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einer durch die bakteriologische Untersuchung nicht als Cholera festgestellt worden. Die Gesamtzahl der Cholerafälle, beträgt bis jetzt 202 Erkrankungen, von denen 75 tödlich en digten. Voit den vom 17. bis 18. Septem ber gemeldeten Neuerkrankungen entfallen auf die Kreise Rastenburg 1, Marienburg 3, Grau- denz 2, Liebau 1, Stettin 2, Posen 1, Schubin 1, Czernickau 1 und Breslau 1. — Auf der Rückkehr aus De«tsch»Süd weftafrika traf der Dampfer „Ernst Wör mann" Sonntag nachmittag mit 9 Offizieren, 40 Mann, darunter 2 Verwundeten und 16 Erkrankten, in Hamburg ein; unter den Offi zieren sind Major Gräser, die Hauptleute Wehle, Schulze, die Leutnants Jules de Beau lieu, von der Lippe und von Donninghansen. Mit dem Dampfer kehrte zugleich aus Lome derauf der Studienreise erkrankte Reichstagsabge ordnete Günther-Neidenburg zurück. Er sprach sich über den Aufenthalt in Lome sehr günstig aus. Günther ist vollständig wieder herge stellt; er reiste Abends nach seiner Heimat ab. — Die Generaldirektion der sächsischen Staatsbahnen läßt auf den Fahrkarten neben dem am Kopfe der letzteren ersichtlichen Stempel des Lösungstages auch den des Ver falltages anbringen und kommt mit dieser praktischen Neuerung vielfach gehegten Wünschen des reisenden Publikums entgegen. Das Linienschiff „Preußen" wird Anfang Oktober als Flaggschiff des zweiten Geschwaders an Stelle des„KaiserFriedrich 111." in Dienst gestellt. Es nimmt den Geschwader- chef Vizeadmiral Fischel an Bord. — Ein bedauerlicher Verlust für das Deutschtum scheint im Kreise Marienwer der eingetreten zu sein. Dort ist das 2400 Morgen große Rittergut Bielsk, das sich seit etwa 120 Jahren im Besitze der hochange sehenen deutschen Familie Plehn befand, an Herrn Grabski für 660000 Mk. verkauft und man nimmt an, daß es damit in polnischen Besitz übergegangen ist. Wie der „Tanz. Ztg." berichtet wird, war das Rittergut der preußischen Ansiedlungs-Kommission zum Kauf angeboten. Dieselbe bat in einer Sitzung im Juni d. I. zwar den Kauf ihrerseits abgelehnt, dagegen dem preußischen Domänenfiskus den Ankauf empfohlen. Seitens des letzteren wa ren auch Verhandlungen eingeleitet und es wurde eine kommissarische Vorbesichtigung vor genommen. Herr Grabski scheint nun aber dem Domänenfiskus den Rang abgelaufen zu haben, und daran soll der schleppende Geschäfts gang bei den Behörden die Schuld tragen; so behauptet die „Danz Ztg." — Breslau. Ein Attentat gegen einen Eisenbahnzug, das dem Anschein nach dem Schnellzug Nr. 2 gegolten, wurde auf der Strecke Beuthen bis Oppeln unweit der Station Blottnitz verübt. Die Attentäter hatten beide Gleise mit schweren Sandsteinen belegt. Glück licherweise vermochte die schwere Güterzugs lokomotive eines die Strecke durchfahrenden Güterzuges, die Steine zu zermalmen. Sie erlitt dabei aber sehr große Beschädigungen. Die Attentäter hatten auch die Signal-Laterne zertrümmert. — Durch kaiserliche KabinettSorder ist nunmehr die Entfestigung der ganzen Rhein front von Mainz verfügt worden und die selbe auch gleichzeitig für rayonfrei erklärt worden. — Der seit mehreren Wochen währende — Trier. In der Naabschen Falsch münzer-Affäre, die bereits vier Jahre zurück liegt, finden jetzt fortgesetzt Verhaftungen statt. Die Diter gehören teilweise angesehenen Fa milien an. — Türkei. Sultan Abdul Hamid ist nicht der furchtlose Mann, als der er gelegent lich des neulichen BombenattentatS bei der Moschee dargestcllt wurde, wenn sich die Kon stantinopler Nachricht bestätigt, daß ihm die drahtlose Telegraphie, die ihm vorgeführt wurde, unheimlich erschien. Der Sultan meinte angeblich, die Erfindung berge große Gefahren in sich; er äußerte den Wunsch, die drahtlose Telegraphie nicht