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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 31.01.1905
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1905-01-31
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19050131019
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1905013101
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1905013101
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1905
-
Monat
1905-01
- Tag 1905-01-31
-
Monat
1905-01
-
Jahr
1905
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gS-VrrtS tton oder der« Lll-gab«- vierteljährlich 3.—, bei zd, cher 8«ftell»»g in» Ha>» 3.7S. -ie Post bezogen für Deutsch- land u. Oesterreich vierteljährlich 4.50, sür die übrige« Länder laut Fettung-prei-Uste. Diese Nummer kostet ü M 7 auf allen Bahnhöfen und III ß bet den Zeitungb-Berkäufern I * Redattiou und ErZebtttou: 1Ü3 Fernsprecher 282 Johanni-gasie 8. Haupt-FUtale Dresden: Marienstraße 34 (Ferufprecher Amt L Nr. 1713). Haupt-Filiale Berlin: larlDuucker, HerzallBayrHofbuchbaadlg, Lützowslrahe 10 (Fernsprecher Amt VI Nr. 46031 Morgen-Ausgabe. MpMer Tageblalt Amtsblatt des Lönigl. Land- und des A-nigl. Amtsgerichtes Leipzig, des Rates und des Notizeiamtes der Ltadt Leipzig. Anzeigen-Preis die 6 gespaltene Petitzeile LV Familien- und Stellen-Anzeigen 30 Finanzielle Anzeige«. Geschäftrauzeig« «»ter Text oder an besonderer Stell« «ach Tarif. Die 4 gespaltene Reklamezrtle 7b Annahmeschluh für Anzeigen. Abend-Au-gab«: vormittag- 10 Uhr. Morgra-Au-gabe: nachmiNags 4 Uhr. Anzeigen sind stets an dir Expedition zu richte«. Grtra-Vetlageu lnar mit der Morgen- Au-gabe) nach besonderer Vereinbarung. Die Expedition ist Wochentag- ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi- abend- 7 Uhr. Druck und Berlag vou E. Polz in Leipzig (Inh. Or. V„ R. L W. «linthardt). Nr. 55. Dienstag den 31. Januar 1905. SS. Jahrgang. Var AiÄtigrir vom läge. * Handel-Minister Möller hatte gestern im preußischen Abgeordnetenhause eine Besprechung mit westfälischen Ab geordnete» und Arbeitervertretern über den Bergmanns streik. (G. Dtsch. Reich). * Nach einer Berliner Meldung will das russische Marine ministerium vier große Schiffe durch deutsche Ingenieure auf russischen Werften bauen lassen. (S. russ.-jap. Krieg). * Die Stadt Warschau ist in den „Zustand eines ver stärkte« Schutzes" erklärt worden. (S. den Artikel.) * In der gestrigen Sitzung der Hullkommission kam e- wegen einer Zeugenaussage über die Beschießung des schwedischen Schisse» „Aldebaran" zu einem Kon flikt. (S. russ.-jap. Krieg.) Vie rurrircbr Zpbinx. Lie Streikrevolte der Petersburger Arbeiterschaft ist vorüber: die Bewegung hat sich der großen Industrie zentren bemächtigt, der finländische und der polnische Se- paratismu» scheinen erwacht zu sein und wie Feuerbrände um sich zu greifen, so daß vor allem in den westlichen Distrikten der Aufruhrschrei nicht rasch verstummen wird. Kenner Rußland- versichern, daß die Propaganda der achtzehn von der Regierung al» revolutionär bezeichneten Organisationen, vielfältig und nirgends ganz sichtbar, fortgesetzt werden soll; man erfährt von littauischen, let- tischen, ukrainischen, grusinischen, armenischen und weiß- russischen Sozialistenbünden, die den polnisch-jüdisch sozialdemokratischen Heerhaufen verstärken. Aber cs ist zu vermuten, daß auch in diesem neuen Feldzug, der ohne die Beschleunigung