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— Nach Meldungen aus Portsmouth regte Präsident Roosevelt die Anrufung eines Schiedsgerichts über die bei den Friedensverhandlungen besonders streitigen Fragen an. — Die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika beabsichtigt, die Kriegsstärke der Landarmee auf 250 000 Mann zu erhöhen. — Die russischen Generale von der Mandschureiarmee ersuchten die Delegierten in Portsmouth, keinen unvorteilhaften Fneden zu schließen. — Die in Nordkorea stehenden russischen Truppen sind von den Japanern über den Tumenfluß zurückgedrängt worden. — Ueber Kurland ist der Kriegs zustand verhängt worden. Die Befugnisse de? Generalgouverneurs wurden dem Kom mandierenden des 20. Armeekorps übertragen. — In Warschau hat am Montag der Generalstreik begonnen. — Das ans der Fahrt nach der Ostsee begriffene englische Geschwader ist in Esbjerg (Jptlandl eingetroffen. Für die nächsten Tage sind dort große Festlichkeiten zu Ehren des Geschwaders geplant. Aus Stadt und Land. Naunhof, den 22. August 1W5. Naunhof. Heute Dienstag hat der jugendliche Heldendarsteller der Theatergesell schaft Voigt, Herr Paul Heinecke sein Benefiz. Einen lustigen Schwank „O, diese Weiber" hat sich der Benefiziant zu seinem Ehrenabend ausgesucht, der jedenfalls lebhaften Beifall finden wird. Wünschen wir dem jungen Mann heute Abend ein recht volles Haus. Naunhof. Anläßlich der Erwähnung des 25jährigen ZubiläumS des Herrn Franz Wachsmuth bei der Leipziger Cresitbank, lag der Wunsch nahe, etwas Näheres über seinen bemerkenswerten Entwickelungsgang zu er fahren. Um nun nicht etwa Wahrheit und Dichtung mit einander zu verflechten nahmen wir den geradesten Weg und baten Herrn Wachsmuth selbst uni einige Notizen, die er uns denn auch zu kommen ließ. Er schreibt: "Ich bin 1852 in Naunhof geboren, habe dort die Schule besucht und danach nach dem Willen meiner Eltern die Cigarrenfabrikation erlernt. Da mir diese Tätigkeit aber nicht zujagte, habe ich sie nach einigen Jahren wieder aufgegeben, um, meinem eigenen Drange und Selbstvertrauen folgend, dem Handelsberufe zuzustreben. Ich ging zunächst zu einem Rechtsanwalt, war dann während der Kriegsjahre 1870/71 in der Redaktion und Expedition der Jllustrirten Zeitung und Jllustrirten Kriegschronik und später ab wechselnd in Versicherungsanstalten, Buchhand lungen und Banken in Stellung. Mit eisernem Fleiß und guter Auffassungsgabe habe ich mir in Privatstudien und Uebungen reichliche und vielseitige kaufmännische, literarische, Schrift- und Sprachenkenntnisse angeeignet und mir auch durch UnterrichPerteilung, buchhänd lerische ganz besonders kalligraphische Leistungen mannigfache Anerkennungen erworben. Per sönlich war ich immer bestrebt, ein humaner, rechtschaffener und in der Welt nützlicher Mensch zu sein. Mit 28 Jahren trat ich als Buchhalter bei der Leipziger Credik-Bank in Stellung, wo ich nun seit 11 Jahren Prokurist bin und mein Dieustjubiläum gefeiert habe. Naunhof. Von unserm Afrikakämpfer Reiter Heyde ist jetzt wieder eine Mitteilung aus Epukiro eingegangen, in der er unterm 9. Juli schreibt, daß dasAnfang Dezember 1904 von hier abgesandte Weihnachtspaket endlich am 7. Juli 1905 in seinen Besitz gelangt ist. Also ungefähr 7 Monate lang ist die Sendung unterwegs gewesen. Mittwoch, den 23. August, nachm 4 Uhr: Konzert an -er Alberthütte. Direktion.- Herr Stnvtmusikdirektor August Luther. Spielfolge. t. Freikorps Marsch a d Optte. : „Der Feldpre- -iger v. Millöcker. 2. „Ungarische Lustspiel-Vuverture v. Mler Mla. 3. Bruchstücke a. R. WagnerS Oper: „Tannhäuser" bearbeitet v- A Luther. 4. „Lachtäubchen ' Scherz-Polka v. Behr. 5. „Nordisches Bouguct'' Fantasie v. E. Bach. 6. „Elektrische Funken" Potpourrie v. Hause. 