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546 Wenn man das Strafverfahren in abstrakter Weise betrachtet, so unter- scheivet man sehr deutlich drei auf einander folgende Abschnitte, die in der Praxis zuweilen in einander laufen, nämlich: die vorläufige Nachforschung (was unsere Rechtsgelehrten das Scrutinium nennen), die vorbereitende Unter suchung (bei unseren Juristen die Instruction) und die Schlußverhandlung. ES kann keine Untersuchung stattfinden, wenn nicht eine wahrscheinliche, den Charakter eines Verbrechens an sich tragende Thatsache vorhanden ist, und ein Individuum, welches als wahrscheinlicher Urheber dieses Verbrechens bezeichnet wird. Eine erste Reihe von Handlungen ist mithin nothwendig, um die richterliche Behörde in den Besitz dieser beiden Elemente zu setzen: das ist die vorläufige Nachforschung. Sic stellt fest ein wahrscheinliches Verbrechen und den Verdacht einer Schuld. Die Person, gegen welche sich dieser Ver dacht erhebt, erscheint von da ab als Angeschuldigter. Es handelt sich nun darum, alle Beweise zu sammeln, d. h. die Kenntniß aller Thatsachcn zu erlangen, welche den Verdacht sowohl in Hinsicht auf das wahrscheinliche Verbrechen als auf den Angeschuldigten bestätigen oder ent kräften können, um die richterliche Behörde in den Stand zu setzen, ein ent scheidendes Urtel zu fällen. Das ist die vorbereitende Untersuchung. Hat sich im Verlauf derselben der Verdacht nicht als unbegründet herausgestellt, so wird der Angeschulvigte den erkennenden Richtern übergeben. Er befindet sich von nun an im Anklagezustandc. Endlich müssen die Richter, welche die Anwendung des Strafgesetzes auS- zusprcchcn haben, sich mit den Ergebnissen der vorläufigen Nachforschung so wie der vorbereitenden Untersuchung bekannt machen. Die Mittel, welche ihnen dazu gegeben find, bilden die Schlußverhandlung, in Folge deren der Angeklagte verurtheilt oder loSgesprochcn wird. Unter den in Europa gebräuchlichen Spstemen des Strafverfahrens gicbt es zwei, welche durch ihre Grundsätze einander so schroff gegenüberstehen, daß man sie als die äußersten Sprossen einer Leiter betrachten kann, auf welcher alle übrigen Mittelstufen cinnehmen. Aus einer Vergleichung dieser beiden Spstcme und einer kurzen Darlegung ihrer wesentlichen Verschiedenheiten wird sich die Bedeutung der von Mittermaier behandelten Fragen am anschaulichsten ergeben. Diese beiden Spsteme find: dasjenige, welches gegenwärtig in England be folgt wird, und das des gemeinen deutschen Rechtes, das durch die geistlichen Gerichte nach Deutschland gekommen ist und seit einiger Zeit in mehreren Staaten mancherlei Veränderungen erfahren hat. (Fortsetzung folgt.) England. Die Neisebeschreibungen englischer Damen. iil. Mrs. Poole. — Die Briefe au« Modra«. — Die LadicS Egerton und GrvSocnor. — MrS. Domcr und der Pascha von Aegypten. Mrs. Poole, die Verfasserin der „Engländerin in Aegypten", ist weder so gelehrt, noch so empfindsam, als MrS. Meredith, dafür besitzt sie eine naive Einfachheit, die für die Schilderung Aegyptens auSreicht, wo schon der ein fache Wechsel der Jahreszeiten in jedem Reisenden erhabene Ideen erwecken muß. Sie beschreibt die Phänomene des Nils, die Veränderungen des Klima s, die ansteckenden Viehseuchen, die Pest und andere Plagen Aegyptens mit einer Natürlichkeit, die dem Leser auch das Bekannte anziehend macht. Was man in ihrem Buche liest, erscheint Einem, als sähe man es eben so, wie sie es sah. Ihre Bemerkungen über die Regierung und das Volk enthalten weder neue Thatsachen noch neue Gedanken, aber ohne daß sie die Tyrannei des Pascha'S oder die Dummheit seiner Untcrthanen in Schutz nimmt, macht ihr vortreff liches Herz in dieser barbarischen Fiusterniß doch manchen erwärmenden Licht strahl ausfindig. Da, wo das Elend am größten ist, in der Hütte des niedrig sten Sklaven, in der Kabache des ärmsten