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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumerations-Prei« 22* Sildergr. (t Thlr.) rnerteljShrlich, Z Thlr. sür daS ganze Jahr, ohne Erhöhung, in alten Ldeiten der Preußischen Monarchie. Magazin für die Pränumerationen werden von jeder Bnchhandlung (in Bertin dei Veit u. Eomp., Iägerslraße Nr. 25), so wie von alten König!. Post Äemtern, angenommen. Literatur des Auslandes. .4^ 80. Berlin, Donnerstag den 4. Juli 1844. — - Frankreich. Neue Darstellung des Aufruhrs in den Cevennen. „Die Geschichte der Prediger in der Wüste", dies ist der Titel eines neuen Buchs, welches die Schicksale der Häupter und Pastoren der protestan tischen Cevennenbcwohncr nach der Aushebung des Edikts von Nantes zum Gegenstand hat. DaS Buch ist sehr lesenswcrth, leivet aber an der Origi nalität, daß der Verfasser den Kern des französischen Nationallebens während der drei letzten Jahrhunderte im Protestantismus finden will, und zwar ins besondere bei den Bauern der Cevennen, in jener kleinen Kamisarden-Thco- kratie, die sich mit großer Mühe einige Jahre gegen Ludwig XIV. behauptete. Ja, nach ihm hätte das Languedoc, das zwischen dem beweglichen Guienne und der leichten Provence liegt und wie sie ein Kind des alten Roms ist, allein in seinem energischen Charakter die an der strengen Brust der alten lateinischen Wölfin eingesogene Milch bewahrt. Nach dem Untergang des westlichen Kaisertums widerstanden die Munizipal-Institutionen, die sich in die Mauern von Nimes, Toulouse, Narbonne geflüchtet hatten, den Gothen, Franken, Arabern und kamen so zu den Albigensern, welche, für sie sterbend, die Pflege und die kostbaren Trümmer derselben dem reinen EalviniSmuö ver macht hätten. So wäre die Freiheit, durch die antike Tugend gegründet, trotz der Barbarei, zu den „Reinen" des Ilten Jahrhunderts übergegangen, und von diesen, trotz der Fcudalzeit, zu den „Heiligen" des Ulten, welche allein die Tradition derselben bis zu den großen Männern der Revolution fortpflanzten. Solche Ansichten bedürfen kaum einer Widerlegung, doch zeigen sie, mit welcher Liebe und Begeisterung Herr Peprat, der übrigens selbst ein Languedocer ist, seinen Gegenstand behandelt. Es ist bekannt, daß die Cevennenbewohner, nachdem sie durch die Dra- gonnaden zum Katholizismus bekehrt worden, bald einen Widerwillen gegen ihre neue Religion faßten. Nach der Aushebung des Edikts von Nantes von ihren Pastoren verlassen, flohen sie die Kirchen und lebten scheinbar ohne Religion, versammelten sich aber des Nachts in ihren Häusern. An Lie Stelle des proskribirteu öffentlichen Kultus trat der häusliche, wo das Familicnhaupt der Priester war. Bald genügte nicht mehr der enge Naum deS HeerdeS, und in ihrer steigenden Exaltation versammelten sich alle diese armen Familie» in den Wäldern und auf den Bergen, „in der Wüste", wie sie sagten. Wenn sich ihre Hausen in die nächtlichen Versammlungen begaben und sich in den Thalern verirrt hatten, so folgten sie dem fernen Ton der Gesänge, um sich wieder zurecht zu finden. „Wir flogen", sagt einer von diesen Erleuchteten, „wenn wir diese göttlichen Lieder hörten. So groß auch unsere Müdigkeit war, so dachten wir doch nicht mehr daran, sobald der Gesang der Psalmen unser Ohr erreichte." Wenn sie einen einsamen Gipfel erreicht hatten, so stieg der