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368 Temperatur. Die längeren Nächte erquicken die Erde reichlicher mit Thau, die allgemeine Frische kräftigt die Menschen, daß sie die Mühen ihrer Berufsgcschästc ertragen, und ermulhigt die Thiere, daß sie belastet die Berge übersteigen und den Sand der Ebenen durchwaten. Auch für die Europäer ist der Winter die Zeit der Reisen und Ausflüge. Die Einwohner von Bombay verlassen ihre Insel und machen Wasscrpartieen nach den Grotten von Elephanta und den Höhlen von Salsetta. Manche versteigen sich sogar bis Elora, wo die räthsclhaften Monumente, die einem so hohen Alterthum angehören, daß cs dem Geist schwindelt, nach ihrem Ursprünge zu forschen, den Rjiz eines Wunders üben. Ohne die Inschriften zu verstehen, ohne die Symbole entziffern zu können, glaubt man sich doch wenigstens ans Augenblicke in die Geheimnisse gestorbener Geschlechter eingeweiht und in die Geburtsstätte der Menschheit blickend. Man sey vön Europa gekommen und wolle sich akklimatisiren oder von der Hitze in einer reinen Athmosphäre erholen, so wird man in die Berge von Mahabeliswar over nach der Gegend von Poonah reisen; ja man braucht - nur einige Wochen ven erstickenden Staub Bombay s cingeathmet zu haben, um sich recht nach den Bergen zu sehnen, welche die Bucht, der Insel gegenüber, begränzen. Aber diese Fahrt muß zwischen Dezember und Februar gemacht werden, jenem Winter, der den Indern alle belebende Frische bietet, mit wel cher unser Frühling uns nur sparsam bedenkt. Ein kleiner Fluß ist die Straße, die von Bombay durch die Insel an das Meer führt. Die Ueberfahrt nach dem indischen Festlanve geschieht in reizenden Barken und gewöhnlich des Nachts, da man gern einen Wind benutzt, der dort vom Abend bis drei Uhr Morgens weht. Bald hat man die großen europäischen Schiffe und die schwer fälligen asiatischen Schaluppen hinter sich gelassen, die der Handel zu Hun derten um die englische Pflanzstadt versammelt. Die Ruhe wird tiefer, die Nacht klarer, die'Wcllcn Hüpfen nach den Melodieen, die der Wind rings auf den Inseln ans den Kokosbäunien lockt. Erst zerrissene finstere Felsen, dann ein minder rauhes, tieferes Ufer und endlich die Mündung eines kleinen, ru higen Flusses empfangen die Barke am Festlande. Die indischen Matrosen schlafen, in lange Stücke weißen baumwollenen Zeuges, wie in Leichentücher, gehüllt; der Steuermann singt mit dumpfer Stimme, und aus den Binsen ant- lMrtet ihm der Kranich mit dem Ton einer uachhallenden Thurmglocke. Die Wasservögel schlafen so wenig, als die Gewässer, die keines am Abend von ihrem Lauf und ihrem Gemurmel ausruhen. In Panwell legt man vor Anker. Es ist dies ein wichtiger Handelsplatz, der Bombay mit den Städten des Innern und besonders mit den verschiedenen Mahrattenstaaten verbindet, die jetzt zu dem Territorium der Compagnie ge schlagen sind. Hier langt man zur Zeit der Morgenröthe an, aber noch gehen die Hindu s nicht an ihre Berufsarbeiten, sondern baden und reinigen sich erst nach ihren religiösen Vorschriften mit einer gewissen Weitschweifigkeit. Zn jenen Gegenden, wo die Menschen so vermehrt sind, daß cs scheint, als müßte die Person ihren Werth verlieren, erinnert ein Jeder sich täglich, daß er von Gott stamme, unv sey er aus dem Fuße Bramah'S oder aus seinem Haupte hcrvorgcgangen, sey er zum Amboß ober zum Hammer geboren, immer wird der Hindu seine sterbliche Hülle ehren und für sie sorgen, wie für einen Tempel. Engländer würden jetzt nach den sumpfigen Ebenen vorauseilen, durch welche der Weg von Panwell in das Gebirge führt, um eine Schncpfcnjagd zu veranstalten, die dort die reichste Ausbeute verspricht. Wir Änderet,, deren Fuß das erste Mal das bciligc Land der Inder betritt, werben uns andächtig die Ruinen der alten Festung aus den Zeiten Aurung-ZedS aufsuchen, die IS82 von dem mächtigen Mahratlenfürsten Sambadschi zerstört wurde. Panwell selbst wird