durch Witte- Industrialismus später eingesetzt haben würde, eS an entscheidenden Vorkomm nissen fehlen wird; die Schlachten werden periodisch sein, wie sie seit 1885 waren, Lie Krankheit wird sich in» Innere fressen. Gegen eine Wiederholung des Peters burger Massenaufzug», zu dem ein erste» Mal Studenten und Arbeiter sich zusammenscharten, spricht jede Wahr scheinlichkeit. Der Priester Gapon, gegen den der heilige Synod da» „Anafema" schleuderte, ist unbekannten Aufenthalt»; sein« letzten hörbaren Worte sind zwei Proklamationen, worin er kraft seine» Priesteramts Lie Offiziere verflucht, die Soldaten vom Treueide lossprichf und den „tierischen, blutbefleckten Zaren", dessen Bilder zu vernichten seien, anherrscht: „Sei verdammt, du und deine erhabene SchlangenbrutI" Ein Teil der Voraus- setzungen, unter denen die tragischen Ereignisse de» ver gangenen Sonntag» betrachtet wurden, und um derent willen sie so quälend auf da» von Dostojewskys TotenhauSszenen, von Leo Tolstoi» „Auferstehung" dem russischen MessianiSmu» genährte europäische Bewußt- sein wirkten, erwies sich als irrig. Nicht die „Letzten", sondern einzelne staatlich bevorzugte Gruppen organisier ter Industriearbeiter, die von denen „aus der Tiefe" eine Kluft trennt, strömten durch die dreiwinklige Pforte und durch da» Moskauer Triumphtor, unter der Viktoria mit dem DechSgefpann, unter den Dorischen Säulen, Len Trophäen unL Engeln hindurch; das bedrückendste Mo- ment, die Ziellosigkeit, und -ie Perspektiv« der Verzweif lung werden auf nüchternere Maße herabgemildert, da konzentrierte» Aufgebot mit konzentriertem Auf- gebot sich traf. E» ist denkbar, daß -er gegen- wärtige Inhaber de» Zarentum» durch fein Ent- weichen da» religiöse Vertrauen deS russischen Volke», welche» schon wankte, al» auf dem Moskauer Krönung»- feld durch einen Unfall Hunderte von demütigen Glau- bigen zerstampft wurden, eingebüßt und halb zerstört hat. Die Zarenlegendo ist zerschlissen, Lie Ivan der Schreck liche prunkend gestaltete, die Petsr der Große und Katharina H. rm Willen grob vollendeten, der Nikolaus I. treu war, al» er während der Cholerarcvolte de» Jahre» 1832 di« murrenden Barrikadenkämpfer durch sein donnernde»: „Na Kalenije!" auf die Knie zwang, al» er die Kirche öffnet« und, sich bekreuzigend, selbst unter den Betern niedersank. Nie mehr vielleicht wir- der zage, geschwächte Autokrat, LeS finsteren Alexan- der» Sohn, der zu den Heiligtümern der slaoischen Seele trotz Bittgängen, trotz dem Vater Johanne» den Eingang nicht gefunden hat, al» Gotte» Gesalbter der frommen Herde sich zeigen können, da er flüchtete und an seiner Statt den General Fusion wie einen europä- ischen Polignoc walten ließ. Aber auf den leeren Straßen, di« Patrouillen durchziehen, ist die Furcht ver- breitet; die goldene Turmnadel der Peter-PaulS-Kathe- drale, die Kuppel de» Jsaakdome» heben sich in den Wint«rhimm«l, die Newa zieht mit grünen Wassern unter d«r Eisschicht, und auf den felsigen Granitblock stürmt in der Haltung de» Eroberer» Peter» de» Großen machtvolle» Reiterstandbild, in machtvollem Barbaren trotz, al» hätte sich nicht» geändert. von allen Seiten hat man in diesem Januar di« Zeichen dafür zufammengetragen, daß über jene ganze, roh« und grandiose, Knechten und Zwingherren gemein same Vergangenheit jetzt da» Urteil der Geschichte ge- sprachen sei, daß di« Saat d«r Jahrhundert« zur Er füllung