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WöchemUch «scheinen drei Nummern». PrünumeraiionS-Prci» 22z SUbergr. (j Thlr.) vierieüädrlich, Z Wr. sül du» ganze Hahr, ohne Erhöhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Präuumerationtn werden von jeder Buchhandlung (in Berlin bei Veit u. Comp., Iagerstraste Nr. 25), so wie von allen Königl. Bost Acmtern, angenommen. Literatur des Auslandes. M 101. Berlin, Donnerstag den 22. August 1844. England. Das junge England.") Vomix Lnglemü, so nennt sich eine Nuance der Torypartci im Unter hause, doch erweckt sie gerade dadurch Mißtrauen gegen ihre geistige und poli tische Richtung. Denn in welchem Lande wäre dieser Parteinamc gebraucht worden und bezeichnete nicht mißglückte Kühnheit und zerfallene Luftschlösser? Nachdem wir die Erfolge der jungen Schweiz, des jungen Frankreichs, Italiens und Deutschlands gesehen haben, soll es dem jungen England schwer werden, uns von seiner unbesiegbaren Jünglingskraft zu überzeugen. Jndeß, wenn man die gegenwärtige Parlaments-Session verfolgt und sich des kleinen Bür gerkrieges erinnert, den einige Bataillone der Torp-Armee gegen das Kabinet führten, das zwei Mal seine Existenz von seiner eigenen Partei bedroht sah, so darf man wohl vermuthen, daß die unfügsamen Freunde des Ministeriums, die jenes junge England bilden, bald eine reelle Wichtigkeit erlangen und, im Falle die Spaltung im Lager der Konservativen stehend werden sollte, sich zu einer geordneten Fraction konstituircn werden, die sich von Sir Robert Peel, ihrem bisherigen Haupte, lossagt. Gegenwärtig nämlich wird das junge England noch von keiner organisir- ten Vereinigung rcpräsentirt, sondern nur von gewissen Ideen, die in der moralischen Atmosphäre der Torp-Partei hin und her schweben, jedoch einige junge Geister im Unterhause vorzugsweise umkreisen. Wir denken hierbei an die Herren d'Jsraeli, Milnes, Smythe und Lord John ManncrS. Man fasse die parlamentarische Thätigkeit derselben zusammen, und man wird finden, daß sic während der letzten zwei Jahre eine cigenthümlich unabhängige Stellung dem Ministerium gegenüber behauptet haben. Sie gaben allen ihren Reden eine philosophische Färbung, suchten die toryistischen Prinzipien mit den gegen wärtigen Bedürfnissen und Wünschen des Landes in Einklang zu bringen und entwickelten, gegen die Gewohnheit der TorieS, vielerlei philanthropische Ansichten. Durch diese Selbständigkeit und theilweise Vorurtheilsfreiheit der Meinungen kamen die genannten Männer, die mit den übrigen Konservativen bis dahin von Sir Robert Peel auf dem Felde der kommerziellen Fragen zu- rückgchalten und zur Defensive verurtheilt waren, in eine ehrenvolle offensive Stellung den Prinzipien gegenüber, von denen sie bisher angegriffen und zu rückgeschlagen zu werden pflegten. Die Glieder des jungen Englands schienen hierin wohlüberlegten Plänen und einem vorbereiteten Systeme zu folgen, und wenn sie, wie aus dem schlechten Humor der Tories zu schließen ist, durch ihre Ideen eine neue politische Sekte bilden wollen, so mag für sie wohl jetzt der Augenblick gekommen scyn, ihr Banner zu entfalten und offen und kräftig den Toryismus anzugehcn, daß er sich regenerirc. Augenscheinlich dachte dies d'Jsraeli, als er vor zwei Monaten ein Mani fest gegen die bestehenden Meinungen schleuderte, das er „Coningsby" nannte „oder die neue Generation". Die Aufnahme, welche dieses Buch sand, beweist, daß sich der Verfasser über die Zeitgemäßheit seines Versuches durch aus nicht getäuscht hat. ConingSbp ist für diese Saison das Buch in der Mode. Im Mai wurde eS herauSgegebc», und schon ist eine dritte Auflage desselben veranstaltet worden. In den Salons amüsirte man sich damit, den Originalen zu den Personen des Romans nachzuspüren und die Medisancen auszubeuten; von der Presse wurde er weitläufig besprochen und erklärt, und in den leitenden Artikeln der Dime!» und IVIorumg-Obromcl« begegnen wir noch heute mancher Phrase, die sich auf Figuren aus dem Coningsby bezieht, wie auf allbekannte historische Personen. Hinsichtlich seiner Form fällt der Coningsby der literarischen Kritik an heim. Sie soll entscheiden, inwieweit dieser Roman, trotz der Beimischung der Politik, ein Kunstwerk geblieben ist, und wird behaupten müssen, eS sey der Kunst arge Gewalt geschehe». Von dem künstlerischen Standpunkte aus macht diese Vereinigung der Politik mit der Poesie denselben Eindruck, als würden Schießgewehre in einem Orchester benutzt. Die Kunst verschmäht es durchaus nicht, Ausdruck politischer Begeisterung zu werden, denn die Politik ist eine der Färbungen des menschlichen Geistes, unter denen er sich dem Spie gel der Kunst darbietct. Sie wird den moralischen Einfluß nicht übersehen, den die politischen Verhältnisse auf die Menschheit ausüben, aber sie darf die selben nur wicdergeben, wie alle andere Zweige menschlicher Thätigkeit, indem ') Die folgenden Betrachtungen sind an eine Rezension