Beredteste oder der größte Fanatiker des Trupps aus einen Felsen oder auf einen Banmstamm und predigte. Ein Prophet verkündete, daß Gott zum Trost der Gläubigen „einen großen Tempel von weißem Marnior, mit Goldfäden und den Gesetzestafeln geschmückt, würde herabfallen lassen vom Himmel in das Thal von Saint-Privat." Ein Anderer: „Daß er bald dem Volk eine Leiter zeigen würde, die von der Erde zu den Pforten des Paradieses reichte." — „Sehet ihr die feurige Taube, die aus Cabrit herab- steigt <" rief ein Dritter, und Cabrit fiel wie vom Blitz getroffen, wand sich in heftigen Konvulsionen und fing dann an, ebenfalls zu prophezeien, und zwar immer die nahe Erhebung der Kinder Gottes und den Untergang Babp- lonS. Bald gab cs keine Stadt, keinen Flecken und fast keine Hütte mehr, die nicht ihren inspirirten Redner hatte, und ehe ein Jahr verging, zählte Languedoc nicht weniger als achttausend gottbegeistertc Bauern oder Hand werker. Merkwürdig ist es auch, daß Alle, wenn sie vom Geist ergriffen waren, französisch sprachen; war aber die Inspiration vorüber, so kehrten sie zu ihrer gewöhnlichen Sprache, dem romanischen PatoiS der Cevennen, wieder zurück. Doch sie beschränkten sich nicht immer aufs Prophezeien, und wehe den katholischen Priestern, wenn diese Bauern einmal von schwarzen Ochsen träumten. „Brüder", sagte einst Abraham Mazel, „ich hatte kürzlich eine Erscheinung; ich sah große, sehr fette schwarze Ochsen, welche die Gewächse eines Gartens absraßen, und eine Stimme sagte zu mir: Abraham, ver treibe diese Ochsen! und als ich nicht gehorchte, wiederholte diese Stimme ihr Gebot, und ich vertrieb sie. Dieser Garten nun ist, wie cs mir der Geist seitdem offenbart hat, die Kirche GolteS; die schwarzen Ochsen, die sie ver wüsten, sinh die Priester, und die Stimme, die zu mir sprach, ist der Ewige, der mir befohlen hat, sie aus den Cevennen zu verjagen!" Sofort werden Verschworene gesammelt und bewaffnet, und am anderen Morgen wird der Erzpriester der Cevennen, der übrigens ein Mann von grausamem Charakter war, in seinem Hause überfallen und dieses angezündet, und als er, um nicht lebendig zu verbrennen, sich ans dem Fenster stürzt, wird er von zwei- undfunszig Messer - und Säbelstichen durchbohrt. „Hier hast du", sagten die Mörder, „für meinen Vater, der unter dem Rade starb! Hier für meinen Bruder, der auf die Galeeren geschickt worden! für meine an Gram gestor bene Mutter! für meine Schwester, meine Freunde, die sich in der Verban- 'nung, im Gefängniß oder im Elend befinden!" Unter den Gestalten dieser neuen Prädikanten, welche während der Dragonnaden ihre Mission mit dem größten Muthe sortsetzten und die außer- ordentlichsten Mühseligkeiten ertrugen, um zuletzt auf dem Schaffst oder Galgen zu enden, zeichnen sich vorzüglich aus Claude Brouffon und Francois Vivens. Der Letztere war ein Wollkämmer, von kleinem Wuchs und hinkend von Geburt, aber voll Beweglichkeit und Kühnheit. Er hatte nach der Wider rufung des Edikts von Nantes, noch ganz jung, UI80 „in der Wüste gepre digt" vor mehreren Tausend von Männern, Weibern und Kindern, die über Berge und Thäler mit den aus den Flammen geretteten Psaltern und Bibeln hcrbciströmten und in allen möglichen bizarren Formeln beteten und Gott priesen. LouvoiS halte damals einen Augenblick lang die Idee, diejenigen Cevennenbewohner, die keinen