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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. PrönunicroNonS-Preis 22j Silbergr. sj Thlr.) vierteljährlich, 3 Lhlr. lü, das ganze Jahr, ohne Erhöhung, in allen Theilen der Preußische»' Monarchie. für die Pränumerationen werten von jeder Buchhandlung (in Berlin del Dell u. Comp., Iägerstraße Nr. 28), so wie von allen Känigl. Bost-Aemlern, angenommen. Literatur des Auslandes. 78. Berlin, Sonnabend den 29. Juni 1844. England. Die Wollen-Manufaktur in Leeds. (Nach den französischen Berichten von Leon Fancher.) Nächst Lancashire, über dessen industrielle Verhältnisse wir vor einiger Zeit Mehreres mitgetheilt haben, ist der westliche Theil der Grafschaft Jork der reichste und wichtigste Manufaktur-Distrikt Englands. Hier werden, frei lich in geringerem Grade, der Industrie dieselben Vortheile geboten, als dort. Kohlenlager, Wasser, Communicativnsmittel, Kapitale, eine zahlreiche uuv thätige Bevölkerung, kurz alle wesentliche Erfordernisse der Fabrik-Arbeit siud vorhanden, ja in Iorkshire ist die Industrie noch unmittelbarer aus den Vcr- hältniffen des Bodens hervorzegangen, als in der Grafschaft Lancaster ; denn Manchester bezieht seinen rohen Stoff, die Baumwolle, aus fernen Ländern, während den Tuchfabriken in Leeds die Heerde» Iorkshire's und Rorthumbcr-, landS den größten Theil ihrer Wolle liefern. In Lancashire wird fast durchgängig nur Baumwollen-Manufaktur be trieben; in der Grafschaft Jork ist die Industrie freilich nicht zu solcher Höhe und Ausbreitung gediehen, aber sie ist mannigfaltiger. So fabrizirt mau Eisen- und Stahlwaaren vorzugsweise in Sheffield, wollene in Bradford, Huddersfield und Halifax, leinene in Knaresborough und Riplep, während die Stabt LeedS der Mittelpunkt für beide Gattungen der Weberei und Spinnerei ist. In England, wie überall, scheint die Baumwollen-Manufaktur bereits ihren Höhepunkt erreicht zu haben, dagegen die Wollen- und Leinenweberei noch im Aufschwünge begriffen zu sepn. DieS hat seinen Grund offenbar darin, baß Baumwolle weit früher in Fabriken verarbeitet wurde, als Wolle und Garn. Aber eben, weil die Fabrikanten von Lecdö noch weit von dem Rcichthunre ihrer Kollegen in Manchester entfernt sind, theilt ihre Stadt auch mit Manchester nicht die traurige Berühmtheit, die Metropole des Elends zu sepn. In den Fabriken der Graffchaft Jork ist das Arbeitslohn durchschnittlich höher, als in Lancashire und Lanark, und was Vie Meister betrifft, die an ihren eigenen Stühlen weben, so weiß man allgemein, daß sie am schlechtesten gestellt sind, wenn sie baumwollene Waaren fabrizircu. Auch hat die Wollen- und Leinen-Manufaktur seit Anwendung der Dampfkraft ihr Terrain gewech selt, während die Baumwollen-Fabrication ihren alten Platz behalten hat. Erstere hatte nämlich ursprünglich ihren Sitz in den Grafschaften Norfolk und Gloucester, mußte aber, seit die Kohlen ein Hauptbcdürfniß der Fabrication wurden, eine Gegend verlassen, die ihr dieselben nicht liefern konnte. ES gicbt freilich noch viele Etablissements in den genannten Grafschaften,'sie können indeß mit denen in Berkshire nicht gleichen Schritt halten. Dies liegt aber nicht sowohl in den ungünstigeren äußeren Verhältnissen, als vorzüglich in dem Charakter der Fabrikanten. Die Tuch-Fabrication ist komplizirt und