mehr in Tätigkeit zu sehen. A«s Stadt und Land. Naunhof, den 1S. September 1905. Naunhof. In der letzten Bezirksaus schußsitzung, die am 5. d. Mts. unter Vorsitz des Herrn Regierungsrat Dr. Dietrich in Grimma stattfand betraf Naunhof die Be willigung einer Ausnahme von Bestimmungen der Stüdteordnung zu dem Nachtragsver- trage zwischen den Stadtgemeinden Leipzig und Naunhof, die Besteuerung des Wasser werks betreffend. Auch wurde die Schanker laubnis Püchner-Naunhof (Schillerschlößchen) jedoch ohne Brantweinschank genehmigt. Naunhof. In unserm engeren Vater- lande werden alljährlich große Summen zu wohltätigen und gemeinnützigen Zwecken ge stiftet und auch in unsrer Stadt Naunhof sind Wohlzutun nnd Mitzuteilen keine unbekannten Begriffe. Manches schöne und auch gute Werk verdankt seine Entstehung der Opferwilligkeit hiesiger Bürger, aber nicht nur die Entstehung auch die Fortführung ist in den meisten Fällen auf offene Herzen und offene Hände, auf freiwillig gespendete Gaben angewiesen. Ein solches Unternehmen ist die Kleinkinderbewahr anstalt Elisabethstift in Naunhof, das wohl in hochherzigster Weise bisher regelmäßig mit einer ansehnlichen Summe aus dem Ueberschuß der Städt. Sparkaffe bedacht worden ist, das aber zur Erhaltung seiner Lebensfähigkeit ohne mildherzige Spenden nicht auskommen kann. Auch in den nächsten Tagen soll wieder an Türen und Herzen augeklopft und um Gaben für das Elisabethstift gebeten werden. In keinem der früheren Jahre ist die Bitte uner füllt geblieben und so wird auch für den Rundgang im Jahre 1905 die frohe Hoffnung gehegt, daß die Botin mit reichen Schätzen heimkehren wird, damit das Liebeswerk, so an den Kleinsten unsrer Gemeinde geschieht weiter blühen und gedeihen kann. Allen aber, die zur Erhaltung des Elisabethstiftes beitragen sei im Voraus ein „Vergelts Gott" zugerufeu! Naunhof. Ein frecher Bursche stattete in voriger Woche dem Entenstalle eines hiesi gen Grundstückes, das allerdings etwas ent fernt von der Stadt liegt, einen Besuch ab. Als der Dieb seine Beute in Sicherheit bringen wollte, dabei aber von dem Bestohlenen er griffen wurde, setzte er sich zur Wehr und biß seinen Verfolger in den Finger, so daß ihn dieser laufen lassen mußte. Der junge Dieb mar ein größerer Schulknabe von aus wärts. Naunhof. Trotzdem die Witterung in den letzten Tagen bereits recht herbstlich war, wurde uns am Sonnabend ein ganzes Sträuß chen voll erblühte Birnenblüten zugeschickt. Ueberhaupt hatten mir voriges Jahr um die selbe Zeit ebenfalls sehr kalte Nächte, stand doch das Quecksilber bereits in der Nacht zum 17. September 1904 auf dem Gefrierpunkte. ff Genaue Zahlen über die Ergebnisse der Wahlmännerwahlen lassen sich wegen vieler Nachwahlen noch nicht angeben. Die Hauptwahlen zum Landtage finden am 2. Ok tober statt. Nach den jetzigen Aussichten ist eine kleine Verschiebung nach links zu erwarten, ohne daß die Stellung der Konservativen als ausschlaggebende Richtung beeinträchtigt werden dürfte. ff Die sächsischen Gemerbekammern waren durch ihren Vorort (Dresden) beim Ministerium des Innern vorstellig geworden wegen der Beteiligung von Beamten an Konsumvereinen und sonstigen Erwerbsgen offen - schäften. Das Ministerium hat in einer hier auf ergangenen Verordnung darauf hingewiesen, daß es seit Jahren jeden sich bietenden An laß benutzt habe, die ihm unterstellten Staats behörden darauf hinzuweisen, daß gegenüber den Bestrebungen zur Gründung von Beamten,- Einkaufs- und Konsumvereinen völlige Neu tralität zu beobachten und der Wettbewerb von Konsumvereinen gegen das Kaufmanns- und das Kleingewerbe weder mittelbar, noch unmittelbar zu begünstigen sei. Im übrigen werde das Ministerium von jdem Vorbehalte der vorgängigen Genehmigung zur Uedcr- nahme