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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 27.01.1905
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1905-01-27
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19050127010
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1905012701
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1905012701
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1905
-
Monat
1905-01
- Tag 1905-01-27
-
Monat
1905-01
-
Jahr
1905
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vezugS-Vi wos. KL SS. Jahrgang. Nr. 48 Freitag den 27. Januar 1905. heute sein 169,18«. K.Ä «8.—°. a. .78 .75 o LS 50 8 S. a. a. 1» M -o. »s. k«u«H»eschl»tz für A»»et,«. Abrad-AuSgab«: vormittag» 10 Uhr. vt»rg«»-A»-gabc »achottttag- 4 Uhr. stell« »-geholt: uttttetjayrttch ^l 8.—, tck zweimaliger titglichm -«stolluug la» Haas » 8.76. Darch di» Post begog« für Deatfch» laad ». Oesterreich vtertelsthrltch ^8 für di« übrig« Sünder lmtt Aettavgsprrtslist». '.so l'io beabsichtigt den das dein An- entgegenkommt. t-ic. '.7ö >LS t.»n. »L so k. riLioa. 'v- -a. -k. -s. -a. Segen in unserm Lande von keiner Partei mehr be stritten wird, dessen weiterer Ausbau gesichert ist, wenn auch über das Bautempo Differenzen entstehen können. Gerade gegenwärtig ist ein wichtiger Zweig unserer Volkswirtschgft in Gefahr. An der Ruhr streiken zwei mal Hunderttausend Mann und kämpfen um bessere Daseinsbedingungen. Auch aus den Reihen der Arbeiter- schgft ertönen in diesem Moment wieder lange nicht ge hörte Rufe mit nationalem Akzent. Und in vielen Tausenden von Köpfen verdichtet sich heute, wie 1889, der Gedanke: Nur Einer ist, der helfen kann, der Kaiser. Dieser Gedanke ist erklärlich, wenn man die unent schiedene Haltung der Regierung betrachtet, deren soziales Empfinden heute noch nicht die Höh« erreicht hat, auf der die anscheinend vergessene Ansprache des jugendlichen Kaisers an die Abordmmg der Grubenbesitzer des Ruhr reviers stand. Damals, am 16. Mai 1889, sagte Wilhelm II.: Ich möchte Lei dieser Gelegenheit allen Beteiligten drin gend empfehlen, daß die Bergwerlsgesellschaften und ihre Or gane sich in Zukunft stets in möglichst naher Füh lung mit den Arbeitern erhalten, damit ihnen solche Bewegungen nicht entgehen. Denn ganz unvorbereitet kann der Streik sich unmöglich entwickelt haben. ES sind, wie Mir berichtet worden, allerdings Vorbereitungen getroffen; es be stand die Absicht, einen allgemeinen Streik auSbrechen zu lassen, nur zu einer späteren Zeit, und der Streik ist dort nur vorzeitig zum AuSbruch gekommen. Ich möchte Sie bitten, dafür Sorge zu tragen, dah den Arbeitern Gelegenheit ge- geben werde, ihre Wünsche zu formulieren, und sich vor allen Dingen immer vor Augen zu halten, dah diejenigen Gesell- schäften, welche einen großen Teil Meiner Untertanen beschäf- tigen und bei sich arbeiten lassen, auch eine Pflicht dem Staat und den beteiligten Gemeinden gegen- über haben, für das Wohl der Arbeiter nach besten Kräften zu sorgen und vor allen Dingen dem vorzubeugen, daß die Be völkerung einer ganzen Provinz wiederum in solche Schwie rigkeiten verwickelt werde. Es ist ja menschlich natürlich, daß jedermann versagt, sich einen möglichst günstigen Lebens unterhalt zu erwerben. Die Arbeiter lesen Zeitungen und wissen, wie das Verhältnis des Lohne- zu dem Gewinne der Gesellschaften steht. Daß sie mehr oder weniger daran teil- haben