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332 und feinerer Sitte wird das Amt eines Verwalters im galizischen Podolien nicht anvertraut; denn er muß zugleich der despotische Herr seiner Unter gebenen und der niedrigste Diener seines Herrn sepn können, dem er schmei chelt, Geheimnisse zuträgt, vor dem er nie eine Meinung hat und zu dessen Füßen er sich krümmt. Aber außerhalb des Hauses ist dieser sogenannte Oekonom den Bauern gegenüber ihr absoluter Gewalthaber, weil der Herr sich um die Wirthschaft, die er entweder nicht verstehen will oder mag, durchaus nicht kümmert, da seine Zeit der Jagd, dem Spiel und den Festen gehört. Unter den Augen des Ockonomcn muß der Bauer an der Arbeit des Herrn seinen Schweiß vergießen; er muß statt der drei pflichtmäßigen Schaarwerks tage von einem Sonntage bis zum anderen für eine Entschädigung von ein paar Loth Salz oder einem halben Quart Branntwein arbeiten, während er für seine eigene Aerndte nur die kurzen Mondnächte und die Sonntags-Nach mittage übrig behält, wenn er nicht in dieser Zeit Straf-Arbeiten zu verrich- ten oder bei dem Gctraide seines Herrn Wache zu halten hat. Die eigene Aerndte geht ihm also oft gänzlich verloren. Dabei verfährt man gegen ihn, wenn er das Interesse des Herrn vernachlässigt, oder sein Vieh demselben einen Schaden angerichtet hat, mit der grausamsten Strenge, sollte er auch vollständigen Ersatz geleistet haben. Körperliche Züchtigung kommt bei den geringsten Anlässen in Anwendung. Auch der Oekonom bedient sich der schwache» Kräfte der Bauern; denn auch er hat eine Wirthschaft, die ihm unentgeltlich von seinen Sklaven bestellt werden muß. Wollte man gegen ihn klagen, so würde man vom Herrn an ihn zurückgewiesen, und man verschlimmerte sich nur seine Lage. Aber Herr und Oekonom sind nicht die Einzigen, welche das arme Volk bedrücken und aussaugen. Es kommt noch der Inhaber der Dorfschenke, ein Jude, hinzu, der durch den Bauer und für den Herrn lebt. Er hat mit dem Gutsherrn feste Kontrakte, wonach aller Bedarf an Branntwein von den Dorfbewohnern bei großer Strafe von ihm entnommen werden muß. Zu diesem Behuf hat er seine Spione, welche den Schleichhandel verhindern, resp. bestrafen. Hat der Bauer entweder an den Herrn, oder den Oekonomen, oder den Juden eine Forderung, so muß er sich mit Branntwein abfinden lassen ; will er sich verheiraten, so crtheilt der Herr nicht eher den Erlaubniß- schein, als bis der Bräutigam bei dem Dorfschenkcr, je nach seinem Ver mögen, Branntwein entnommen hat, dessen Quantität ihm vorgeschricbcn wird und oft 100 Quart erreicht. Auf diese Weise wird das Volk gewaltsam zur Unmäßigkeit gezwungen, und es herrscht neben der größten Armuth die tiefste Dummheit und Immo ralität. Es kommen viele Diebstähle vor, die zwar der Herr gewöhnlich mit der härtesten Grausamkeit inquirirt, aber nicht verhindern kann. Die Regierung hat überall Dorfschulen für Knaben eingeführt, aber sie kann nicht wissen, wie das Schulwesen in den Dörfern betrieben wird. Der Lehrer, welcher Kantor der Kirche und aller Bildung fremd ist, giedt seinen Zöglingen, die sich in seiner Wohnstube befinden, die Sccnen von Trink, gelagcn und Skandalen preis: Alles, was er lehrt, sind ein paar Kirchcn- gcsänge. Für Mädchen gicbt cS keine Schulen; vielleicht ist dies auch besser. Diese Schilderung der Armuth, Unwissenheit, Immoralität und des gc- lammten Elends der galizisch-podolischen Bevölkerung ist keine Ucbcrtreibung, sondern aus der Anschauung der wirklichen Zustände entnommen, und es würde uns beim Hinblick auf dieselben an allem Tröste fehlen, wenn wir nicht überzeugt wären, daß eS dem kräftigen Arme der Regierung bald gelinge» wird, alle jene Leiden zu mildern. (Or?