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Die Eisenbahnen vorzüglich sind eS, welche unserem Jahrhunderte eine von der bisherigen Weltzeit durch und durch verschiedene Färbung und einen gänzlich getrennten Inhalt geben, und die Geschichtschreiber kommender Geschlechter in später Zukunst werden viel leicht bei der Eintheilung in Weltaltcr das Mittelalter mit seinen Barbareien und blutvollen Kriegen bis auf den Ausgang der französischen Revolution durch den Sturz Napoleon'» führen, die neuere Zeit aber mit der bewegenden Kraft des Dampfes beginnen, deren Benutzung auf Eisenbahnen der Natur eine Verlängerung des menschlichen Lebens abringt, die Bekanntschaft, die Schätze, das Wissen, die Erzeugnisse und den Fleiß fernster Völker zugäng lich macht und das Schwert eines allgemeinen Krieges vielleicht für immer zerbricht. Keine Bahn in Europa aber ist berufen, eine so glänzende Aussicht zu verwirklichen, als die lombardisch - venetianische oder die Bahn von Mailand nach Venedig. Diese eherne Straße trägt auf ihrer Oberfläche, wie viele andere Bahnen, örtliche Vorthcile des Augenblicks, aber sie birgt auch den Weg zur Regeneration Italiens und zur höchsten Entwickelung der Wohlfahrt Deutschlands. Wenn setzt die Wellen des Adriatischen Meeres gewissermaßen den Fuß der Hochalpen bespülen, wenn jede lombardische Stadt ein Seehafen wird, wenn der Reichthum des Bodens, des Gewerb- und Kunstflcißes, am Morgen an der äußersten Westgränze gesammelt, Abends in den Schoß des Fahrzeugs ausgenommen wird, welches ihn an ferne Küsten führt, dann kann der Jtaliäner nicht länger in trägem Unmuth über die Fremdherrschaft ver- gessen, daß einst der Welthandel seine Küsten zum Vaterlande hatte, dann muß die Hoffnung bei ihm erstarken, daß in nächster Zeit Italien den Rang und den Glanz unter den Völkern cinnehmen werde, der ihm seiner geogra phischen Lage nach gebührt und den es in so hohem Grade vor Jahrhunderten hatte. Venedig vor Allem, das in den ersten dreißig Jahren dieses Jahrhun derts so beispiellos gebeugt war, darf nun auf die Wiederkehr der schönsten Tage aus seiner früheren Geschichte hoffen, nachdem vom Norden und Westen her sich Personen und Güter in seinem Freihafen mit den Ankömmlingen vom Osten her begegnen. Seit der Umschiffung des Kaps der guten Hoffnung hat Venedig aufgehört, der Stapelplatz des Welthandels zu scpn, und es mußte von der politischen Höhe hcrabsteigen, auf welcher europäische Großmächte vor ihm gezittert haben und auf welcher cs die Pforte in ihrer wildesten Kraft gedemüthigt. Aber die Eisenbahn kann ihm seinen Reichthum, wenn auch nicht seine politische Größe zurückgebcn, Indem die Schätze Asiens über das bald mit, dem Mittelmeer verbundene Rothe Meer nach seinen Häfen strömen. Schon jetzt zeigen sich die wohlthätigen Wirkungen der Eisenbahn auf seine Bevölkerung und seinen Handel, und Lord Byron, der die Schmach der Stadt in so vielen Versen verewigen wollte, würde daS Venedig seiner Zeit nicht wieder in dem jetzigen erkennen. Aber nicht bloß eine Stadt oder Städte werden der Wohlthat dieser eisernen Kunststraßc thcilhaft, sondern daS ganze Italien, dessen Bevölkerung eine heilsame Metamorphose bevorsteht. Diejenigen, welche bisher träge in ihrer Heimat weilten und wartete», bis der Fremde sie zum Koche, zum Boten, zum Diener seiner Lust oder Lüste berief; diejenigen, welche bisher in Aberglauben versunken, welche unthätig zusahe», wie Nachbarvölker ihre Kräfte anstrengtcn, »m Industrie und Wissenschaft zu heben; diese Jtaliäner werden durch die Eisenbahn gezwungen werden, an der Thätigkeit und dem Verkehr der Völker Theil zu nehmen. Schon der Bau der großen Bahn, der Riesenbrücke °) von der Dorr» Krum nach Venedig und der vielen Zweig 'I Diese Brücke soll ei» Wunderwerk seyn und Alle« übertreffen, was bisher dieser Art gebaut wurde. Freilich hat Alexander, der sogenannte Grohe, etwa« Aehnliche« vom feste» Lande Phöniziens bis nach Thrus gebaut; aber diejenigen, weiche unS stets die Tugenden der Heiden auf Kosten der neueren Zeit loben, werden schwerlich einen Vergleich zwischen diesen beide» Wasserbauten »vage». Der Zweck Alexander'« war, dnrch seinen Bau die größt-Handelsstadt zu zerstöre» und das geistvollste, erfindungsreichste und kunst. ft-ißigste Volk zu morden; der Zweck der Eisenbahn ist, eine zerstörte, große Handelsstadt bahnen, die sich, wie von den Alpen herunterstürzend, in die Hauptbahn er- gießen, muß Arbeit und Verdienst unter das Volk bringen, das seit Jahren an wenig Arbeit und an wenig Verdienst gewöhnt ist. °) Aber welcher Flor des Verkehrs, welcher Aufschwung der Industrie, der Bildung und