verlangt eine sorgfältige Ueberwachung. Die Fabrikbesitzer in Vorkshire sind thätig, beleben die Arbeit durch ihre Gegenwart, stehen auf und speisen zu gleicher Zeit mit ihren Arbeitern. In Gloucester aber waren sie durch langen Wohlstand verweichlicht, überließen Geschäftsführern d^ Sorge für ihre Manufakturen, mischten sich unter den Abel, kauften Ländereien und entzogen hierdurch ihrem Geschäfte ansehnliche Kapitalien. Außerdem ist das Uebergewicht der Tuch-Fabrication in Iorkshire noch dem Umstande zuzuschreiben, daß neben dem Prinzip, alle Operationen der Bereitung in einer und derselben Fabrik zu Ende zu bringen, auch noch eine Theilung der Arbeit besteht, die aus jeder einzelnen Operation eine besondere Industrie macht. In der Stadt LeedS wird die Wolle unter einem Dache ge färbt, gesponnen, gewebt, gewalkt und appretirt, während in den dreinnd- drcißig Dörfern, die in der Umgebung der Stadt liegen, diese verschiedenen Prozeduren in verschiedenen Werkstätten vorgcnommcn werden. Hat ein Weber ein Stück Tuch fertig gearbeitet, so bringt er eS zum Verkaufe nach Leeds. Hier sind zwei große Hallen, eine zum Verkauf der rohen, die andere zu dem der präparirten Tuche. „Um sechs Uhr des Morgens im Sommer, um sieben Uhr im Winter", erzählt der Statistiker Adolphus, „fängt die Marktglocke zu läuten an. I» einigen Minuten hat sich ohne Lärm und Un ordnung die Halle gefüllt, die Bänke sind dicht mit Tuchen bedeckt und jeder Fabrikant steht hinter seiner Waare. Sobald die Glocke zu läuten aufhört, treten die Käufer und Unterhändler ein und gehen zwischen den Waarenreihen auf und ab. Wenn ihnen ein Stück zusagt, neigen sie sich zu dem Tuch macher, und mit ein paar leisen Worten ist das Geschäft abgeschlossen ; Jeder sagt sein Gebot, und sie find augenblicklich entweder einig oder der Handel ist abgebrochen. Nach einer Stunde ist Alles zu Ende und für zwölf- bis funf- zehntausend Pfd. Sterl. Tuch gekauft worden." Durch die Theilung der Arbeit also wird es auch den Leuten von geringem Vermögen möglich, mit den Fabriken zu konkurriren, zumal seit dem Anfänge dieses Jahrhunderts in jedem Dorfe um Leeds öffentliche Spinnereien und Walkereien bestehen, an denen jeder Weber durch Actien betheiligt ist. Freilich gefallen sich die kleinen Fabrikanten nicht sonderlich in der Nähe so vieler und großer Fabriken und fürchten, über kurz oder lang von ihnen erdrückt zu werden. Sie haben auch, natürlich fruchtlos, durch Petitionen bei dem Unter hause Beschränkungen für die Benutzung derselben zu erwirken versucht. Die Zahl und Bedeutung der Tuchmacher ist daher im Sinken, und man wird nicht lange zögern dürfen, in die Gegend von LeedS und Huddersfield zu reisen, wenn man die Weber-Republik noch im Gange finden will. Die Dampfwcbcreien müssen mit der Zeit diese Handwerker zu Grunde richten, und bald werden sich dieselben nach einem anderen Erwerbszweige Umsehen müssen oder sich nicht mehr ernähren können. In Manchester z. B. ist es schon der Fall, daß ein Webermeister nur fünf Shilling tu der Woche verdient, während die Weiber in den Fabriken acht bis neun habe». Es ist bekannt, daß in den Tuch-Manufakturen die Arbeiter besser be zahlt werden, als in den Baumwollen- und selbst in den Seiden-Fabriken. Dies mag daher kommen, daß die Wollen-Arbeit eine größere Muskelkraft erfordert