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Naunhofer Nachrichten : 20.10.1905
- Erscheinungsdatum
- 1905-10-20
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1787848183-190510208
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1787848183-19051020
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1787848183-19051020
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Naunhofer Nachrichten
-
Jahr
1905
-
Monat
1905-10
- Tag 1905-10-20
-
Monat
1905-10
-
Jahr
1905
- Titel
- Naunhofer Nachrichten : 20.10.1905
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grüßen diese außerordentlich wichtigen Be strebungen unserer Eisenbahnbeamten mit Freude sind sie doch eine erhöhte Gewähr für die Tüch tigkeit dieser im schweren Beruf stehenden Leute. Der erwähnte Verband bewilligt vorläufig über 4000 Mk. zu dem Zwecke, wodurch die Ein richtung der Kurse aus drei Jahre gewährleistet wird. Die Teilnehmerzahl soll jeweilig, je nach Stärke der einzelnen Landesvereine, 40 bis 50 betragen. ff Eine nachahmenswerte Gepflogenheit wird in Dresden geübt. Der amtliche Polizei bericht wird seit reichlich 25 Jahren unter der Verantwortlichkeit der Behörde bearbeitet und herausgegeben. Aber auch schon vorher erhielten die Tagesblätter, denen daran lag, mit Ge nehmigung des Ehefr der Polizeidirektion durch befähigte, ein besonderes Vertrauen genießende Beamte dieser Verwaltung solche Mitteilungen zugestellt, die für die breite Oeffentlichkeit von Interesse sein oder ihr nützen und zur Auf klärung beitragen konnten. Diese Art der Publikation hatte viele Vorteile für sich. Die Vorkommnisse erlangten eine viel größere Ver breitung durch die wechselnde, nicht in die be grenzten Formen des eine gewisse Zurückhal tung bedingenden amtlichen Stils gezwängte Darstellung, und letztere war infolgedessen viel geeigneter zur Ueberlegung und zum Merken anzuregen, als die behördliche Aufführung der Ereignisse. Für die Abänderung des Verfahrens war die Ueberzeugung maßgebend, daß, nach dem Vorgänge anderer großer Polizeiverwal tungen, ein nachweislicher unmittelbarer Ver kehr der Polizei mit dem Publikum von Nutzen und eine Befestigung des Vertrauens zu ihr und ibreS Wertes von großem Vorteile erschien. Unzweifelhaft sind auch diese Erfolge herbei geführt worden. Leipzig. Im Grundstück Hainstraße 13 wurden Dienstag früh der Kürschner Bernhard Ruß, dessen Frau und zwei Kinder im Alter von 16 und 21 Jahren bewußtlos aufge funden. Die Leute, die nach dem Kranken hause gebracht wurden, haben offenbar in gegenseitigem Einverständnis gehandelt und durch Einatmen von Leuchtgas ihrem Leben ein Ziel zu setzen »ersucht. Tie Ursache zur Tat soll darin zu suchen sein, daß der Mann Bestrafung fürchtete. Kürschner Ruß mar vor einigen Tagen gefänglich eingezogen worden, weil er, wie es heißt, verdächtigt worden mar, sich an seiner älteren Tochter unsittlich ver gangen zu haben. Er wurde zwar wieder aus der Untersuchungshaft entlassen, hat sich aber offenbar die Sache so zu Herzen ge nommen, daß er den Entschluß faßte, sich mit seiner Frau und seiner Tochter Antonie Dorothea zu vergiften. Zu diesem Zwecke hat er einen etwa 25 Meter langen Gummischlauch gekauft, diesen an den im Hausflur der vierten Etage befindlichen Gashahn angefchloffen und dann, indem er in zwei Türen Löcher bohrte, bis