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Wöchentlich «scheinen drei Nummern. PrünumerationS-Preis 22j Silbergr. (5 THIr.) vierteljährlich, Z Thlr. für d»S ganze Jahr, ohne Erhöhung in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Pränumerationen werden voll jeder Buchhandlung (in Berlin bei Veit u. Comp., Jägerslraße Nr. 2S), so wie von allen König!. Post-Aemtern, angenommen. Literatur des Auslandes. 66. Berlin, Sonnabend den 1. Juni 1844. Frankreich. Eine Reise im Garten, von Alphons Karr. Der Einfluß der Literatur des Auslandes auf die unsrige hat sich seit den letztvergangenen fünfzehn Jahren wohl in keinem anderen Gebiete so geltend gemacht als in dem der novellistischen Erzeugnisse; zwei Drittel der erschei nenden Romane sind Uebersctzungen und der Rest — zum geringsten Theile Original. Außer denen nämlich, die ihre Quellen nicht verleugnen und uns Theodor Hook und Paul de Kock mit rühmlicher Treue wiedergeben, oder, der eigenen Schöpfungskraft kühner vertrauend, „frei nach Soulie, Balzac rc." arbeiten, haben wir auch Jncognito-Uebersetzer, welche, das durch Ueber- gewicht jener fremden Eindringlinge bei den echten Deutschen erregte Mißfallen theilend, ihren Ucbertragungen lieber den Anschein eines Originals verleihen, indem sie auf dem Titelblatte den Verfassernamen cllidiren, im Buche aber statt >VIr. lloaxer Herr Fuchsschwanz und statt Uarie-^nxe Engclmariechen schreiben; weiter erstreckt sich in der Regel ihre Originalität nicht. Ueber diesen Zustand unrühmlicher Abhängigkeit Lärm zu schlagen und den deutschen Heerbann aufzurufen, möchte wohl vergeblich seyn; eS ist nun einmal unsere Gewohnheit, der Erportation nachbarlicher Produkte und dem Transitohandel damit unsere eigenen Interessen nachzusetzen. Fredriks Bremer und Alerander Dumas hätten nimmer den Weg nach England gefunden, wäre nicht, ihnen Popularität zu verschaffen, erst ein 40 Millionen stimmiges Vivat aus Deutsch land über den Kanal gedrungen. Mögen wir uns immerhin gefallen lassen, wenn die Kopisten kopiren; aber daß auch die Kunstjünger zu jeder Arbeit Farben und Leinwand aus der Fremde holen müssen, darob sollte man sich ein wenig ärgern dürfen, denn wir kommen auf diese Weise aus der Vormundschaft gar nicht heraus. Früher wurde noch zuweilen aus der Walter Scottschen Schule mancher tüchtige Abiturient mit dem Zeugniß der Reife und Selbständigkeit entlassen; nun aber, wo jeder Erzähler aufs äußerste vcrbozt, jede Novellistin bis über die Ohren versandet ist, find wir an das eigenthümliche Phänomen, mitten in deutschen Original-Romanen lauter verkappte Franzosen und Engländer herumwandern zu sehen, so gewöhnt worden, daß es ausgehört hat, ein Phänomen und eigcnthümlich zu seyn. Um so mehr ist eS zu verwundern, wenn wir mit allen unseren Nachahmcreien so selten dazu kommen, die guten Seiten unserer Vorbilder uns anzueigncn. So haben z. B. die sranzöfischen Schriftsteller eine gewisse Centripetalkraft, vermöge welcher sie von Zeit zu Zeit, mitten aus ihren Jrrwanderungen nach Arkadien, Utopien, Dschimmistan und dem Blocksberge, zur Natur zurückzukehren vermögen, zum reinen, un- verfälschten Naturleben, das sie dann mit der ganzen Naivetät eines unser- dorbenen Gemüthes aufzufassen und mit einer schönen Begeisterung zu schildern wissen. A. Dumas, der