der Kennt nisse erwartet dieses schöne Land, wenn cS von Bahnen durchschnitten seyn wird, die nothwendig in Folge der ersten Bahn entstehen weLden! Schon zittert Genua für seinen Seehandel, der nach Venedig übergeht, wenn eS nicht bei Zeiten sich selbst durch eine Eisenbahn an die lombardisch, venetianische lehnt, und schon gehen von Turin Projekte und Befehle aus, ein Netz von Sisrnbahneu über Piemont und die ganze Po-Ebene zu werfen. Auf solche Weise wird jeder Bewohner Ober-Italiens in einer Zeit von wenigen Stunden nach Belieben und Zweck sowohl ans Adriatische wie an das Ligurische Meer gelangen. Daß der Preis des Bodens sehr steigen und der Jtaliäner veranlaßt werden wird, diesen fleißiger und zweckmäßiger als bisher zu benutzen, geht aus den Umständen augenscheinlich und nothwendig hervor. Bei den Verbindungen durch Eisenbahnen von dem österreichischen Staate, von Gayern, der Schweiz und Frankreich aus, die zum Theil schon im Gange sind, wird der Nordländer sich in Ober-Italien aukaufen, um seinen Wintcrsitz daselbst zu nehmen, während der Siciliancr, den heißen Sommer seines Landes und den Sirokko fliehend, sich nach den milderen, erfrischenden Alpenthälern ziehen wird. Eine Landpartie nach dem Comcrsec in den Ferien, ein Besuch deS Karnevals von Venedig wird dem Berliner nicht viel mehr Zeit und Geld kosten, als vor zehn Jahren eine Reise nach dem Harze. Bringen wir noch die Folge in Anschlag, daß die Plage und der Fluch Italiens, daS Banditen wesen, durch die Eisenbahn gänzlich zerstört wird, da es wohl schwerlich die kühnste und zahlreichste Räuberbande ihren Interessen angemessen finden wird, einen Bahnzug anzugreifcn; setzen wir hinzu, daß die Post- und Reise-Ver- bindung Englands mit Ost-Asien schneller über Deutschland und Triest oder Venedig bewirkt werden kann, als über Marseille, dann haben wir eine Bürgschaft, daß diese Bahn der Keim und der Anfang zur Wohlfahrt und zum Glanze Italiens seyn wird! Wir glauben auch nicht, uns der Ueber- treibung schuldig zu machen, wenn wir behaupten, daß künftig die Frequenz der lombardischen Bahn die Frequenz aller Bahnen der Welt übertreffen wird. Wir haben bisher von der Zukunft Italiens gesprochen und Deutschland dabei kaum berührt , aber letzteres Land wird noch frühere und größere Vor- theilc von dem lombardischen Bahnnetze ziehen, wenn die Weisheit seiner Fürsten nicht in der Ausführung ihrer verschiedenen Verbindungs-Pläne vom Zufalle oder menschlichen Ränken gestört wird. „Es giebt keine Pyrenäen mehr", sagte einst ein französischer König; „Es giebt keine Alpen mehr", werden bald der Kaiser von Oesterreich und der König von Bayern sagen können! Und diese Leichtigkeit für den Deutschen, sich und seine Güter südlich ans Meer bringen zu lassen, muß noch die Quelle für andere große Zwecke seyn: sie muß für Deutschland Flotten im Mittelmeer erbauen und einen großen Theil deS Handels mit dem Morgenlande in seine Gauen führen! Was die italiänischen Hafenstädte im Mittelalter waren, das weiß die Weltgeschichte glorreich zu erzählen; daß sie dasselbe zum Theil wieder werden können, das lehrt ein Blick auf die Karte und auf die Verhältnisse. Die Landenge von Suez wird bald einen Kanal, oder einen Schienenweg, vielleicht beides neben einander auf ihrem Rücken tragen. Seit der Ausdehnung Englands in Ostindien, seit der Erschließung China's ist das Bedürfniß, der Werth und der Umfang des Handels zwischen Asien und den anderen Welttheilen noch ganz anders als vor der Entdeckung des Kaps der guten Hoffnung. Was hindert also Venedig, unter dem Schutze einer deut schen Großmacht, und unter dem Schutze deutscher Bundesflottc», sich seinem früheren Glanze zu nähern? Und was hindert Deutschland, die Erfolge seiner Kunstthätigkeit, die Erzeugnisse seines GewerbfleißeS selbst nach dem Busen von Bengalen und nach Peking zu führen und dagegen beladen mit den Schätzen des Morgenlandes heimzukehren? Wer würde Deutschlands Kriegs- und Handels-Geschwader hindern dürfen, wenn sie an den afrikanischen Küsten dahin segeln und sich in den Ländern Reichthum und Ansehen erwerben, wo Preußens Kurfürsten im l7ten Jahrhundert Forts und Eompagnieen wieder zu »-»cm Glanze zu erhebe» und ein gesunkenes Volk mit Bürgerglück zu lohne». Die Nachwelt mag daS Andenken Alexander'« bewundern, segnen wird sie daS des Erbauer« der Eisenbahn. ') Der Jtaliäner macht nicht einmal Reisen von wenigen Meilen zum Vergnügen oder zu Geschäftszwccke», wenn letztere nicht dringend sind. Er schöpft auch daher seine Menschenkenntnis! nur au« dem Unigang mit den. Fremden, der zu ihm kömmt. Dies muß durch die Eisenbahn anders werden.