dräng«, daß sich da» tm Dunklen wand«lnd« russische Volk von der Gültigkeit dieser bitteren Worte Turgenjews befreie: „Ich muß mich beständig über meine Landsleute wundern; alle gehen mutlo» umher und alle wollen die Welt auS den Angeln heben. Ueberall das gänzliche Aufgeben der Gegenwart und die größte Hoff nung auf die Zukunft. Nichts ist da, alles wird kommen; aber in Wirklichkeit kommt nichts." Greller als ehedem ist während der letzten Unruhen die Stimmung der geistigen Kaste in Rußland, die Stimme der „Jntelli- genz", ertönt, die seit den dreißiger Jahren Les neun- zehnten Jahrhunderts vor der Wiege der russischen Schick- sale sitzt und in Nekrassows Strophen als „Muse der Rache und Trauer", in Nadsons Gedichten al» „Sang der kranken Generation" ihre Beschwörungsformeln lallte. Der heutigen Stunde hat sogar der berufenste Vorkämpfer der russischen Staatsfeinde durch günstige Aeußerungen die ersehnte Weihe zu verleihen gesucht, Fürst Peter Kropotkin, dessen Gutachten nichts mehr von der mit seinem Leben bezahlten, wirr zwischen Proudhon und Fourisr aufgelesencn Dialektik hatte, und der nicht in verstiegenem Zorn, sondern in fast kompromißsüch- tigem Wohlwollen dem neueren russischen Liberalismus sekundiert. Ein Dichter ist in Lie Bewegung al» deren Märtyrer hineingezogen worden, ein Dichter hat mit journalistischen Gefährten Herrn von Witte besucht. Die Aufopferung des Alexei Maximowitsch Pjeschkow, der sich Gorki nennt, soll nach den angstvollen, eifernden Erwar- tungen der revolutionären Jugend die von Alexander Herzen aufgestellte Reihe der geopferten russischen Poeten, in der Ryläjew, Poleschajaw, Bartinsky, Bestutschew figu rieren, beenden. Der Spezialist der russischen Vaga- burydenerzählung wird, so hoffen alle, vor grimmer Miß handlung bewahrt werden; denn auch Europa, dem Dostojewskys, LeS in Sibirien gekanteten Apostels, physi sche» Leiden verborgen war, lauscht seit Kischinew beflisse ner, zur Humanität williger nach Osten, und seine Trauer um die Gefährdung eines poetischen Sprechers ist berech- tigt, obwobl Gorki zu den Großen nicht gehört, und ob- wohl er nach -en Noten, die er einst glücklich variierte, nur reizlose Noten fand. Hundert andere, fahle, kranke, von zuckenden Gluten überflammte Gesichter tauchen neben ihm auf, Lie schlechteren Nachfolger der „Deklas sierten", welche der großen russischen Dichterwerke Gegen- stand sind, die Nachfolger von Turgenjews kaltem Basa- row, von Turgenjew» „Rudin", der einen Fluß ohne Kapital schiffbar machen will und auf den Pariser Barri- kaden stirbt, die Nachfolger von Turgenjews „Hamlet deS Kreises Schtschigrow", die Ersatzmannschast für Gontscl>arc>ws „Oblomow", der als Inbegriff der russi- schen Unkultur auf schmutzigem Divan sein Leben ver bringt und Wanzen und Fliegen -usieht, die Enkel der „sühnenden Adligen", die Enkel der Indifferenten. ES mag dem sanguinischen Empfinden dünken, als kehre jetzt der ominöse Sendbote der russischen Unruhe aus der „düsteren Ferne" zurück, in Lie noch -er jüngste unter den jungen Prosaisten, der mutlose LeoniL Andrejew, seinen Nikolaij Barsukow, den dämonisckien Gast im Vaterhause, wieder tauchen ließ. Einer aber hat seine Meinung über die Revolte noch nicht gesagt, einer, der gewisser und friedvoller ist als die Myriade der Ungewissen und Fried- losen, der niemals schweigt, wo ihm nicht eine tiefe Notwendigkeit