wollen, ist erklärlich. Deshalb möchte Ich bitten, daß die Herren mit größerem Ernst die Sachlage jedeSmal prü fen und womöglich für fernere Zeiten dergleichen Dingen vor- zubeugen suchen. Wir können in Erinnerung an diese Worte nur wünschen, dah sie auch heute noch die Richtschnur für daS Eingreifen der Regierung bilden. Ein paar Worte sind bei dieser Gelegenheit auch am Platze über die Art, wie in unserer kritischen Zeit versucht wird, mit rein gefühlsmähigen Argumenten jede, auch die wohlmeinende Kritik zum Schweigen zu bringen. Die Folgen können nur in einer Entfremdung auch der- jenigen Kreise bestehen, die es mit dem kategorischen Imperativ der Wahrhaftigkeit nicht vereinbaren können, alles zu billigen und zu allem bravo zu rufen. Wir halten es mit dem „treuen deutschen Diener" des ersten deutschen Kaiser-, mit Bismarck, der im Jahre 1894 zu einer Düsseldorfer Abordnung sagte: „Lasten Sir unS auch nicht einredrn, daß es mit einer monarchischen Gesinnung unvereinbar sei, wenn wir Kritik und Verwahrung gegen Regierungsmaßregeln einlegen, die wir nicht billigen. Im Gegenteil, eine ehrlich monarchische Gesinnung wird auf diesem Wege Förderung finden, und für die Beziehungen des Bürger- zum Monarchen ist eS klärend und nützlich, wenn die Kritik durch Parlament und Presse stattfinbet." Und schon früher, im Juli 1892, sagte BiSmarck zu den Bürgern Jenas: Man kann «in treuer Anhänger seiner Dynastie, seine- Kaisers und Königs sein, ohne von der Weisheit aller Maß- regeln seiner Kommissare überzeugt zu sein. Auf diesem Grundton der Freimütigkeit muß das Verhältnis de- Volkes zu seiner monarchischen Spitze ge stimmt sein, wenn eS fruchtbar sein soll. Andernfalls wird Wuchergewächsen der Boden bereitet. Und auch zur allmählichen Wiedergewinnung der entfremdeten DolkSmossen ist es nötig, daß ihnen nicht zugemutet wird, urteilslos daS Kaisertum zu feiern. DaS selbstverständ- liche Gefühl Fridericianischer Offijstere für daS preußische Königshaus ist nicht mehr in die sechzig Millionen des deutschen Volke- Hineinzutragen. Aber versuchen müssen wir, durch stetige Aufklärung immer von neuem den Segen de- Kaisertums und seine feste ursächliche Verbindung mit der Volkswohlfahrt oll« festen Begriff zuorst in den Geist und dann in das Herz des Volkes zu pflanzen. Da es nötig ist, wird es gelingen. Der Kaiser, der heute sein sechSundvierzigstes LebenS- johr vollendet, begeht diesen Tag, der der Freud« ge hören sollte, in Sorge. Sein zweiter Sohn, Prinz EitÄ Friedrich, liegt an gefährlicher Krankheit darnieder. Alle Festlichkeiten am Hofe find abgesagt, angekündigte Be suche verbeten, eS wird ein stiller Geburtstag werden. Um so herzlicher wollen wir heute LeS deutschen Kaisers gedenken, dessen Familienleben dem deutschen Volke Bor- bild ist, und dessen Vaterltebe um ein Kind bangt. Unser Glückwunsch muß heute noch in höherem Maße als sonst neben dem Kaiser dem Dator gelten: E» lebe der Kaiser! hat des Srrzeigerr-Preis die «gespaltene Petitzeile KL Familien- »nd Stellen-Anzeigen SO i «U« Lutz Di» -gefpatte« Nettamezett« 7b «edattton m»d «epetzMom 1Ü8 Ferufprech« LLS JohanntSgaff, 8. Haupt-Ftltat» Dress«: Martenfttaß« 34 Gerusprechee Amt I Str. 171s). Hmwt-NNMr Berlin: llarlD »« cke r, HerzaUVeyrHofbuchdaudl-, Lützowstraße 10 (Fernsprecher Amt VI Nr. 46081 * D«r Zar soll nach einer Besprechung mit dem Herzog von Leuchtenberg mehrere Verhaf- tun gen aufgehoben Haden; der