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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. PrönumerntionS-Preis 22^ Silbergr. Thlr.) vierteljährlich, Z Thlr. für das ganze Jahr, ohne Erhöhung, in allen Theilen der Preußischen Monaräue. Magazin für die Pränumerationen werden von jeder Buchhandlung (in Berlin bei Veil u. Comv., Jägerstraße Nr. 25), so wie von allen Königl. Post-Äcmtein, angenommen. Literatur des Auslandes. 38. 1843. Berlin, Donnerstag den 15. Mai Frankreich. Die Kriminal-Justiz in Frankreich. Das französische Justiz-Ministerium gicbt seit einiger Zeit einen jähr lichen Bericht über die in Frankreich begangenen Verbrechen heraus. Solche Berichte können, die früheren mit den späteren verglichen, darüber Aufschluß geben, ob die Sittlichkeit eines Volkes im Steigen oder Fallen ist. In Frank reich, wie in den meisten Ländern von moderner Civilisation, ist ein großer Theil der Einwohner der Meinung, die Sitten sehen im Zustande der Auf lösung und die Menschheit laufe ihrem Verderben entgegen. Nun werden freilich jetzt mehr, als ehemals, in allen Ständen Leute von ungezügelter Ehr- und Habgier gefunden, die sich leicht zu Verbrechen hinrcißen lassen. Auch mag das allgemeine Interesse, das große Verbrecher erregen, zu der Ver führung das Seinige beitragen; aber doch scheint uns die Vermehrung brr Verbrechen nur scheinbar, da die neuerdings entstandenen kriminaltstischen Zeitschriften Vieles berichten, was früher wohl auch geschehen ist und nur nicht bekannt gemacht wurde. Einen Beweis dafür, wie wenig eine bis zum Ruin der menschlichen Gesellschaft fortschreitende Demoralisation zu fürchten seh, liefert der diesjährige Bericht über die in Frankreich im Jahre 1843 vor- gckommencn Kriminalfälle. Er kann auch einen Maßstab für den Zustand der Sittlichkeit in anderen Ländern abgeben, da Frankreich zwar die feine, aber doch nicht gerade vorzugsweise die gute Sitte vertritt. ES waren im Jahre 1843 7226 Angeklagte. Diese Zahl diffcrirt wenig von denen der früheren Jahre, und es ist höchstens darin ein Unterschied zu finden, daß einige Verbrechen öfter, andere seltener begangen worden sind als früher. Dieselben zerfallen zuvörderst in solche, die gegen Personen, und in solche, die gegen das Eigcnthum gerichtet sind. Von den Angeklagten hatten sich 2233 der ersten, 4993 der letzten Art schuldig gemacht. Dies Verhältniß scheint natürlich, denn die Haupttriebfeder zum Bösen ist nicht ein Rachcgefühl, das nur mit Blut gesättigt wird, sondern ein Haß aus Neid, der sich nicht durch Mord, sondern nur durch Raub befriedigen läßt. Von 1826 — 30 nahmen die Angriffe auf Personen regelmäßig ab, find aber seit l83l wieder im Steigen. Diese Steigerung mag sich daraus erklären, daß vor der Juli-Revolution die Gemüther noch nicht in Währung waren und die Verbrecher sich in gewissen Schranken hielten, um die Früchte ihres Raubes zu genießen, während sie jetzt oft den Mord beim Diebstahl zu Hülfe nehmen. Der letztere bleibt aber immer der hauptsächlichste Beweggrund. Eine andere Art des Attentats, die Nothzucht, ist ebenfalls in neuerer Zeit häufiger ver übt worden. An Kindern wurde das Verbrechen im Jahre 1841 332, 1842 321, 1843 347 mal begangen; an Erwachsenen 1843 zwar nicht so oft als 1841, aber dennoch ist die hierher gehörige Ziffer (208) ziemlich hoch. Im Publikum hat sich seit einiger Zeit die Meinung verbreitet, die