vorschwebt, Leo Tolstoi, der stille Pflüger der russischen Erde; und sein Schweigen lehrt, daß die Zeit der Ernte noch nicht gekommen ist, daß er neue Ent täuschungen, neue Trostlosigkeit ahnt, daß vor seinen mystischen Blicken die Wand noch nicht zerrissen ist, hinter der himmlisches Feuer glänzt. Die russische Seele muß den Weg zur „Prawda", zum Recht und zur Wahrheit, weiter gehn; Lie langsame Genesung des RussentumS bleibt ein Problem, wird auch in der halbgelichteten Zu- kunft nicht gewaltsamer Kuren Ertrag sein. Zwei Mächte der Beharrung sind es, dis aus dem früheren Rußland in da» von der Agrarkrise gebeugte, vom industrialistischen Schutzzoll eingeengte Mosko witerreich de» zwanzigsten Jahrhunderts hinüborleiten: die Macht der agrarischen und ständischen Reformen, die vielleicht aus der Januarkataslroph« zu retten sind, auch wenn der Trug einer „Gossurdarstwennja Duma", einer Gesamtvertretung nach Tperansski» Muster, entflattert, und die Macht eine» singulären, durch seine Charakter- Prägung gebieterischen Manne». Wenn in -en Zeitungen der russischen Intelligenz oder in Europa L-r Name LeS Konstantin Petrowitsch Pobjedonoszew genannt wird, so steigt da» Bild eine» russischen Großinquisitor», eine» Ahrimandiener», eine» Ketzerrichter» auf. Der Ober- Prokurator, der Dirigent der Erzbischöfe von Petersburg, Kiew, Moskau, Warschau und dreier Bischöfe, ist ein Ziel des Hasses besonder» durch die Exkommunikation gewor- den, die er am 22. Februar (7. März) 1901 über den Grafen Tolstoi verhängte, sowie eben jetzt den Priester Gapon sein Edikt getroffen hat. Er hat Widerstand er- weckt, wo er feine Autorität gebrauchte; an -er Universi- tät Moskau, unter deren Lehrern er war, wurden Demon strationen entfesselt, al» dar Mediziner Professor Sacharin in Pobjedonoszew» Geheiß ein« halb« Million Rubs für kirchliche Schulen stiftete. Der dürr«, strenge Asket, dessen von einer schwarzen Hornbrill« geschützt« Lugen einig« an di« Lugen eine» mittelalterlichen Mönche» er innert haben, war noch im Ministerkomitee der Gegner deS unzuverlässigen Fürsten Swjatopolk-Mirsky. Jedoch das Rätsel seiner Energie offenbart sich erst dem, der sich in die unterirdischen Kammern seiner Welt begibt, -er seine „Moskowitischen Studien" (in dar Verdeutschung C. E. Wohlbrücks, bei E. Pierson, 1904) liest und den Gedanken dieses Denkers sich anvertraut. UnS widerfährt das seltsame Schauspiel, -aß seine Härte unS unterwirft, je mehr wir gegen sie uns sträuben, daß sie keinen Vertrag gestattet, bis wir er- kennen. Laß hier Entscheidungen ausgefochten werden, die jenseits der Grenzen des mitteleuropäischen Geistes, der mitteleuropäischen Seele liegen. Wie einer von den Einsamen, die unter uns auftraten, mit dem Ungestüm eines russifizierten Carlyle zerbricht dieser Zelot, der ein gute» Französisch plaudern soll und doch daS Antlitz eine» halbasiatischen Eremiten hat, die in Europa heimischen Vorstellungen, die europäische Staatsabstraktion, die In- stitutiorren der politischen Demokratie, de» Schwur- gerichts, der europäischen Volksschule. Eine geistige Umwertung wird vollzogen, die in die Brust von Euro päern Len Zweifel senken kann und öfter» wie ein Der- hör vor einem Grausamen, Unbestechlichen sie peinigen mag, und die soweit sie an das Russentum sich wendet, an elementarem Mut zur Absage, an souveräner Ge schlossenheit gänzlich beispiellos ist, ob auch