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Neue, überraschende und oft tiefe Gedanken vereinigen sich bei Nodier mit einem wunderbaren Stile, den er sich zu schaffen gewußt und dessen Geheimniß er mit ins Grab genommen hat. In manchen seiner Journal-Artikel liegt mehr Phantasie und Gedanken, Schwung und Poesie, als in langen Romanen und berühmten Gedichten, die den Ruhm und Rcichthum ihrer Verfasser ge gründet haben. Aber Nodier lebte verschwenderisch mit seinem Genie und verstreute seine Schätze planlos unterweges. Sein reicher Geist Versuchte sich in allen Richtungen, im Gedicht, im Roman, in der Kritik, in der Linguistik; und überall zeigte er dieselbe Gewandtheit, dieselbe Ueberlegcnheit. Nodier war ein feiner, geschmackvoller und sicher urtheilender Kritiker, nur übte er aus angeborenem Wohlwollen oft eine zu große Nachsicht. Aber durch diese Milde wurde er zugleich auch der Beschützer jüngerer Schriftsteller, denen er väterlichen Rath und Aufmunterung gewährte. Die Mehrzahl der heutigen literarischen Celebritäten Frankreichs ist unter seinen Flügeln auf. gewachsen. Die Unterhaltung Nodier'S hatte gewöhnlich eine sanfte, melancholische Färbung und verriet- eine leidende und enttäuschte Seele. Wie die meisten bejahrten Leute, welche das Leben mit seinem eitel» Treiben erfahre» habe», beklagte er sich gern über sein Schicksal. Ungeachtet seines schriftstellerischen Ruhmes, schien es ihm Vergnügen zu machen, die Leiden und Plagen eines Schriftstellers zu schildern. Er schmollte gleichsam mit der Muse um die Liebe, die er ihr unwillkürlich geschenkt hatte. Sein Vater liebte die Schrift steller nicht. Er sah die literarischen Neigungen seines Sohnes ungern und sparte nichts, um ihn von einer Laufbahn abzumahncn, die ihm keine Zukunft zu versprechen schien. Doch war der Vater selbst vielbclesen und ein Mann von Geist. In seinen Mußestunde» schrieb er recht anmuthige Novellen, las sie dann des Abends der versammelten Familie vor, freute sich ihres Beifalls und — warf sein Manuskript ins Feuer. Charles Nodier kam in seinen vertraulichen Unterhaltungen gern auf seine glückliche Jugendzeit zurück und schilderte sie mit jenem Reize, mit jener naiven Anmuth, die er seinen kleinsten Erzählungen zu geben wußte. Das Bild seiner heimatlichen Berge blieb ihm stets vor Augen, und sein träume rischer Geist kehrte aus dem Gewühl der Hauptstadt, aus dem Glanze des Ruhmes gern in jene friedliche Einsamkeit zurück. Auf dem Lande zu leben, in irgend einem entfernten Weiler seine Tage zu beschließen, war sein liebster Wunsch. Oft bedauerte er, nicht ein Handwerk gelernt zu haben. Da er zählte er denn wohl auch, daß, als er noch sehr jung war, ein elsässischer Tischler, der gewöhnlich in dem Hause seines Vaters arbeitete, oft zu ihm gesagt habe: Junger Herr, Sie sollten mein Geschäft lernen. Man weiß nicht, was kommen kann, und Sie könnten es doch vielleicht eines Tages brauchen. — Warum habe ich, fügte dann der berühmte Schriftsteller hinzu, nicht auf den weisen Rath des ehrlichen Handwerkers gehört; ich bedaure täg- lich, daß ich ihn, nicht gefolgt habe. Wäre ich nicht glücklicher geworden? So war der liebenswürdige Mann, der anmuthige Schriftsteller, den der Tod kürzlich geraubt hat. Wer ihn kannte, wer sein Talent, seinen Geist liebte, wird gewiß nach den Blättern greifen, die seine letzten Gedanken enthalten. Francesco Colonna ist Charles Nodier'S Schwanengesang. Man kann ihn ohne Bewegung nicht lesen: dieses liebliche Gemälde einer reinen und keuschen Liebe, in welchem seine Seele, bereit, das Leben zu verlassen, ihre letzte Flamme ausgehaucht, ihre letzte Thräne vergossen zu haben scheint. Die Fabel der Novelle ist übrigens höchst einfach, ohne die Verwickelungen und außerordentlichen Ereignisse unserer Moderomane. Francesco, der Held dieser Geschichte, ist ein armer junger Maler von niedriger Herkunft, aber seine persönlichen Eigenschaften, sein Talent, sein beginnender Ruhm verschaffen ihm Zutritt in den vornehmsten Häusern von Venedig ; er besucht namentlich den Palast der Leonora Pisani, einer der reichsten und schönsten Frauen jener Stadt. Dort hat der arme Künstler häufig Gelegenheit, die junge Prinzessin Polia, die schönste und reichste Erbin Italiens, zu sehen, und wird, wie man bereits erräth, von der zärtlichsten Liebe zu ihr entzündet. Aber er begnügt sich, sie im Geheimen zu lieben, denn das Schickjal hat zwischen ihm und Polia eine unübersteigliche Kluft -befestigt. In seiner Verzweiflung entschließt er sich, Mönch zu werden; er will sein Leben und