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Wöchentlich crsckeümi drei Nunmrern, PranumeranonS-Ptti» 22j SUdergr. (j Thir.) oierieli-thriich, Z Thk. stj, d.iS ganze I?.hr, ohne (Zrddhung, in alleii Theilen der Ptcußisebcn Manaechic. Magazin für die Pränumerationen werden non jede« Buchhandlung (in Berlin del Veil u. Camp., Hägerstraße Nr. 2d), so wie non allen Königl. Post Aemtein, angenommen. Literatur des Auslandes. .4^ HZ. Berlin, Donnerstag den ll. Juli 1844. Spanien. Die kleinen Journale in Spanien. Wenn Einer durch die jüngsten Ereignisse aus der pyrenäischen Halbinsel beunruhigt worden ist, so ist es sicher der Xelv policico von Madrid, Don Antonio Benavides, Professor am Athenäum, Freund, Rathgeber und rechte Hand des vorigen Premier-MinisterS Gonzalez Bravo; denn selbst ein stärkerer Mann hätte Vorlesungen über neuere Philosophie nicht mit der nöthigcn Objektivität halten können, wenn ihm zugleich oblag, eine aufgeregte spanische Hauptstadt in Zaum zu halten, den General Narvacz, den Senat und den Kongreß vor den drohenden Angriffen empörter Volkshaufen zu schützen, oder die Flucht Olozaga'S zu überwachen. Und dies war nicht Alles. Noch pro- tcstirten die Journale der EraltadoS gegen das Ministerium Bravo; jeden Morgen schleuderte das kco üel komorcio seinen KriegSruf in die Stadt, und jeden Abend vergrollte derselbe durch alle Kaffeehäuser und Theater in dem ultraprogrcssistischen Gesumme der „Horniß" (el Dlo-icarüon). Eines schön»» Tages aber ward eS plötzlich still. Don A. Benavides hatte cingcsehen, daß eS ihm radikal unmöglich sey, eine so tumultuarische Stadt zu lenke» und zugleich seinen philosophischen Unterricht sorlzusetzen. Das aufrührerische Ge schrei um ihn her drohte, ihn zu betäuben, und er befahl allen großen und kleinen Journalen, die bisher das neue, Ministerium bekämpft hatten, zu schweigen. Man gehorchte ohne Widerrede, zumal es der junge Mcthaphpsiker für logisch erachtet hatte, den Gehorsam gegen seinen Befehl durch eine Schwadron Ulanen zu unterstützen. Vier Monate darauf ordnete Bravo durch ein Dekret die periodische Presse und legte ihr ziemlich harte Bedingungen auf. Aber wie würden sich dadurch die spanischen Publizisten haben beschränken lassen, die die Feder handhaben, als führten sie die Büchse in den Thalern BiScaya's oder in den Ebenen von Lampurdan? ES waren der eraltirten Partei wenigstens sieben bis acht Organe bewilligt worden, da sie sich gegenwärtig in sieben bis acht Fractioncn spaltet. Alsbald fingen die Republikaner im klco del Oomercio ihre wüthendcn Deklamationen von neuem an, im Vtsmnr i>»I>I><-c> erging sich die Fraction Cortina-Madoz in trüben Betrachtungen, während die Anglo-Ayacuchos sich unter den Schutz des k^pevtsäor schaarten, der jeden Morgen mit weh- müthigem Blicke nach der Küste von Gibraltar sieht und den SiegeShcrzog er wartet, daß er am Horizont erscheine und seine Sonne noch einmal ausgehen lasse über Spanien. Die genannten Blätter find die drei Koryphäe» der OppositionS-Presse, gegen welche der Diempo und lleraläo in Prinzipien. Fragen, der kastellano und die'kost-Vars, was die politischen Personen be trifft, das Wort nehmen. ES würde eine schwere Arbeit seyn, wenn wir alle kleine Blätter Madrids nach ihren politischen Nüanccn ordnen wollten, die das Dekret Bravo's ins Leben gerufem hat, wie der fächelnde Wind, den der Manzanares zuweilen nach einem heißen Tage in die ermattete Stadt schickt, plötzlich alle Guitarren ertönen