und die Werke des großen Komponisten, die, wenn die mitgetheilten Thatsachen auch für uns Deutsche nicht neu sind, doch, vermöge ihrer Auf. fafsung, so wie wegen der daran geknüpften Betrachtungen über den jetzt in Frankreich herrschenden musikalischen Geschmack, für Musiker sowohl als Laien höchst interessant sepn dürften: „Händel war ein Mann von imposanter Gestalt, obwohl dabei etwas zu stark, von einer herkulischen Muskelkraft, mit großen, regelmäßigen Zügen, einem etwas schwerfälligen Gang, einer offenen, heiteren und majestätischen Phpsiognomie. Er glich seiner Musik. In der Regel ruhig und phlegmatisch, pflegte er, wenn er einmal aus dieser Stimmung herauskam, einem außer ordentlichen Jähzorn sich zu überlassen. Als eines Tages die Sängerin Cuzzoni sich weigerte, seine Arie s'-üiu imagine in der Oper „Otto" zu singen, ergriff er sie, hob sie ohne Anstrengung voin Boden aus und drohte, sie zum Fenster hinauszuwerfen. Die Sängerin ward von einer schrecklichen Angst ergriffen und sang. Nach solchen Ausbrüchen wurde der Vulkan gewöhnlich wieder ganz ruhig, aber wehe Jedem, der der Lava in den Weg kam. Mit einem solchen Temperament, mitten unter allen möglichen Ver suchungen lebend, verbrachte er seine 75 Jahre in einem strengen Cölibat. Man weiß nicht, daß er je verliebt war; die Musik war seine vorherrschende Leidenschaft, wenn auch nicht seine einzige. Händel erfüllte nur zur Hälfte das Ideal eines Künstlers, von welchem Horaz sagte: ^bsrinuw venere er vino. Er trank außerordentlich gern und viel. Dabei lebte er in einer ge wissen menschenscheuen Zurückgezogenheit, indem er nur drei Freunde bei sich sah: einen Maler, einen Schönfärber und einen seiner Zöglinge. Aber wenn er auch den Bedingungen des ersten Halbverses von Horaz nicht völlig ent sprach, so erfüllte er um so mehr die des zweiten, nämlich: Smlavir er »l«ü. Theuer bezahlte er den Fehler, mit seinem Ruhme das deutsche Vaterland verlassen und sein Genie einem Volke geweiht zu haben, welches notorisch außer Stande ist, die Musik zu begreifen, und die Künstler nichts weiter als bezahlen kann. °) Händel konnte allerdings dem Londoner Findelhause IWO Guineen und seinen armen Verwandten in Deutschland mehr als 100,000 Thaler hinterlassen, aber eS ist darum nicht minder wahr, daß er sich einmal völlig ruinirt sah durch die Feindschaft und die Schikanen des eng lischen Adels, so daß er, ohne Geld in der Tasche, den Sängern seiner Oper für das ihnen schuldige Honorar Wechselbriefe ausstellen mußte. Wie konnte es ihm aber auch einfallen, in England Theater-Direktor und noch dazu im Solde einer Gesellschaft von Gentlemen zu werden! Wie konnte ein bereits berühmter Künstler, ein Komponist, der iy Florenz, am Hofe der Medicis, in Rom, Venedig und Neapel den Sieg davongetragen, wie konnte er, nach neunjährigem Verweilen in Italien, dieses Land verlassen, um sich im Wsten Jahre seines Alters in London, diesem Lande des Nebels, einzu- bürgern! Händel beging diese Thorheit, ja noch mehr; man höre nur: Italien schmeichelte ihm, überhäufte ihn mit Geschenken; die Großherzogin von Tos kana singt in seinen Opern und faßt eine heftige Leidenschaft für ihn. Händel aber kümmert sich nicht um sic; er reist ab, um England zu besuchen. Sein herrlicher „Rinaldo", den er in vierzehn Tagen komponirt, wird dort lau ausgenommen: er erlangt kaum fünfzehn Vorstellungen in fünf Monaten. Georg I., einst ein Bewunderer des Künstlers, grollt ihm wegen des De üemn, das er für den Utrechter Frieden komponirt hatte. Was hätte Händel jetzt thun sollen? Er hätte den Monarchen und sein Land verlassen müssen, um nach Italien oder nach Deutschland zurückzukehren und dort in Frieden die Bewunderung Europa's zu genießen. Aber er thut dies nicht; er bindet sich vielmehr da drüben, er nimmt das Amt eines Kapellmeisters deS Herzogs von Chandos an, und siehe da, jetzt verschwendet er an die Engländer die Früchte seines Genies und sein Talent als Organist, der seinesgleichen nur noch in ') Herr G-nm ist in der Weise de- heutigen jungen Frankreich- etwa- sehr anti- englisch gesinnt, wie aus der Folge des Artikel- noch mehr hervorgeht, doch Ihm die- im Uebrigen seinem musikalischen Urtheil keinen Eintrag. Sebastian Bach fand. Er hätte damals gleich mit dem Dichter sagen können: bios csnim^ surüts (Wir singen tauben Ohren), und wenn er es nicht sagte, so hat er es gewiß sehr bald empfunden. Der Londoner Adel saßt an einem schönen Morgen den Gedanken, eine Oper zu begründen ; man subskribirt, und