Bauern, zeigt sie uns tröstende Tugenden. Die Alten und Schwachen werden geachtet, die Kinder ehren ihre Aeltern, und Niemand vergißt, daß die Gottheit über ihn wache und ihn bc. schütze. „Die große Anzahl Halb- oder Ganzblinder — sagt sie — besonders die der blinden Greise hat uns in ein trauriges Staunen verseht; aber wir beklagten diese Unglücklichen weniger, als wir sahen, welche Achtung sie ge nossen. Auf den Straßen beeilt sich Jeder, ihnen Platz zu machen. Alle Fremde, die dieses Land besuchen, bewundern eS, mit welcher Ehrerbietung man überall den Greisen begegnet, sie mögen arm oder reich, vornehm oder gering seyn. Die Aegypter betrachten die grauen Haare wie eine Ehre, und diese preiswürdige Gesinnung übt den heilsamsten Einfluß auf ihre Sitten." MrS. Poole ist die Schwester des Herrn Lane, der die neue Orthographie der orientalischen Namen erfunden hat, und obgleich sie sich derselben bedient, so wäre eS doch ungerecht, sie für diese Erfindung verantwortlich zu machen. Jndeß gelingt eS uns kaum, in ihrem Werke unsere alten Freunde aus dem Orient unter ihrer neuen Verkleidung ausfindig zu machen. Die Ehalifcn und Derwische sind Wesen, die uns bekannt und lieb sind, seit wir lesen gelernt haben; aber die fremden Worte kkslsekelis und äsrreeeslies sprechen uns nicht zu Gemüthc. Der bloße Name Saladin erweckt in unserem Geiste eine Menge romantischer Erinnerungen, aber welche Theilnahme kann uns 8s!ai>- eä-vee» einfiößen? Herr Lane mag seine Orthographie mit gelehrten Gründen vertheidigen können, aber wo soll das enden, wenn alle in die englische Sprache eingebürgerten fremden Wörter ihre ursprüngliche Orthographie wieder erhalten sollten? Den Nil müßten die Engländer Xeel, den Koran Olworan schreiben. Wir sind überzeugt, daß das Werk der Mrs. Poole noch mehr Er folg gehabt hätte, wenn darin die Orthographie der Tausend und eine Nacht beibehalten wäre. Die l-ettor« fcom Illaäras sind von allen Büchern über Indien am flüch tigsten geschrieben, und dennoch belehren sic über viele Dinge, die alle Welt wissen möchte, besser als alle übrigen. Die Verfasserin hat sich nicht genannt, nur so viel erräth man aus den Briefen, daß sie zung und an einen hochge stellten Mann verheiratet ist. WaS der schönen Namcnlosen gleich bei ihrer Landung in Madras auffiel, war der Gegensatz ihrer eigenen Lebhaftigkeit zu der Lässigkeit der Damen in Madras. Sie hatten nichts mit ihr zu sprechen, sie wußtcn nichts und verlangten nichts zu wissen; ihr Geist schien unter der indischen Sonne verdampft zu seyn. Darum bemüht sich unsere Verfasserin auch, gleich beim Beginn ihres Aufenthaltes in Indien ihre natürliche Leben digkeit so viel als möglich zu benutzen, damit es nicht in dem erschlaffenden Klima bald zu spät seyn möchte. Sie beschreibt mit großer Munterkeit die Dinge nach der Reibe, wie sie sie erlebt und sicht, erst die großen Zimmer, in denen man in Säulengängen spazieren geht, dann die langweiligen Diners, mit denen sich dic seinen Leute gegenseitig quälen, dic eintönigen Unterhaltungen, dic sich sämmtlich um Einen Stoff drehen, nämlich um das Avancement der Beamten, so daß sie endlich wünscht, die Stelle» möchten unbeweglich seyn. Die beliebteste Manier, die Zeit hinzubringen, besteht in Madras, wie sie uns erzählt, darin, daß man sich müde macht, um nur ruhen zu können, Endlich belustigt sie sich und die Leser sehr mit jenen großen Marionetten, den indischen Dienern. Sie lernte dieselben in einer ihrem Manne befreundeten Familie kennen, dcren Gast, sie eine Zeit- lang war, und beschreibt sie folgendermaßen: „In einem indischen Hause hat jeder Gast seine besonderen Diener, um nicht ctwa die Arbeit der bereits vorhandenen zu vermehren. Diese Leute führen ein sonderbares Leben; es scheint, als schliefen sie nirgends und äßen nichts, denn sie brauchen keine Wohnung, sondern schlafen auf