7 „Nibelungen Marsch." » Sonntag ch König Friedrich August schenkt schon seit Jahren der Wohnungsfrage größtes Interesse und hat dies bereits wiederholt öffentlich kund getan. So übernahm er das Protektorat über den Dresdner Spar- und Bauverein, dessen großartige Leistungen in der Schaffung billiger, unkündbarer und gesunder Wohnungen für kleine Leute bekannt sind. Der Monarch hat sich wiederholt von dem segensreichen Wirken des Vereins überzeugt und kennt die Häuser und deren Einrichtung sehr gut. Bei seiner Anwesenheit in Plauen i. V. im Laufe nächster Woche wird sich Se. Maj. die großen Arbeiterwohnhäuser daselbst, die sehr umfangreich sind, ansehen und einen eingehenden Bericht darüber entgegennehmen. Die Teilnahme an der Wohnungsfrage ist eines jener Momente, welche den König in den einfacheren Volkskreisen so beliebt gemacht haben. ch Am vorigen Sonnabend wurde das Königliche Hoflager nach Pillnitz verlegt. Die Einwohner von Pillnitz nnd den um liegenden Ortschaften brachten deshalb am Sonnabend Abend dem König eine begeisterte Huldigung dar, für die er mit folgenden Worten dankte: „Ich freue Mich sehr, daß Sie, die Sie hier versammelt sind, Mich so freundlich begrüßen. Pillnitz birgt füx Mich so manche schmerzliche Erinnerung; aber Ich habe auch hier und in Hosterwitz einen großen Teil Meiner Jugendzeit verlebt und manche schöne Stunde verlebt und bin der Ueberzeugung, daß man sich hier wohlfühlen kann. Gerade heute, wo Sie in so schöner Weise Mich Ihrer Liebe und Treue versichert haben, hoffe Ich ui^l so mehr, daß Ich Mich hier wohl und glücklich fühlen werde, wenn es der liebe Gott will. 1 Das sächsische Ministerium des Innern hat im Hinblick auf ein Urteil des sächsischen Oberlandesgerichts, wonach der Wert der freien Bekleidung bei Berechnung der Unfallrente mit zu Grunde zu legen fei, beschlossen, für seinen Verwaltungsbereich an zuordnen, daß in Zukunft das sogenante Be- tleidungsgeld bei Bemessung der Unfallpension Hinterbliebenenrente und des Sterbegeldes dem „gesamten Diensteinkommen" im Sinne des 8 9 Abs. 1 des Gesetzes vom 1. Juli 1902 über die Unfallfürsorge für Beainte hinzuge rechnet werde. Dementsprechend sei auch das Bekleidungsgeld der betreffenden Beamten in Zukunft mit zur Einkommensteuer heranzuziehen und in den nach § 37 des Einkommensteuer gesetzes dazu aufzustellenden Beamtenlisten mit aufzuführen f Die ersten Zwanzig Markstücke mit dem Bilde Königs Friedrich August sind in letzter Zeit in Umlauf gegeben worden. Das vom Kgl. Münzgraveur Bardelock ge schaffene Profil des Monarchen ist außer ordentlich lebenswahr und wirkungsvoll. Die Stücke sind in der Kgl. Münze zu Mulden hütten geprägt und tragen das Münzzeichen L. Auch die übrigen Münzen init dem Bilde König» Friedrich August beginnen jetzt ihre Wanderung auf dem Markt. ff Tie bisherigeu Erhebungen zum Sprem- berger Eisenbahnunglück haben nicht nnr TrunkenheitdesdiensthabendeuStationSvorstehers als Ursache der Katastrophe ergeben, es ist vielmehr gleichzeitig gutem Vernehmen nach festgestellt worden, daß noch andere Beamte durch Verletzung wichtiger Punkte ihrer Dienst vorschriften in verhängnisvoller Weise sich ver gangen haben. Wie die „Magd. Ztg. mit teilt, hat die Staatsanwaltschaft gegen 0 An gestellte der Station Spremberg und 2 Strecken wärter ein Ermittlungsverfahren wegen fahr- lässicher Tötung durch Außerachtlassung ihrer Berufspflicht eingeleitet. Auch der Eisenbahn minister ordnete eine neue Dienstuntersuchung gegen das gesamte Personal, das am Un glückstage tätig gewesen ist, an. — Gleiche grobe Verstöße sind im Bereiche der sächsischen StaatSbahnen bisher nicht bekannt ge worden: gleichwohl hat die Generaldircktion der sächsischen Staatsbahnen am 1. August, also bevor das