Priester Gapon liegt schwer verwundet im Alafuso-Hospital und wird vor ein Kriegsgericht gestellt. (S. den Artikel.) * In der Budgetkommission deS Reichs tage erklärte gestern Staatssekretär Kraetke, für die Unterbeamten stehe eine ansehnliche Zu lage an Wohnungsgeldern in nächster Zeit in Aussicht. (S. Bericht.) " Fürst Ferdinand von Bulgarien seine Berliner Reise wegen der Erkrankung Prinzen Eitel Friedrich vorläufig aufgegeben. fiairerr fiebumtag. Man weiß, wie die Kaisertoast« Möltkes, dieses Prototyp- einer auSsterbenden Gattung, lauteten: „S. M. der deutsche Kaiser — Hurra!" Für die in natio naler Beziehung glücklicheren ersten Jahre des neuen deutschen Kaisertums kann diese kurze Selbstverständlich- keit als Motto gelten. ES dachten überhaupt nur wenige daran, daß eS anders besser sein könnte, und die es taten, wurden als einflußlose Wirrköpfe kaum beachtet. Dir haben es heute nicht mehr so gut. Gefühle stehen nicht hoch im Preise, und die materiellen Inter essen regieren die Welt. Man mag das bedauern, muß sich aber damit abfinden. Und die Nutzanwendung aus dieser Erkenntnis hat mit seltener Klarheit unter den modernen Politikern Einer gezogen, den wir sonst manch- mal befehden, Friedrich Naumann, dessen „Demokratie und Kaisertum" trotz aller sonstigen Trugschlüsse doch den einen großen Gedanken in schärfster und schönster Form zur Geltung brachte: die Versöhnung der Arbeitermassen mit dem Monarchismus auf Grund de? realen Verhält nisse. Es scheint unS geboten, gerade dieses Kapitel zum Ausgangspunkt einer Betrachtung an Kaiser- Geburts tag zu machen, denn die Gesunden bedürfen deS ArzteS nicht, wohl aber die Kranken. DaS ist besonders deshalb nötig, weil nationale Feiertage von der Sozialdemokratie höchstens zum Anlaß erhöhter Propaganda ihrer eigenen antinationalen Ideen genommen werden, wobei sie es prinzipiell vormeidet, die Frage nach dem Nutzen deS Kaisertums für das Volk als überhaupt diskutabel er scheinen zu lassen. ES kann nicht ost genug gesagt werden, -aß für Deutschland erst die Möglichkeit moderner Entwickelung durch daS Kaisertum geschaffen wurde, daß erst durch seine machtvolle Repräsentation der deutschen Einheit die ExpansionS- und Ernährungsfähigkeit entwickelt und zu der heutigen Höhe gebracht wurde. Nicht ohne Grund war die kleine, aber mächtige Partei Preußens 1871 gegen daS Kaisertum eingenommen, wie sie es im Grunde ihres Herzens heute noch ist. Sie wußte oder ahnte wenigstens, daß trotz all ihres gewaLtigen Ein- flusseS gewisse Dinge sich nach Aufrichtung des Kaiser- thrones nickt würden zurückhalten lassen. Unsere Stellung im Welthandel und in der Industrie find Folgen deS Zusammenschlusses unter Kaiser Wilhelm I., 2nd seine Nachfolger können gar nicht anders, als in ihrem Wirken sozial sein. DaS ist da- Schwergewicht der Idee der Expansion, die im Kaisertum ihre Verkörpe- rung findet. ist deshalb auch, rein praktisch be trachtet,^ wenn eine Partei von drei Millio ¬ nen Wählern im immer noch jungen Deutschen Reiche geradeaus di« Existenzberechtigung deS Monarchismus verneint, ja, in ihrem Programm die Beseitigung der erblichen Kaiserwürde zur Voraussetzung hat. Und da diese Voraussetzung nicht eintritt, so richtet sich ein erklecklicher Teil des immer gewesenen und des künstlich dazu ge- züchteten Grolles in dieser Partei auch gegen dieses erste und festeste Bollwerk des konstitutionellen „Bourgeois", staates. gegen