uns merkwürdig seyn, da cS kein einziges europäisches Gebäude enthält und den Anblick eines weiten Basars bietet, der rings von schönen Bänmen beschattet ist und von den Karawanen aus dem Innern, von den TambourinS der Bajaderen, dem Geschrei der Bettler und dem Gesänge der Fakir s belebt wird. Von den Sümpfen hinter Panwell aus erhebt sich das Land tcrraffcnsömig bis an das GhauttSgebirge, das sich von dem Flusse Tapti bis an das Kap Konnorin erstreckt. ES ist ein Naturgesetz, daß die Enden der Kontinente, die weit in das Wasser hiueinragen, von einer Gebirgskette, wie von einer Wirbelsäule, durchzogen und gefestigt werden. So geschieht es in Italien durch die Appcnincn, in Süd-Amerika durch die Anden. Die Ghaults reichen nicht in die Schnecrcgion, wie die Anden, aber sic bieten durch ihr terrassenförmiges Absteigen zum Meere ganz das Ansehen derselben, wie sie in Chili sind. Die Berge sind hier und da von Porphyr durchbrochen, auö welchem die indischen Künstler einst ihre kolossalen Göttcrstatucn meißelten. Große Bergkcssel, die wie ausgetrocknctc Scen auSschen, werben von alten breiten Straßen, nach Art bcr römischen, durchzogen und die Straßen von wilden Palmen eingefaßt. Andere verwandte Bäume, meist von einem Fluge schwarzer Geier gekrönt, erheben sich vereinzelt aus einem Kreise dornigen Gesträuchs oder aus dem Bette eines versandeten Bachs. Diesseits der Berge, dem Meere zu, sind die Verhältnisse des Bodens der Kultur wenig günstig, jenseits aber, nach dem Innern des Landes, liegen, mit der üppigsten Vegeta tion verschwenderisch geschmückt, die ländcrgroßen Gärten, die Pfleglinge des indischen Winters. Mannigfaltiges. — Die Eisenbahn von Livorno nach Florenz. Neuerdings heißt cs, daß diese Bahn ihrer Vollendung entgegengeführt werden soll. Be kanntlich war zur Erbauung dieser 13 Meilen langen Linie eine Actien-Gesell- schast mit einem Kapital von R> Millionen Tosk. Lire (ungefähr 7 Millionen Herausgcgkbcn und rcbigirl von Z. 2«h m a n n. Zm y Thaler) zusammcngrtreten; die Ausführung erwies sich jedoch bald sehr man gelhaft, und zwar schob der dabei angestcllte englische Ingenieur alle Schuld auf die toskanischen Architekten, denen bcr Bau nachmals anvertraut worden war. Zn der That hatten dieselben die Schienenlage mehrcremal ändern lassen, indem sie behaupteten, daß das zu den Unterlagen verwandte Cypressen- durch Eichenholz ersetzt werden müsse, welches letztere in Italien sehr selten und daher ungemein thcucr ist. Unzählige Schikanen verzögerten den Fort gang der Arbeiten; kurz, die Fonds und die Zeit, die dazu bestimmt waren, die ganze Linie zu vollenden, reichten kaum hin, die etwa zwei Meile» lange Strecke von Livorno nach Pisa auszubauen. Allerdings waren auch einige Schwierigkeiten hinzugckommen, die man nicht vorhergeschcn hatte und die alle Berechnungen umstießen. So zeigte sich, daß die ganze Ebene von Pisa eben so wie das Arno-Thal angeschwemmteS, sehr kompressibleS Terrain sey, und daß die Schienen überall einer Grundlage von Pfählen bedurfte». Man kann sich denken, wie sehr dadurch der Bau vcrtheuert wurde. Es heißt nun — da nicht wohl anzunchmen ist, daß neue Actionnaire, selbst im Aus lande, für die Vollendung des Unternehmens sich finden werden — der Groß herzog, der gern Alles thut, was zur Verbesserung seines Landes gereicht, und der ein sehr ansehnliches Privatvermögen besitzt, werbe die nöthigen Kapitalien gegen PrioritatS-Aciicn vorschießen. Gleichzeitig läßt eine lucchc- sischc Gesellschaft eine Zweigbahn von Lucca nach Pisa erbauen. In jedem Falle wird die Eisenbahn, bevor sie vollendet ist, der großhcrzoglichen Polizei noch Manches zu thun geben. Zn Florenz, in Livorno und in allen zwischen diesen beiden Stabten liegenden kleineren Orten giebt es nämlich eine ganze Bevölkerung von Vetturini, die sich durch die Eiscnbahncn in ihrem Gewerbe bedroht sehen, und die nun bei ihrer Lcibenschakilichkeit