zuerst in ^ntbon^ den Typus verschrobenster Zer rissenheit hingkstellt, in leresa, LaGerm« Hovesrü und la tour «le beeile das Entsetzliche und Widrige bis zum Gipfel verfolgt und sich dann noch in einer Menge von Romanen an dem Abenteuerlichsten jeder Gattung versucht hat, konnte zu gleicher Zeit in seinen Impression« Naturgemälde von der über raschendsten Wahrheit liefern, in dem Lkvvalier ä'Ksrmental, einem histo rischen Roman, dem die Verschwörung des Fürsten von Cellamare zum Hinter, gründe dient, ein Liebespaar mit dem zartesten Pinsel malen ; und in einer seiner jüngsten Novellen, deren der unermüdliche Vielschreiber immer ein halbes Dutzend zugleich auf dem Rahmen hat, in la rode «le noe«, schildert er ein Stillleben — ein Engelskind, von einer edlen Mutter in ländlicher Einsamkeit erzogen — das an Jean Paul's beste Manier erinnert, aber weit weniger Manier hat. Wir müßten uns sehr irren, oder solche Spannkraft ist bei den deutschen Autoren zweiten Ranges nicht zu finden. Haben sie einmal, müde, in ihrer eigenen Person auszutreten, und gereizt von einem schimmernden Meteor, ihre Maske vorgebunden, und zeigt die geschnittene Fratze nur irgend Spuren von Genialität, so daß ein Publikum daran Gefallen findet: dann können sie nimmchrmchr zurück. Sie haben von der Natur auf ewig Abschied genommen, machen fernerhin ihre Studien auf einem geflügelten Steckenpferde, zwischen Himmel und Erde schwebend, und weder der Kaltstnn gelangweilter Leser, noch die Mahnung eines ehrlichen Kritikers vermag die fremde Tracht ihnen zu verleiden. Wir wenden uns wieder zu den Franzosen. Hatte außer Sue irgend ein moderner Schriftsteller Ursache, mit seinem Succeffe zufrieden zu seyn, so war es Alphons Karr, der in einigen Erstlingsversuchen durch verfehlte Schilderungen deutscher Zustände seine Abstammung mit mehr Glück als Ver dienst geltend machte, dabei aber doch einige Tropfen jenes köstlichen echten Humors bei sich führte, der aus dem unfruchtbarsten Erdreich lieblich duftende Blümchen mit Zauberkraft hervorsprießen läßt. Beißender Witz, im Verein mit der durch Janin beliebt gewordenen Wortjonglerie, waren dem fran zösischen Publikum nichts Neues, aber erhöht durch Humor, Naturfilm und eine von allen sozialen Lastern unberührte Sorglosigkeit und Unerschrockenheit zeigten sie sich zuerst in den 6uepe«, die, ein zahlreiches Heer von Nachahmern überlebend, sich fünf Jahre lang in Gunst zu erhalten wußten. Obgleich nun Karr für seine gestachelten Kämpfer das Gebiet der öffentlichen Angelegenheiten zum Tummelplatz gewählt und sich mit Glück darauf versucht hat, bleibt er ein so aufrichtiger Verehrer der Natur, daß er es nicht scheut, eben jetzt, mitten unter den kleinen, großen, falschen und echten Geheimnissen, mit einem allerliebsten Frucht- und Blumenstück, einem Idyll in Briefen, aufzutretcn. Der Held und Schreiber ist ein Deutscher, Karr's Verehrern unter dem Namen Stephen schon lange bekannt; er hat einen Freund, der vor kurzem eine große Reise nach transatlantischen Gegenden nicht ohne Ostentation und allerlei vor nehmen und gelehrten Pomp angetreten; dies erregt in dem sanguinischen Stephen zuerst ein Gefühl von Neid, weil seine Verhältnisse ihm ein Gleiches nicht gestatten, sodann aber die Idee, seinerseits auch eine Reise zu unter