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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumeration- Preis 221 Sildergr. (j Thlr.) vierteljährlich, 3 Thlr. für da« gonzeIahr, ohne Erhöhung, in allen Theilen der Preufiischen Monarchie. Magazin für die Pränumerationen neiden von jeder Buchhandlung (in Berlin bei Veit u. Com»., Iägerstraök Nr. 28), so wie von allen König!. Post Aemtern, angenommen. Literatur des Auslandes. 84. Berlin, Sonnabend den 13. Juli 1844. Spanien. Zur Geschichte Don Juan's in Spanien und in anderen Ländern. Es ist wohl die Frage aufgestellt worden, von welchen Büchern man glaube, daß sie zum Zweck der Wiederbelebung einer neuen geistigen Welt bleiben müßten, wenn alle andere untergingen. Einige haben da die Bibel, den Homer und Goethe'S Jaust, Andere die Homerischen Gesänge, die Dramen Shakespcarc'S und eine Anzahl Goethescher Dichtungen genannt, wieder Andere noch andere Werke, je nachdem sie nach eigenthümlicher Stimmung oder Uebcr- zeugung das Höchste auf dem Gebiete des geistigen Lebens erkannt zu haben glaubten. Sollte man eine ähnliche Frage auf die Schöpfungen der Ton kunst anwendcn wollen, so braucht man kein tief Eingeweihter zu sepn, um zu errathen, daß im Gebiete der Musik, mit Ausnahme der geistlichen oder Kirchenmusik, Mozart s Don Juan oben an stehen würde, und daß die Liebhaber wie die Kenner der Musik iu Deutschland von der Herrlichkeit dieser Oper eben so erfüllt sind, wie das deutsche Volk von der Vorzüglichkeit der Werke seines unsterblichen Schiller. ES hieße nun Eulen nach Athen tragen, wenn man zum Lobe jenes mannigfaltigen und gewaltig bewegten musikalischen LebensbilveS voll deutscher Sinnigkeit und italiänischcn Schmelzes ein neues Lied erheben oder schildern wollte den süßen Zauber verbrecherischer Sinnlich keit, den Taumel frecher Lust, die klagende Sehnsucht reiner Liebe, den Schmerz blutig verletzter kindlicher Liebe und beleidigter weiblicher Ehre, die Wuth und die Drohung der Rache, den frechen Trotz des UebermuthcS und daS Grauen der beleidigten Geisterwelt. Alles dies" bildet von den ersten Akkorden der glanzvollen Ouvertüre an ein Gemälde, in welchem alle zarte und starke, reine und unreine Bewegungen des GemütHS durch einander gehen und einen inneren Aufruhr hervorbringen, der sich mit einem überwältigenden, ahnungsvollen Schauer endigt, wozu das letzte Finale, nachdem eS erst in frevelnder Lustigkeit angegangen ist, das Werk herrlich zu einem Ganzen abrundct. Alle diese Vorzüge sind hinlänglich bekannt und von den tüchtigsten Kennern in das rechte Licht gesetzt worden, am geistreichsten, aber auch am kühnsten, in E. T. A. Hoffmann s phantasiereicher Skizze des Don Juan. Es ist übel, daß jenes südliche, glühende Kolorit, welches dort Hoffmann, dem großen Tondichter nachempsindend, i» seine Schilderung") gelegt hat, wohl den Wenigsten von denen bekannt geworden ist, die auf deutschen Theatern in der Mozartschcn Oper beschäftigt sind. Läßt sich also über die Musik der Oper wenig Neues sagen, so dürfte dagegen wohl der Held derselben einer genaueren Betrachtung werth und eine Abhandlung über die ursprüngliche Sage vom Don Juan und über die Abwandlung, welche sie in den verschiedenen Bear beitungen oder Nachahmungen erfahren hat, den Freunden der Tonkunst nicht unangenehm