macht von einem Ende Madrids zum anderen. Die meisten dieser Zeitschriften sind eigentlich literarischen Inhalts, auch be. stehen in Spanien, wie in Frankreich, besondere Vorschriften für politische Journale, und dennoch mischen sich jene in die Diskussionen über die Negierung und die Kammer», wenn welche vorhanden sind. Als Probe wollen wir nur anführen, daß neulich ein ganz kleines Madrider Blatt eine ansehnliche Bcloh- nung für denjenigen aussetzte, der ihm eine Nachricht über Se. Ercellenz den Marquis von Viluma, Minister des Auswärtige», geben würde, da derselbe bereits seit einem Monate zwischen Schloß Windsor, den Tuilcriccn und den Bädern von CalvaS umberirre. Man kann sich denken, wie Madrid, daS noch jüngst, während des Be- lagerungszustandeS, einen so traurigen Anblick darbot, durch dieses Charivari von Streitschriften, durch das tägliche Wortscharmützel, durch die beißenden Epigramme, welche in den Zeitungen hart hinter den Proclamationen des Don A. Benavides und den Tagesbefehlen des Generals Mazarredo stehen, aus- geregt wird. Diese spanische Presse, man muß eS gestehen, gewährt einen seit- samen Anblick. Alles stößt und mengt sich da, Poesie, Wissenschaft, Politik, Philosophie, die edelste» Gefühle und die verderblichsten Leidenschaften, die stolze, edle Sprache der castiliauischen Courtoisie und die unwürdige, rücksichts- lose der castilianischen Grobheit. Nichts ist da wie im übrigen Europa, und der Federkrieg ist in Spanien eben so cigenthümlich, als eS der Krieg mit Kanonen und Flinten ist. I» der .luveiwuü espariul», der IVIinerva, dem Seinsnmi» reoeealivo, in der Vor ü« I» Karo» erneuern täglich ganze Ple- jaden von Poeten und Bataillone von Kritikern den alten Streit der Klassiker und Romantiker , doch habt Ihr Elegieen, Dithyramben, Satiren, ästhetische Abhandlungen und Kritiken genug gelesen, dann erzählt man Euch auch noch von der gestrigen Revolution, der heutigen Emeute und dem morgenden Pro- nunciamiento. Der Artist» spricht von Gemälden, aber nicht weniger begeistert und nicht weniger kritisch, als hätte man auf der letzten Ausstellung ini Lyceum wenigstens zehn ZurbaranS, fünfzehn Velasquez oder zwanzig Murillo's ge. sehen, bA Trovsäor, el Ob^ervador tlremral, el ^limramire!« beurtheilen die Dramen und Opern der Theater de la Cruz, del Circo und del Principe, aber ihr Lob wie ihr Tadel ist ercentrisch, oder ihre ganze Kritik besteht darin, zu zeigen, wie man auS einem französischen Stück, nach Umänderung deS Titels, ein spanisches gemacht hat. bll Docailor (die Toilette) ist der Favorit der lebendigen und perfiden Marquesas, die jeden Morgen mit ihren schwarzen Augen die galanten Mysterien der Mala--und Fuencarralstraße begierig auS ihm schlürfen- Xü voeem Mysterien, könnten die Madriderinnen höchstens eine Herzogin von Luccnay liefern, sind aber trotzdem immer noch eben so vo» den Pariser Kokelten verschieden, als eS vor hundert Jahren die Herzoginnen Chateaurour und Paraböre von den Herzoginnen Alda und Pe-laficl waren. Santa lUaria üo lo.-i ileHeugieraüo«! Heilige Jungfrau der Revolten! bewahre ferner die spanische Literatur vor philanthropischen Fürsten, edlen ChourineurS, gewissenlosen Vicomtes und pflichtvergessenen Advokaten! Aber kehren wir zum Thema zurück. Neben dem nationalen Buffo theilt der französische oder italiänischc, el .