der König giebt tausend Pfd. Sterl, und ein Eigenschaftswort: d. h. die Erlaubniß, den Namen königliche Akademie führen zu dürfen. Händel, als Theater-Direktor, engagirt die ersten Sänger Italiens. Die Sache ging, und, was noch mehr zu verwun dern, sie ging acht Jahre lang, was für eine aristokratische Caprice so viel wie die Ewigkeit ist. Zu Ende dieser acht Jahre, während welcher Händel zehn Partituren geschrieben hatte, kam die Maschine ins Stocken; die An maßung des ersten Sängers Senesino, die Eifersüchteleien zwischen der Faustina und der Cuzzoni machten, daß der arme Direktor bald begriff, daß es kein leichtes Ding sey, Komödianten zu leiten. Händel, der seiner Truppe weniger Herr war, als es Moliere gewesen, ersucht seine edlen Schutzpatrone, den Senesino zu entlassen, indem er mit der Ursache des Uebels auch das Uebel selbst zu beseitigen hoffte. Die Gesellschaft weigert sich ; Senesino verdoppelt seine Impertinenz, und was ist natürlicher? Von der anderen Seite erbittert sich der Zank zwischen den beiden Sängerinnen auf das heftigste; Orchester, Sän ger, Zuschauer, ja selbst die Direktoren, Alles zerfällt unter einander; die Zwietracht ist im Lager des Agramant, und man sieht sich genöthigt, das Theater zu schließen. Kein Reich, das im Innern zerfallen ist, vermag lange zu bestehen. Wie gewöhnlich in solchem Falle, trafen die Ruinen des Unternehmens das Haupt deS Impresario. Die Adels-Koterie ließ den armen Händel mit einer Schuldenlast von 19,000 Pfd. im Stiche und gründete eine neue Gesell- hhaft, deren Leitung dem Porpora anvertraut wurde. Der geschickte ncapoli tanische Kapellmeister, der Schöpfer der berühmtesten Gesangschule, die es je gegeben, rettet zuerst den Senesino, seinen ehemaligen Schüler, aus dem Schiffbruche Händel'S; demnächst cngagirtc er die Cuzzoni und brachte er aus Italien den merkwürdigsten Sopranisten aller Zeiten, den nachmaligen Premier- Minister Philipp's V. und Ferdinand's VI., den Günstling zweier Könige, der unter ihrem Namen selbst das Land regierte und dielps glänzende Geschick da durch erkaufte, daß er ZK00 Mal, nämlich zehn Jahre lang an jedem Abend, vier Arien, und zwar immer dieselben, seinem melancholischen Souvcrain Philipp V. vorsang. °) Farinelli war eS, ein Schüler Porpora'S, dessen Glück in Neapel und in London bcneidenswerther war, als im Eskurial. Porpora ließ ihn zum erstenmal im „ArtarerreS" von Hasse auftreten, worin der Bruder des Debütanten, Richard BroSchi, eine Arie eingelegt hatte, die den Beifall für ihn entschied und bis zum Enthusiasmus steigerte. Es fing diese Arie mit einem gehaltenen Ton an, dessen Dauer beinahe fünfmal so lang war, als der Ton eines gewöhnlich ausgebildeten guten Sängers, und dies machte auf die Versammlung einen so außerordentlichen Eindruck, daß man den ganzen Abend hindurch aus dem Entzücken nicht herauskam, und von diesem Augenblicke an war Farinelli's Triumph entschieden; man wollte nichts Anderes hören, als Farinelli, und der Enthusiasmus für ihn war so groß, daß eine Hofdame aus ihrer Loge hinunterrief: „ES giebt nur Einen Gott und Einen Farinelli!" Was ward nun aus Händel, diesem unerwarteten Erfolge gegenüber? Händel, der sich dazu mit einem alten Freunde, einem ehemaligen Theater- Direktor, verband, eröffnete eine zweite Opernbühne am Haymarket, im Mittel punkte der Stadt, that dort wahre Wunder im Kampfe mit seinen Nebenbuhlern, unterlag aber doch endlich. Er mußte sich vom Schlachtfelde zurückziehen und dieses seinen siegreichen Feinden überlassen. Das Haymarket-Theater ging an die rivalifirende Gesellschaft über, und Händel, an seinem Rufe schwer verletzt, ruinirt in seinem Vermögen und an seiner Gesundheit, erschöpft durch geistige Anstrengung, niedergedrückt durch moralisches und physisches Leiden, war nahe daran, den Verstand zu verlieren. Glücklicherweise kam er jedoch mit einer Lähmung davon, zu deren Heilung er sich in die Bäder von Aachen begab, worauf er nach London wieder zurückkehrte, welches Letztere allerdings so viel hieß, als Gott versuchen. Er war 52 Jahr alt und hatte bis dahin fast nur italiänische Worte kom ponirt, denn das Englische gut zu sprechen, ist ihm nie gelungen. In den Ausbrüchen seines Zornes soll er gewöhnlich die drei Sprachen, englisch, deutsch und italiänisch, durch einander gemischt haben. Indessen ließ er sich ') Zwei dieser Arien waren von Haffe: l-uinso >1 ,»!» nnd p-r gue»to äolee »m- ple»,o; die dritte war ein Menuei mit Variationen; die vierte kennt man nicht.