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Wöchcmtich »fchkinen drei Nummern. PrUnumeratirnS-Preis 22^ Silbergr. (4 ^dlr.) vicrleljshrlich, Z THU. sür dar qa»ü Jade, ahne Erhöhung, in allen LhciNn der Preussischen Monarchie. Magazin für die Prönumeratlonen werden von jeder Buchhandlung (in Berlin bei Veil u. Com , Iägerffrasse Nr. 25) , so wie von allen König!. Post-Aemtern, angenommen. Literatur des Auslandes. 154 Berlin, Mittwoch den 24. Dezember 1845 Frankreich. Das Verhältniß der französischen Romantiker zur moderneu Poetik und Stilistik. Als die romantische Schule der durch ihre einseitig formale Richtung altersschwach gewordenen französischen Poesie einen neuen Lebensathem einzu hauchen versuchte, glaubte sie dies nicht besser thun zu können, als daß sie sich von allen bis dahin mit gewissenhafter Treue gepflegten Traditionen los- sagte. Wenn unter den Händen der klassischen Schule, welche am Dichter keinen höheren schöpferischen Akt erkannte als den der spröden Sprachmäkelei und stilistischen Feile, der Quell der Poesie allmälig ganz versiegt schien, so schlugen die ungestümen Neuerer gerade ins Gegcntheil um. Hatten die Klassiker zu sehr am Gewände, welches sie ihren matten, abgetriebenen Ge danken geben wollten, gezerrt und gerüttelt, so thaten cS die Romantiker zu wenig, und während Jene der dichterischen Production durch willkürliche, zum Theil selbst lächerliche Regeln zu enge Schranken setzten, glaubten Letztere, es sep eben ein untrügliches Zeichen ureigener Dichtergröße, wenn man allen Gesetzen und Forderungen — selbst denen des guten Geschmacks — Hohn spräche. Daher wurden denn von ihnen mit den kleinlichen Bestimmungen einer bornirten Sprachmeisterei zugleich auch alle Rücksichten auf Würde und Anstand ter Rede, auf plastische Schönheit der Form, so wie auf Wohllaut und Abrundung der Sprache, über Bord geworfen. Derjenige, welcher am wildesten und regellosesten ans seinem Instrumente umherwüthete, wer am kecksten in die Saiten seiner Harfe griff, galt auch für den bewunderungs würdigsten Sänger. So jagte Alles allmälig dem nebelhaften Phantome der Originalität nach, dem auf dem Gebiete der Literatur schon so zahllose Opfer gefallen sind. Niemand wird verkennen, daß, abgesehen von den endlosen Uebertrei- bungen, welche mehr oder weniger mit jeder Neuerung verbunden find, die früher allzustraff gezogenen Zügel des französischen Stils allmälig durch den Umschwung der Zeit gelockert sind. Dies wenigstens ist ein Gewinn, welcher durch die romantische Schule der französischen Literatur erwachsen ist. Neber die anderen Vortheile, welche man den Bemühungen der romantischen Neuerer allenfalls noch verdankt, wollen wir hier schweigen, indem wir hier nur das Verhältniß dieser Schule zur sprachlichen Technik ins Auge fassen wollen. Als inan anfangs sah, wie diese modernen Titanen gegen den alten säuberlichen Parnaß heranstürmten und wie ihre Wuth sich vorzüglich gegen die geleckte Form der klassischen Dichter entfesselte, wurde von vielen litera rischen Wetterpropheten vorhergcsagt, eS werde den Jüngern der revolu- tionairen Schule gehen, wie so vielen Radikalen auf dem Gebiete der Politik. Man meinte nämllch, wenn sie nur erst zu Ehren und Ansehen gelangt wären, und wenn sie sich nur erst eingedrängt hätten in den Tempel der französischen Dichtkunst, so würden sie sich schon mehr und mehr zu einem gewissen