Matten, die über die Treppen auSgebreitet sind, und leben bloö von Neis, für den die Herrschaft kaum zu sorgen hat. Dafür lhun sie auch fast nichts, und der Grundsatz von der Thcilung der Arbeit ist sehr in Blüthe bei ihnen. Ich habe eine avast (Kammerfrau) und eine Nähterin, denn eine azak kann nicht nähen. Mein Mann hat zwei unMäte«, der Eine muß die Zimmer rein halten, der Andere Wasser tragen. Ein Diener deckt den Tisch, ein Zweiter bringt das Essen, ein Dritter zündet die Lichter an, zwei oder drei andere serviren bei der Tafel. Jedes Pferd hat einen Man» und eine Frau zu seiner Pflege, von denen die Letztere das Heu hcrbeischaffen muß. Bei jedem Hunde versieht ein Kind den Dienst. Ich fragte, ob die Katzen auch Diener hätten ; man ant wortete mir, daß sie allein für sich sorgten. Da sie mir die einzigen Wesen des Hauses schienen, die sich selbst genügten, so behandelte ich sic von dieser Zcit an mit der Achtung, die ihnen gebührte. Außer den anerkannten Dienern gicbt eS nun noch welche, die sich die Diener selbst halten und denen sie hinter dem Rücken der Herrschaft ihre Arbeiten übertragen. „Alle lebenden Kreaturen scheinen von einer unersättlichen Begierde nach dem Nichlsthun verzehrt zu werden. Mein Pferd selbst hält sich für zu schön und zu edel, um sich mit seinem höchsteigenen Schwänze die Fliegen vom Rücken zu jagen; eS drcht den Kopf nach seinem Dicncr um, als wollte eS ihm befehlen, die Mühe für ihn zu übernehmen. „Diese Race von Faullenzcrn liegt den ganzen Tag auf ihren Matten auSgestreckt, wie die Hunde und Katzen, und stört man sie, so stoßen sie Klagc- seufzcr aus. „Was machst Du, Helene", sagte ich neulich zu meiner Muddle, „Du kommst nicht, wenn ich Dich rufe?" — „Nichts, Madame!" war die An wort. — Nichtsthun ist in der That ihre einzige Beschäftigung." In unserem Original ist nach der Verfasserin der „Briefe aus Madras" die Ncde von Madame Caldcron de la Barca, dieser Dame, dic in Schottland geboren und presbyterianisch erzogen wurde, später aber einen Spanier heiratete und zum Katholizismus überging. Von ihrem Buche, I^if« in !VI<.-xico, ist in diesen Blättern bereits gesprochen worden. Der lebendige Styl, in welchem eS geschrieben ist, die geistreichen Bemerkungen, die cS enthält, haben ihm einen Platz nebcn den ersten Werken seiner Art verschafft, obgleich der aScetische Kritiker der yusrtcrlv kevisrv von ihr sagt, als Spanierin und Katholikin liebe sie ein wenig zu sehr die Revolutionen, die Stiergefechtc, Prozessionen, Zigarren, Bolcro'S, Maskenbälle und AehulicheS und schreibe wohl in engli scher Sprache, aber nicht englisch. Mit Erwähnung des Buches von MrS. Römer (Rhone, Duero und Guadalquivir) gehen wir auf die dritte Klasse rcisebeschreibenver Frauen über, die aus Ueberfluß au Zeit und Geld zu ihrem Vergnügen und aus Neugierde England verlassen. ES ist uns natürlich interessant, zu erfahren, wie diese großen Damen, dcnen niemals ctwaS fehlt, dic Entbehrungen und Mühen der Reise ertragen; denn die kostbare Einrichtung ihrer Jachten, ihre Acrzte, Kammerfrauen, tragbaren Zelte, Kautschuk-Kissen und alle anderen neuen Erfindungen des LuruS, die sie mittelst ihres Vermögens benutzen können, hindern nicht die Winde, zu wehen, die Wellen, sich zu bewegen, die Sonne, versengende Strahlen herabzuschicken, den Staub, sich in Wirbeln zu erheben, den Regen, in Strömen herniederzufallen. Ihr Reisegeld in Guineen und Banknoten sichert sie nicht mehr vor Hunger und Durst, als wenn fie nur einen peun^ in der Börse hätten. Im Ganzen machen ihre Bücher ihnen wahrhaft Ehre, denn sie zeigen ihren Muth, ihre Klugheit und moralische Kraft. Das moderne Europa ist zwar im voraus passabel darauf eingerichtet, allen Launen reisender Engländerinnen zu genügen, und die verzogenste Frau kann cS nach allen Richtungen hin durchreisen, ohne einen holperigen Weg, eine schlecht zu-