das Kaisertum und den Kaiser. Zwar auch in Republiken Haden die Sozialdemokraten es noch nicht vermocht, an die Verwirklichung ihrer Pläne zu gehen. Wir erleben eS, wie schwer es in dem republikanische:-. Frankreich hält, auch nur klein« Bruchtaile deS sozialen Gesetzbaues bei sich aufzuführen, dcsfcn Var MSiigrte vom läge * Der Kaiser vollendet 46. Lebensjahr. Luzetg« find stet» ar dieExpedttt« z» richte». Grtra-BeUag« Mur »tt der Morgen- Lu»gab«) »ach besonderer Vereinbar»»-. Dir EtzpetzM« ist Wochentag» mmntrrbroche» grSstnet vor» stich 8 bi» «be»d» 7 tchr. Druck und «erlag von G. Polz tu Leipzig lJuh. vr. R. W. «li-khardt). * In Petersburg haben nach der Pro! la- mation einig« Fabriken die Arbeit wieder auf- genommen; rn den Putilowwerken sind Hochöfen beschädigt. (S. den Artikel.) >o * Die GtaatSregieruna Erlaß eines Berggesetzes, sprächen der Bergarbeiter (S. Letzte Dep.) * Der Kaiser hat die Gnadengesuche der nn Dessauer Aufruhrprozeß verurteilten Musketiere Günther und Voigt ab gelehnt. (S. Deutsches Reich.) ZSS. -SoL'i. L 8Z.-d0 94.80°. L a. P ZE M -o. Morgen-Ausgabe NMM.TllMaü Anzeiger. Amtsblatt des LSnigllchen Land- ««S -es Königlichen Amtsgerichtes Leipzig, -es Aales »«v -es Aolizeiamtes -er Statt Leipzig. Vie fiririz in sinrrianü. Vk» Vorgänge in Peter-burg. Der Petersburger Berichterstatter des „Daily Cbronicle" entwirft von der Stimmung in Petersburg am 25. d. M. folgendes Bild: DaS akute Stadium der Krills scheint vorüber zu sein, was lediglich der Tatsache zuzu schreiben ist, daß die überwältigende Macht auserlesener Truppen, aus denen die Petersburger Garnison zu sammengesetzt ist, durchaus verläßlich ist und, wenn sie Befehl zum Schießen erkält, die- auch tut. Die Stadt war heute abend ruhig. Patrouillen durchziehen noch immer die Straßen. TrepowS Autorität ist un begrenzt. Die ungeheure Abneigung, welche alle oberen Klassen gegen die Ernennung dieses militärischen Tyrannen kundgeben, ist eine sehr beachtenswerte Erscheinung. — Nach der „Köln. Ztg." hat Trepow seinen Amtswohnsitz :m Winterpalast zugewiesen erhalten,' wo sich auch seine Kanzlei befindet. — Wie der „L. A." meldet, unterließen zahlreiche Familien aus Furcht, in daS schwarz eBuch deS Generals Tr epow eingeiragen zu werden, die AgnoS- zierung ihrer Angehörigen. Jeder Leichenzug wird von einer Militäreskorte begleitet. Mehr als zwölf Per sonen dürfen ein enLeichenzug nicht begleiten. Groß fürst Konstantin, der einer Gelehrtensitzung beiwohnen wollte, war über die Berbastung zahlreicher Professoren sehr bestürzt. Er dürfte eine Auslandsreise antreten. Nach Pariser Berichten aus Petersburg war Universitätsprofessor H othky, Herausgeber des Journals „Unser Leben", Sprecher der fünfzehn Verleger, die vom Fürsten Mirsky empfangen wurden. Er überreichte eine von den verläßlichsten Jour nalisten zusammengestellte Liste der Opfer deS letzten Sonntags. Diese Liste, von der offiziellen verschieden, urnfgßt 4800 Tote und Verwundete. Der Petersburger Korrespondent de- „Echo de Paris" wurde von Witte empfangen, der ihm erklärte: „Ich werde nicht-sagen, ich weiß selber nicht», ich habe überhaupt während der Krisi« in keiner offiziellen Verbindung mit meinen Kollegen gestanden und habe von der Bewegung und den ergriffenen Maßregeln offiziell nicht- gewußt. Von den Ereig nissen am Sonntag habe ich erfahren, al- ich achttausend Streikende unter meinen Fenstern vorbeiziehen sah und