nehmen, wäre es auch nur innerhalb seines Gärtchens, und die Beschreibung dieser Vozage autour «le INON jarüin, von der wir einige Bruchstücke folgen lassen, braucht die Vergleichung mit ihrem Vorbilde, X. de Maistre's Voz sg« autour äe ms ckambre, nicht zu scheuen. In der Morgenfrühe an meinem Fenster stehend, bemerkte ich ein Spinnen gewebe im Winkel. Die Jägerin, welche ihre Netze hier eingcspannt hatte, war eben mit der Verbesserung eines Schadens beschäftigt, den Tages zuvor die unvcrhältnißmäßige Größe oder der hartnäckige Widerstand eines Gefan genen verursacht haben mochte. Nachdem Alles wieder in Stand gesetzt war, spazierte die Spinne, obgleich noch einmal so wohlbeleibt als die größte Fliege, ohne Etwas zu zerstören, über ihr Gespinnst hinweg und begab sich in einen dunkeln Winkel auf den Anstand. Ich sah ihr lange zu, sah, wie sich einige Fliegen unvorsichtigen Fluges in das verrätherische Netz verwickelten und ver gebens zu entkommen strebten; der weibliche Nimrod eilte herbei, saugte sie ohn' Erbarmen aus, stellte einige zerrissene Maschen wieder her und verbarg sich von neuem in dem Schlupfloche. Doch siehe, da kommt eine kleinere Spinne herbei, — warum mag sie ihr Netz und ihr Tagewerk verlassen haben? ach, eS ist ein Männchen, ein verliebtes Männchen, das nicht mehr ans Jagen denkt, gleich dem Sohne des TheseuS, als er die Macht des bogenführenden Gottes empfunden. Jetzt tritt es näher, jetzt wieder zurück, zwischen Furcht und Hoffnung schwebend, nun endlich hat es die Gränze überschritten, das Gebiet der Geliebten; die erste Haarbreite Brücke zittert unter seinen Schritten, und, selber zitternd, von so kühnem Wagniß erschreckt, wendet eö sich wieder zur Flucht, aber nur, um von neuem zurückzukehren. Nun wieder einen Schritt vorwärts, nun noch einen, dann steht es still. Gewiß hast du schon furchtsame Liebhaber gesehen, bist wohl selbst einer gewesen, hast du jemals wahrhaft geliebt; der unschuldige Blick eines schönen Kindes konnte dich zittern machen, deine Stimme stockte, die Worte wollten dir nicht aus der Kehle. — Aber solch hohen Grad von Schüchternheit hast du nirgend gefunden, als hier bei unserem liebenden Sechsfüßler, und er hat seine guten Gründe dazu. Wie bei den Insekten fast durchgängig, ist auch das Spinnenweibchen größer als das Männchen. Hat nun in dem Augenblick, wo dieses sich zeigt, „der Geliebten Herz gesprochen", dann weicht sie wie alle Wesen dem süßen Zauber der Liebe, wird sanft, wie es die Löwin durch ähn liche Gefühle wird, giebt sich hin der Wonne, zu lieben und geliebt zu werden und cs sich versichern zu lassen. Dann crmuthigt sie den Blöden, und das Gespinnst wird dem Glücklichen zur romantischen Strickleiter. Aber oft bleibt sie ungerührt, ihre Stunde ist noch nicht gekommen; nichtsdestoweniger nähert sie sich langsamen Schrittes dem zitternden Hippolyt, der vergeblich in ihren Zügen zu lesen sucht, ob er fürchten oder hoffen soll. Ist sie dem bethörten Schwärmer bis auf einige Schritte nahe gekommen, dann stürzt sie auf ihn zu, umarmt ihn und frißt ihn auf. Bei solchen Gelegenheiten verwandeln sich die alten, in der Regel ziemlich lächerlichen Liebesphrasen in blanke Wahrheit und die von den Liebenden aller Zeiten und Völker erfundenen Metaphern gewinnen eine wirkliche Bedeutung.