in das Schlafzimmer geleitet. Dort schlief er mit seiner Frau und der 16jährigen Tochter. Da Ruß im Hause die HauSmannsgeschÜste ' besorgte, wird es ihm nicht schwer gewesen sein, abends, nachdem das Haus abgeschlossen und die Treppenbeleuchtung abgestellt war, den Gashahn in der vierten Etage wieder zu öffnen, sodaß das Gas in dar Schlafzimmer ausströmen konnte. Als inan früh die Tür öffnete, fand man das Ehepaar Ruß be sinnungslos und die Tochter tot in den Betten liegen. In Naundorf (Bezirk Dresden) wurde im August v. I. ein Selbstmörder begraben. Der herrschenden Vorschrift gemäß fand die Beerdigung erst gegen Abend statt. Der Geist liche erschien ohne Ornat. Einige Freunde des Toten nahmen Anstoß an den Worten des Geistlichen und entfernten sich, wobei sie sich sehr laut benahmen und dadurch die An dacht der Zurückbleibenden störten. — Dar Kgl. Landgericht zu Freiberg hat deshalb den Schlaffer Greif und noch sieben Mitan geklagte auf Grund des 8 167 Str.-G.-B. (Störung eines Gottesdienstes) zu Gefängnis strafen verurteilt. Die von deu Angeklagten gegen dieses Urteil eingelegte Revisioü, welche unrichtige Anwendungen des Gesetzes rügt, hat das Reichsgericht aber verworfen, weil keinerlei Rechtsirrtum in dem angefochtenen Urteil zu erkennen war. Von einem geschüftlischen Besuche nach Hause zurückkehrend riß ein Herr in einem Nachbarorte Pirnas versehentlich einen 50markschein aus der Tasche, ohne es sofort bemerkt zu haben. Der in der Stube be findliche Hund sah das Papier fallen, schnappte es auf und fing an, dasselbe zu zerkauen. Jetzt wurde man auf deu Hund und seine Beschäftigung aufmerksam und konnte durch schnelles Eingreifen noch einige Fetzen von dem kostbaren Scheine retten. Zum Glück be fand sich auf diesen Ueberresten die Nummer des Scheines und einige sonstige Abzeichen, sodaß zu erkennen war, von was die Papier stückchen herrührtew Auf Grund dieser Ueber- reste nahm die Peichsbank keinen Anstand, für den zerrissenen Schein Ersatz zu leisten. Mit den hohen Fleischpreisen haben sich die Fleischermeister in Mittweida beschäftigt und beschloßen, unter Wegfall des Zwischen handels versuchsweise auf direktem Wege Schlachtvieh zu kaufen. Man erhofft dadurch die> Detailpreise herabsetzen zu können oder wenigstens ein nochmalige? Steigen zu ver meiden. Zwei Fleischermeister werden sich nach Husum (Holstein) begeben und auf diesem durch seinen Riesenantricb bekannten Platz einen größeren Viehankauf bewirken. Dem Verbände Sächsischer Verkehrsvereine ist die Stadt Tharandt als Mitglied bei getreten. Am Sonnabend ist der Direktor der Königin-Marienhütte in Cainsdorf, Freytag, plötzlich ans dem Amte geschieden. Der Umstand, daß eine Gememdegericht?- barkcit ausschließlich von Männern verkörpert wird, deren jeder einzelne Kombattant dreier Feldzüge ist, düi-fte im Deutschen Reiche wohl einzig dastehen. Ties ist in Oberlichtenau bei Pulsnitz der Fall, indem der Ortsrichter Julius Haase, sowie die beiden Gerichtsschöppen Adolf Jähnichen und Julius Philipp sämtlich an den Feldzügen der Jahre 1864, 1866 und 1870 71 teilgenommen haben. Tie dreifachen Veteranen, welche noch die Eigenschaft als Gutsbesitzer gemeinsam haben, bekleiden bereits jahrelang die genannten Aemter. In Obersachsenberg richteten die Schneestürme viel Unheil an. Auf dem Wege nach