Flintenschüsse hörte." Die Petersburger Telegraphen-Agentur ineldei, nach den im Hosministerium eingeholte» Erkun digungen seien Gerüchte von der Ermordung de-Groß- furste» Sergiu- gänzlich unbegründet. Gestern abend haben, unter dem Einfluß der Ver sprechungen de- Finanzministers und deS General gouverneur-, den Arbeitern einige Erleichterungen zu ge währen, mehrere Fabriken die Arbeit wieder aus genommen. Auch die Zeitungen werden morgen nach fast einwöchiger Unterbrechung wieder erscheinen. Auf den Putilowwerken konnte die Arbeit noch nicht wieder be ginnen, da einige Hochöfen beschädigt sind. Vor gestern begab sich der Herzog von Leuchtenberg nach ZarSkoje Sjrlo und erstattete dem Zaren einen vertraulichen, w a h r h e i t - g e t r e u e n B e r i ch t über die furchtbaren Vorgänge. Der Zar war völlig fassungslos. Daraufhin erfolgte die Freilassung von mehreren Verhafteten. — Der Priester Gapon liegt schwer verwundet im Alafusow- Ho Spital. Nach seiner Genesung wird er vor ein Kriegs gericht gestellt und voraussichtlich wegen Aufreizung und Auf lehnung gegen die Staatsgewalt zum Tode verurteilt werden. — Die „Schles. Ztg." meldet noch über daS Sonn- tagSmassacre: „Keiner der Soldaten wurde verletzt, wobl aber rief man ihnen bittere Worte zu: „Port Arthur konntet Ihr nicht verteidigen, aber unS Wehrlose schlagt Ihr nieder. Schande Euch, daß Ihr gehorcht! Ihr seid keine russischen Leute! Verflucht sei Euer ganreS Geschlecht!" An der Gorocho- waja erlitten namentlich zahlreiche männliche und weibliche Studierende Wunden und den Tod im Samariterdienst. Wir waren Zeug«, wie an einem Kreuzungspunkt der Gorocho- wajastraße einige besonder» brutal auftretende Offiziere von der Menge halbtot geschlagen wurden. Kurz darauf tauchte neben uns die herkulische Gestalt eines Studenten auf. Sein Gesicht war blutüberströmt, aber da» Blut rieselte au» dem reryauenen Schädel und Nacken einer Studentin, die er hoch auf den Armen trug und deren Kopf halb auf seinem Scheitel lehnte. Ein Säbelhieb hatte die Unglückliche ge troffen, während sie sich helfend über einen gestürzten Arbeiter beugte. Ihr brechender Blick glitt über die Menge. Wie wahnsinnig stürzte da» Volk auf sie zu: „Märtyrerin — Du unsere Teure!" Und sie warfen sich nieder, küßten die Füße, den Saum deS herabhängenden Kleide- und schluchzten wie Kinder. Ueberall, wo man Tote herauStrug, fiel da» Volk auf die Knie, betete, bekreuzigte sich, schrie in unartikulierten Tönen. Auf Schritt und Tritt spielten sich Szenen ab, die jedermann die Tränen in die Augen treiben mußten." In Msska«. Rach dem '„L.-A", der den „Daily Expreß" benutzt zu haben scheint, hatte vorgestern nachmittag eine Versammlung von Studierenden und Schuljungen in der Nähe der Universität da» bewaffnete Einschreiten von Gendar men und drei Schwadronen zur Folge. Die Soldaten erhielten mehrere ernste Messerstiche, einem Gendarmen wurde die Kehle durchschnitten und mehrere Pferd« wurden aufgeschlitzt. Die Soldaten gaben zwei Salven ab, «ine in die Luft, eine in die Menge, die sich zerstreute. Unter der Menae bemerkte man sogar Schuljungen, die mit laugen Küchenmessern bewaffnet waren (?). Die Peter-burger Telegr.