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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumeration»-Preis 22 j Lilöergr. (t THIr.) vierteljährlich. Z Tblr. für ha» ganze Jahr, ohne Erhöhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Pränumerationen werden von jeder Buchhandlung sw Berlin bei Veit ». Comp., Iägerstraße Nr. 28), so wie von allen König!. Post Remtern, angenommen. Literatur des Auslandes. .4/ 110 Berlin, Donnerstag den 12. September 1844. Polen. .Neber Aristokratie, Liberalismus und Demokratie in Polen. Von Pantaleon Josaphat WolowSki. Die Pseudonpmität deck Verfassers vorgenannter Schrift, welche neben vielen einseitigen Ansichten manches Wahre enthält, hat den polnischen Lesern zu vielfachen Vcrmuthungen Anlaß gegeben. Die Einen halten den Freiherrn von Aresa, den Sohn des früheren Ministers dieses Namens, für den Ver fasser der Abhandlung, da die darin ausgestellten Behauptungen mit den früher von ihm an den Tag gelegten übeteinstimmen; die Anderen übertragen die Autorschaft auf den durch seine im Interesse Rußlands geschriebenen Bro schüren"), so wie durch seine nachmalige wiederholte Erpatriirung, bekannt gewordenen Grafen Adam GurowSki. Für diese Annahme sprechen auch die Aussagen der Personen, die zu dem letztgenannten Publizisten in näherer Beziehung stehen. Allerdings gewährt die Schrift ein noch größeres Interesse, wenn sie von GurowSki herrührt, da sie dann einen Beweis neuer Apostasie dieses Mannes bildet, der einst sagte: „Ich will den Staub von meinen Füßen schütteln, damit mir von dem eklen Leichnam Polen kein Theil an- haste." °°) Die vorliegende Schrift scheint von offenbarer Theilnahme am Schicksale Polens diktirt zu sepn, und die Resultate ihrer Betrachtungen find etwa folgende: „Fall und Erhebung einer Nation liegen rückfichtlich ihrer Ursachen nicht außerhalb des staatlichen Lebens und ihres geselligen Zustandes; das äußere Moment ist nur die Folge innerer Entwickelung; nur im Geiste liegen die Bedingungen für den Untergang und das Fortbestehen eines StaatS; alle Er eignisse und Umwandlungen desselben liegen in jener inneren Nothwendigkeit der staatlichen Entwickelung, deren ursprünglicher Gedanke sich nur hier und da in verschiedenen Formen ausprägt. Theokratie, Absolutismus, Monarchie, Aristokratie und Demokratie sind daher nur die Schattirungen eines Grund gedankens. „In Polen vermißt man solchen Grundgedanken. Zwar repräsentirte der Adel im Staate das politische und moralische Gleichgewicht, aber ihm fällt eine große Verwirrung der Begriffe zur Last, die endlich zur Alleinherrschaft der Magnaten führte. „Polen fiel durch die Verwirrung der Begriffe. Dit Ursachen des Falls haben nur eine gemeinschaftliche Quelle. Die monarchische Gewalt muß von härteren Vorwürfen frei bleiben; denn im Geiste der Wahl und der pset» convems konnte fic nie mehr eine reelle Macht werden. So liegt die Schuld nur in den Ständen, hauptsächlich aber in dem Mangel eines dritten Standes, der die Interessen Polens und dessen Fortschritt würdig hätte re- präsentiren können. ES kam durch diesen Mangel solche Unordnung in die Geschichte, daß der normale Zustand des Landes kaum mehr zu ermitteln ist; der Adel, welcher die nationale Wirksamkeit in seine Hände erhielt und noch heute den zahlreichsten Stand in der Statistik des Gedankens bildet, hatte das LooS de» Landes zu verantworten und kann allein vor Gericht gezogen werden. „Noch hat der Verlust der Macht daS politische Dasepn des Volks nicht untergraben; es beginnt aus ihren Trümmern die Herrschaft des Gedankens, eine Herrschaft, welche sich jedoch noch verallgemeinern muß und heute noch Manchem zu frische Nahrung bringt. ES muß statt des Adels eine dritte Klaffe °°°), die bourgeoisie, das Land repräsentiren, unter deren Auspizien alle Reformen Europa s vollbracht find. Dieses Moment der Erhebung wird eine neue Epoche begründen, in welcher die Macht der Intelligenz wallen wird. Der dritte Stand ist der natürliche Erzeuger des staatlichen Liberalis mus und hat diesen für den Westen erfunden; der Liberalismus Polens, welcher im geselligen Leben — denn ein politisches gab eS hier nicht — aus einer anderen Grundlage entstand, konnte daher nur eine falsche Stellung zur Nationalität einnehmen. Während der Liberalismus im Westen, im Volke geboren, gegen Tradition, Geistlichkeit und Adel kriegerisch auftrat, um die selben zu stürzen, erwachte er in Polen im Adel, fand jedoch nur ein schwaches Echo. Er war nur die Frucht der Nachahmung und kein natürliches Er- ') «.» wu-xio et I» elvN>,Lt>ov; l-a verUc «ur N, kuoolo; E»el«;uc, peu^cc« »er Navenir äe» pnlnuai, etc. --) Vergl. Mauritius' Panslawismus. Leipzig ---) vr. Libelt bat <m „Koll" r» beweisen gesucht, daß Polen eine« dritten Stande« entbehren könne; die Beweise sind mannigfach angefochten worden. zeugniß des heimischen Bodens, deshalb war seine erste