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472 einer solchen Höhe, weil man glaubte, der Zufall werde nicht gerade das Schönste gleich zuerst ans Licht gezogen haben, es werde noch Anderes, Schö neres verborgen sepn, und um des willen sey es die Literatur der alten Inder wcrth, daß man sich ihr mit allen Kräften zuwende. Seitdem ist ein halbes Jahrhundert verstossen, und die Resultate des neu erwachten Studiums begin nen nachgerade klarer hervorzutreten , werden nun freilich durch dieselben die anfangs gehegten Erwartungen nicht immer erfüllt, so hat sich doch einerseits die indische Literatur und Sprache in mehreren Beziehungen von so bedeuten- der Wichtigkeit gezeigt, daß sie einen großen Abschnitt in der Wissenschaft be zeichnen, andererseits haben sich doch auch in den Werken der verschiedensten Zeitalter so manche Perlen gezeigt, die cs wünschenswerth erscheinen lassen, die indische Literatur auch in weiteren Kreisen heimisch zu machen. Der oben genannte Herausgeber hat daher den Plan gefaßt, altindische Gedichte der ver schiedenen Literatur-Perioden sowohl ganz, als in ausgewähltcn Theilen dem deutschen Leser mitzutheilen, und hat einer ersten Lese jetzt die zweite folgen lassen. Die in diesem Bändchen enthaltenen Proben gehören de» verschiedensten Zeitaltern Indiens an und umfasse» nach ungefährer Schätzung einen Zeitraum von mindestens dreitausend Jahre», eine Entwickelung in der Zeit, wie sie wohl keines der europäischen Völker aufwcisen kann: sie gehören der epischen und lyrischen Poesie an, und wir finden zuerst Uebersetzungen von Hymnen aus dem Nig- und Sämaveda, die nicht selten große Schönheit zeigen. Wir lernen hier das Leben auf einer Stufe der Entwickelung kennen, wie wir sie sonst nur in den ältesten religiösen Schriften der Juden finden, und es gewährt deshalb durch die große Einfachheit und Natürlichkeit keinen geringen Reiz. Allein, während dort Alles schon von der Verehrung des einen Nationalgottes durch drungen ist, zeigt sich der alte Inder noch den verschiedenen Naturmächtcn zuge- wandt, die er mit sich im Verkehr wirklich erkennt oder denkt, namentlich zeigt er sich dankbar gegen Licht und Feuer und den Rege» sendenden Donnergott, der ihm die lechzende Erde netzt, damit seinen Heerden wieder Gräser und Kräuter sprießen. — Die folgenden beiden Stücke sind den beiden großen Heldengedichten Rämäyana und Mahäbärata entnommen, deren erstes im Urtert leider noch un vollendet, dagegen letzteres in vierQuartbändeu (jeder von etwa 800 Seiten!) zu Kalkutta vollständig erschienen ist. Dieses große Gedicht erzählt de» Kampf der Kuru- uud Pändusöhue, verflicht aber größere und kleinere Gedichte in unzähl barer Menge in das Ganze, und zu diesen gehört unter anderen auch das durch mehrfache Uebersetzungen (auch Rückert s) bekannte Gedicht vom Nalas und der Damajanti. Die bis in den Tob getreue Liebe der Gatti», wie sie in der Sakuntala und Damajanti sich a»fS herrlichste offenbart, feiert auch in der vor liegenden Erzählung von der Savitri (dem Mahäbhärata eutnommen) eine» ihrer schönste» Triumphe. ES ist diese Verherrlichung ein bedeutsamer Punkt der indischen Poesie, die gerade hier ihre duftigsten Blüthcn trieb, weil das gcsammte Leben der Inder eigentlich nie über die Entwickelung der Familie hinauSge- kommcn ist und diese ihre höchste Befriedigung in der Gattenliebc, aus der alles Uebrige folgt, findet. — Die aus dem Nämäjana übersetzte Episode „die Herabkunst der Ganga" betitelt, hat der Herausgeber im Versmaße des Ori ginals, dagegen die Erzählung von der Savitri freier übersetzt und nach Rückert s Weise (im Nal und Damajanti) auch mit dem Reim versehen; indeß muß Referent gestehen, daß er den letzteren doch für die große Einfachheit der älteren epischen Poesie nicht ganz angemessen hält, wenn er freilich zugiebt, daß das Vcrhältniß ein ganz anderes sey als in Uebersetzungen aus dem Grie chischen und Lateinischen. Denn in der späteren indischen Literatur findet