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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. PränumcrationS-Preis 22; Silbergr. (s Thlr.) vierteljährlich, Z Thlr. für das ganze Jahr, ohne Erhöhung in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Pränumerationen werden von jeder Buchhandlung (in Berlin bei Veit u. Comp., Iägerstraßc Nr. 28), so wie von allen Königs. Post-Remtern, angenommen. Literatur des Auslandes. 61. Berlin, Dienstag den 21. Mai 1844. Italien. Neapolitanisches Corricolo, von Aler. Dumas. (Zweiter Artikel. °) Sbirren und Lazzaroni. — Kalabrestsche Räuber. — I.» Veuüetta. — Ein Orkan in Neapel. — Unser Herrgott und der heilige Januarius. Das Werk unseres Verfassers gleicht einer bunten Reihe dramatischer Scenen, in welchen der Lazzarone die Rolle des Kracioso der alten spanischen Komödie und des Olowu oder des Narren in den Shakspeareschen Stücken spielt. Die witzigen Einfälle und satirischen Bemerkungen, an denen Herr Dumas unerschöpflich ist, werden nicht selten dem Lazzarone in den Mund gelegt, dessen groteske Erscheinung sich wie ein rother Faden durch das ganze Buch zieht. Reben ihm figurirt sein Freund, der Sbirro oder Gendarme, der, bevor er den Kriegsrock anzog und sich mit Karabiner, Pistolen und Säbel bewaffnete, oft selbst Lazzarone war, und der die Gewohnheiten und die Untugenden seines früheren Standes beibehält. Das Resultat ist ein enges Bündniß zwischen dem Lazzarone und dem Sbirren, die sich zu einem systematischen Angriff auf die Taschen des Publikums vereinigen. „Als ich", schreibt Dumas, „eines Tages die Toledo-Straße hinunter ging, sah ich einen Sbirren arretiren. Dem Jäger des Lafontaine ähnlich, war er unersättlich gewesen, und seine Habgier brachte ihre Strafe mit sich. Der Hergang dieser Sache war wie folgt. „Ein Sbirre hatte einen Lazzarone aus der That ertappt. „Was hast Du von dem schwarzgekleideten Herrn gestohlen, der so eben vorbeiging?" fragte er. — „Nichts, Ew. Ercellenz!" erwiederte der Lazzarone. Ein Sbirre wird von einem Lazzarone jedesmal Loeellenrs titulirt. — „Ich habe Deine Hand in seiner Tasche gesehen." — „Seine Tasche war leer." — „Was! Keine Börse, keine Tabacksdose, kein Schnupftuch?" — „Halten zu Gnaden, nichts! Es war ein Schriftsteller." — „Warum versuchst Du es auch bei dieser Art Leuten?" — „Ich entdeckte erst meinen Jrrthum, als es zu spät war." — „Komm nur mit nach der Polizei." — „Aber, Ercellenz! — da ich nichts gestohlen habe..." — „Dummkopf! Eben deshalb. Wenn Du etwas gestohlen hättest, so würden wir uns leicht verständigen können." — „Warten Sie nur bis zum nächsten Mal; ich werde nicht immer so un glücklich scyn. Dem ersten Vorübergehenden werde ich die Tasche auskehren und Verspreche Ihnen den Inhalt." — „Gut; aber ich will die Person selbst wählen, damit Du nicht wieder eine schlechte Wahl triffst." — „Wie es Ew. Ercellenz gefällt." „Der Sbirre lehnte sich mit über einander gekreuzten Armen in der würde vollsten Haltung gegen einen Pfeiler; der Lazzarone streckte sich zu seinen Füßen auf das Pflaster nieder. Zuerst kam ein Priester vorbei, dann ein Advokat, dann ein Dichter; aber der Sbirre machte noch immer keine Bewegung. End lich erschien ein junger Offizier in glänzender Uniform, der, ein Musikstück aus der neuesten Oper trällernd, die Straße entlang schritt. Der Sbirre gab das Zeichen. Schnell sprang der Lazzarone auf und folgte dem Offizier. Beide verschwanden um eine Straßenecke. Es dauerte nicht lange, ehe der Lazzarone mit seinem Lösegeld in der Hand zurückkehrte. „Was hast Du da?" fragte der Sbirre. — „Ein Taschentuch", erwie derte der Andere. — „Ist das Alles?" — „Alles? Es ist vom feinsten Batist." — „Hatte er nur ein Tuch?" °°) — „In der Tasche nur eins." — „Und in der anderen?" — „In der anderen hatte er ein seidenes Tuch." — „Warum hast Du das nicht gebracht?" — „Das wollte ich für mich be halten, Ercellenz. Es ist billig, daß wir den Verdienst theilcn; eine Tasche für Sie, die andere für mich." — „Aber beide kommen mir von Rechts wegen zu, und ich muß auch das seidene Tuch haben." — „Aber, Ercellenz ..." — „Ich muß es haben, sag' ich Dir." — „Es ist eine Un gerechtigkeit." — ,/Ha! Wagst Du es, von einem königlichen Sbirren übel zu reden? Fort, ins Gefängniß!" — „Sie sollen das seidene Tuch haben, Ercellenz." — „Wie willst Du aber den Offizier wiederfinden?" — „Er ist nach der 8tr»ä» äs kHa gegangen, wo er einen Besuch macht. Ich werde hingehen und an der Thür auf ihn warten." „Der Lazzarone entfernte sich, bog um die Ecke und stellte sich in einem Thorwege auf die Lauer. Der Offizier kam bald aus dem gegenüberliegenden -) Vgl. Nr. ss ,md Nr. LK des Magazin». ") In Neapel ist es gebräuchlich, zwei Taschentücher bei sich zu führen — ein seidenes und eine» von Batist. Dai letztere