des RomanS or cd« ue«, geuerstiou", von d'Zörüeli, geknüpft und der n-vu- Se» UeuL lUvuäe- entlehnt. sie sie generalisirt und aus ihnen in ansprechender Form ein« Belehrung für alle Zeiten macht. So zeigte sich Shakspeare, als er die berühmte Rede schrieb, die Antonius bei dem Begräbniß Cäsar'S an daS Volk hält, in der Kunst, sich durch das Wort der Massen zu bemächtigen, würdig, selbst O'Connell zu belehren. Nur das darf die Kunst nicht dulden, daß man sie zwinge, vorübergehenden politischen Interessen zu dienen. Wer würde heute Shakspeare lesen, wenn er seine Geschosse gegen die Peel's seiner Zeit gerich tet hätte? Die politischen Komödien Fielding's waren, obgleich sie Walpole stürzten, dennoch schlecht uud sind gerechter Weise dem Vergessen anheim gefallen. Aber Herr d'Jsraeli würde sich lustig über unS machen, wollten wir alle Regeln der Kunst, gegen die er gefehlt, vor ihm ausbreiten und im Ernste Miene machen, ihn zu belehren. Es wäre eine unverzeihliche Zeitverschwcn- dung, wollten wir prüfen, ob er einen guten Roman geschrieben hat. Wir wissen, daß ihm nicht daran lag, ein schönes Buch zu schreiben, und zweifeln nicht, was er gewählt haben würde, wenn man ihm jur Belohnung für sein Werk die Lorbcerkrone des Dichters oder die Siegel des StaatS-SccretairS angeboten hätte. Uebrigens haben wir auch nicht nöthig, uns mehr um das Poetische im Coningsby zu kümmern, als der Verfasser selbst. Wir sind zu frieden, wenn wir cinsehen, waruni d'Jsraeli die Nomanform gewählt hat. ES handelte sich darum, von dem jungen England sprechen zu machen, und dies so viel als möglich, kurz, es in die Mode zu bringen. Dazu mußte man cs in die Welt einführen, zuerst vielleicht bei den Frauen, denn Coningsby selbst lehrt, daß die Hülse der Frauen von den Politikern der jungen Generation nicht verachtet werden dürfe. Nun denke man sich, Herr d'Jsraeli wäre da, wo die Aufmerksamkeit so schwach und so leicht zu verscheuchen ist, mit einem dicken Buche angekomme», in dem er gründlich die Doktrinen seiner Schule entwickelt hätte. Freilich hätte er ausführlich die Finanz-Politik Robert Peel'S, das neue Armengesetz und die Gctraidezöllc besprechen können; aber sein Buch wäre nicht gelesen und er selbst mit seinen schönen Reden nach Westminster gewiesen worden. Der glänzendste Erfolg war eS noch, wenn die Morning- post oder die Mmes aus dem Werke Stoffe zu einigen leitenden Artikeln über die Stellung der konservativen Partei nahm. Dabei aber hätte kein Mensch vom jungen England gesprochen. Kleidete dagegen Herr d'Jsraeli seine Ideen in die Jntrigue und den leichten Dialog eines Romans aus dem vornehmen Leben, so hatte er das Privilegium, die Fragen nur oberflächlich zu berühren und in ihren allgemeinsten Umrissen darzustellen, um sie Allen zugänglich zu machen und Keinem zu verleiden. Ferner kam seinen Ansichten das Interesse zu Gute, das er für seinen Helden durch die Schicksale erweckte, die er ihm andichtete. Er konnte daS schwere Geschütz der logischen und Zahlen-Beweise entbehren ; ein Witz genügt«, die Lacher aus setfle Geilt zu bringen und die Schlacht gewonnen zu machen. Auch ging Herr d'Jsraeli, indem er die Satire zur Waffe wählte, nicht aus der Gewohnheit seines Geistes heraus und durfte darum desto sicherer auf einen glücklichen Angriff rechnen. Uebrigens hat Benjamin d'Jsraeli, Parlaments.Mitglied für Shrews bury und erster Vertreter des jungen Englands, mit dem ConingSbp nicht als Romanschreiber dcbütirt. Vivian Grey, Contarini Fleming, rko ^oung Vuks, Henrietta Temple und Venetia sind frühere Romane dieses Autors, der uns jedoch immer noch sein Meisterwerk schuldig ist. Geht man diese Bücher durch, so sieht man leicht, daß Herr d'Jsraeli nicht für die Nachwelt gear. beitet hat. Wir kennen die Veranlassungen nicht, denen sie ihr Entstehen ver danken; aber mit Ausnahme der Henrietta Temple trage» sie alle die Spuren der Improvisation und konnten sich höchstens während einer einzigen Saison en vogu« erhalten. Der Verfasser begnügte sich damit, errathen zu lassen, was er bei sorgfältigerer Arbeit leisten könnte, und hat sich nie die Mühe ge geben — als etwa in Henrietta Temple —, die Idee, die er von seinem Werthe erregte, zu rcalisiren. Er suchte seinen Ruhm darin, mit der Ge wandtheit, aber auch mit der Nachlässigkeit eines berühmten Mannes zu schreiben, durch gewisse Stichwörter zu verrathen, daß er in den Salons der vornehmen Welt heimisch ist, und neben der Begeisterung sür das Schöne und Edle auch den sprudelnden Witz des modernen ConversationStonS zu zeigen. Warum sollte man ihm auch vorwerfen, daß er seinem literarischen Ruhme zu enge Gränzen ziehe? Wenn man sich einmal entschlossen hat, weder Walter Scott noch Byron zu werden, so mag man sich immer durch seine eigenthüm- lichen Geisteskräfte eine Auszeichnung in der Welt zu verschaffen suchen, wie dies so viele Andere durch die Wahl ihrer Kravatten oder die Stammbäume ihrer Pferde thun.