einer Beschäftigung oder einer Stelle im Vorstand, Verwaltungs- oder Aufsichtsrat einer Ermerbsgenoffenschaft feiten eines Staats dieners wie seither, so auch künftig in vor sichtigster Weise und nur in ganz besonders gearteten Fällen Gebrauch machen. f Bei der König!, sächsischen Staatsregier ung schweben seit einiger Zeit Erörterungen über die Errichtung einer König!, sächsi schen Forstschule und es ist sehr wahr scheinlich, daß von dem bevorstehenden Land tage Mittel zur Ausführung dieser Absicht verlangt werden. Der Forstakademie zu Tharandt wird durch die neue Lehranstalt, die natürlich auch für Nichtsachsen offen sein soll, in keiner Weise eine Konkurrenz erwachsen, sondern sie soll die Möglichkeit schaffen, dem unteren Forstpersonale eine bessere theoretische Ausbildung zu geben, als dies heute möglich ist. Der Sitz der sächsischen Försterschule steht noch nicht fest; vielfach wird jedoch Ol bernhau im Erzgebirge als Schulort genannt und es haben auch schon dementsprechende Vorerörterungen stattgefunden. Die neue Schule soll dem Kgl. Finanzministerium un terstellt werden. Ueber die Einzelheiten des Projektes läßt sich gegenwärtig Näheres noch nicht niitteilen, da die ganze Sache noch nicht definitiv abgeschlossen vorliegt. Die Idee der Errichtung einer Försterschule im Königreiche Sachsen hängt mit den Arbeiten zur Reorga nisation des sächsischen Forstverwaltungswesens zusammen, über deren bisherigen Verlauf und Stand ein Bericht an den Landtag gegeben werden wird. ff Am vorigen Freitag haben die dies jährigen Gerichtsferien ihr Ende erreicht. Es tritt nunmehr der Geschäftsgang in vollem Umfange wieder ein, sodaß auch die weniger dringlichen Sachen zur Erledigung kommen. Die Straf- Umd Zivilkammern werden wieder von den ständigen Vorsitzenden und deren Stellvertretern übernommen und die Schöffen geeichte halten in Gemäßheit des Geschäfts- planes ihre regelmäßigen Sitzungen ab. ff Warnung für Arbeitgeber und Dienstherrschaften. Welche Folgen die Streik der Zimmerer in Tonneberg ist durch Vermittlung des Gewerbegerichts unter Versitz des Oberbürgermeisters Liman beendet worden. Die Arbeit wurde allgemein wieder ausgenommen. — Die Hamburg-Amerika-Linie und der Norddeutsche Lloyd verpflichteten sich gegen über der Oppelner Regierung, auf eigene Kosten auf der Auswandererstation Myslowitz eine mit 24 Betten auszustattende Döckersche Baracke znr Isolierung choleraver dächtiger Auswanderer an einem im Einver nehmen mit den Stadtbehörden festzustellenden Platz auszubauen. — Neue Erdstöße wurden Sonntag Nachmittag 1 Uhr 40 Minuten, wie man aus Monteleone meldet in dem schon so schwer heimgesuchten Erdbebengebiet Süditaliens ver spürt. Die Bevölkerung verließ in lebhafter Beunruhigung die Häuser und verweilt im Freien. Der Arbeitsminister Ferraris, der am Vormittag dors eiugctroffcn ist, besuchte Zam maro, Piscopio und Stefanaconi, um sich von dem Fortgang der Hilfsarbeiten zu über zeugen. Die Errichtung von Unterkunftshütten schreitet überall lebhaft voran. Soldaten reißen die mit Einsturz drohenden Gebäude vollständig nieder. Der Bevölkerung ist eine große Anzahl von Zelten geliefert worden. An vielen Plätzen sind wahrhafte Zeltlager entstanden. — Ein tollkühner Raubüberfall wurde in Zürich mitten im Hauptbahnhof unternommen, in welchem sich eine Anzahl Ladenlokale befindet. Gerade als der größte Verkehr herrschte, trat ein junger Italienerin einen dort befindlichen Uhrenladen, der neben dem Telegrafenburean des Bahnhofs gelegen ist. Dort stach er mit einem Messer die In haberin des Ladens nieder. Das Messer drang der Unglücklichen 7 om tief in den Kopf. Die Frau konnte trotzdem noch in die Wandelhalle des Bahnhofs gelangen. Dort eilten auf ihre Hilferufe Hunderte herbei. Sie