Gottesberg ist der Schneepflug schon in Tätigkeit gewesen. Es herrscht empfindliche Kälte, und dabei schneit und stürmt es weiter. Die Waldwege sind unpassierbar. Im östlichen Vogtlande liegt der Schnee 10 Zentimeter hoch. In der Nähe von Jöhstadt beträgt die Schneehöhe stellenweise 60 Zentimeter. Die Winterbahnen mußten schon in Gebrauch ge nommen werden, weil die Landstraßen stellen weise verweht sind. Auch vom Fichtelberge werden 60 Zentimeter Schneehöhe bei Wehen von 1Vz Meter gemeldet. Chemnitz- Die hier geplante Industrie« und Gewerbe-Ausstellung hat auch den Rat beschäftigt. Er gab den Wunsch zu erkennen, daß die Ausstellung erst nach Fertigstellung der großen Bauten (Theater, Museum uud Rathaus) im Jahre 1910 veranstaltet werden möge. Chemnitz. Eine hiesige Fabrik hat, um der Fleischteuerung zu begegnen, dieser Tage 15 Zentner Seelachs abgegeben und das Pfund zu 24 Pf. ihren Arbeitern überlassen. In ähnlicher Weise verfahren jetzt auch andere hiesige Großbetriebe. (Auf gleiche Weise ver mittelt auch die Münchner Trambahn-Direktion ihren Angestellten billige Eßmittel. Sie läßt sich, nachdem sie die Bestellungen gesammelt hat, wöchentlich einmal Fische direkt von der Nordsee schicken und diese an ihr Personal abgeben, das Pfund um 25 Pf.) In Bischofswerda wird im nächsten Frühjahr der Bau eines neuen Schulgebäudes für die daselbst bestehende Baugewerkschule in Angriff genommen. Mit der Ausarbeitung der Baupläne für den in moderner Weise und mit zweckentsprechenden Einrichtungen auszuführenden Bau sollen die an der Anstalt als Lehrer wirkenden Herren Baumeister und Architekten beauftragt werden. Das Gymnasium zu Zwickau hat am 21. November v. I. zum ersten Mal ein so genanntes Leos veranstaltet, d. h. eine Gedächtnisfeier für seine im verflossenen Kirchenjahre verstorbenen ehemaligen Ange hörigen und beabsichtigt, diese Einrichtung zu einer dauernden zu machen. Zu dem Zwecke ergeht an alle früheren Schüler des Gymna siums und deren Angehörige die dringende Bitte, jeden ihnen im Laufe des nunmehr bald zu Ende gehenden Kirchenjahres bekannt ge wordenen Todesfall eines ehemaligen Schülers der Direktion mitzuteilen, wenn möglich mit Angabe des Todestages und der letzten Stellung de? Betreffenden. Zwickau. Als am vorigen Sonnabend vormittag» 11 Uhr sich ein Brautpaar mit seinen Angehörigen am Altar der Pauluskirche ver sammelt hatte, bereits ein Teil des Trauungs liedes gesungen worden war und der Geistliche sich auschickte, die heilige Handlung zu voll ziehen, sank plötzlich der Bräutigam an der Seite seiner Braut ohnmächtig zusammen. Ein tieferschütterndes Wehgeschrei von seiten der Braut und aller mit anwesenden Freunde und Verwandten erfüllte die Kirche und die Orgel und der Gesang mußte verstummen. Zu fälligerweise befanden sich unter den Anwesen den frühere Soldaten, die sich in solcher Lflge Rat wußten, sie öffneten sofort die Ober kleider de» Bräutigams und wandten die beim Militär üblichen Maßregeln au. Nach und nach erholte sich der Bräutigam, mußte aber noch in den Wagen getragen werden. Der herbeigerufene Arzt stellte fest, daß die Ohn macht lediglich durch zu enge Halsbekleidung herbeigeführt worden sei. Nachmittags 2 Uhr wurde die so jäh unterbrochene Trauung im Hause nachgeholt. Zwickau Am Montag ist hier die neu errichtete Zieglerschule zur