litera rischen Konservatismus hinneigcn. Mem prophezeite also, selbst diejenigen, welche damals die Schranke keiner literarischen Gesetzgebung anerkennen woll ten, und die auf ihr Banner die Losung eines dichterischen SanSciilottismuü geschrieben hatten, würden einst noch zur Zucht zurllckkehren und eS wohl noch sür nöthig erachten, einen eigenen poetischen Koder auszustellen. Wenn auch diese und ähnliche Vorhersagungcn nicht ganz und gar zur Wahrheit geworden sind, so haben sie doch jedenfalls eine theilweise Geltung erhalten. Der Löwentrotz ist gezähmt, und wenn man den jetzt so gemäßigten Gang des Dichterrosses mit den Kapriolen vergleicht, welche es unter der Leitung der Romantiker machen mußte, so wird man gestehen, daß seine er künstelte Wuth sich schon bedeutend gelegt hat. Damit wollen wir aber nicht etwa behaupten, als sep man auf dem besten Wege, dem Garten der fran zösischen Poesie wieder jene scharfbeschnittenen Tarushccken und jene Mißge- bürten des Ungeschmacks zu geben, welche der älteren französischen Mode so eigenthümlich waren. Es wäre ein wahres Unglück, wenn dem so wäre. Aber es ist nicht zu verkennen, daß man von der Thorheit zurückgckommen ist, darin schon ein Verdienst zu sehen, wenn ein Verfiser seine Muttersprache auf eine erbärmliche Weise martert und sein eigenes Sprachgefühl mit wahrer Todesverachtung an die unnatürlichsten Wortverbindungen oder au haar sträubende Ncimverschlingungen gewöhnt. Daß aber die berauschten Jünger der romantischen Schule — wenigstens die äußerste Linke — einen wahren Ruhm in solche albernen Sprachvcrrenkungen setzten, die dann von den Ver zückten als unvergleichliche Kühnheit pflichtschuldigst bewundert wurden, steht für den außer Zweifel, der nur einigermaßen diesem phantastischen Unwesen Aufmerksamkeit gewidmet hat. Aber beide Richtungen, sowohl die auf das klassische Element hin als die der romantischen Schule, waren einseitig, ungenügend und mußten deshalb überwunden und ausgeglichen werden. Dies ist die Aufgabe, welche den besseren Kräften unserer Tage gestellt ist. Nicht etwa, als handle es sich jetzt darum, eine nichtssagende Mittelstraße, welche zwischen der Scylla und Charybdis ungefährdet hinführt, zu finden. Dergleichen Vermittelungen ge nügen auf dem Gebiete der Literatur nicht. Die Mahnung, welche an die wahrhaft produktiven Köpfe der Gegenwart ergeht, lautet vielmehr dahin, einen Standpunkt zu erringen, welcher die beiden einseitigen, beschränkten Parteien überragt. Während die klassischen Poeten, statt auf den Kern der Poesie einzugehen, ihn mit künstlichen Gespinnsten umwickelten und sich in der ausschließlichen Pflege der äußeren Form gefielen, schütteten die an den Grund festen der ehrsamen Poesie rüttelnden Romantiker das Kind mit dem Bade aus, indem sie meinten, die Form, die äußere Erscheinung sep nichts, und auf den Gedanken-Inhalt komme eS allein an. Von unserem Standpunkte aus müssen wir unbedingt die eine wie die andere Ansicht als haltlos bezeichnen, indem wir auch auf die Dichtkunst die einfache, schlichte Regel der goldenen Früchte in silbernen Schalen in Anwen dung bringen. In diesem Sinne also haben sür die Gegenwart sowohl die Klassiker als die Romantiker jede Bedeutung verloren. DieS fühlen im Grunde auch die früheren Vertreter der neuerungssüchtigen Schule. Vergeb lich suchen sie zuweilen, wie Victor Hugo in seinen „kurxrsven", der Menge durch