sepn. Eine solche nun haben wir auf den nachstehenden Seiten zu geben versucht. Die Geschichte vom Don Juan findet sich in den Chroniken von Sevilla und lautet im Wesentlichen, wie folgt. Don Juan Tenorio, aus einer be rühmten Familie der sogenannten Vierundzwanziger in Sevilla, brachte in einer Nacht den Komthur Ulloa umS Leben, nachdem er dessen Tochter ge- waltsam entführt hatte: der Komthur ward in dem Kloster San Francisco beigesetzt, wo seine Familie eine Kapelle besaß-, diese Kapelle und die Statue des Komthurs wurden etwa um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts durch eine Feuersbrunst verzehrt- Die Franziskaner, welche schon lange dem Ueber- muthe deS Don Juan eine Strafe zugedacht hatten sdenu seine hohe Geburt schützte ihn vor der gewöhnlichen Justiz), lockten ihn in einer Nacht unter falschem Vorwande ins Kloster und raubten ihm daS Leben, indem sie sogleich das Gerücht verbreiteten, Don Juan habe sich an deS Komthurs Statue ver- griffen und sep dafür von ihm in die Hölle gestürzt worden. Diese Erzählung bildet die Grundlage des ältesten Drama'S von Don Juan, welches die spanische Literatur besitzt. ES ist dies el burlaäör üe Sevilla, d. h. der Verführer von Sevilla, von Tirso de Molina. Dieser dramatische Dichter verdient eine ausgezeichnete Stelle neben Spaniens be- rühmtem Lope de Vega, wofür auch der Umstand zeugt, daß sich seine Stücke noch bis in die letzte Zeit auf den spanischen Bühnen erhalten haben, während die Dramen Calderon's und Anderer von denselben längst verschwunden sind. Bon Tirso's LebenSumständen ist selbst in Spanien wenig bekannt, und der Fleiß deS LiteratorS Ochoa hat nur auffinden können, daß Tirso im Jahre 1620 in das Kloster der heiligen Jungfrau von der Gnade zu Madrid ging, als er bereits sein fünfzigstes Jahr zurückgelegt hatte, woraus sich schließen läßt, daß er etwa 1870, sieben oder acht Jahre nach Lope, geboren ist. Im Jahre 1643 ward er zum Eomendador des Klosters zu Soria erwählt, wo er, wahrscheinlich 1648, starb. Er war also Geistlicher; es wird berichtet, daß er Magister der Theologie, Prediger, Beisitzer des OrdenS-GeneralS ge wesen sep und eigentlich Gabriel Tellez geheißen habe. Tirso de Molina war sein Schriftstellcrname, unter dem er zahlreiche Dramen und Novellen, „die Obstgärten von Toledo" (Io8 cigarrnles cke ll'oleäo) verfaßt hat, die in den Jahren 1616 bis 1636 in Madrid erschienen sind und von denen ein Theil noch ungedruckt ist. Unter die Zahl seiner Dramen gehört auch Don Juan, ein Stück, daS sich durch die energische, in Licht und Schatten kräftig ab wechselnde Zeichnung deS Helden, durch den blendenden Farbenschmelz der Situationen und überraschenden Wechsel, und durch eine eben so geschmeidige als kraftvolle Sprache in hohem Grade auszeichnet, so daß es der Uebersetzung vollkommen würdig war, die neuerdings C. A. Dohrn mit großem Glücke") gegeben hat. Das Stück, in welchem der Dichter uns das wahre Wesen des romanischen Lebens darstellt, zerfällt in drei Tage (jornsckaz), welche die gewöhnlichen Ab schnitte sind. In den ersten Scenen des ersten Tages hält sich Don Juan in Neapel auf, wohin er aus Spanien wegen seiner Liebeshändel verbannt ist. Aber er treibt hier den alten Unfug fort. In nächtlicher Stunde verführt er im Palaste des Königs von Neapel die