üow»ik.) Mannigfaltiges. — Bonaparte gegen den Pauperismus. Der Prinz Napoleon LouiS Bonaparte hat aus seinem Gefängniß eine neue Broschüre erscheinen lassen, und zwar diesmal über die große Frage unserer Zeit, über den Paupe rismus, über die Ursachen, die denselben erzeugen, und über die Mittel, ihn zu beseitigen. °) Die Ursachen sind nach ihm: die Zerstückelung des Bodens, die ungeregelte Konkurrenz in der Industrie, der Mangel an Absatz im In- und Ausland, und die schlechte Vertheilung oder schlechte Verwendung der Steuern. Es versteht sich von selbst, daß der Verfasser seine Untersuchungen auf Frank reich beschränkt. Das Mittel, das er vorschlägt, ist die Anlegung von acker bauenden Kolonieen. Dazu sind drei Dinge erforderlich: eine oder mehrere Bodenstrecken, ein Anlegungs-Kapital und eine Organisation. Der Boden soll von den 9,190,000 Hektaren unbebauten Landes, die es in Frankreich gicbt, genommen werden. Das vom Staate vorzuschicßende Kapital würde nach den Berechnungen des Prinzen ZOO Millionen Franken betragen. „Nach Verlauf von vier Jahren würden die Kolonieen, während sie einer großen Zahl von Arbeitern Unterhalt gewähren, schon einen Gewinn abwcrfen. Nach zehn Jahren würde die Regierung eine Grundsteuer davon erheben können, welche die Interessen ihres DarlehnS übersteigen würde, nicht zu gedenken der natür- lichen Vermehrung der indirekten Auflagen, deren Ertrag immer mit der Con- sumtion steigt, welche selbst wieder in demselben Maße, wie die allgemeine Be- haglichkeit, zunimmt. „Was die Organisation betrifft, so schlägt der Verfasser vor, die arbeitende Klaffe in eine hierarchische Corporation zu organifiren, mit Chefs von verschiedenen Graden, die frei von ihr erwählt und sie der Regie- ') Lxbiuotiou pauperisme. Par le Prives Napoleon L.oui« Louaparbs. rung oder den Privat-Jndustricen gegenüber vertreten würden. „Nach Verlauf von fünf Jahren", sagt er, „würden diese Kolonieen 206,400 Familien und 183,166 unverheiratete Arbeiter zählen und so wenigstens die zahlreichsten Elemente des Pauperismus absorbirt haben." „Ein Theil des Ertrags der Kolonieen", fügt er hinzu, „wird die Mittel gewähren, das Kapital der Asso ciation fortwährend zu vermehren durch den Ankauf neuen Bodens; dies ist einer der Hauptvortheile unseres Projekts; denn jedes System, das nicht die Mittel zu beständiger Erweiterung in sich schließt, ist mangelhaft. Es kann wohl für den Augenblick einige gute Resultate herbeiführen, aber wenn die Wirkung, auf die cs abgesehen war, realisirt ist, dann stellt sich der Uebelstand, den man aufheben wollte, aufs neue ein. Hier dagegen werden die acker bauenden Kolonieen immer im Stande sepn, ihr Gebiet zu erweitern und neue Arbeiter zu beschäftigen. Wenn cs in Frankreich keinen hinreichend billigen Boden mehr giebt, so wird die Association Kolonieen in Algier, in Amerika anlegcn. Sie kann sich einst über die ganze Erde ausbreiten; denn überall, wo ein Morgen urbar zu machen und ein Armer zu ernähren sepn wird, wird sie mit ihren Kapitalien und ihrem Heer von Arbeitern zur Stelle seyn." — Frankreich und Marokko. Folgende Notizen über die inneren Verhältnisse in Marokko, die wir der Uevue ües äeux )luiul«8 entlehnen, sind, wenn sie auch die Farbe der französischen Partei-Ansicht tragen, unter den gegenwärtigen Umständen nicht ohne Interesse: „Das Volk ist in Marokko roher und unwissender, als in irgend einem anderen muhammcdanischcn Lande und deshalb für den blindesten religiösen Fanatismus empfänglich. Der Kaiser erhält nur mitMühe und Gefahr sein Ansehen aufrecht, zumal seine beiden Staa ten, Fez und Marokko, da sie weder gleiche Sitten noch eine gemeinsame Ge schichte haben, kein Ganzes ausmachen. Ein gesetzmäßiger Zustand herrscht nur in derjenigen Gegend, in welcher Muley-Abdcrrahman residirt. Er soll klug