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Wöchentlich erscheinen drei Nummer». PränumerationS-PreiS 22j Silöecgr. sj Thlr.) vierleljährstch, 3 Thir. für das ganze Jahr, ahne Erhöhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Pränumerationen werden von jeder Buchhandlung (in Berlin dei Veit u. Eomp., Jägerstraßc Nr. 25), so wie von allen König!. Poss-Aemtern, angenommen. Literatur des Auslandes. W' 98. Berlin, Donnerstag den 15. August 1844. England. Ucker das Erstgeburtsrecht und die Majorats-Gesctze in England.") Das Feudal-System wurde in England durch Wilhelm den Eroberer eingeführt, der nach Unterjochung der Angelsachsen das Land unter seine Genossen theilte. Dem Prinzipe desselben zufolge, war die Krone alleinige Eigenthümerin des Bodens, und die Barone und Edelleute, die sie mit Ländereien belehnte, waren dagegen zu niilitairischen und anreren Diensten verpflichtet. Ein ähnliches Berhältniß fand zwischen diesen und ihren Unter gebenen statt; die Vasallen leisteten ihren, Herrn den Eid der Treue, be gleiteten ihn aus seinen Feldzügen, entrichteten ihm bestimmte Abgaben und dursten nöthigenfalls auf seinen Schutz rechnen. Einen nothwendigen Bestand- theil dieses Systems bildete das Erstgeburtsrecht — ein Gebrauch, der, im Vorbeigehen gesagt, aus uralten Zeiten herstammt und dessen auch in der mosaischen Urkunde gedacht wird. Das Lehen mußte einen, Individuum über tragen werden, das alle Verpflichtungen des Vasallen gegen den Lehnsherrn zu erfüllen und die Kraft und Wirksamkeit der Feudal-Rcgicruug aufrecht zu halten vermochte; die Theilung und Zersplitterung des Lehens, die bei gleichen Anrechten der verschiedenen Kinder des Inhabers erfolgen mußte, wäre dem ganzen System verderblich geworden. Der älteste Sohn wurde daher als Erbe anerkannt und die männliche Linie der weiblichen vorgczvgcn. Dieses ist der Ursprung des Gesetzes, das seit dem Jahre I0U6 in England besteht und worauf die Constitution selbst basirt ist, und obgleich die Barone, Ritter und Grund-Eigenthümer nicht mehr zu erblichen Dienstleistungen verpflichtet sind und das Feudal-System schon seit Jahrhunderten zerfallen ist, bleiben die Gründe noch immer gültig, die zu der Einführung jenes Gesetzes Anlaß gaben. Man bezweckte damit, einen Adelstand zu schaffe», der das stärkste Interesse habe, die Stabilität der Landesrechte und Institutionen zu bewahren — der zu gleicher Zeit die Macht und Würde des Staats rcpräsentire und als Vermittler zwischen der Krone und dem Volke handle, indem er vie Willkür der ersteren beschränkt und den unruhigen Geist des letzteren zügelt. Dieser Zweck wird noch heutzutage durch die Erstgcburts. und Majorats- Gesetze erreicht. Man muß jedoch nicht glauben, daß diese Einrichtungen dem Grund besitzer die Macht benehmen, über sein Eigenthum zu verfügen. Im Gegen theil kann auch in solchen Fällen, wo das Land ein Majorat bildet, in Bezug auf welches der jedesmalige Besitzer nur ein lebenslängliches Interesse hat und das er unvermindert seinem Nachfolger überlassen muß, diese Bestim mung durch gegenseitige Uebercinkunft zwischen dem Inhaber und seinem Erben aufgehoben werden swaS cutting oss «lie entail heißt) — in der Regel besteht aber das Erstgeburtsrecht nur darin, daß in Ermangelung eines Testaments die liegenden Güter dem ältesten Sohne zufallen. Wo der Vater schweigt, spricht daS Gesetz für ihn — und dieses spricht