fasten den davonstürzenden Räuber und lynchten ihn in erbarmungsloser Weife. Die Frau liegt schwer verwundet im Hospital. Der verhaftete Täter verweigert jede Auskunft; er versucht jetzt den Wahnsinnigen zu spielen. — Tokio. Es sind Unterschlagungen von 330,000 Den (gegen 700,000 Mk.) durch drei Marinezadlmeister entdeckt worden. Die Nachricht wurde zunächst mit Ruhe ausge nommen, nachdem jedoch bekannt wurde, daß sich oie Unterschlagungen über ein Jahr hin erstreckten, ohne daß sie gemerkt wurden, hat ein Gefühl des Blißtrauens und der Beun ruhigung gegen die Marine-Verwaltung Platz gegriffen. Die Angelegenheit wird wahrschein lich Angriffe auf die Regierung Hervorrufen. — Die Ausschreitungen in Bak« und dem ganzen kaukasischen Naphthagebiete haben augenblicklich ihren Charakter geändert: an die Stelle ^des offenen Rassenkampfes zwischen Tataren und Armeniern ist Mord und Tot schlag getreten. So bieten die verwüsteten Städte zwar äußerlich ein Bild der Ruhe, in ihrem Innern aber herrscht die trostloseste Anarchie nach wie vor. Tie Werke feiern, jede öffentliche und private Arbeit ruht, die Läden sind geschlossen und die ärmere Be völkerung leidet bittere Not. Daneben lastet die dumpfe Angst auf den Gemütern aller vor neuen Ausbrüchen des barbarischen Fanatismus mit seinen Greueln an Brand und Mord. Derfchteiertes Htück. Roman von Ewald August König. 67 „Und dabei denken Sie nicht an sich?" fragte vorwurfsvoll Frau Ramberg. „Weichen Sie nicht aus," bat Kurt. „Sie können die Ihnen aufgenötigte Rolle nicht zu Ende spielen. Hat man meine Braut wieder so schwer beleidigt, daß sie an sich und der Welt ver zweifeln muß, an mir verzweifelt sie nicht. Noch einmal, Frau Ramberg, wo kann ich Leonore suchen?" „Dahin, wo sie sich befindet, können Sie nicht folgen." „So, ist sie bereits nach England?" „Herr Baron, ich tat schon zu viel, als ich Jhuen sagte, daß Leonore leidet, daß sie krank ist und Sie nicht zu ihr kommen können." „Also so," schrie Kurt auf, „habe ich Sie zu verstehen: der Leib hat der Seelenqual nicht länger widerstanden! Krank liegt sie danieder und da können Sie so herzlos sein, die einzige Hilfe, mich, von ihr fern halten zu wollen ?" „Sie können nicht helfen, könnten sich selbst nur zu Grunde sichten, wenn Sie sich bis zu ihr drängten." Kurt stand starr, leichenblaß stierte er die weinende Frau an und herzzerreißend entrang sich seinen Lippen nur das eine Wort: „Wo?" „In einem Krankenhause!" stöhnte Frau Ramberg und ent zog sich den leidenschaftlichen Schmerzensausbrüchen des schwer getroffenen jungen Mannes. Rettungslos verharrte er eine Weile, dann stürmte er Ret tung suchend hinaus zu seiner Schwester. Dora sah bestürzt den Fassungslosen, der händeringend auf sie zustürzte mit dem Ausruf: „O Schwester, sie morden sie!" Dora, keiner Frage mächtig, drückte den Bruder an sich, der erst nach längerer Pause sich verständlich machen konnte, um was es sich handelte. „Rate, hilf!" schloß er erschöpft. Dora zerfloß in Tränen. Wer konnte wissen, was ihr bevor stand. Doch gerade der Gedanke gab ihr endlich Worte. „Sorge, daß wir zur Stadt kommen. In Herberts Elternhause finden wir Rat." „Dahin müssen wir freilich unsere Zuflucht nehmen," stöhnte Kurt, „aber wie kann man da wissen, wo Leonore zu suchen ist?" „Weißt Du kein Mittel, das aus Frau Ramberg herauszu- > bringen?" „Treiben wir die sicher schwerleidende Frau nicht noch mehr in die Enge. Hoffe auf des Stadtrats Hilfe. Der kennt alles in der Stadt, die ja so viel Krankenhäuser nicht hat, als daß da« richtige nicht bald gefunden wäre, und wenn einer, so kann er Dir auch Zutritt verschaffen." Kurt sah ein, daß seine Schwester recht hatte. „Halte Dich bereit zur Fahrt gleich nach der Familientafel, ich will für den