Handel trieben und denen die Rauheit deS Ksima's einen wilden Sinn einflöße, aus ihren Bergen wegzuführen. Da er ihren Aufstand einigen verbannten Pastoren zuschrieb, die heimlich in das Land zurückgekehrt sepen, so erließ er eine Bekanntmachung, die jeden in Frank reich verborgenen Geistlichen zum Tode, die Männer, die sic versteckten, zu den Galeeren, die Frauen zu ewiger Einsperrung und ihre Häuser zur Demo- lirung verurtheilte. Aber alle Liese Strenge war vergebens. Nun bot der Gouverneur der Provinz den Dragonern für jeden Prediger, den sie in ihre Gewalt bekämen, fünfzig LouiSd'or, für jede Versammlung, die sie über raschen würden, fünfzig Pistolen. Die Dragoner griffen mehrere Bersamm- langen an und hieben einen Theil derselben nieder, während sie einen anderen an den Bäumen aushingen. Aber die Predigten dauerten nichtsdestoweniger fort, und Ler kriegerische Hinkende war die Seele derselben, so daß der stolze Minister mit ihm unterhandcln mußte. VivenS erbot sich endlich, Frankreich zu verlassen, wenn er Alle, die ihm folgen wollten, mitnehmen könne, und nun sah man diesen Wollkämmer seine fanatischen Schaarcn durch das ganze Königreich bis zu den Häfen des Mittelmeers und des Oceans führen, wo protestantische Schiffe sie ausnahmen. Er scHst ging nach Holland, wo alle verfolgte Geister damals ein Aspl fanden. Aber auch nach Vivens' Entfernung dauerte die Jnsurrection fort; die Hügel der Cevennen boten ihr unzugängliche Schlupfwinkel. Vergebens legte man, um sie zu unterdrücken, mehr als hundert große Straßen im Lande an nnd baute in Menge feste Schlösser, in welche man Milizen legte, die, beim Rühren der Trommel, überall gleichzeitig handeln und eine Armee von 40,nno Mann bilden konnten. Es war damals die Zeit, wo der feurigste unter den französisch-protestantischen Theologen die mystischen Hoffnungen seiner NeligionSgcnosscn durch die Publication seiner Erklärung der Apokalppse wieder belebte, worin er die Erfüllung der Prophezeiungen oder die nahe Be freiung der Kirche verkündigte, indem er durch die Combination einiger gc- hcimnißvollen Zahlen im Ilten Kapitel der Apokalppse herausbrachte, daß drei und ein halb Jahre nach Ler Ncvocation oder dem Tod der wahren Kirche, der im Oktober 1085 stattgefundcn, also im April 1680, ihre Wiedcrausstehung und der Untergang Roms cintreten würde. Bald ging die Ertasc von Lcn Alten auf die Kinder über. Ein Mädchen von zehn Jahren, das die Kühe hütete, sah in einem Strauch einen weiß gekleideten Engel, der ihr verbot, in die Messe zu gehen, und die Unglück liche ertrug lieber Tortur und Tod, als daß sie ihre Erzählung widerrufen. Ein Knabe zog ganze Schaarcn nach sich, pjx ihm Tag und Nacht von Berg zu Berg folgten und sich, wie er, nur von dem Wort des Lebens und hier und da längs Ler Hecken von einigen Aepfeln und Nüssen nährten. Von Zeit zu Zeit rief der Prophet ihnen zu: „Bereuet, ihr Unglücklichen, thut Buße, daß ihr zur Messe gegangen seyd!" Und das ganze Volk fiel auf die Erde und wiederholte mit Schluchzen: „Herr, Herr, Barmherzigkeit!" Als BivcnS hörte, daß Cevennenbewohner, die freiwillig auswanderten, von der Negierung, trotz der Verträge, nach Spanien, Italien, ja selbst nach Amerika deportirt worden, glaubte er sich seines Eides entbunden und kehrte zurück. Bald organifirte er eine furchtbare Jnsurrection, sammelte