seit der Niederschrift der Studien fast ein Jahrzehnt verfloß. Konstantin Petrowitsch Pobjedonoszew stößt den Geist der „großen Lüge" in den Abgrund, nicht mit Schnauben und Jauchzen wie ein Johannes auf PatmoS, sondern al» ein jedem Einwand gewachsener Sprecher, der vieler Nationen Sitten und Verderbnisse erforscht hat, der daS Unwesen der Parteien mit den Waffen des Thukydides, das Wesen Les allgemeinen Stimmrechts mit den Waffen Bismarcks schlägt. Er hebt den Hammer gegen die Diana der Epheser; er rottet die Keime der moralischen Epidemien auS, die Rußlands Volkstum vergiften, deren mheimliche^ Schwirren der Europäer aut den Ro manen Gogols, Turgenjews, auS den Satiren Saltykow- Schtschedrins kennt, und das Fatum Rußlands besitzt die Laune, zu verfügen, daß Konstantin Petrowitsch Recht hat, daß die Bastardkultur eine trüb-lächerliche Tatsache ist. Konstantin Petrowitsch verdammt die russischen Liberalsten, die töricht und fanatisch ein parlamenta risches WolkenkuckukSheim auf Nebelbänken errichteten. „Komitee" und „Unverschämtheit" sind nach Pobjedonos- zew identische Worte, kläglich ist die erstorbene Rhetorik der Eitlen, der Professoren, der Feuilletonisten, der nach irgend einem schmutzigen allrussischen Gouvernements- markt verschlagenen Nousseauschüler. Niemand noch hat in Rußland den störrischen Oberprokurator, der Krylows Fabel vom Affen und von der Brille zitiert, der Lästerung zeihen können. Er klagt die Neuerer an, die ihre Fahnen ins Menschengewühl tragen, die liberalistische Bureau- kratie Rußlands, welche sorglos die befestigte Ordnung gelockert habe, Lie Phraseure am grünen Tisch, Lie ihre Projektchen und Jdeeck-en belauern, Lie „mit den klein lichen Werkzeugen der Kasuistik", mit einer „Flut aufge dunsener Drohungen" sich übertrumpfen, die Doppel- züngigen, die ihre Meinungen wechseln, und er prägt eines jener Worte, die nicht aus dem Wege geräumt wer- den, das Wort, daß der Nationalismus -er „große Probierstein" unserer Zeit sei, dar Falsches und Echtes kennzeichnet. Er geißelt ohne Gnade die „kleinen, kraftlosen, un produktiven" Menschen des heutigen Rußlands, die in Schutt zerfallen, wie ungleichmäßig erwärmte Gefäße zer springen, -ie Ntenschen, „die das Leben verschlingen und vom Leben verschlungen werden, die zu leben Lenken und nach Leben jammern". Sein Rezept ist eine Weltanschau ung nicht der Rechte, sondern der Pflichten und Opfer. Sie ist ein Knebel, weil nur die Kirche ihm als die Glaubenseinheit liefert, und sie ist tief, macht uns stau- neu und verstummen, weil sie den Religionen der größ ten russischen Individualitäten so sehr verwandt ist, weil nationale Mysterien in ihr erklingen. Tenn Konstantin Petrowitsch preist da- Glück des einfachen Lebensgefühls, die Seelenanschauung de» einfachen russischen Menschen, «r straft die, welche mit der Volksseele „experimentieren", und wenn er mit begeisterten Zungen von den Osternachts- gelängen Le» russischen Rituals, von der Schönheit und Majestät der russischen Beerdigungsgebete redet, dann rauschen di« Quellen vergangener Geschlechter auf, dann wird Eintracht -wischen Leni Propheten der Kirche und dem der Sekte, zwischen dem Beamten der Orthodoxie und dem Grafen Tolstoi, der La» orthodoxe Beiwerk schmäht, zwischen dem Derfehmer und -em Derfehm- ten. Auch Konstantin Petrowitsch, -er Ahrimandiener, -er russische Reaktionär, steht in all seiner