und ihrem Mangel an Einsicht zur Ergreifung dcrjcnigcn Mittel, welche die Eisenbahn ihnen an die Hand giebt, um derselbe» Reisende von allen Seiten zuzukühren, sich die gröbsten Ercesse gegen das neue Unternehmen gestatten. Als die Orcesischcn Diligencen auf der Straße von Florenz, Pisa und Livorno eingerichtet wurden, rotteten sich die Vetturini znsammcn und spannten die Pferde von den neuen Wage» ab, die sie zertrümmerten und in den Arno warfen. Lange Zeit mußte darauf Vie Diligence von einem Dragoner-Piket begleitet werden. Eben so wird auch die vollendete Eisenbahn von ganzen Regimentern bewacht werden müssen, um die Schienen vor den Angriffen der Vetturini zu beschützen. — Der ewige Jude in Spanien. Die spanischen Zeitungen sind hinter den deutschen nicht zurückgeblieben; sic haben nämlich auch eine die andere in der Uebersctzung des suis Lrram, ze nachdem derselbe vom konmku- linnnol geliefert wurde, zu überbieten gesucht. Aber wcnn schon in Deutsch land manche Täuschungen eingctrctcn, indem der bisher erschienene erste Band furchtbar langweilig ist und man doch nun bv» gr<> mal gr« auch die noch zu erwartenden neun Bände übersetzen muß, so sind die Spanier doch durch Herrn Eug. Sue in eine noch viel größere Verlegenheit gesetzt. ES zeigt sich nämlich, daß der -kuis b'rram zugleich eine Art von Feldzug gegen die Zesuitcn und gegen die allzu römische Gesinnung überhaupt sey. Was ist nun in dem trotz aller Revolutionen immer noch gründlich katholischen Spanien zu thun? Sollen sich die Zeitungen dieses Feuilletons halber ihre Abonnenten vertreiben, oder sollen sie , wie sie cs mit George Sand s „Gräfin von Rudolstadt" ge macht, die Eensurschcere nehmen und Alles wegschneiden, was einen religiös- philosophischen humanistischen Anstrich hat? Einer der deutschen Ucbersctzcr, der sich mit dem „ewigen Zuvcn" in einer ganz ähnlichen Verlegenheit be finden soll, wird ihnen vielleicht den beste» Nath ertheilen können. — Der ewige Jude in Deutschland. Einen interessanten Bei trag jur Beurtheilung der deutschen Uebersetzungskunst liefert Herr Direktor Ur. Hitzig, der uns folgende (zugleich in der Vossischen Zeitung, jedoch mit einem sinnentstellenden Druckfehler enthaltene) Notiz mittheilt; Zn dem ewigen „ewigen Juden" von Sue wird die Medaille, deren AvcrS die Inschrift Viceims cke l-, 6. V. -l. trägt, künftig bei de? Entwickelung offenbar eine große Rolle spielen. Welche — das weiß vielleicht der Verfasser selbst noch nicht; gewiß haben aber die Uebersctzcr noch keine Ahnung davon, und dennoch können sie jenen entscheiden den Averö nicht bei Seite liegen lassen. Was hatten sie nun zu thu»? Unseres Erachtens ihn einfach kopiren; wenigstens aber ihn nicht so übertragen, wie cs Hr. W. L. Weschö in seiner, von Sue selbst anerkannten Ucbcrsetzung, E,rstcs Bändchen, Seite 3l>, thut; nämlich „Opfer des L- C. D. I." Denn wenn diese Uebertragung zutreffcn sollte, müßte, was nicht eben wahrscheinlich ist, cs sich so fügen, daß die Anfangsbuchstaben vier französischer Worte, l-. 6.1). I., auch als Anfangsbuchstaben zugleich die vier deutschen entsprechen den Worte bezeichneten, sonst ist „Opfer des L. C. D. I.", wie jetzt zu lesen steht, ein baarer Unsinn. Ein schlimmes Labyrinth, in welches sich Hr. W. L. Wesche verirrt hat. Wir sind begierig, wie er sich herausfinven wird. — Sollen wir übrigens eine Dcrmuthung über die räthsclhafte Aufschrift äußern, so ist cs folgcndc. Die Medaille wird von dem ewigen Juden herrühren. Auf diesen kann die Bezeichnung passen V ictimo ck« I. o. ü. s., wenn man sie also deutet; Viorim« So ia croix sie äöxus? Wäre dies richtig, hätte Herr Wesche den Avers so wivergebe» müssen; „Opfer des K. I. (Kreuzes Jesu)." Doch, dies ist eben nur eine Hypothese — wer weiß, was in der Zeiten Hintergründe schlummert, — nämlich der Zeiten, die den zehnte» Band uns bringen. Hitzig. von Veit Esomch' Gedruckt bei A- W- Hayn.