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WSchenMS, ttlckime» dr-i Nunimcrn. PrSnumkr»lio»S-Preis 22^ Silbcrgr. Thlr.) yierieljährti», 3 Tblr. für das ganze Hadr, ohne ErhSdung, in aüen Lücilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Pränumerationen werden von jeder Buchhandlung (in Berlin bei Veit u. Cvmp., Iägerstrake Nr. 28), so wie von alle» König«. Pog-Aemtcrn, angenommen. Literatur des Auslandes. 107. Berlin, Donnerstag den 5. September 1844. Frankreich. Die Popularität Iasmin's, des Wiederherstellers der Poesie der - Troubadours. Die Völker des Nordens kennen »nr wenig die Macht, zu welcher der Dortrag die Poesie erhebt. Ihre Sprachen sind klanglos und starr; sie sprechen mehr zum Verstand und zum Geist, als zum Ohr und zur Phantasie. Der Süden dagegen, wo Alles strahlt und klingt, strebt in seiner Sprache nach musikalischer Wirkung. Diese Wirkung beschränkt sich aber nicht auf das Ohr, wie man gewöhnlich glaubt; sie hat, wie die Musik, mit der Seele eine ge wisse Verwandtschaft, welcher der Dichter nur zu Hülfe zu kommen braucht, um den poetischen Eindruck hervorzubringcn. Diejenigen irren sich, welche behaupten, die Poesie müsse gesungen werden, um ihre ursprüngliche Macht wieder zu gewinnen: sie braucht nur gesprochen zu werden; denn die Worte haben schon in ihrem eigenen Klang einen Aus druck, der nichts mit dem Ausdruck gemein hat, den die Musik durch die An ordnung und Combination der Töne erreicht. Daher hat auch die Musik dem Vcrständniß der Lieder Berangcr'S mehr geschadet, als zu ihrer Popularität beigetragen. Wenn man durch das Ohr die Massen für die Poesie gewinnt, so geschieht cs sicherlich nicht, indem man die Musik, die schon in den Worten selbst liegen sollte, erst in die Verse htncinträgt; denn dann fesseln die Töne die Aufmerksamkeit, die sich auf die Worte richten sollte. Der Dichter muß, wenn er eine vollständige poetische Wirkung erreichen will, ein Auditorium haben. Um zu wissen, wie viel ein Gedicht durch die Dcclamation gewinnen kann, muß man JaSmin gehört haben. JaSmin selbst ist sich dieser Wirkung bewußt und weiß sie zu benutzen. Seine beiden Ge. dichte, ^Kuglo und ki »»younetto, sind zwar nicht improvisirt, aber sie sind von vorn herein für den mündlichen Vortrag eingerichtet. ES ist namentlich im „Abuglo" eine Verschlingung von Maßen und eine Mannigfaltigkeit von Rhythmen, welche diesem Gedicht einen Ausdruck und eine Körperlichkeit geben, die selbst für diejenigen, welche die Verse hören, aber die Sprache nicht ver- stehen, erkennbar sind. Der materielle Zuschnitt der Phrasen ist von der Art, daß er Schritt für Schritt allen Bewegungen der Leidenschaft folgt, so weit es der menschlichen Stimme möglich ist, sie auszudrücken. So werden die Klagen der jungen Blinden im zweiten Gesang des Gedichts immer eine tiefe Rührung hervorbringen, der man zwar bei der Lektüre, aber nicht beim Hören entgehen kann. Eben so besitzt Jasmin im höchsten Grade die Kunst der Phrasen durch Erclamation, die für die geschriebene Poesie unnütz sind, womit aber der Improvisator und der dramatische Dichter so viel wirken kann. Gerade diese Erclamations-Phrasen sind eS, die einer Ode von ihin an den König eine unwiderstehliche Kraft geben. Iasmin's Hauptverbienst ist es also, daß er instinktmäßig zu den großen Traditionell wahrer Volkspocsie