Häßlichkeit an den Toren de» „ewigen Reiche» der Gnad« und de» Friedens", an den Toren de» Reiche» Christi. Al» Sa- muel würde dieser Inquisitor, wäre er nicht bereit» -um grauen Felsen erstarrt, den Saul-Nikolau» verdammen, weil der im flavischen Gottesstaat «in Fremder ist, weil er da» Wort -er „Moskowitischen Studien" bewahrheitet hat: „Ein große» Elend ist e», die Obrigkeit zu suchen und nicht zu finden." Mehr al» da» wird keiner von der russischen Sphinx vernehmen; und nur vermuten dürfen wir, daß eine Synthese beider Losungen, der de» Pobjedonoszew und der des Tolstoi, Lie kommende Syn these sein wird. . Vie neue« haMlrvettrSge. Die „Nordd. Allg. Ztg." gibt einen Ueberblick über die Veränderungen de- deutsche» Zolltarifs durch die neuen Handelsverträge. Für die Hauptgetreidearten sind in den Verträgen mit Rußland, Rumänien, Serbien und Oesterreich-Ungarn, Roggen und Hafer b sür eine» Doppel-Zentner, Weizen und Spelz 5,50 und Malzgerste 4 fest- gesetzt, wodurch die vertragsmäßige Sicherung, die für den heimischen Getreidebau al» erforderlich er achtet wird, den Mindestschutz in vollen Umfange er reicht. Zum Ausgleich sür die Mehrbelastung der ÄuSfuhr des Auslandes konnten die industriellen Zölle bei Rußland, Rumänien und Serbien wenig, bei Oesterreich-Ungarn nur in beschränktem Maße in Frage kommen, eS mußte deshalb auch bei einigen wenigen landwirtschaftlichen Erzeugnissen eine Herabminderung der Zollsätze erfolgen. Erhöht wurde» die Zölle Speisebohnen, Hopfen, Hopfenmehl, Pferde, Rindvieh, Schafe, Schweine, lebende Hühner, Fleisch, geschlachtete» Federvieh und Butter: bei Rumänien und Serbien für Hirse und Mais; bei allen für Rot- und Weißkohl, frische» Obst und nicht lebende Karpfen. Bei Rußland, Rumänien und Serbien ist Gerste mit Ausnahme von Malzgerste mit ISO für de« Doppelzentner um 70 niedriger als jetzt vereinbart. Die Herabsetzung wird damit gerechtfertigt, daß weite Kreise der landwirtschaftlichen Bevölkerung an wohlfeiler Futtergerste lebhaft interessiert sind, umsomehr, al» Mai» durch die Zoll erhöhung verteuert wird. Zur Unterscheidung der Matt gerste und Futtergerste ist ein Hektolitergewicht für Sk Kilo als Grenze für Futtergerste vereinbart, daneben ist da» Freist« von fremden Beimischungen vorgesehen, sowie festgesetzt, Laß da» Vorhandensein von 30Proz. Körnern von einemHektotttergewicht von 87 kg oder mehr den Zollsatz begründen. — Bei Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Einbringer und der Zollbehörde und bei sonstige» Zweifeln sind die Abfertigungs beamten zur Erhebung des höheren Zollsatz«- befugt, fall» der Einbringer es ablehnt, die Gerste in einem die Ver wendung zur Mälzerei ausschließende» Zustand zu versetze«. Hierdurch ist ausreichend Vorkehrung getroffen gegen die Ein- brinaung von zum Mälzen bestimmter Gerste zum «iederea Zollsätze. Gerste, welche nachweislich zum Vermälzen ungeeignet ist, zahlt den niederen Zollsatz ohne Rücksicht aus da» Hektoliter gewicht. Die Kosten de» etwaigen auf Ausschließung der Mälzbarkeit gerichteten Verfahrens treffen nicht de« wahre« Einbringer; hierdurch ist das Interesse des Handel» gewahrt. Bei der Wahl der Mittel hierzu, welche der Zollverwaltung zusteht, wirv diese sich den Wünschen des Embriuger» u«d der Zweckbestimmung der Ware anpassen. Außer bei Futtergerste war bei keinem wichtigeren land wirtschaftlichen Artikel ein Herabgehen unter