Heranbildung von Ziegeleileitern eröffnet morden. Gemeldet haben sich Schüler aus Sachsen, Thüringen, Bayern, Preußen usw. Gelehrt werden fach wissenschaftliche, naturwissenschaftliche und mathematische Fächer, Freihandzeichnen, Maschinenelemente, Elektrizitätslehre, Mauer konstruktion, Modellieren. Leiter der Anstalt ist der Ingenieur Herr v. Wilucki. Außer ihm sind noch fünf Lehrkräfte an der Schule tätig. Anläßlich des 50jährigeu Jubiläums des Zittauer Realgymnasiums sind von ehe maligen Schülern dieser Anstalt 19000 Mk. durch freiwillige Beiträge zu einer Stiftung gespendet worden. Die Zinsen kommen Schü lern von Untertertia an aufwärts zugute. In einer von über 300 Personen besuchten öffentlichen Versammlung in Zittau kamen sehr eindringliche Beschwerden gegen das dortige Stadtbauamt zur Erörterung. Allge mein wurde demStadtbauamt mangelndes Kunst verständnis vorgeworfen. Der Hauptreferent der Versaminlung, Oberlehrer Schließer, be merkte u. a., im Stadtbauamte fei keine künstlerische Kraft vorhanden, das Stadtbauamt fungiere nur als Baupolizei. Dar Theater, das Sparkassengebäude, die Leichenhalle, alle hätten die gleiche Außenerscheinung, keinem dieser Gebäude sehe man seine Bedeutung an. Die Dekoration beim Einzug des Königs sei eine große Geschmacklosigkeit gewesen. Auch die neuen Straßen in Zittau seien verfehlte Anlagen. Bezüglich des Kostenpunkte? wurde erklärt, man könne auch mit einfachen Mitteln viel erzielen. Schließlich gelangte folgende Resolution zur Annahme: „Die Versammlung sieht als dringendes Bedürfnis an, daß künf tig mehr den künstlerischen und ästhetischen Anforderungen Rechnung getragen wird, ent weder durch Anstellung einer geeigneten Kraft oder durch die Hinzuziehung von Kräften aus der Bürgerschaft." Was ist Suggestion? Der Begriff der Suggestion ist in neuerer Zeit von der Forschung nach den verschieden sten Richtungen studiert und erklärt morden. Was ist Suggestion, und wie kommt die ge waltige Einwirkung eines Menschen auf einen anderen zustande? Eine Einwirkung, die den freien Willen, selbst das Bewußtsein einer Handlung vollkommen aufhebt? Eine inter essante Erklärung über das Wesen deii Sugge stion gibt 11r. Oefele in der Deutschen medi zinischen Presse. Wir müssen uns — so führt er aus — jeden Nervenfaden als iso lierten elektrischen LeitungSdraht vorstellen, dessen Endaberate den Kohlen- und Zinktafeln einer elektrischen Batterie entsprechen, die, zwar räumlich weit entfernt, in die gleiche Körper- flüssigkcit tauchen. In dein Nervenfaden be steht dadurch ein konstanter Strom, welches durch jeden Eingriff -- sei es am Zinkpol oder am Kohlepol — eine Schwankung er fährt und dadurch auch im entgegengesetzten Pol eine Spannungsdifferenz hcrvorruft. Jeder der Nervenfüden verläuft so, daß er mehr oder weniger auf jeden anderen Nervenfaden primär, sekundär oder weiter induzierend einmirkt und bei eigener Stromschwankungen auch in anderen Nervenbahnen Stromschwankung in- dnziert. Das ist das Nervenleben im Indi viduum. Wir können uns weiter sehr wohl vorstellen, -aß auch Nervenbahnen zweier Per sonen einseitig oder gegenseitig beeinflussend wirken und dadurch vorübergehend oder dauernd den konstanten Strom einer Anzahl von Ner ven umgestalten. Diesen Zustand muß man als Suggestion bezeichnen. Deshalb erfolgt Hefahrvolle