seine Liebe im Schatten eines Klosters begraben. Drei Tage vor jenem, den er zur Ablegung seines Gelübdes bestimmt hatte, wird er zu einer Spazierfahrt bei Leonora Pisani eingeladen. Er kommt mit Polia allein in dieselbe Gondel. Berauscht, be zaubert von den Blicken seiner Geliebten, läßt er sich daü Geständniß seiner Liebe entschlüpfen und erfährt, daß er wieder geliebt ist. Die edle Jungfrau will ihrem Stande und ihrem Reichthum entsagen, aber der feinfühlende Francesco kann ein solches Opfer nicht annehmen. Die Gewißheit, geliebt zu sepn, genügt ihm, und er fühlt sich beglückt, daß er diesen süßen Gedanken mit in die Einsamkeit nehmen kann, wo er seine Tage beschließen will. Da er Polia auf Erden nicht besitzen kann, will er sich bestreben, sie für die Ewigkeit zu gewinnen. Noch am Abend desselben Tages verläßt FranceSco seine Geliebte aus immer und begräbt sich voll himmlischer Hoffnung in ein Kloster. In dieser Novelle finden sich alle jene Eigenschaften wieder, welche das Talent Charles Nodier'S charakterisiren: dieselbe Biegsamkeit des Stils, die selbe Reinheit, dieselbe Anmuth der Form, derselbe leichte Scherz. Wie lebendig und ergötzlich weiß er seine Personen zu malen! wie tritt Alles charakteristisch heraus! Giebt cs etwas Treffenderes, als folgendes Portrait, welches sich auf mehr als einen unserer Gelehrten anwendcn ließe: „Du erinnerst dich vielleicht unseres Freundes, des Abb« Lowrich, de» wir in Ragusa, Spalato, Wien, München, Pisa, Bologna, Lausanne ge troffen haben. Es ist ein ausgezeichneter, grundgelehrter Mann, der aber viele Dinge weiß, die man sich glücklich schätzen würde, zu vergessen, wenn man sie wüßte wie er: den Namen des Verlegers eines häßlichen Buches, das Geburtsjahr eines Thoren und tausend Spezialitäten derselben Art. Der Abb« Lowrich hat die Ehre, den wahren Namen des KicknackiuS entdeckt zu haben, welcher Starkius hieß, und zwar, mit Ihrer gütigen Erlaubniß, nicht Polycarpus Starkius, der acht schöne Hendekaspllaben auf die These des Kornmannus <Ie viribus und auf die These des KornmannuS ü« viribus «r «wvtrius sv»r«b»«oruiu gemacht, sondern Martinus Starkius, der zwciund- drcißig Hendekaspllaben auf die Flöhe geschrieben hat." Und nun das Kostüm: „Ein Hut, wie es keinen weiter giebt, auf den Kopf gesetzt, wie man nie einen aufgesetzt hat; ein roth und grün gegittertes, wie ein Bindfaden zusammengeknüpftes Halstuch, das auf der linken Seite um vier gute Zoll über den Rockkragen hervorragte, während es auf der rechten um eben so viel unter demselben verschwand; ein nachlässig gebürstetes Beinkleid, das aus dem einen Beine lang hinabhing, auf dem anderen sich mit einer gewissen Koketterie über dem Stiefelschafte zu einem Wulste faltete; endlich die ge waltige Brieftasche, die unzertrennliche Brieftasche, in der so viel Bücher titel, so viel Bemerkungen, so viel Pläne, so viel Skizzen, so viel sür den Gelehrten unschätzbare Seltenheiten liegen, die aber der Trödler nicht auf heben würde. Man konnte sich nicht täuschen, es war Lowrich. Lowrich! rief ich, und wir stürzten einander in die Arme." Wir könnten aus Francesco Colonna noch manche andere nicht minder geistreiche Stelle auShebcn, aber wir ziehen cS vor, die reizenden Seiten herübcrzunehmen, auf denen uns der Verfasser mit seiner gewohnten Anmuth das letzte Zusammentreffen Franccsco's und Polia'S schildert. „ES war im Februar 1486. Der in diesem schönen Lande häufig zeitige Frühling begann, es mit seinem Reichthum zu überschütten. Polia schickte sich zur Rückkehr nach Treviso an, und ihre Cousine verdoppelte die bunten Feste, welche ihr den Aufenthalt in Venedig angenehmer, den Abschied schwerer machen sollten. Es war ein Tag festgesetzt zur Gondelfahrt auf dem großen Kanal und auf dem breiten und tiefen Arme, welcher die Stadt von ihrem Lido trennt. Francesco war unter den Einladungen Leonora Pisani's nicht vergessen worden, und der Brief, den er empfangen hatte, enthielt so liebens würdige und rührende Vorwürfe über seine lange Abwesenheit, daß ihm eine abschlägige Antwort unmöglich war- Polia sollte überdies, wie wir erzählt haben, am folgenden Tage abreiscn, und es läßt sich denken, daß Francesco sic noch einmal zu sehen wünschte, ungeachtet er gewöhnlich kalt empfangen wurde ; denn indem er immer weiter über die große Veränderung nachgedacht hatte, welche so plötzlich in ihrem Benehmen vorgegangen war, war es ihm endlich deutlich geworden, daß diese eigensinnige Verwandlung einen anderen Grund haben mußte, als Haß. Er fand sich also auf der Treppe des Palastes Pisani