Isabella, die Braut deS Herzogs Octavio, die in der Dunkelheit in ihm ihren Geliebten in den Armen zu halten glaubt. Erst an der Stimme erkennt sic den kühnen Betrüger, verräth sich aber durch ihr Hülfrrufen selbst dem Könige, welcher dem spanischen Gesandten, Proro Tenorio, Lon Juan's Oheim, befiehlt, den Verwegenen einzufangen. Dieser aber will ihn au« Verwandtenliebe, und weil sich der Ncffe ihm so edel und ritterlich ergiebt, retten; Don Juan benutzt die gute Gesinnung und springt aus den Fenstern des Schlosses in die unten stehenden Kastanien, so daß Don Pedro sich durch dies plötzliche Entweichen beim Könige entschuldigen kann. Dann weiß derselbe auch den Verdacht auf Octavio zu lenken und ist diesem ebenfalls zur Flucht nach Spanien behülflich, um genaueren Erkundigun- gen zu entgehen, wenn er verhaftet würde. Aus der Flucht leidet Don Juan Schiffbruch mit seinem Diener Catalinon (dem Leporello der Oper), dem der Dichter einen solchen Ausdruck von Gutherzigkeit, Schelmerei, Lüsternheit und ironisircnder Frechheit gegeben hat, daß er vollkommen würdig ist, der Diener dieses Herrn zu sepn. Die Wellen treiben Beide an einen stillen, friedlichen Fischerstrand, und man fühlt aus der reizenden Darstellung in der achten Scene des ersten Tages sich von dem südlichen Hauche der Landschaft von Tarragona angeweht: es ist Morgen, fern aus dem Meere taucht die Sonne auf, „licht durchglüht und blitzend rollen die sapphirblaucn Wogen zum Ufer." Hier wohnt die reizende Fischerin TiSbea, die alle Huldigungen der Männer aus der Um gegend verschmäht ; sie rettet und unterstützt — eine zweite Nausikaa — den Don Juan, und dieser untergräbt zum Lohne freventlich den süßen Frieden des Mädchens. TiSbea erliegt seinen Verführungskünsten; ihre Schönheit und hin- gebende Lieblichkeit können Don Juan nach dem Genüsse nicht mehr fesseln. Auf TiSbea'S eigenen Rossen entflieht Don Juan hohnlachend — was eigent lich dem spanischen Ritter wenig ansteht — und die Verlassene bricht in die lautesten Klagen aus, die, so wie die ganz« Darstellung dieser LiebeS- und Fischer-Scene, eine durchaus wahrhafte, von dem frischesten Leben erfüllte Dich tung sind. Der zweite Tag zeigt uns Don Juan wieder in Sevilla. Aber auf die Klag« von Neapel her wird er einstweilen nach Labrija verbannt und soll sich dann mit der von ihm beleidigten Isabella verheiraten; dem nach Sevilla ge kommenen Octavio bestimmt der König zur Gattin des Gonzalo von Ulloa, Groß.Komthur vom Calatrava-Orden, Tochter Anna, ein Mädchen, der zur Mitgift worden, Wal man an Tugend nur sich wünschen kann, Und wunderschön ist sie wie Ros und Lilien, In Wahrheit nenn' ich sie Stern von Kastilien. Dadurch wird Don Juan, in dem Octavio seinen Frind nicht erkennt, schon auf diesen Phönir der spanischen Schönheiten aufmerksam, noch mehr aber durch den MarqueS de la Mota bestärkt, einen Genossen seiner Ausschweifungen, der ihm eröffnet, wie er von Donna Anna geliebt sep, sie aber von dem Vater gehindert werde, die Seinige zu werden, da der König ihr einen anderen Mann gewählt habe. Zwischen den beiden Männern beginnt nun eine wahre Roue- Unterhaltung von einer Freiheit der Rede, daß eine deutsche Bühne sie würde "1 Sie steht in den Phantasiestütken in Callot's Manier I. 117—I-I. "1 Spanische Dramen. Th. 1. Berlin i»-l.