zurückgckchrt ist. Dazu kommt noch die Empfänglichkeit, die er in der Bevölkerung findet. Es ist eine wunderbar vrganisirte Bevölkerung, diese Bevölkerung des südlichen Frankreichs. Die Sonne sendet ihr ihre ganze Gluth, die Erde überschüttet sie mit allen ihren Wohlthatcn. Glückliches Klima, wo die Arbeit für den Menschen weniger eine Nothwcndigkeit als eine Zerstreuung zu sepn scheint! Die Menge liebt hier das Leben in freier Luft: beim geringsten Aufruf ergießt sie sich nach außen, froh ihres Dasepns und der Bewegung. Aus jeder Manifestation ihres Dasepns macht sie ein Fest. Wenn die Zeit der Aerndte oder der Wein lese kommt, ladet man sich durch Gesänge ein und verhüllt die Arbeit unter Spielen und Tänzen; man entledigt sich nicht der Arbeit wie einer Last, man feiert sie, indem man sie durch ein Fest heiligt. Um etwas Unmögliches zu bezeichnen, sagt man dort: „Wer wird während'deS Festes zu Hause bleiben?" Man dürfte nicht daran denken, in diesen belebten Gegenden den Pomp des katholischen Kultus, die läutenden Glocken, die sich entfaltenden Banner, den Glan; der Prozessionen zu unterdrücken. Alles, was die Gestalt eines Schau spiels annimmt, hat eine unwiderstehliche Macht für diese durchaus heidnischen Phantasieen, und Alles, was ein Zusammenströmen der Menge veranlaßt, wird für sie ein Gegenstand des Festes. Indem sich die Menge um den Sän ger auf der Straße sammelt, verwandelt sie ihn zuweilen in einen wahren Künstler: so fruchtbar ist die Begeisterung, die beseelt und die sie weiter fort- pfianzt. Alle Unterschiede deS Ranges und der Erziehung, die überall anderswo so zurückstoßend sind, gehen hier unter in diesem gemeinschaftlichen Dasepn, und andererseits liegt in diesem Rausch, der so lebendig von der Masse auf das Individuum übergeht, Etwas, was die niedrigen und gemeinen Instinkte unterdrückt, um nur die edel« Seiten der menschlichen Natur hervortreten zu lassen. Diese enthusiastischen Bevölkerungen sind es, an die Jasmin sich wendet, und seit bald zehn Jahren werden sic nicht müde, ihn zu hören. Es ist wahr, daß JaSmin alle Eigenschaften besitzt, durch welche ein Künstler Alles über die Masse vermag. Seine Physiognomie ist frei und offen, und sein lebendiger Blick giebt ihr eine Beweglichkeit des Ausdrucks, die im Stande ist, die ent gegengesetztesten Gefühle Ler Seele wiedcrzuspiegcln. Sein Accent, seine Geberde und sein Vortrag stehen in solcher Harmonie, daß jedes Detail der Dcclamation wie ein Gemälde hervortritt. So gelingt es Jamin, der Er zählung das ganze Leben der scenischen Darstellung zu geben, und wir kennen keinen lebenden Schauspieler, der ihm an die Seite gesetzt zu werden der- diente. Wir sahen sechstausend Blicke drei Stunden lang fortwährend auf einen einzigen Menschen gerichtet. Von dieser ganzen Menge hörte man nur Ein Schluchzen oder Ein schallendes Lachen. Diese Herrschaft deS Dichters über alle Individuen, welche die Versammlung bilden, ist unwiderstehlich, so lange die Sitzung dauert. Die Thränen fließen aus den gerührten Augen, der Mund bleibt offen, das Lächeln bildet sich auf den Lippen, und Niemand hat eilt Bewußtscyn davon. Der Dichter giebt sich dieser Menge eben so ganz hin, als sie ihm. Die, welche einmal an diesem Schauspiel Theil genommen, können cs nicht vergessen. WaS uns dabei am meisten hingerissen hat, ist weder die Poesie, noch