seltsame Zerrbilder, durch sprachliche Wagnisse und auffallende Ab weichungen vom Gewöhnlichen zu imponiren. Wenn ihr Blick nur einiger maßen unbefangen ist, so können sie sich nicht verhehle», daß sie auf diese Weise den alten Jubel, mit dem ihre früheren Erscheinungen begrüßt wurden, nicht wieder erwecken können. Ma» hat sich im Auslande gewundert, wie Ponsard'S „k.uvröce",. wenig stens anfangs, in Frankreich einen so ungetheilten Enthusiasmus errege» konnte-, denn bei einer tiefergehenden ästhetischen Würdigung kann man in diesem dramatischen Werke unmöglich eine meisterhafte Schöpfung erkennen. Aber der wahre Werth und die eigentliche Bedeutung dieser Dichtung bestand eben darin, daß hier ein begabter jugendlicher Dichter gleich von vorn herein seinen Flug über len Zwiespalt der sich bekämpfenden Parteien hinaus richtet, und daß man in seinem Werke wenigstens den Versuch erkannte, sowohl das eine wie das andere Ertrem zu negircn. In diesem Werke findet man die Bahn angedeutet, auf welcher die Dichter der Gegenwart zu wandeln haben. Somit gehört denn also im Grunde die romantische Schule als solche zu den abgethanen, zu Grabe geläuteten Erscheinungen. Wenn aber so ihre eigentliche praktische Bedeutung für unsere Tage gestört ist, so bietet sie für den Literaturhistoriker einen reichen Stoff zu Betrachtungen. Auch für den Sprach, forscher, insofern derselbe selbst in der französischen Sprache, so starr und be stimmt dieselbe auch ist, doch nicht etwas Fertiges, Abgeschlossenes sieht, ist sie nicht ohne Interesse. Derselbe wird in ihren Erzeugnissen einen eigenthüm- lichcn Durchgangspunkt, eine wichtige Entwickelungsperiode erkennen. Aber die sprachliche Beleuchtung dieser ganzen Richtung, so bedeutsam sie auch ist, bietet doch nicht geringe Schwierigkeiten. Die Willkürlichkeit, mit der sich die romantische» Dichter auf dem weiten Gebiete der Sprache umhertummelten, die Zügellosigkeit, mit der sie kopfüber in grammatikalische Unmöglichkeiten hineinrannten, machen eine kritische Prüfung dieser Richtung zu keiner leichten Arbeit. Vergeblich forscht man nach positiven Gesetzen, indem ja die Roman tiker die geistige Freiheit nicht im Gesetz selbst, sondern eben außerhalb desselben oder geradezu in offener Gesetzlosigkeit suchten. Diese Vorwürfe sind der romantischen Schule von Kritikern gemacht, welche weit genug von akademischer Prüderie entfernt sind. Freilich haben die Jünger der neuen Richtung sic zuletzt, als sie bestimmter oder dunkler die Erfolglosigkeit ihres eitlen Strebens cinsahen, allmälig in Abrede gestellt. Daher habe» sie denn, während sie sich auf den Rückzug begaben, ihrer Sache dadurch noch einmal einigen Glanz geben mögen, daß sie mit den Gesetzen, welchen sie angeblicher Weise gefolgt sind, hervortratLN. Wie im Anfänge die Literaturhistoriker dieser Schule, z. B. Sainte-Beuve, der Sache der Romantik dadurch eine historische Begründung zu geben versuchten, daß man die poetischen Neuerungen bei Ronsard und anderen regellosen Dichtern des 16. und 17. Jahr- Hunderts anknüpfte, so kommen jetzt nun die Theoretikrr und übernehmen die undankbare Mühe, die Neuerungen und vermeintlichen Resultate der neuen Richtung vom sprachphilosophischen Standpunkte aus zu rechtfertigen. Zwei Namen sind eS, welche wir in dieser Beziehung hervorhcben wollen. Es find dies W. Tenint und Francis Wey. Ersterer tritt in seiner neuesten