sich der Reim oder vielmehr Gleichklang und Alliteration, und beides in einer solchen Ueberschwänglichkeit, daß Verse von je 16 Sylbcn mit einander reimen und in solchen von 32 jede mit demselben Konsonanten anfängt. Man sieht also, die Anlage dazu muß auch schon die ältere Zeit gehabt Haden, und sie zeigten sich auch zuweilen, aber doch selten. Doch finden sich schon in der ausgebildeten Poesie Gedichte mit fortlaufend gereimten Zeilen, und ein solches ist das in der Sammlung folgende: „der zerbrochene Krug"; hier herrscht aber noch das rechte Maß, und der Herausgeber hat glücklich und meist auch leicht ver ständlich nachgebildet. Der Verfasser des Gedichts ist nicht mit Gewißheit bekannt, angeblich soll er eine der neun Perlen an Hofe des Königs Vikramä- ditya gewesen sepn und würde demnach der Blüthezeit der indischen Dichtkunst (Istes Jahrh. v. Ehr.) angchörcn. Die folgenden Gedichte sind aus jüngerer, einige vielleicht aus neuerer Zeit, und in ihnen zeigt sich der scharfe Gegensatz zu denen der vedischcu und epischen Zeit; während dort Alles den festesten, un- wandelbarsien Glauben an die Götter athmet, ist hier der alte Glaube längst entwichen; man hat aus der Masse der Götter einen vorzugsweise ausgewählt dem man seine Verehrung zollt, am Daseyn, den Wundern und Thaten der anderen zweifelt man; währepd der Inder der Veda'^die Götter anruft, daß sie ihn reichliche Früchte ärndten lassen und seine Heerde vermehren mögen, ruft hier der Philosoph Sankara Atschnrya: die Welt mit all ihren Gütern sey eitel und nichtig, weder Freund noch Feind, noch Weib und Kind solle uns kümmern, und nur nach Gleichmut- solle man streben, um dem Vischnu recht bald ähnlich zu werden; während der Inder der epischen Poesie von dem Leben nach dem Tode in Jndra's Himmel träumt, das er sich mit allen sinnlichen Schönheiten und Reizen schmückt, ruft ein Unbekannnter in den unter Bhar- trihari's Namen bekannten Sprüchen aus: Mutter Erde, Luti, Fr-und Licht, Verwandter Wasser, Bruder Aechtt! Sedt i» Ehrfurcht mich ror euch: des Gtüäcs Fülle, So gespendet ihr, ist reiner Glanz entbrochen. Den, die Täuschung wich; nun lös' ich ans mich in daS höchste Wesen! Den Schluß dieser kleineren Gedichte macht ein Traumbuch, das der Herausgeber füglich hätte in Prosa geben können, da all dergleichen Werke in Indien, weil sie vorzugsweise fürs Auswendiglernen bestimmt find, aber auch allein deshalb, in Versen verfaßt werden, und somit auf Poesie sicher keinen Anspruch machen. BemerkenSwerth ist hier wieder die Uebercinstimmung mit dem deutschen Aberglauben; abgebrochene Zähne, ausgefallenes Haar zeigen Armuth und Krankheit an, Mäuse und helllodernde Flammen bedenten Glück. Man hat in Indien auf dergleichen Dinge bis aus den heutigen Tag sehr sorg fältig geachtet und früh Sammlungen davon angelegt, die noch mannigfache andere Uebereinstimmungen zeigen. Als eine der interessantesten möge man noch merken, daß sich die indischen Heren so gut wie die europäischen des Besens bedienen. Am Schluß der Sammlung folgen noch einige Fabeln und Märchen, von denen die letzten hier zum ersten Male in deutscher Uebersctzung erscheinen. A. Kuhn. Mannigfaltiges. — Französisch-belgische Verträge- Belgien soll, um von Frank reich einige neue Zollvergünstigungen und namentlich die Verlängerung der seiner Linnenproduction gewährten Bortheile zu erlangen, demselben einen Köder hingehalteu haben, dem es nicht leicht wird widerstehen können, be sonders bei dem Einflüsse, den in unserer Zeit die Männer der Wissenschaft und der Literatur aus die Leitung der Staatsgeschäfte in Frankreich besitzen. Die belgische Regierung hat nämlich der französischen die Unterdrückung des Nachdrucks angeboten, der bekanntlich in Brüssel und an einigen anderen Orten Belgiens fast nur auf die Geisteserzeuguisse Frankreichs sein Augenmerk gerichtet hat. Bis jetzt hatte die französische Regierung vergebens sich bemüht, bei der befreundeten belgischen ein Verbot des