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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Prünumeralioniö - Preis 22^ Sildergr. (Z Thlr.) vierle'.icidrlich, Z HHIr. für d^S ganze Jahr, ohne Erhöhung, in aUcn Theilen der Preußischen Monarchle. WagazL n für die Pränumerationen werden von jeder Buchhandlung s^in Berlin de» Derr u. Comp., Iagersiraße Nr. 25), so wie von allen König!. Post Aemtern, allgenommen. Literatur des Auslandes. 136. Berlin, Donnerstag den 13. November 184Ü. England. Die Reisebeschreibungen englischer Damen. (Nach der Himetsrlx kevi««.) I. Warum dir Frauen und insbesondere die Engländerinnen so viel Geschick jur Aeisk beschreibung haben. Betrachtet eine Engländerin in England, wenn sie am Fenster ihres Zimmers sitzt und die Stiche ihrer Stickerei zählt, so scheint es euch nicht, daß ihr Blick schärfer, ihr Verstand durchdringender sep, als ter ihres Mannes. Laßt sie aber unter einen anderen Himmel, in ei» neues Medium versetzt sehn und leset, wie sie in vertrauten Briefen oder für das Publikum bestimmten Schriften ihre Reise-Erfahrungen beschreibt, so werdet ihr staunen, um wie viel sie bester beobachtet, als ihr Mann. Richt allein, daß sie weit mehr sehen wird, als er, sie wird auch treffender schildern, was sie gesehen. So ost ihr ihn schwerfällig, verworren, sinnlich, gcmeinplätzig und prosaisch finden werdet, so oft wird sie euch anmuthig, klar, tief, gefühlvoll und begeistert erscheinen. Während er euch erzählt, was ihr schon zum Neber- druß gehört habt, unterhält sie euch von dem, was ihr zu wissen wünschtet. Sie besitzt — was ihm so häufig fehlt — in hohem Grade den Takt, nie Verschwendung mit pomphaften Worten und dunkeln Redensarten zu treiben. Ohne daß sie sich Mühe gicbt oder euch welche macht, prägt sie scharf ge zeichnete Bilder in euer Gedächtnis und einfache Wahrheiten in euer Herz. DaS Gegentheil hat zwar ebenfalls zuweilen stattgefundcn, Frauen haben ihre Reisen langweilig und schwerfällig beschrieben; aber wenn Männer anmuthige Reisebildcr verfaßt haben, so sind sie höchst wahrscheinlich von ihren respektive» Müttern, Frauen, Schwestern oder Töchtern unterstützt worden. Ständen übrigens die Frauen an BcobachtungS- und Erzählungstalent auch ihren Männern nach, so würden ihre Mittheilungen darum nicht weniger Werth haben. Denn jedes civilisirte Volk muß von zwei Seiten betrachtet werden, von denen jede eine besondere Auffassungsgabe verlangt und sich selten mit der anderen zugleich dem Reisenden darbietet. Das häusliche wie das öffentliche Leben eines Volkes muß beschrieben werden, und das letztere ist un. verständlich ohne Schilderung dcS ersten. Darum meinen wir, die Sitten eines fremden Volkes müßten sowohl von Männern als von Frauen, sowohl von den Erfindern dcS öffentliche» als von denen deS häuslichen Lebens, ge zeichnet werden. Wir haben dabei nicht im Sinne, den Reisenden anzu- cmpfchlen, daß sic die Welt durchwallen wie jenes Paar verliebter Schwäne, von denen Lamartine erzählt: Auch das verlangen wir nicht, daß Beide zusammen ein Werk verfassen, er die eine, sie die andere Seite; wir wünschen nur, es möchte sich bei den Neisebeschreibungcn zwischen Männern und Frauen eine Art gemeinsamer Thätigkeit Herstellen, ungefähr wie sic nach unserer Meinung der Hauptzweck der Ebe ist, daß nämlich jeder Theil die Unvollkommenheiten des anderen anSgleiche. Man wird uns vielleicht einwcndcn, daß die Mängel der weiblichen Er ziehung eine solche Vereinigung hindern würden. Aber ohne hier darauf cin- zugchen, ob die Bildung einer gut erzogenen Engländerin im Ganzen genom men der eines Engländers »achsteht, können wir behaupte», daß auf Reisen die Differenz völlig zu ihren Gunsten ausschlägt. Der junge Engländer hat bessere Kenntnisse in der Geschichte und den Sprachen des Alterthums; die junge Engländerin kennt das menschliche Herz und die neueren Sprachen besser. Was übrigens ihren Schilderungen fremder Völker den meisten Rei; verleiht, ist weniger die natürliche Lebendigkeit ihrer Bemerkungen, als die Willkür iu der Wahl und die Unbefangenheit in der Beurlheilung der von ihr betrachteten Gegenstände. Wenn ein Mann eine Reise unternimmt, so hat er fast immer ein bestimmtes Ziel vor Augen, oder „er reitet auf einem Prinzipe herum", in dessen Lichte er Alles betrachtet, was ihm begegnet. Eine Frau dagegen hat ihren Geist früh daran gewöhnt, weniger ausschließend zu seyn; sie nimmt bei ihrer Abreise kein Programm von den Dingen mit, die sie sehen will, und keinen Rahmen, in den sie paffen müssen. Darum ist zwar der Stoff ihrer Betrachtungen wenig geordnet, oft an sich unbedeutend ; aber in Reisebeschreibungen hat sehr häufig gerade das Unscheinbare de» größten Werth, und die Verfasser derselben mögen sicher sepn, daß