die derzeitige« Zollsätze erforderlich. Hingegen wurde die Herabsetzung des Gewichtszolles sür Rundholz auf 12 statt 20 und des Zolles für in der Längesrichtung beschlagene» Holz auf 24 statt 30 an Rußland, Rumänien, Serbien und Oesterreich - Ungarn zugestanven. Aufrechterhalte» wurde dabei die Unterscheidung harten und welchen Holze», sowie die Gleichstellung! WeS bewaldrechteten und beschlagenen Holzes. Der Zoll der Eisenbahnschwellen wurde auf 24 statt bisher 30 herabgesetzt. Ein« Benach teiligung der heimischen Forstwirtschaft ist umsoweniger zu befürchten, als die derzeitigen Verhältnisse der Produktions gebiete eine besondere Änfuyrsteigerung nicht erwarten lassen. Die bisherige Spannung zwischen Rohhol, und Sägeware iu Höbe von 60 per Doppelzentner ist beibebalten; demgemäß ist Oesterreich-Ungarn der Satz von 72 sür gesagtes Holz zugestanden. Der deutschen Sägeindustrie bleibt also ihr bis heriger Schutz erhalten. Bei einer erheblichen Anzahl Boden erzeugnisse wurde auf die gegenwärtige Zollhöhe zuruckgegangen, nämlich: trockene Erbsen und L'n>en, ferner Butterbohnen, Lupinen, Wicken, Raps und Rübsen, Dotter, Oelrettichsaat, Hedrichsaat, Senf, Leinsaat, Hanfsaat, Rotkleesaat, Weißklee- faat, andere Kleearten, Grassaat, Gerbriude, lebende Gänse, Haarwild, Federwild, Kaviar, Schmalz, schmalzartige Fette, Eier, Bettferern. Die meisten für diese Erzeugnisse fest gesetzten Zollsätze des allgemeinen Tarifs waren in erster Linie al» VerhandlungSobjekle geeignet. Für den Verzicht auf höhere« Eierzoll war daneben auch unser Bedarf an Massenware be stimmend, dessen Deckung im Inland« nicht ohne Preisgabe erstrebenswerterer landwirtschaftlicher Ziele erreichbar war. Aehnliche Erwägungen führten zur Belassung der Zollfreiheit lebender Gänse. Wa« Gerbrinden anbelangt, fürchten die deutschen Schälwaldbesitzer die Konkurrenz der ausländischen Eiche«- lohe wenig; die geforderte Zollbelastung gegen sonstig« fremd« Gerbmittel ist in den neuen Verträgen anerkauut. Für den Vertragsabschluß mit Serbien war die Aufrecht erhaltung des bestehenden Zustande» bei getrockneten Pflaume« von enticheidender Bedeutung und fiel auch bei Oesterreich- Ungarn inS Gewicht. Der bisherige Zollsatz von 4 -4! in Beschränkung auf unverpackt oder nur in Fässern und Säcke« von 100 Kilo eingehende Ware wird die heimischen Interessen nicht schädigen. Der Schwerpunkt der Verhandlungen mit Belgien Ware« die Pferdezölle. Erhebliche Zugeständnisse waren unab weisbar, aber die Zugeständnisse waren auf reine» Kaltblut ver als Blamänder, Brabanter und Ardenaer bezeichnete» Schläge, einschließlich der Kreuzprodukt« untereinander be schränkt. Die Ausdehnung auf Warmblüter ist auSgeschlosse«, wodurch das Zugeständnis für Belgien wertvoller und für unsere Pferdezucht unbedenklich ist. Die einaeräumte» Zollsätze von SO ^4 bi- 1500 Stückwerk schützen die einheimische Kaltblutzucht ausreichend und schädige» die Interessen deS Verbrauche» nicht. Die gleichen Zugeständ- - nisse wurden für Pinzgauer Kaltblutware gemacht. Di« Zollrrhöhuna der Warmvlutpfrrde ist dagegen auch gegenüber Oesterreich-Ungarn festgehalten. Belgien stimmte einer Zollerhebung lebender Gewächs« ru und erlangte Zugeständnisse bei gedörrte» und ge brannten Cichorien, d. h. Beibehaltung de» bisherigen Zustande». Gegenüber Belgien und Oesterreich-Üngar»
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