Mege. Roman von Ewald August König. S „Und dann mußt Du Dich nach einer anderen Stelle um sehen?" fragte Hildegard bedauernd. „DaS wäre das Schlimmste nicht," fuhr er fort, „die Herren an der Börse wissen, was ich leisten kann, und ich darf mich auch rühmen, daß ich die Achtung und das Vertrauen aller ge nieße, die mich kennen. Eine gute Stelle würde ich bald wieder- finden, ich darf jetzt noch nicht daran denken; Ehre und Pflicht gefühl gebieten mir, auf meinem Posten auszuharren, bis ich meine Aufgabe erfüllt habe." „Wenn Du Offizier geworden wärest, würden diese Unan-, nehmlichkeiten und Demütigungen Dir erspart geblieben sein," warf die Generalin mit einem leisen Seufzer ein. „Diese allerdings, Mama, aber dafür hätten andere Unan nehmlichkeiten mich heimgesucht, jeder Stand hat seine Last und seine Verdrießlichkeiten. Arnold Wallendorf ist mehr zu bedauern als ich; er hat nichts gelernt, aus einem üppigen Wohlleben sieht er sich plötzlich in Armut und Elend versetzt." ^Go mag nun sein Schwager für ihn sorgen!" unterbrach die Mutter ihn voll Bitterkeit. „Baron von Ravenberg hat da- malS die Familie Wallendorf des Reichtums wegen der un serigen vorgezogen, nun muß er auch die weiteren Folgen sei ner unedlen Handlungsweise tragen." AuS den großen, tiefblauen Augen Hildegards traf ein vor- wurfsvoller Blick die alte Dame, die mit einer Geberde des Un muts ihre Tasse zurückschob. „Er hat bitter genug dafür gebüßt," sagte sie ernst; „er durfte damals nicht anders handeln, wenn er nicht den Fluch des Vaters an seine Fersen heften wollte. Und dennoch würde er auch daS getan haben, wenn ich die Einlösung seines verpfän deten Wortes gefordert hätte, er wäre mit mir in die weite Welt hinausgegangen, in Not und Tod!" „Du nimmst ihn noch immer in Schutz," erwiderte die Gene ralin, mit mißbilligender Miene das graue Haupt schüttelnd, „ich kann ihn nicht entschuldigen und ihm nicht verzeihen, denn sein Wortbruch hat Dein ganzes Leben vergiftet Wenn er standhaft geblieben wäre, wenn er mit der Entschlossenheit eines willens- starken Mannes Deine Rechte vertreten hätte, so würde sein Va ter schließlich doch nachgegeben haben." „Nein, Mama, daran war nicht zu denken," sagte Waldemar, der sich jetzt erhob, um Abschied zu nehmen, „der Haß deS alten Barons gegen Papa wurzelte zu tief." „Tas hätte Rüdiger vorher wissen müssen!" „Vielleicht kann dieser Vorwurf ihm gemacht werden, und eS wäre ehrlicher gewesen, wenn Rüdiger vor seiner Liebes werbung mit seinem Vater Rücksprache genommen hätte. Aber er kannte diesen Haß nicht, und so konnte er auch nicht den Wi derstand ahnen, auf den er später stieß." / „Und dieser Widerstand war nicht zu beugen," fügte Hilde gard den Worten ihres Bruders hinzu. '„Vielleicht hätte der Vater Rüdigers nach langen, schweren Kämpfen auf die Ver bindung mit Fräulein Wallendorf verzichtet, niemals würde er mich als seine Schwiegertochter anerkannt haben Und als mir dies klar geworden war, da sagte ich mir, daß ich den Sohn von dem Vater nicht trennen dürfte, und daß mir nun nichts an deres übrig bleibe, als meinem Verlobten die Freiheit zurück zugeben. Ich würde keine Reue darüber fühlen, wenn Rüdiger an der Seite seiner Gattin glücklich geworden wäre." Sie barg daS Antlitz einige Sekunden lang in ihren Händen, und Tränen schimmerten in ihren schönen