der Rhapsode, sondern das Publikum, und wir sagten unS: „Glücklich, dreimal glücklich der Dichter, dem eS wie Jasmin vergönnt wäre, für seine erschöpfte Muse die göttliche Quelle wiederzufinden, an welcher der Poet von Agen die scinige gestärkt hat!" Dieses sympathetische Medium, das Jasmin gefunden hat und in welchem allein die Pocsic gedeihen kann, dieses ist es in der That, was unseren Dichtern fehlt. Die Muse hat nicht in sich alle Reize, welche die Phantasie ihr leiht, und sehr oft findet sich der Heerd der Poesie gerade außerhalb des Dichters. Selbst der Musiker, kann er je so viel durch die Musik ausdrücken, als die Menge darin findet? Die Mythologie, diese fleischgcwordene Poesie, verdanken Wir sie den Dichtern oder nicht vielmehr dem gesammtcn Griechenland, das für alles Poetische so trefflich organisirt war? Man suche nur ein Volk, das sich von Geschlecht zu Geschlecht an den eigenen Erinnerungen seiner Geschichte begeistert und die Tradition derselben durch Symbolisirung in Aller Gedächtniß verewigt, und man wird gewiß auch mitten in diesem Volk einen Rhapsoden wie Homer finden, der aus diesem wunderbaren CykluS von Erinnerungen die epische Begeisterung schöpfen wird, oder einen tragischen Dichter, der, wie AeschyluS und Sophokles, alle merkwürdigen Katastrophen, die sich dieses Volk seit Jahrhunderten zu erzählen gewohnt ist, auf die Bühne bringt. ES war sein eigenes Genie, was Griechenland bewunderte, als eS den von seinem Hauch befruchteten Dichtern Beifall klatschte: was bei einer Theater-Vorstellung das Merkwürdigste war, das war nicht jene Poesie, die wir heute noch in den alten Tragikern bewundern, das waren die dreißig tausend Zuschauer auf den Stufen, die sich wie ein Mann bei jedem VerS er hoben, als hätte jeder dieser Verse für diese zarten und reinen Organisationen die Macht eines elektrischen Funkens gehabt. Man könnte sich noch in Athen glauben, wenn man die südlichen Bevölkc. rungen sich diesem edlen Kunst-EnthusiasmuS hingeben sieht, dein heutzutage fast überall die Masse fremd geworden ist. Jenes Interesse zeigt sich nicht bloß für Jasmin, sondern für alle Künstler, und wir sahen, wie einfache Handwerker in den Sommernächten die ganze Bevölkerung einer Stadt nach sich zogen, während sic mit großer Gewalt und Präzision einige Chöre Nossini's oder Mehul's sangen. Seit ziemlich langer Zeit war das PatoiS, trotz der großen HülfSquellen, die es der Poesie bietet, von ihr vernachlässigt worden und diente nur noch zu den groben Bedürfnissen des Lebens. Jasmin ist der Erste in diesem Jahr hundert, der eine seltene poetische Begabung im Dienst des vernachlässigten Patois verwandt hat. Der dankbare Süden hat ihn dafür belohnt, indem er beständig die Liebe zum Idiom auf den Dichter übertrug. Das Patois ist überdies nicht bloß die Sprache des Volkes, sondern cs wird im südlichen Frankreich von allen Klaffen gesprochen. So haben die Worte, die Jasmin mit so viel Kunst und Grazie außerhalb des gewöhnlichen Gebrauchs anzu- wcnden weiß, für seine Zuhörer eine Macht des Ausdrucks erlangt, an die der Dichter nicht immer gedacht hatte; sie erschienen ihrer Phantasie wie eben so viele Gemälde oder Erinnerungen. Man begrüßte sie mit gleichem Entzücken, wie Jean Jacques in fremdem Lande das vielgeliebte Sinngrün, das ihn an seine Kindheit und sein Vaterland erinnerte.