ärlequl», ganz im Spaße, den stolzesten Namen in der Politik und Literatur recht tüchtige Schläge aus. Der nationale Buffo aber ist der Domine Lucas, eine würdige und fette Personnage, welche der inkarnirte Volkswitz ist, wie es ehemals Sancho Pansa war. Eigentlich, wenn wir ehrlich sprechen wollen, hegen wir starken Verdacht, daß der Domine Lucas kein Bürger, sondern ein Bürgerlicher ist, dem das Schicksal der Massen wenig am Herzen liegt. Er liebt den Comfort und sträubt sich durchaus nicht gegen eine gewisse Eleganz, eS ist Sancho Pansa, der im französischen Paletot und mit Glacoe-Handschuhen in der Oper siyt und durch eine goldene Lorgnette umhcrspäht, wie seine alten Kameraden, die liebenswürdigen und unsterblichen Helden deS Cervantes, geworden sind. Ach, Cervantes hat uns nicht getäuscht, Don Quijote ist- wirklich todt — die Zeit der edlen Thorheiten ist vorüber, und zumal in unserem Jahrhundert des Egoismus hätte der Ritter von der traurigen Gestalt seinen Namen verdient. Wie Schade übrigens, daß er den jüngsten Cortessitzungen nicht beiwohnen konnte, er, der ja „so viel Verstand hatte und wie ein Bischof sprach." Aber nein, armer Sancho, klage nicht zu sehr, daß er die Krankheit nicht überlebte, die ihm die Vernunft wiedergab! Würde er inmitten der unheilbaren Verderbtheit unseres Zeitalters seine Tugend, Loyalität und Unschuld behalten haben? Und welcher Skandal wäre eS gewesen, wenn er Pronunciamiento'S und Revolutionen mitgemacht und endlich seine Rosfinante gegen eine der schönen Karossen vertauscht hätte, die den Zorn der kleinen Journale auf die Häupter Peüa-Floriva's und Gonzalez Bravo's zogen! — Und du selbst, Sancho? Ich weiß, du liebst das Blut vergießen nicht ; noch ein halbes Jahrhundert, und du bist so wohl genährt, als Michel oder Jacques Bonhomme, und sitzest so still zu Hause, als irgend ein guter Bürger eines guten Staates, dein Sohn bewirbt sich um ein solides Amt, etwa das eines Doniainen-Verwalters, deine Tochter singt sentimentale Lieder zum Piano, deine Frau legt die Mantille ab, denn eine Mantille ist eine zu gemeine Tracht für die Frau eines CapitainS der Stadtgarde, und kleidet sich französisch. Wir erzählten oben, wie die spanischen Journale Quodlibets seyen und die politischen Epigramme die Literatur beherrschten und große Freude in der Stadt verbreiteten. Man darf sich nicht wundern, daß dies schon stattfand, als die letzte Revolution noch nicht beendet war. Denn man tanzte in Madrid, als Bilbao belagert wurde, man tanzte, als Gomez und Guergu« die südlichen Provinzen verheerten, und man sollte Anstand genommen haben, zu lachen, wenn hin und wieder einmal ein Flintenschuß fiel, der das Ende eines armen Pro- skribirten anzeigtc? Selbst die ernstesten Journale fühlen, wie die anderen, das Bedürsniß, sich zu erlustigen. Dem kleo üel komsreio werden wöchentlich mehrere satirische Anhänge beigcgeben, nämlich «I Xoilo, el Lseeptieo und «I vsmp-mero üe 8<m Vablo (Glöckner von St. Paul), welche die literarischen und politischen Verdienste, die sich eben geltend machen wollen, abwägcn. Der klamor pubUeo ergötzt wöchentlich seine Leser durch die Gespräche Fray-Ge. rundio'S und Tirabecquc'S, die nicht selten die spottende Gutmiithigkeit des berühmte» Padra Isla erreichen, des Cervantes der Mönche. Gegen die bös- willigen Erfindungen der ultraprogresfistischcn Partei vertheidigcn sich die Mo. deradoS nur durch die posn-vscs, die indcß den Kampf wacker aushält und die Genugthuung genießt, daß in ganz Spanien die ministeriellen Journale bis hinauf zum Nerolüo ihr« beißenden Antworten wiederholen. Merkwürdig««