Unglück in Spremberg sich ereignete, angeordnet, daß bei solchen Verfeh lungen mit der größten Strenge verfahren und in der Regel die Dienstentlassung verfügt werden soll. Beamte, die sich längere Zeit hindurch übermäßigen Genüsse von Alkohol hingeben, müssen pensioniert werden. Um aber den Etat nicht mit Pensionen für Trunk süchtige zu belasten, sollen sämtliche Dienst stellen Anzeige erstatten, wenn ein Beamter einem unmäßigem Genüsse von Alkohol zuneigt so daß Kündigung erfolgen kann, ehe die Dienstunfähigkeit eintriit. Bedienstete, welche zur Trunksucht neigen, sollen den Vereinen zur Bekämpfung der Trunksucht empfohlen werden, fei es dem Vereine enthaltsamer Eisen bahner für Dresden und Leipzig, sei es ähn lichen Vereinigungen. Es soll aber darauf geachtet werden, daß Trinker, die sich den Vereinen angeschloffen haben, von ihren Be rufsgenossen schonend behandelt werden. ! Das sächstschc Vogtland, das in der Göltzschtalbrücke bei Mylau und in der Elstertalbrücke bei Joketa die größten Eisen bahnbrücken Deutschlands besitzt, ist abermals nm einen großartigen Brückenbau reicher ge worden. Das Bauwerk, eine breite Straßen brücke modernster Konstruktion, befindet sich in Plauen und überspannt das breite Tal der Syra in Haushöhe. Auf den Hängen des breiten Tales ruhend, besteht die Brücke aus einigen kleineren Haltebogen, die den Ueber gang zu dem Hauptbogen bilden, der in feiner Spannweite von 90 Metern die breite Syratal- straße und den Fluß überwölbt. Trotz ihrer riesigen Dimensionen macht die Brücke einen architektonisch vornehmen Eindruck und bildet im Verein mit ihrer Umgebung einen charak teristisches Städtebild. Die Brücke ist in Zementmörtel - Bruchsteinmauerwerk von der Firma Liebhold L Co. in Langebrück nnd der Stadtbauverwaltung zu Plauen entworfen und ausgeführt worden und erforderte eine Bauzeit von drei Jahren. Von dem Plateau genießt man eine schöne Aussicht auf die Stadt und deren bergige Umgegend. Einert Hauptschmuck der Brücke bilden zwölf hohe elektrische Lichtkandelaber modernen Charakters, ein kunstvolles Eisengitter, künstlerisch ausge führte Namenstafeln mit der Aufschrift „König Friedrich August-Brücke" und zwei Tafeln, die späteren Geschlechtern die Geschichte der Ent stehung und Einweihung des Viadukts künden sollen. Die Kosten des Bauwerks stellen sich einschließlich des Grundermerbs auf rund 700 000 Mark. Die Brücke wird nächsten Donnerstag im Beisein des Königs eingeweiht und sodann in vollem Umfange dem Verkehr übergeben werden. Oschatz. Als am Sonnabend nachmittag der Schlosser Rauschenbach von seiner Arbeits stelle nach Hause zurückkehrte, fand er die Tür verschlossen. Er verschaffte sich mit Ge malt Eingang, und nun bot sich ihm ein ent setzlicher Anblick. Seine 25 Jahre alte Frau und der 19jährige Kellner Bergener hatten sich in der einen Stube dicht nebeneinander erhängt, in der anderen fand er von seinen drei zwei-, vier- rind sechsjährigen Kindern zwei durch Messerstiche und Revolverschüsse getötet und eins schwer verletzt vor, das aber auch kurz darauf starb. Die Frau hinterließ einen Brief, in dem sie ihrem Mann schreibt, daß sie und ihr Geliebter das Leben nicht mehr hätten ertragen können. Sie habe ihre Kinder nicht auf dieser Welt zurücklassen wollen und die Kleinen infolgedessen töten müssen. Zum Schluß bittet sie um ein gemeinsames Grab für sich und ihre Kinder. Ter durch die furchtbare Tat völlig niedergeschmetterte Rauschenbach hatte von dem Verhältnis seiner Frau zu Bergner keine Ahnung! gehabt. Seit drei Tagen stehen die gesammtcn Brikettvorräte auf der Braunkohlenzeche Frie lendorf bei Ziegenhai st in Flammen. Es sind an 50,000 Zentner. Kolossale Rauch massen steigen empor und verbreiten sich über die ganze Gegend. Trotz