Zahl der Vergiftungen nehme, besonders in Frankreich, auf eine erschreckende Weise zu und sep leider ein sprechender Beweis für den traurigen Stand der Sittlichkeit in unseren Tagen. Die offiziellen Berichte bestätigen aber diese Meinung durchaus nicht. Denn während in der Zeit von 1830 —1840 durch schnittlich jährlich 50 Vergiftungen vorkamen, geschahen ihrer 1841 40, 1842 41, 1843 nur 38, und es ist zu erwarten, daß durch strengere Maß regeln gegen den Arsenik-Verkauf diese Zahlen sich noch weit mehr verrin- gern werden. In dem Berichte, aus dem diese Angaben geschöpft sind, ist aus Tabellen zu ersehen, in welchem Bezüge Alter, häusliche Verhältnisse, Bildungsgrad, GeburtS- und Wohnort der Angeklagten zu der Zahl der begangenen Ver brechen stehen. In Betreff des Alters variiren die Ziffern der verschiedenen Jahre nicht erheblich. Von hundert Jnquisiten sind gewöhnlich 18 unter 21 Jahren, 32 zwischen 21 und 30, 25 zwischen 30 und 40, 15 zwischen 40 und 50, 5 zwischen 50 und 60 und eben so viel zwischen 60 und 70. Im Alter von 21 — 30 Jahren ist also die Immoralität am größten. Hier zeigt sich die geringste Kraft, dem Laster zu widerstehen, und wenn das Gemüth einmal durch Anlage, Beispiel oder Erziehung verdorben ist, so bedarf es ge wöhnlich nur einer äußeren Veranlassung, um den Unglücklichen auf den Weg zum Bagno zu schleudern. — Wir sehen ein, daß die Ehe für die öffentliche Moral sehr förderlich sepn muß; die statistischen Notizen bestätigen diese Vor aussetzung. Die Vereinigung der Interessen mehrerer Menschen, welche das Wesen der Ehe begründet, erhöht die Thcilnahme am Leben und das Streben nach einer ehrenhaften bürgerlichen Stellung, ja sie hat schon in den verderb testen Subjekten eine heilsame Umwandlung des Charakters hervorgebracht. Besonders günstig stellen sich die Listen für die gebildeteren Klassen der Bevölkerung. Von den 7226 Angeklagten des Jahres 1843 hatten 371!) fast gar keinen Unterricht genossen, 2316 konnten nur unvollkommen lesen und schreiben, 955 besaßen diese Kenntniß in dem Maße, daß sie sich mit ihrer Hülfe ernähren konnten, 236 hatten eine höhere Bildung erworben. Es steht freilich fest, daß ein wissenschaftlicher Unterricht nicht immer auch eine mo ralische Erziehung bedingen müsse, denn cs giebt gerade Leute, die ihre Kenntnisse zu irgend einem Verbrechen benutzen. Aber eine höhere Bildung ist jedenfalls das einzige Mittel, durch welches sich eine vernünftige Einsicht in die moralische Weltordnuug und in das Verhältniß zwischen den Rechten und Pflichten des Einzelnen gewinnen läßt. Der erwähnte Bericht zeigt ferner, wie sich die einzelnen Departements Frankreichs in Bezug auf die Menge der in ihnen vorgekommenen Kriminal fälle zu einander verhalten. Es würde eine genaue Auseinandersetzung der Verhältnisse, auf denen die Sitten der einzelnen Gegenden beruhen, erforder lich sepn, um die inneren Gründe dieser Thatsachen klar zu machen. Manche von ihnen liegen auf der Hand. Korsika z. B. ist das Land der Blutrache ; es werden also daselbst die Mordanfälle sehr häufig sepn. Die Meutereien sind dort ferner durch die vielen Berge und Wälder, welche zahlreiche Hinter halte und Zufluchtsorte darbietcn, sehr begünstigt, und es ist nicht zu ver wundern, wenn auf 1000 Einwohner in Korsika ein Jnquisit kommt. Ver gleichen wir damit das gebirgige Departement de l'Ain, dessen Hauptcharakter