zn Gunsten des ältesten Sohns. Das bewegliche Vermögen ist jedoch hiervon ausgenommen, indem die Witwe zu einem Drittel desselben berechtigt ist und der Nest unter sämmtlichc» Kindern getheilt wird. Das Gesetz ist freilich der Zerstückelung der Ländereien in un- zählige kleine Parzellen entgegen, aber es zwingt Niemanden, und man kann mit Sicherheit behaupten, daß die Erstgeburtsrechte in England nicht so sehr durch gesetzliche Bestimmungen als durch die öffentliche Meinung in Kraft erhalten werden. Der gesunde Verstand, der die Grundlage des englischen Charakters bildet, hat die Nützlichkeit dieses Prinzips erkennen lassen. „Es giebt in England eine Grafschaft (Kent)", schreibt Gustave de Beaumont, „die dem feudalistischen Erbsolgerecht nicht unterworfen ist und wo das Gesetz eine gleiche Theilung des väterlichen Vermögens unter den Kindern vorschrcibt. Dieses verhindert jedoch nicht, daß in der Grafschaft Kent eben so wie in Iorkshire die liegenden Güter aus den Erstgebornen übergehen, indem der Vater ihm durch sein Testament den Vorzug giebt, den ihm die Gesetze vcr- weigert haben." Die bloße Abschaffung jener Gesetze würde also nur eine geringe Wirkung hervorbringen, da nicht legislative Verfügungen, sondern ein tiefgewurzeltes ') Wir «heilen hier im Auszüge einen Artikel aus der hloutlUö ir-vle» mit, bei zwar zunächst gegen die Xotl - Lor» - I-LIV gerichtet ist, aber doch zu gleicher Zeit eine liederlich« aller Gründe umsaßt, die sich zu Gunsten der in England bestehenden Primo genitur-Vorrechte, so wie der monarchisch-aristokratischen Negierungsform, ansnhren lassen. Wenn politische Institutionen nach ihren Erfolge» zu benrtheilen sind, so muß man aller dings Anstand nehmen, ein System zu verdammen, unter dessen Einfluß sich da« britische Reich zu einer so hohen Stufe des Ruhm« und der inneren und äußere» Größe er hoben hat. Rationalgefühl dem System zur Hauptstütze dient. Der Anti-Korngesetz- Vercin und die anderen Feinoe des Erstgcburtsrechts könnten daher ihr Ziel nur durch die Einführung eines Zwanggcsetzcs erreichen, welches dem Familien vater die freie Disposition über sein bewegliches uuv unbewegliches Vermöge» entziehen und es gleichmäßig unter seine Kinder verthcilen würde, ohne Rück sicht auf die Wünsche der Aeltern zn nehmen. Es möchte jedoch schwer seyn, das britische Volk zur Annahme eines solchen Gesetzes zn bewegen. Denn erstlich ist das Prinzip des Erstgcburtsrechts mit dem des erblichen König- thums aufs engste verknüpft, und würde man jenes als ungerecht und un natürlich brandmarken, so müßte man auch diesem eine andere Gestalt ver leihen. Zweitens würde dix Ersetzung des Erstgeburts- und Majorats- Systems durch ein Statut, welches bei dem Tode jedes LandcigenthümcrS die gleichmäßige Vcrtheilunz seiner Güter verfügt, zur Vernichtung des Adels, als abgesonderten Staatskörpcrs, führen. Die Zerstückelung der Ländereien würde ihm alle Macht und allen Einfluß rauben und die britische Pairschaft zum bloßen Schatten einer Aristokratie herabwürdigen. Die vorgeschlagene Reform ist alw, beim Lichte betrachtet, nichts Geringeres als eine Revolution, »nd bedingt den völligen Umsturz der englischen Verfassung, deren Vorzüge sich durch die Erfahrung so vieler Jahrhunderte bewährt haben. ES ist zwar nicht zu leugnen, daß der soziale Zustand Großbritanicns an bedeutende» Mängeln leidet, aber eben so fühlbare, wenn nicht