aller Anstrengungen war bisher keine Ablöschung möglich. Nach dem Genüsse unreifen Obstes er krankten Ende voriger Wocher in Bösen brunn die beiden fünf und vier Jahre alten Töchterchen des Zimmermanns Albin Winkler. Ungeachtet ärztlicher Hülfeleistung verschied das älteste Kind nach dreitägigen Leiden, und das jüngere Schwesterchen, bei dein noch Rippenfellentzündung zu der Brech ruhr sich gestellte, folgte ihm zwei Tage später ins Grab. In Fremdiswalde bei Nerchau mußte die Schule auf 4 Wochen geschlossen werden, weil dort die Diphtheritis in besorgniserregen der Weise ausgebrochen ist. Der im Mai verstorbene Kaufmann und frühere Fabrikbesitzer Karl Emil Oschatz hat der Gemeinde Schönheide 3000 Mk. ver macht. Die Zinsen ocs Kapitals sollen fall- jährlich am Geburtstage des Verstorbene» an Arme verteilt werden. Lötzschen. Eine eigenartige Sitte herrscht hier bei Tanzmusiken oder sogenannten Jugend- bällen. Bei dem kürzlich hier stattgehabten wurden als Gäste anwesende Thiendorfer, die sich beim Tanz nicht beteiligten, sondern gemütlich zechend um einen Tisch herumsaßcn, Derfchteiertes Hlück. Roman von Ewald August König. 43 Mit dem Legat fei Fräulein Spitzer keineswegs zufrieden ge wiesen, sie hätte alle- haben wollen und dies durch eine Heirat mit dem alten Mann zu erreichen gesucht. Da» aber würde ihr nie gelungen sein, Gabriel Wendlein habe sich mit seiner Schwester ganz offen darüber ausgesprochen r nd ihr geradezu erklärt, er fürchte die heiratslustige Dame, und venn sie ihn nicht bald in Ruhe laste, so werde er ihr den Laufpaß geben und sein Testament ändern. Ueberhaupt hätten in der letzten Zeit sehr oft Reibereien zwischen den beiden stattgefunden, ihr Bruder sei noch kurz vor seinem Tode bei ihr gewesen, um sich darüber zu beklagen, lei der habe er sich zur Trennung von dieser intriganten und ge fährlichen Person nicht entschließen können. Das alles habe Fräulein Spitzer gewußt und aus diesen Gründen hätte sie den Tod des alten Mannes wünschen müssen, an dessen Eigensinn ihre hochfliegenden Pläne gescheitert seien. Der Untersuchungsrichter ließ daraufhin Veronika noch ein mal vorführen, sie war empört über die Aussagen der alten Frau, die sie als dreist erfundene Lügen bezeichnete. Sie hatte nie ein böses Wort mit dem Verstorbenen gehabt, nie daran ge zweifelt, daß er sein Versprechen einlösen und sie heiraten werde. Daß Gabriel Wendlein mit ihr auf dem besten, dagegen mit seiner Schwester auf dem schlechtesten Fuß gestanden habe, konnte die ganze Nachbarschaft bezeugen, dem alten Manne wa- die Besuche seiner Schwester nie angenehm gewesen. „Wie urteilen Sie nun?" fragte der Assessor, als daS Ver hör beendet war und er sich mit dem Kriminalbeamten wieder allein befand „Ich möchte eher die Frau Röber als ihren Sohn verdächtigen," erwiderte Hurtig, mit gedankenvoller Miene vor sich hinschauend. „Ich halte auch die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß sie bei der Tat zugegen gewesen ist," sagte der Richter. ! „Dann würde ich sie verhaften." „Dazu bin ich jetzt noch nicht berechtigt, aber ich laste sie scharf beobachten, und sobald ich nur die Spur von einem Be weise finde, greise ich zu." Der Beamte lächelte ironisch. „Wenn Sie nur nicht durch Scheinbeweise sich täuschen lasten,"sagte erwärmend. „Sie glau ben bereits so fest an die Schuld des jungen Röber, daß ..." „Zweifeln Sie noch immer daran?" unterbrach der Assessor ihn spöttisch. „Ich zweifle so lange, bis die Beweise mich unwiderlegbar überzeugen," fuhr der alte Herr ruhig fort. „Auf mich hat der Angeklagte nicht den Eindruck eines schuldbewußten Mannes ge macht, ebensowenig den eines verstockten Verbrechers." „Sie würden in diesem Falle wohl nur ein offenes Schuld bekenntnis als überzeugenden