Einfachheit und patriarchalische Sitte ist, so finden wir einen ungeheuren Unterschieb. Hier ist erst von 16,938 Bewohnern einer der Kriminal-Justiz anhcimgefallen. Man kann sich denken, daß im Departement der Seine die Zahl der Verbrecher besonders groß sepn wird. In Paris sammeln sich die großen Tugenden und die großen Laster des Landes. Der Hauptstadt selbst angehörig ist eigentlich nur ein Vicrtheil der Straffälligen, denn von 100 In dividuen, die 1843 von dem Zuchtpolizei-Gericht verurtheilt wurden, waren durchschnittlich 74 aus der Provinz oder dem Auslande. Aber Paris bietet, wie jede große und luxuriöse Stadt, jungen und unerfahrenen Gcmüthcrn sehr viele Verführung und Gelegenheit zum Verbrechen. Am meisten zu fürchten sind diejenigen Delinquenten, die nach überstan dener Strafe wieder freigelaffen werden. Sie waren durch unglückliche Zu fälligkeiten auf den Weg deü Lasters gcrathen und bleiben darauf, als wäre es ihr Beruf. Die Verbrechen, welche die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich ziehen, sind gewöhnlich von diesen Menschen begangen, und gegen sie vorzüglich ist das neue Strafsystem gerichtet, durch welches verhindert werden soll, daß die Verurtheilten ferner ihr gemeinsames Leben in den Bagno's und Zucht häusern dazu benutzen, ihre künftigen Attentate gegen die Gesellschaft mit ein ander zu berathen. In den vergangenen zehn Jahren wurden von den Galee ren zu Brest, Toulon und Rochefort 6851 und aus sämmtlichen Zuchthäusern 54,192 entlassen. Von den Ersteren verfielen 1753, von den Letzteren 15,881 aufs neue der Justiz. Es könnte auffallcn, daß die Centralgefängniffe 29 und die Galeeren nur 26 Delinquenten unter 100 Freigelassenen lieferten. Sollte man annehmen, daß in den Bagno's mehr sittliches Gefühl herrsche? Doch sitt liche Erziehung werden wir in beiden Instituten gleich vergeblich suchen; der Unterschied hat in den äußeren Verhältnissen seinen Grund. Die Galecren- züchtlingc haben Luft, Licht und Raum und würden ohne die Kette und das infamircnve Kleid ihr Leben gewiß noch erträglich finden. Die Bewohner der Centralgefängniffe dagegen müssen sich mehr Beschränkungen gefallen lassen und werden dadurch in einem steten Grimme gegen die Gesellschaft erhalten, dem sie nach ihrer Befreiung Luft machen. Es ist überdies bekannt, daß in den Centralgefängniffen weit häufiger auf die Kerkermeister Attentate gemacht werden, als auf die Aufseher in den Bagno's. Die offiziellen Listen der letzten Jahre haben leider erwiesen, daß die Zahl der Rückfälle im Steigen ist und, was noch trauriger, daß die Verbrecher, welche mit einem Vermögen von mehr als 200 Fr. aus dem Gefängnisse entlassen werden, öfter wieder der Strafe verfallen, als andere, die unter 20 Fr. mitnehmen. Die Möglich keit dieser Rückfälle zu vermindern, wird also der Hauptzweck einer neuen Organisation der Gefängnisse sepn. Die Menge der Selbstmorde hat seit einiger Zeit sehr zugenommen. Das Jahr 1843 überstieg die drei vorhergehenden um 268 , 206 und 154. Das Seinc-Departement zählte allein ein Fünftel der Totalsumme: in den südlichen Departements geschahen die wenigsten Selbstmorde. Der vierte Theil der Selbstmörder ist weiblichen Geschlechts, und der Lebensüberdruß, der unsere Zeit so sehr charakterifirt, ist sogar schon in die Reihen der Kinder gedrnngen, denn 1843 legten 15 Hand an sich, die noch nicht ihr sechzehntes Jahr erreicht