Nachdrucks durchzusetzen,- welchem Verlangen immer entgegengesetzt wurde, daß bei diesem Gewerbe in Belgien zu große Kapitalien und zu mannigfache Interessen betheiligt seyen, um ohne Gefahr durch eine legislative Maßregel einschreiten zu können. Seit dem hat sich indessen herausgestcllt, daß die konkurrirenden Nachdrucker sich gegenseitig noch viel früher als den französischen Buchhandel ruiniren dürsten, und daß, wenn Frankreich noch mehrere solche Verträge wie den letzten mit Sardinien abschließe, der Markt für de» belgische» Nachdruck immer kleiner werden würde, wozu auch noch kömmt, daß das Erperiment, welches Eug. Sue mit dem Buchhändler Kollmann in Leipzig gemacht, insofern ein günstiges Resultat geliefert, als bis jetzt die belgischen Nachdrucke des Suis Lrranr in Sachsen verboten sind, so daß auch Privatvcrträge französischer Schriftsteller mit ausländischen Buchhändlern ausreichend zu sepn scheinen, den Belgiern die Vertreibung ihrer Nachdrucke im Ausland zu erschweren. Alles dies hat wahrscheinlich die belgische Regierung bewogen, jetzt mit jenem Anerbieten hcrvorzutrcten, das in diesem Augenblicke immer noch als ein werthvolles Zugeständniß angesehen werden kann und welches zurückzuweisen — auch wenn dafür erhebliche Gegenkonzcssionen gemacht werden müßten — ein von der Literatur zu seiner hohen Stellung emporgetragcner Minister der auswärtigen Angelegenheiten, wie Herr Guizot, gewiß nicht den Muth hat. Es fragt sich nur, ob nicht das Bedenken, daß der Nachdruck, von Belgien vertrieben, nach Holland oder einem anderen Lande wandern und dergestalt das belgische Zn- geständniß illusorisch machen würde, die französische Regierung, die bekanntlich nicht sehr freigebig mit Gegenbewilligungen in Sachen des Handels ist, auch fernerhin davon zuriickhalteu werde. -Mäßigkeits-Gesellschaften in Nord - Amerika. Zu den Län dern, in welche» die Mäßigkeits-Gesellschafte» wahre Wunder bewirkt, gehört unter Anderem auch der Staat Massachusetts in Nord-Amerika. Die Armen- Tare, die dieser Staat aufzubringen hatte, belief sich noch vor wenigen Jahren auf 200,000 Dollars jährlich. Nachdem die Mäßigkeits-Gesellschaften ihre Wirksamkeit begonnen und Ausdehnung gefunden hatten, fiel im Jahre 1841 dieser Betrag auf 136,000 Dollars und im Jahre 1843 hat er gar nur auf 41,000 Dollars sich belaufen. Innerhalb dieser Zeit sind dort nicht weniger als 30,000 Trunkenbolde gebessert und aus Almosen-Empfängern zu arbeit samen Menschen gemacht worden, so daß nicht bloß diese unglückliche Klaffe selbst, sondern auch die steuerzahlcude Bevölkerung dadurch bedeutend gewonnen hat. In dem Armenhausc der Stadt Worcester in Massachusetts hatten sich noch vor drei Jahren 460 Arme befunden, welche Zahl seitdem auf I I ge sunken ist, so daß sich die Stadt aus Dankbarkeit gegen die Mäßigkeits- Gesellschaft veranlaßt gesehen hat, derselbe» zu ihren Zwecken einen jährlichen Beitrag von sOO Dollars zu votircn. Aehnliche schöne Resultate hat die Sache der Mäßigkeit auch schon in Europa geliefert. Bekaunt ist, welche Wunder Pater Mathews in einigen bisher in sehr übclm Gerüche stehenden irländischen Grafschaften bewirkt hat, wo jetzt kaum ein einziger Trunkenbolv mehr zu finden sey» soll. Aber auch ganz in unserer Nähe lassen sich einige sehr erfreuliche Resultate der durch gemeinsamen Beschluß zur Ehrensache ge machten Mäßigkeit auszcigen. In mehreren vberschlesischen, von sogenannten Wasserpole» bewohnten Distrikten nämlich, wo noch vor wenigen Jahre» die bitterste Armuth, gepaart mit dem ekelhaftesten Schmutze und der brutalsten Gesinnung, herrschte, ist, seitdem einige würdige Landpfarrer an die Spitze der Mäßigkeitssache getreten, der Zustand der Bauer» völlig verändert, und man begegnet jetzt den Anzeichen beginnenden Wohlstandes und erwachender Menschenwürde, wo man den einen wie die andere seit Generationen nicht gekannt hat. Herausgegeben und redigirt von I. Lehmann. Im Verlage von Veit Ll Comp. Gedruckt bei A. W. Hayn.