Beweis gelten lassen?" „In diesem Falle ja." „Und Ihr Verdacht ruht auch jetzt noch auf der Haushälte rin?" „Darüber bin ich mir noch nicht klar geworden," sagte der Beamte ausweichend, indem er sich erhob, „fände ich einen Vor wand, ihren Bruder verhaften zu lasten, so würde ich mich keinen Augenblick besinnen, es zu tun." „Kennen Sie ihn?" „Bis jetzt nur oberflächlich, ich habe auch schon Erkundigun gen über ihn emgezogen, die Auskunft, die ich erhielt, lautete nicht gerade zu seinen Gunsten. Schon einige Tage vor dem Mord hat er in Derendorf die Arbeit niedergelegt, angeblich, weil er höheren Lohn verlangte, der ihm nicht bewilligt wurde, aber irre macht es mich doch, daß er am Tage nach dem Morde in Derendorf gesehen worden ist. Auch ist die telegraphische De pesche, mit der seine Schwester ihn hierherberief, wirklich abge gangen." „DaS alles muß Ihnen doch beweisen, daß auf diesen Mann kein Verdacht fallen kann." „Ich werde selbst nach Derendorf reisen," erwiderte Hurtig, der inzwischen Hut und Stock aus der Zimmerecke geholt hatte, „mit der Eisenbahn kann ich in einer Stunde dort sein, die Er kundigungen an Ort und Stelle sind immer die sichersten." Der Assessor zuckte die Achseln, als ob er sagen wollte, er begreife nicht, wozu diese Erkundigungen dienen sollten, da ja von einem dunklen Rätsel nicht mehr die Rede sein könne, aber der alte Herr achtete nicht darauf, er drückte ihm mit dem freundlichsten Lächeln die Hand und ging hinaus. * * * Unterdessen befanden Frau Susanne und Veronika sich auf dem Heimwege, beide schweigsam und übel gelaunt. Die alte Frau hatte ein Gespräch anknüpfen wollen, aber keine Antwort erhalten, Veronika zog sich daheim sofort in ihr Zimmer zurück, und Frau Susanne setzte sich murrend und brnm- meud vor die Brauntweinflasche. Bald darauf wurde das Mittagesten gebracht, das die beiden für den heutigen Tag in einer Restauration bestellt hatten, da sie die lange Dauer des Verhörs voraussahen. Veronika kam nun wieder inS Wohnzimmer, und als die beiden nun einander gegenübersaßen, erschrak Frau Susanne über den feindseligen Blick, der aus den Augen der Haushälterin sie traf. „Holla, Sie sehen mich ja an, als ob Sie mich vergiften woll ten!" fuhr sie auf. „Was hab' ich Ihnen getan?" „Gelogen haben Sie, um mich zu verleumden und zu ver dächtigen," erwiderte Veronika mit zorniger Stimme. „Gelogen haben Sie selbst, Sie allein," sagte die alte Frau. „Mein Bruder hat Sie niemals heiraten wollen, so dumm, wie Sie ihn hielten, war er nicht, er hat sich bei mir oft genug lustig darüber gemacht. Und er hat's Ihnen auch gesagt, es war nahe genug daran, daß Sie entlassen wurden." „Das ist nicht wahr!" siel Veronika ihr mit wachsendem Zorn inS Wort. „Herr Wendlein hätte sich niemals von mir getrennt. Alles, was Sie vor dem Untersuchungsrichter ausgesagt haben, ist Lüge. Sie glauben damit den Verdacht von Ihrem Sohne ablenken zu können, bedenken aber nicht, wie wenig glaubwür- big Ihre Aussagen dem Richter erscheinen müssen. Sie sollten mir dankbar dafür sein, daß ich bisher Ihren Sohn geschont, sogar is Schutz genommen habe, ich werde es nicht mehr tun und im nächsten Verhör alles sagen, was ich weiß." Frau Susanne hatte Gabel und Messer hingelegt, ihr Blick war starr geworden, das krampfhafte Zucken ihrer dicken auf geworfenen Lippen bekundete den Sturm, der in ihrem Innern tobte. „Was wissen Sie?" rief Sie heiser. „Welche neue Lügen wollen Sie erfinden?" „Was ich weiß, sage ich Ihnen nicht, nur der Untersuchungs richter soll es erfahren," antwortete Veronika sie fest aublickeud. „Sie handelten nicht klug, als Sie meine Feindschaft heraus forderten." „Hinaus aus meinem Hause," schrie die alte Frau. „Ich will keine Natter an meinem Busen hegen." 118,20