diejenigen Stellen, die ihnen die meiste Mühe gekostet haben, selten den Lesern das meiste Vergnügen gewähren. Die Form der Reisebeschreibung bietet einer schriftstellernden Frau einen besonderen Vorthcil; sie überhebt sie aller Verantwortlichkeit. Wenn sie ihr Tagebuch veröffentlicht, so geschieht dies sicher weder um Geld zu verdienen, noch ans Eitelkeit. Sie thut es zur Unterhaltung ihrer Kinder, zur Beleh rung einer jüngeren Schwester, zur Gründung einer Schule. Kurz, die Kritik kann sie nicht unter die eigentlichen Schriftstellerinnen zählen. Erlangt ihr Bnch verdienten Ruhm, so bedauert Jeder, daß sie sich nicht der wirk- lichen Belletristik widmet; im umgekehrte» Falle schreibt alle Welt den schlechten Erfolg der Natur deS Stoffes oder der Unzulänglichkeit der HülfS- mittel zu. Trotzdem aber ist eine Reisebeschrcibung von allen literarischen Werken dasjenige, das den Charakter des Verfassers am besten kennen lehrt; das un scheinbarste Tagebuch giebt über denselben mehr Ausschluß, als der glänzendste Roman. Die Ansichten, die eine Frau bei den gewöhnlichsten Ereignisse» ausspricht, sind dieselben, von denen sic sich in den schwierigsten Lagen leiten läßt; die Gewohnheiten, die sie auf der Reise zeigt, hatte sie schon in ihrem Hause. „Unsere schönen Landsmänninnen" — daS sind dic Worte unseres englischen Originals — „zeichnen sich in ihre» Rcisebeschreibunge» zum Staunen treffend, ohne cs zu wollen, ja selbst ohne cS zu wissen. Ihre Un erschrockenheit und Würde, ihr Verstand und Gefühl zeigen sich hier eben so glänzend, als ihre gediegenen Kenntnisse und ihr reiner Geschmack. Wir be wundern da an ihnen, sind sie jung, die Reife ihres Urtheils, sind sie älter, die Frische ihrer Empfindungen. Bald sehen wir sie in den Stunden der Rast mit den nüchternsten ökonomischen Angelegenheiten beschäftigt, bald in der Zeit des Marsches die mühsamsten Strapazen ertragen, immer eben so bereit, ei» angenehmes Conifort zu genießen, als Entbehrungen und Gefahren aus- zuhalten. Wir sehen sie begeistert für die Schönheiten der Natur, begierig nach Abenteuern, ihren Kindern, ihren Blumen, ihren Armen und HauS- thieren zärtlich zugethan; kurz sie erscheinen uns als die schönste Blüthe des schönsten Landes der Erde, als die beste Gesellschaft deS Manneö auf seinen Wanderungen durch ferne Länder, wie auf seiner Reise durchs Leben, würdig, von Engländern besessen zu werden ; ja selbst zu gut für sic. Es giebt freilich auch Engländerinnen, die sich in ihren Reisebeschrcibungcn zu spröde oder zu abenteuerlich, zu schwärmerisch oder zu trocken, zu einfältig ober zu weise gezeigt habe» ; aber trotz vieler Uebertreibungen sind sic dem englische» Grund- Charakter treu geblieben. Keine hat es gewagt, eine gotteslästerliche Ansicht auSzusprechcn oder unsittliche Grundsätze zu unterstützen." Viele Verfasserinnen von Reisebcschreibungen, deren Namen dem Leser bei Durchfliegung dieser Zeilen vielleicht gerade zuerst eingefallen sind, müssen hier übergangen werden, denn sie haben keine Reisen beschrieben, wenn sie cS auch auf dem Titel ihrer Bücher behaupten. Die Eine macht eine Reise nach Vaucluse, um uns darüber zu unterrichten, was sie vom Mesmerismus hält; eine Andere besucht die deutschen Bäder, um die gesellschaftlichen Zustände Rußlands zu schildern; eine Dritte bringt aus dem Norden eine Abhandlung über die englischen Elementarschulen, eine Vierte ans dem Süden Nathschläge an die Königin »ach Hause. Diese Damen, dic fremde Völker besuchen, um dem Publikum ihre Meinung über die Angelegenheiten deS Heimatlandes z» sagen, gehören nicht in die bescheidene Klaffe der einfachen Reisebeschreiber. Eben so wenig find diejenigen hierher zu zählen, die gewissermaßen spstema- tisch von Zeit zu Zeit eine tour machen, um ein Buch zu schreiben, und, so zu sagen, die tourable Welt wie ihr Privatbesitzthum unter einander ein- getheilt haben. So hat Mrs. Trollope Deutschland und Italien, Miß Costello Frankreich in Beschlag genommen, Miß Pardoe hat sich Ungarns be mächtigt u. s. w. Diese Damen, wie groß auch sonst ihr Verdienst sepn mag, reisen mit vorgefaßten Ideen und sind keine Frauen, sondern nur Schriftstellerinnen. Die Engländerinnen verdanken die Kunst, zu reisen, die sie vor allen anderen Frauen besitzen, ihren häuslichen Tugenden. Wo wäre die Frau des Kontinents, die in dem Maße, als eine Engländerin, die vier Hanpteigenschaf- ten eines Reisenden in sich vereinigte, Thätigkeit, Pünktlichkeit, Muth und Unabhängigkeit? Welche würde sich entschließen, Monate lang allein mit ihre», Manne zu reisen und statt allen Komfort's mit frischer Luft und gutem Wasser zufrieden sepn? Man wird vielleicht diesen Vorzug der Engländerinnen ihrem Vermögen zuschreiben. Aber die russischen Frauen sind ebenfalls reich