Wirkung die Zer- splitterung des Adels. Obgleich aller Adel gleiche Rechte hatte, so nahm doch der weniger vermögende, sogenannte Kleinadel, mit dein Namen der Libe- ralen, eine den Magnaten contraire Stellung an und verfolgte diese Klaffe der vermeintlichen Aristokraten mit Anfeindungen, ohne zu bedenken, daß sie eS gewesen waren, welche die Wissenschaft ins Land gebracht und Polen in einen Zusammenhang mit der europäischen Intelligenz zu setzen gesucht hatten. Aber die Großen hatten ohne Ahnung selbst jene Begriffe im Lande verbreitet, welche sie stürzten; indem sie freiwillig, nicht auf daö Anfordern blutiger Gewalt, wie im Westen, ihren Vorrechten entsagten, hatten sie der Oppo- fitionS - Partei selbst die Waffe gegen sich in Vie Hand gegeben. „So entstand eine Demokratie in Polen, welche im Auslande ihre ersten Wurzeln geschlagen hatte, und wie begreiflicher Weise Gesellschasts-Klaffen nicht von außen her in rin neues Klima versetzt werden können, so konnte da« naturwidrig« neue Prinzip de» Fortschritt des Landes nicht repräsentiren, zu mal der Mangel an politischem Leben verhinderte, daß diese Kategorie als Körper hervortrat. Schon daS erste Erscheinen des neuen Prinzips laborirte an einer Inkonsequenz seiner Logik. Wenn nach demselben die Bedentung des Individuums von seinem persönlichen Werthe abhängt und Geburt und Ver hältnisse ihr« Geltung verlieren, so durfte sich die das Prinzip bekennende Kategorie nicht mehr Adel nennen. Aber eS handelte sich dem Kleinadel nicht um das Wesen der Begriffe, sondern nur um deren Namen; er war ohne alle Vorbereitung für das Erstere, und deshalb konnte das Prinzip nicht zur That werden. Theilweise lag dieses Uebel in den occaflonellen Umständen; denn es fehlte Polen an einer materiellen Grundlage, an Verkehr und Reich, thum, an der Entwickelung eines eigenen inneren Lebens, wodurch ein Zu stand der Unbehaglichkeit erzeugt wurde, der freilich durch ausdauernde Energie bis zu einem gewissen Grade hätte neutralisirt werden können, wenn »S denen nicht an Willen gefehlt hätte, welche die Leuchte des Volks vorstellten. „So bildeten sich lauter schreiende Widersprüche durch die unnatürliche Theorie der Herolde der StaatSgrundsätze, die deren inneres Wesen nicht kannten. Ihre Aufklärung beruhte auf antireligiösen Witzen aus der Zeit Voltaire'- und der Encpklopädificn, und diese fade ReminiScenz war ihr ein ziges Festhalten an der Tradition. Di« politischen Begriffe standen mit den religiös«» auf gleicher Höhe; unter Müßiggang und Süffisance kokettirte man mit Phrasen und Namen ; der nannte sich constitutionell, jener republikanisch, ein Anderer Demokrat, ohne die Kenntniß von dem Wesen aller dieser Theoreme, und ohne die Frage, worin das gesellschaftliche Element denn eigentlich beruhe. Der bequeme SkepticiSmuS aus dem Ende des achtzehnten Jahrhunderts bedeckte seine Blöße mit einer leichtfertigen Negation und hatte nichts, als einige kaltleidenschastliche Schriftsteller, welche deklamirend den Fortschritt predigten. „Die Erziehung der polnischen Jugend auf deutschen Universitäten mehrte nur noch das Phrasenwesen, indem sie abgerissene Brosamen in die Heimat brachte und damit renommirte. Eine Ausnahme von der Regel machten nur die Wenigen, welche sich für eine praktische Laufbahn ausbildetcn; diese können aber der Mehrzahl nichts präjudiziren, und sie find auch nicht die Männer, welche an der Spitz« der Redner stehen. „Der Liberalismus ist heute ein veraltetes GlaubenSbekenntniß und nicht mehr das Stichwort eines wahrhaft Gebildeten, sondern nur das beliebte Spiel einer kl«inen Zahl von Anhängern, deren stumpfer Geist andere Begriffe nicht zu fassen vermag; die engen Formen dieses aufgewärmten Theorems umschließen nicht alle Begriffe über die Bedürfnisse und Richtungen der Menschheit, sondern wandeln fich ewig mit derselben in ihrem Herzen und ihrem Zeitverstande. „DaS heutige Leben der Polen gleicht dem vor zwanzig Jahrhunderten; eS ist ein häusliches und dem Ackerbau anheimgegcbeneS, daher ein sehr ma terielles. Der Liberalismus lebt in den Weinhäusern und auf den Jahrmärk- ten, er biegt die Karte und hetzt daS Wild seiner Wälder. Bei diesem Trei ben schilt er das Bemühen der Aristokratie, Ordnung in den Gedanken und den Fortschritt zu bringen, und hält Hierarchie mit Despotismus, Freiheit mit Unordnung für gleichbedeutende Begriffe. „Noch ungleich lauter als die Liberalen find die Demokraten, welche in ihren äußeren Kennzeichen den Ersteren ähnlich sind; sie theilen mit diesen die Verwir rung der Begriffe und haben für das Land noch nichts Reelles geschaffen. Aber sie haben in Posen, in der Stadt des geistigen Lebens, einen Basar gebaut, worin sie Wein trinken und ihr Gold verspielen! Ist die Freiheit der Bauern aus dem Basar hervorgcgangen? Schwerlich, wenn nicht aus der Sorge der preußischen Regierung. WaS und wo hat an den beiden Usern der ProSna