und gewandt sepn, aber nur, wo er gegenwärtig ist, findet er Gehorsam; ist er diesseits des Atlas, so hat man sich jenseits desselben von ihm losgesagl, und umgekehrt. Es fehlt an einem Ccntrum, das mit allen Punkten des Landes in Verbindung steht, und daher kann es geschehen, daß die einzelnen Stämme in den verschiedenen Gegenden des Reiches ungestraft in offenem Kriege mit einander leben. Die Schuld dieser Ohnmacht trägt, neben dem Mangel einer geregelten Verwaltung, die geringe Anzahl zuverlässiger Soldaten, die dem Kaiser zu Gebote steht. Dieselben sind Neger und nur halb disziplinirt. Wie Mehmed Ali, hat Muley-Abderrahman längs der Küste des mittelländischen MeercS, die ihm noch am ergebenste» gesinnt ist, das Handels-Monopol an sich gerissen. Fez aber, die alte heilige Hauptstadt des gleichnamigen Königreichs, ist noch bis heute nicht völlig unterworfen und hintertreibt durch seinen Einfluß auf die gläubige, den alten Traditionen anhängendc Masse des Volkes die Eentralisation des Reiches, so daß der Kaiser genöthigt worden, seinen älteste» Sohn als Statthalter in die rebellischen Provinzen zu schicken. Hier war cs auch, wo Abvclkadcr seine Verbindungen anknüpfte und für den Sultan von Marokko ein gefährlicherer Rival wurde, als alle diejenigen, welche ihm seit zwanzig Jahren den Thron streitig gemacht haben. Das Königreich Fez, das sich vom Fuße des Atlas bis an die französisch-algierischc Glänze erstreckt, ist der Hccrd dieser mehr religiösen als politischen Aufregung, die der ehr geizige Emir, der Held und Märtyrer deö Islams, Angesichts des Kaisers im Namen des Propheten unter den Stämmen hervorruft. Von diesem Gesichts punkte aus müssen die Ereignisse betrachtet werden, welche jüngst im Westen von Algerien sich zugetragen. Es handelt sich also in Frankreich nicht darum, der marokkanischen Regierung gegenüber Recht zu behalten, denn diese ist nicht weniger in Sorge über Abdelkader und seine Jntrigucn, als Frankreich selbst, sondern eine fanatische Coalition soll besiegt und der gute Wille des Kaisers, Frieden zu halten, unterstützt werden. Nichts wäre den Franzosen leichter, als Tanger und Tetuan zu bedrohen und auf den Werften von Larache und Rabat die wurmstichigen Ueberreste der marokkanischen Marine zu zerstören, aber würde dies ihre Angelegenheiten in den Provinzen Fez und Tafilet fördern? Abdelkader würde man nicht schwächen und dem Kaiser noch mehr die Hände binden. Hierin liegt das ganze Problem, aber cs kann nur den Ereignissen überlassen werden, dasselbe zu lösen. Der Krieg wird nicht mit dcm Herrscher, sondern mit seinem Rivalen und dem Volke geführt, und die Unter handlungen geschehen mit einer Regierung, die augenscheinlich keine Macht hat, ihre Zugeständnisse zu erfüllen. Aus diesen Gründen scheiterten auch die Vcrmittelungsversuche, die England so rasch bei der Hand war, zu machen. Dafür aber hat die englische Intervention den französischen Interessen nicht wenig geschadet, indem sie die Differenz zwischen Spanien und Marokko beilegte." Die genannte französische Zeitschrift behauptet übrigens, daß der mit dem Kommando der nach Marokko gesandten französischen Flotte beauftragte Prinz von Joinville dieses Kommando gegen die ursprüngliche Absicht des Ministeriums erhalten habe, welches dasselbe dem Contre-Admiral Parseval- Dcschenes hatte anvertrauen wollen. Der Prinz sey jedoch au die Direction des französischen General-Konsuls in Marokko, Herrn Denion, gebunden, welcher seinerseits so gemessene Instructionen von Herrn Guizot erhalten habe, daß dem Ersteren wohl schwerlich ein Feld zu seiner Thatenlust sich öffnen werde. Hierbei Titelblatt und Inhalts-Verzeichniß. Herausgegeben und redigirt von 2- Lehmann. Im Verlag« von 'Reit rr Gomv. Gedruckt bei A. W. Hayn.