dient, um sich die Stirn zu trocknen. Hause hervor; ehe er zehn Schritte gegangen war, steckte er die Hand in die Tasche und fand, daß ein Tuch fort ftp. „Verzeihung, Ercellenz", sagte der Lazzarone, indem er hinzutrat; „ich glaube, Sie haben etwas verloren?" — „Ich habe ein batistenes Taschentuch verloren." — „Ew. Ercellenz haben es nicht verloren; es ist Ihnen gestohlen worden." — „Und wer hat es ge stohlen?" — „Was geben mir Ew. Ercellenz, wenn ich Ihnen den Dieb Nachweise?" — „Ich will Dir einen Piaster geben." — „Ich muß zwei haben." — „Du sollst sie haben. Holla! was machst Du da?" — „Ich stehle Ihr seidenes Taschentuch." — „Um mein batistenes zu finden?" — „Richtig!" — „Und wo werden sie beide sepn?" — „In einer Tasche. Derjenige, dem ich dieses Tuch gebe, ist auch im Besitz des anderen. Folgen Sie mir, und beobachten Sie, was ich thun werde." „Der Offizier folgte dem Lazzarone, der dem Sbirren das Tuch «in- händigte und wegging. Letzterer hatte kaum seine Beute zu sich gesteckt, als der Offizier herbeikam und ihn beim Kragen ergriff. Der Sbirre fiel auf die Kniee, aber der Offizier war unerbittlich, und er wurde ins Gefängniß ab- gcführt. Da er früher selbst Lazzarone war, so merkte er sogleich, welchen Streich man ihm gespielt hatte. Er wollte seinen Verbündeten betrügen und war statt dessen von ihm betrogen worden. Aber weit entfernt, es ihm nach zutragen, wird er es als einen zum Handwerk gehörigen Kunstgriff betrachten und desto mehr Achtung für den Thäter empfinden. Sobald man ihn auf freien Fuß setzt, wird er den Lazzarone aufsuchen, und sie werden die besten Freunde sepn. Wenn aber dieses stattfindet, so nehme man seine Taschen in Acht." Zu den Personen, die uns von Herrn DumaS vorgesührt werden, gehört auch der verstorbene König von Neapel, Ferdinand IV., dem die Lazzaroni, wegen der ihn im hohen Grade auszeichnenden Eigcnthümlichkeit der bour- bonischen Physiognomie, den Spottnamen: König Rasone gaben; ferner der Pater Rocco, ein beliebter Kanzelredner, der von dem Pöbel vergöttert wurde, und der Kardinal Parelli, der am meisten durch seine Einfalt bekannt ist — eine Eigenschaft, die, wie man sich leicht denken kann, für seinen Biographen nicht verloren geht. Noch anziehender ist der Bericht über die Vardarelli, eine Räuberbande, die vor einigen Jahren Kalabrien und das Kapitanat beunruhigte. „Gaetano Vardarelli war ein Kalabrcse von Geburt und eines der ersten Mitglieder der revolutionaircn Gesellschaft der Carbonari. Als Murat, nach- dem er diese Gesellschaft eine Zeitlang begünstigt hatte, sie zu verfolgen be gann, flüchtete sich Vardarelli nach Sicilicn, wo er in den Dienst König Ferdinand's trat. Er stand damals in seinem sechsundzwanzigsten Jahre und vereinigte die Stärke des Löwen mit der Schnelligkeit der Gemse und dem Auge des Adlers. Ein solcher Rekrut war nicht zu verachten, und man er nannte ihn sogleich zum Sergeanten in der sicilianischen Garde. Als Ferdinand im Jahre I8I8 nach Neapel zurückkehrte, begleitete ihn Vardarelli dahin; da er aber keine Aussicht hatte, sich je über eine untergeordnete Stellung zu er heben, so wurde ihm der Dienst verleidet — er desertirte und nahm in den Gebirgen von Kalabrien Zuflucht. Zwei von seinen Brüdern und einige dreißig Straßenräuber und Verbannte sammelten sich um ihn und wählten ihn zum Hauptmann, indem sie das Recht über Tod und Leben in seine Hände legten. In Neapel war er ein Sklave gewesen — im Gebirge war er König. „Nach der hergebrachten Formel der Banditenhäupter, sowohl in Kala brien als in den Melodramen, erklärte sich Vardarelli zum Rächer der Unter drückten und Abhelfer aller Mißbräuche, und bekräftigte seine Erklärungen da durch, daß er die Reichen ausplündcrte und die Armen verschonte. Dieses Benehmen hatte zur Folge, daß die Ersteren vor ihm zitterten, während er bei den Letzteren höchst beliebt wurde. Der Ruf seiner Thate» gelangte endlich zu den Ohren König Ferdinand's, der, über solche Unordnungen erzürnt, Befehl gab, den Banditen ohne Weiteres aufzuhängen. Aber um Jemanden aufzu- hängen, sind drei Dinge nöthig — ein Strick, ein Galgen und der Mann selbst. Es war in diesem Falle leicht, die beiden ersteren anzuschaffen — un glücklicherweise fehlte jedoch der Letztere. Gendarmen und Soldaten wurden aufgeboten, den Vardarelli zu fangen, aber dieser war zu listig, um sich von ihnen greisen zu lassen; er schlüpfte ihnen immer durch die Finger. Das Glück, mit welchem er seinen Verfolgern auswich, vergrößerte noch seinen Ruf, und Rekruten strömten in Schaaren zu seiner Fahne. Seine Bande wuchs bald um das Doppelte an, und ihr Anführer wurde dadurch eine so wichtige Person, daß es den Behörden täglich mehr darum zu thun wurde, sich seiner zu bemächtigen. Nan setzte einen Preis auf seinen Kopf; starke Abtheilungen