Fall, daß unsere öfteren Ausfahrten Verdacht erregen, nach Grün den dafür suchen." Die steife, formelle Tafel schien den Ungeduldigen heute kein Ende nehmen zu wollen. Dabei waltete eine Einsilbigkeit, ein gegenseitiges Beobachten, als ob Mißtrauen und Furcht vor Ent deckungen jeden auf Haus Bärenhorstbeherrscht. Endlich kam die Befreiung von diesem Zwange, als Baron Werner aufstand und sich in sein Zimmer zurückzog. Ihm folgte der Sohn, nachdem er noch einige nichtssagende Worte mit Kurt wechselte wegen der bevorstehenden Erntearbeiten. Die Geschwister benutzten das zur schleunigsten Entfernung durch den Park, an dessen End« sie den Wagen vorausgeschickt hatten. Bon da ging es zur Stadt, was die Pferde laufen konn ten, um möglich viel Zeit bis zum Abend zu gewinnen. Im Scharrenberaschen Hause war man überrascht von der Ankunft der Geschwister, die man so bald noch nicht erwartet hatte. „WaS ist geschehen, mein Herz, was bedeutet Deine Erre« gung?" fragte Herbert besorgt die Geliebte, welche die treuen Augen zu ihm aufschlug. „Uns beiden nichts, Herbert," flüsterte sie, „aber der arme Bruder!" Alle blickten erwartungsvoll auf diesen, der nun hastig be richtete, was vorgefallen, so überstürzend, daß nicht gleich das volle Verständnis zu erlangen war. Der Stadtrat erkundigte sich genau nach allen Einzelheiten, strich sich bedenklich durch den Bart und meinte: „So ganz leicht ist die Sache nicht und schnell zu klären noch weniger. Heute halte ich das ganz unmöglich. Die Anstaltsverwaltungen sind peinlich vorsichtig und finden wir auch, wo die Kranke ausge nommen ist, den Chefarzt, der die Erlaubnis zum Besuch allein geben kann, nachmittags schwerlich, wenn nicht zufällig. Deshalb, mein lieber junger Freund, wäre es am besten, Sie faßten sich einen weiteren Tag Geduld, um morgen aller Wahrscheinlich, keit nach anS Ziel zu gelangen." Das erschien Kurt unmöglich. Er nahm zwar dankend den Vorschlag an. „Aber," sagte er, „es brennt mir unter den Fü- ßen, ich kann den Nachmittag nicht untätig in der Stadt ver bringen und so will ich denn mein Heil auf eigene Faust versu chen." Der Stadtrat schüttelte den Kopf hierzu, er hatte kein Ver trauen zu dieser Ueberstürzung. Aber auch Herbert meinte, man soll den Freund immerhin forschen lassen. Dieser stürmte fort, während die Zurückbleibenden die Sache sorgenvoll besprachen, bis sich derStadtrat auf den Weg machte, um Erkundigungen einzuziehen. Kurt gedachte von Hospital zu Hospital Nachfrage zu halten, als eS ihm einfiel, vorher noch einmal am Pensionat vorbeizu gehen. Vielleicht war ihm diesmal der Zufall günstiger und er leichterte ihm die Auffindung. Er trat in den Vorgarten und wollte schon weiter aufs HauS zu gehen, als er einen da beschäf. tigten Arbeiter sah, den er ansprach und so erfuhr, daß dieser hier ein Allesbesorger war, der Fräulein Ramberg kannte. „Seit mann ist das Fräulein fort?" fragte Kurt. „Das ist noch nicht lange her," lautete der Bescheid, „e» tat uns leid, denn mir hatten sie alle gern." „Warum ist sie denn nicht geblieben?" „Das hat so recht niemanderfahren, die einen sagen, sie habe Herrenbesuche empfangen." „Hatte sie denn dazu Gelegenheit?" fragte Kurt, der über das Vorleben der Geliebten so gut wie nichts wußte, in einer Anwandlung von Eifersucht. „Bewahre, darüber wachen schon die Frauenzimmer, das Fräulein hat sicher nichts verfehlt. ES wird sein, wie schon !o oft, mit unserm alten Schuldrachen kann sich niemand vertra- gen und da hat sie fortgemußt." „Und wohin?" fragte Kurt, froh, die Frage endlich unver fänglich tun zu können, auf die allein eS ihm ankam. „Es hieß, sie wolle keine Stelle mehr annehmen, sondern Pri vatunterricht geben, von oben herab ist uns gesagt worden, sie sei nach England." 118,20