noch cmpsindlichcrc Ge brechen sind in Frankreich und den Bereinigten Staaten von Nord-Amerika zu bemerken, wo eS weder Erstgcburts - noch Majorats-Privilegien giebt. Man behauptet indessen, daß die Abschaffung des jetzigen Svstems das VolkSglück wesentlich befördern würde, und daß die gleichmäßige Vertheilung des Bodens für die allgemeine Wohlfahrt unentbehrlich sep. In Frankreich wird die Anhäufung von Territorial-Neichthümern durch die Gesetze verhin dert: nach Gustave de Beaumont, einem der eifrigsten Vcrtheidiger des agra rischen Prinzips, bebauen dort die kleinen Grundeigenthumer ihr eigenes Land und arbeiten zu gleicher Zeit für Andere — bald als gemeine Tagelöhner, bald als Weinbauer — während einige als Handelsleute und andere als Handwerker auf den Dörfern leben. Aber so glücklich und nachahmungswerth man einen solchen Zustand auch finden mag, so wenig ist er dem Geiste der englischen Nation angemessen. Warum, möge uns derselbe Herr von Beaumont auSeiuandersetzen. „Um dieses zn erklären", bemerkt er, „muß man den auf dem Boden Englands aufgehäuften Rcichthum, die künstlichen Einrichtungen, die er hervorgebracht, und die veränderte Gestalt, die er dem Lande verliehen, in Betracht ziehen. Jedes Landgut ist hier ein Kunstwerk, das ein harmo nisches Ganze bildet; cs zu zcrstückeln, wäre fast ein Verbrechen — es ist ein Gemälde von Correggio, das zum Familienerbe gehört; und um nicht ver stümmelt zu werden, muß cS einem Einzigen zufallen. Und diese üppigen und mit ängstlicher Sorgfalt bebauten Domainen sind nicht seltene Erscheinungen, die nian hier und da antrifft; sie bilden vielmchr den allgemeinen Charakter des Landes ; sie folgen sich ohne Unterbrechung von einem Ende desselben -bis zum anderen, während sie durch keine Anomaliecn verunziert, durch keinen Kontrast in ihrer Wirkung gestört werden. Alles ist großartig, prächtig, er haben in den ländlichen Bezirken Englands. Man muß hundertmal diese be- wundcrnswerthen Landstrccken durchreist haben, auf welche die Natur ihre schönsten Gaben, die Betriebsamkeit ihren ganzen Neichthum, die Kunst ihren kostbarsten Schmuck verschwendet hat. Man muß England von London bis Edinburg durchzogen und das bczaubcrndc Schauspiel genossen haben, das sich unter unseren Augen entfaltet, um nicht das Erstgeburtsrecht selbst, sondern das Gefühl zu verstehen, mit welchem es die Engländer betrachten — um die Art Popularität zu begreifen, deren sich ein Gebrauch erfreut, ohne den diese herrlichen Domainen unter der Art des Gleichheits-Prinzips fallen würden, das den Grundbesitz zertheilt und nicderbricht." Es ist nicht allein die Großartigkeit dieser Einrichtungen, die den Eng länder an sic fesselt, da eS dem praktischen Sinne desselben nicht entgehen kann, Wie weit Die Gränzen steh'», die Pracht vom Glücke scheiden. Ek betrachtet allerdings mit Ehrfurcht den schönen Park, in dem schon die sächsischen Könige thronten; er empfindet in ihrer ganzen Stärke die angc- borenc Achtung vor edler Geburt und berühmten Namen. „ES ist eine ehr würdige Sache", schreibt Bacon, „um ein altes Schloß oder Gebäude, wel ches nicht in Verfall g'erathen ist, oder um einen mächtigen, kerngesunden Baum — wie viel mehr denn um ein altes Geschlecht, das den Wellen und Gewittern der Zeit getrotzt hat!" Aber das engliche Volk würde aufhörcn, seine Aristokratie zu achten und deren Bcsitzthum als unverletzlich anzusehen,