-Agentur hat gestern nachmittag um 1 Uhr einen Rapport au-gegeben, wonach die Stadt ruhig ist und der Au-sta nd der Setzer und Druckereiarbeiter »» IftlSdehoung zunimmt. In den Werkstätten der Kur-ker, Brester und der Mv-kau-Kasanbahn ist die Arbeit eingestellt worden. Die Wasserleituugeu, dir elektrische Station und die Gasanstalt werden durch Polizei und Militär bewacht. Ein Versuch einer starken Arbeiter gruppe, deu Betrieb der Gasanstalt zu stören, wurde vereitelt. In tz-n Z)»»»rnzen. Die Militärregierung richtet ihr Augenmerk haupt sächlich auf dir zu erwart«»deu Vorgänge in Warschau. I» Moskau glaubt mau die Bewegung »iederwerfeo zu köuue». Die Revolte tu Sewastopol ist, wie jeyt erklärt Diese Rümmer tostet s/hgH? aus alle» «a-nh-sen und I II i bei den Zeituugs-Bcrttwfrra --- v f wird, darauf zurückzuführen, daß man dort die Bordelle entfernt bat. Die Werftarbeiter wie die Soldaten wollen sich diese Maßregel nicht gefallen lassen. Mit den Arbeiter unruhen haben die dortigen Unruhen keinen Zusammen hang. — Aus Odessa wird gemeldet, daß infolge der Anwesenheit von 2000 Mann Truppen und verstärkter Polizeipatrouillen alle-ruhig blieb und eS nicht zu dem angekündigten allgemeiuen Au-stand kam. Ein Reskript erteilt dem Gouverneur volle, unbeschränkt« Gewalt. Wie dem „H. C." au- Eydtkuhnen gemeldet wird, ist der Güter verkehr nach Rußland minimal. Die Gärung reicht bis nahe an die Grenze des Reiche». DeS Zareu Bild muß in vielen Städten entfernt werden, damit eS in den Lokalen nicht herabgeriffen und mit Füßen getreten wird. — Die Nachrichten vom AuSbruch der Revolution haben, wie die „Voss. Ztg." behauptet, bereit- viele Kaserne- ment- erreicht, in denen die eingezogenen Reservisten ihrem Abmarsch nach dem Kriegsschauplatz entgegenseheu; sie benützen die allgemeine Verwirrung und fliehen, zum teil be waffnet, nach ihren HeimatSorteu. In Zytomierz wurde, der „Kattow. Ztg." zufolge, ein ganzer, bereit» nach der Mandschurei abgesandter Zug von de» Reservisten unter Mitnahme ihrer Uniformen und Gewehre verlasse». Awr Arbeiterfrage iw Rrrhlairb. Im europäischen Rußland gibt eS nach amtlichen Sta tistiken etwa 2 700 000 Arbeiter beiderlei Geschlecht«, die unter dem Schutz der Fabrikinspektion stehen, sogen. Fabrikarbeiter, ferner gegen 2 Millionen in Betrieben, die weniger als 15 Personen beschäftigen, und endlich die große Zahl der Winterarbeiter, die im Wiuter 6 bis 8 Millionen erreicht, in diesem Jahre aber erheblich unter 4 Millionen zurückblieb wegen der Beschäftigungs losigkeit in vielen Branchen. Ein Mitarbeiter der „Köln. Ztg." glaubt, daß die Zahl der in Kleinbetrieben Beschäftigten etwa 6 Millionen erreicht, während die Zahl der Wanderarbeiter, häufig identisch mit Schwarz arbeitern, richtig sein mag. Die Arbeiter in ihrer Ge samtheit sind einzuteilen in solche, die dem Bauernstaude angehören, noch Mitglieder einer Dorfgemeinde sind und da selbst Land oder wenigsten» eiu Hau- mit Garten ihr eigen nennen und in solche, die wie der deutsche Fabrikarbeiter von der Scholle völlig losgelöst, uicht» weiter al- Fabrik arbeiter sind. Eine Sonderstellung nehmen die 45—50 000 Eisenbahnarbeiter ein. Sie haben vom Staat familien weise ein Haus nebst Gartenland zum erblichen Besitz erhalten und müssen dafür eine geringfügige Summe von ihrem Lohn ab- zahlen. Die Eisenbahnarbeiter müssen orthodoxe Russen sein; unter den Landbesitzenden finden wir gleichfalls aus schließlich Russen, unter den andern aber vorwiegend Juden, Polen, Letten und Esten, sowie im Kaukasus Perser, Moha- medaner, aber auch vereinzelt Russen. Die Verteilung der Arbeiter über daS Reich nach der Zahl ist folgende: 1) Polen