und darum Frauen und Kinder von derselbe» ausgeschlossen sind. Der Webestuhl ist breiter und schwerer zu handhaben, als der für bäum- wollene und seidene Stoffe. Nun aber steht es fest, daß das Arbeitslohn, indem eS das Vcrhältniß der nöthigen und d>r vorhandenen Zahl von Arbeitern ausdrückt, je nach den Bedürfnissen der untersten Klaffe derselben bestimmt wird. In England geben die Weber, welche zu Hause an Stühlen weben, als die ärmste Klasse, den Maßstab. In allen Manufakturen, in denen Frauen und Kinder mit den Männern arbeiten und ei» Mann die Arbeit übernimmt, die ein Kind zu Stande bringen könnte, wird derselbe nur wie ein Kind bezahlt; wo aber Frauen und Kinder von der Fabrication ausgeschlossen sind, ist das Arbeitslohn hinreichend, um die ganze Familie des Arbeiters zu ernähren. Hieraus wird klar, welch ungeheure Berände- rung in LeedS die Dampfweberei hcrvorbriugen muß. Mit der Zeit werden die Männer von der Fabrication entfernt und nur Weiber und Kinder ge braucht werden. Die Tuch-Manufaktur, obgleich sic weniger auf die Ausfuhr angewiesen ist, als die der Baumwolle, hat doch nicht die Solidität der letzteren und ist nicht unbedeutenden Fluctuationen unterworfen. Ueberhaupt beherrscht Eng land, was seine fertigen Gewebe anbetrifft, durchaus nicht alle Märkte, wäh rend es freilich mit seinen Gespinnsten alle Welttheile überschwemmt. Denn da der Preis der fertigen Waare von der Taxe des Weberlohns und der Ge nügsamkeit der Weber abhängt, so werden die flandrischen und deutschen Weber, die mit elender Kleidung und Kartoffelkost zufrieden sind, billigere Waare Herstellen können, als die englischen, die mehr Energie als Geduld haben. In der Spinnerei aber, die mehr von dem mechanischen Genie, dem SpeculationSgeiste und den Kapitalien abhängt, wird kein anderes Volk die Engländer erreichen. Die Deutschen verbrauchen eine ungeheure Menge eng- lischer Wollengespinnste, während die französische Regierung in Bezug auf die selben Prohibitivgesetze erlassen und dadurch in der That den Fabriken in Leeds, aber nicht weniger den französischen geschadet hat, die jetzt theurer ver kaufen müssen und weniger beschäftigt sind. Denn beschränkende Zollgesetze sind stets zweischneidige Schwerter, die der ausländischen Industrie nicht schaden können, ohne die inländische zu gefährden. Wir gehen zu dem Zustand der Fabrik-Arbeiter in Leeds über. Da die Wollen-Manufaktur die Haupt-Industrie der Stadt ist und die Atmosphäre weniger verunreinigt, als die Baumwollen-Fabrication, da die Arbeitszeit kürzer, der Loh» höher, die Bevölkerung weniger zahlreich ist, nicht so viele Irländer dort sind und weniger Frauen und Kinder in den Fabriken beschäftigt werden als in Lancashire, da endlich auch die Wohnungen ziemlich billig, ge räumig und luftig find, so sollte man glauben, daß die arbeitenden Klaffen hier auch moralischer und glücklicher sepn müssen und die Sterblichkeit, die, ich möchte sagen, in den großen Fabrikstädten epidemisch ist, hier weniger Ver heerungen anrichte. Aber die Nachlässigkeit der Polizei-Behörde» und die An häufung von 362 Dampfmaschinen auf einem verhältnißmäßig engen Raum machen die Stadt zu einer der ungesundesten. Nur am Sonntag ficht man in LeedS die Sonne. Während der Woche gleichen die Straßen den Gängen einer Kohlenmine; der Aire, welcher die