Augen, als sie die Arme wieder sinken ließ „Glücklich?" sagte Waldemar achselzuckend. „Nicht um alle Schätze der Welt möchte ich das Leben führen, das er an der Seite dieser herzlosen, herrschsüchtigen, koketten Frau gefunden hat. „Man sprach bereits davon, daß er bald von seiner Reise zurückkehre, es wird keine fröhliche Heimkehr sein, denn er findet nun auch den Bruder seiner Frau in seinem Hause, mit dem er schon vor der Abreise zerfallen mar. Und der Bruder so wohl, wie der Onkel werden mit ihren unverschämten Ansprü chen, ihren Jntriguen und Betrügereien ihm das Leben noch mehr verbittern, wenn er nicht ganz energisch ihnen entgegen tritt." „Hatte er damals keine Energie, so wird er sie auch heute nicht haben," erwiderte die Generalin, während sie ihrem Sohne zusah, wie er vor dem Spiegel seine Toilette ordnete. „Ich fürchte, Waldemar, Du wirst auch noch einmal trübe Erfah rungen machen. Ich sage nichts gegen Deine Braut; Therese Grashof ist ein braves Mädchen, ihr gutes Herz und ihr ehren- fester Charakter wiegen daS fehlende Vermögen auf, da« ich Dir als Mitgift gewünscht hätte. Aber seit einiger Zeit wohnt Frau von Weilen, ihre Schwester, bei ihr, und von dieser jungen Witwe spricht man wenig Gutes." „Ich weiß es wohl," antwortete Waldemar, dessen Stirne sich wieder umwölkt hatte; „offen gestanden, gefüllt mir Hertha auch nicht. Sie ist leichtlebig, gefallsüchtig und intriguanl, aber die s Welt urteilt zu scharf über sie, der größere Teil dieses verdam- j menden Urteils gebührt nicht ihr, sondern ihrem Manne." > „Er soll ein Glücksritter gewesen sein!" warf die Genera- ! lin ein. „So sagt man; Hertha selbst spricht nicht gern von ihm, sie behauptet nur, daß er sie betrogen habe." „Sie wohnten früher in England?" „Jawohl, Herr von Weilen ist dort in einem Duell gefallen, er ließ (eine junge Witwe in dürftigen Umständen zurück." „Kinder sind nicht vorhanden?" „Nein." „Um so schlimmer!" „Weshalb?" I„Weil die Sorge um sie die junge Witwe ernster stimmen und zur Arbeit zwingen würde," erwiderte die Generalin. „Geh' über meine Besorgnisse nicht so leicht hinweg, ich fürchte den bösen Einfluß, den diese charakterlose Frau auf ihre Schwester üben muß Du sagtest einmal, Frau von Weilen suche wieder eine Stelle als Gouvernante, sie war das ja auch vor ihrer Verheiratung, ist es ihr wirklich Ernst damit?" „Gewiß," nickte Waldems: „nur scheint sie mir zu wählerisch zu sein, einige Stellen, die ihr augeboten wurden, hat sie be reits ausgeschlagen Deine Besorgnis aber ist wirklich unbegrün- det, liebe Mama; Therese läßt sich von ihrer Schwester nicht leiten, sie geht ihren eigenen Weg. Ich muß nun gehen, ob ich rechtzeitig zur Mittagtafel hier sein werde, kann ich nicht be stimmen, also wartet nicht auf mich; ich bin heute und in den nächsten Tagen nicht mehr Herr über meine Zeit, und wie ich bereits sagte, muß und will ich auf meinem Posten auShar- ren." Er küßte seine Mutter auf die Stirn und drückte der Schwester die Hand, dann verließ er mit sorgenvoller Miene das Haus. Er hatte seinen Angehörigen nicht alles sagen mögen, war mit schwerem Druck auf ihm ruhte; er wollte sie nicht noch mehr beunruhigen, zumal er selbst für das, was ihm die größten Sor gen machte, keine Erklärung finden konnte. 125,20
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