mit Westlitauen, 2) Petersburg-Riga, 3) Moskau mit Tula, Wladimir, Kostroma, 4) da» südliche Uralgebiet, 5) Baku, 8) da- Donezbecken und 7) die Hafenarbeiter in Odessa. Die soziale Organisation der Arbeiter be ruht auf drei verschiedenen Grundlagen: auf der staat lichen Organisation der Eisenbahnarbeiter und derjenigen in Staatsfabriken, auf den von der Regierung geförderten Wirt- schaflSkartellen und auf sozialdemokratischem Prinzip. Die sozialdemokratische Organisation, die heute überall im Reiche den starken Kern der Arbeiterbewegung darstellt, ist wiederum einzuteilen in die russische, polnische und jüdische Parteigruppe. Sie sind miteinander lediglich ver bunden durch ihre radikalsten Mitglieder, Angehörige der Terroristenpartei „Kampf". Die gemäßigteren Elemente treiben gleichzeitig nationale Politik und diese trennt sie von einander. Der „Russische Bund" ist slawophil und häufig antisemitisch, der „Jüdische Bund" huldigt dem modernen Zionismus und die Mitglieder der kolsles, parti» social^atov k. 8.) zahlen unter dem Einfluß der Geistlichkeit zum polnischen Nationalfonds. In Anbetracht dieser Verhältnisse scheint ein allgemeiner Arbeiterausstand in Rußland nicht recht wahrscheinlich. Einstweilen aber ist noch ein ärgerer Feind als Uneinigkeit zu bekämpfen: der harte Winter. Wegen deS Winters und der Unmöglichkeit, sich irgend welchen andern Verdienst zu schaffen, ist ein allgemeiner, ruhig ohne Plünderung verlaufender Ausstand ganz unmöglich. Nur die am besten gestellten Arbeiter können streiken. Tatsächlich ist auch der Ausstand in Petersburg von den privilegierten Arbeitern auS- gegangen. Denn die Putilowschen Werke gehören vorwiegend dem Staat, der die Arbeiter ähnlich gestellt hat, wie die Eisenbahnwerkstättenarbeiter. Für Herrn v. Witt«, d«n Schöpfer deS privilegierten Arbeiterstandes, muß der Streik und die Teilnahme der Arbeiter der Warschauer Bahn doch eine bittere Enttäuschung sei». Die Tatsache, daß die Eisenbahnarbeiter in Homel sich zu der bekannten Judenmetzelei gleichsam kom mandieren ließen, war kein Zeichen ihrer Ergebenheit für die Regierung, sondern lediglich ihrer Unbildung. Die «nglifchen Stimmen. Von allen Teilen England» kommen Meldungen über antirussische Versammlungen höchst sonderbaren Cbarakter». In Grantbam sagte da» Parlamentsmitglied Jan Malcolm: Nur um den hundertsten Teil der Freiheiten zu erringe», die britische Untertanen genießen, strömten un bewaffnete Arbeiter zu Tausenden vor da» Winter- palaiS, nm eine Petition an den Zar«» zu überreichen. Gott möge dessen walten, daß ein solcher Druck auf die hartnäckige und tyrannische Bureaukratie geübt werde, die Rußland mit eiserner Zuchtrute regiert, daß sie zur Einsicht kommt, und niemand könne diesen Druck vesser ausüben, al» die große Republik, die Rußland ihren Alliierten nennt; Deutschland, dessen Finanzkreise Ruß land die Mittel bieten, seine Politik nn fernen Oste» durchzuführeu, könnte auch einen Druck au-üben. Bei einer Ardeiterversammlung in Deptford sagte da- Parlamentsmitglied Crook«, e» wäre ein glorreicher und segensreicher Tag für Rußland, wenn König Eduard, der sich al- hervorragender Staatsmann erwiesen, seinen Ein fluß gebrauchen »ad seinen Neffen belehren wollte, daß eS keinen bessere» Weg gibt, ein Land zu regier«, al- dem Bolle Vertrauen Zu schenken. D«r Handwerker» »urd Arl «i-.150^8°. küNk"
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