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Wöchcnilich erscheinen drei Nummern. Pränumeration^-Preis 22j Sildergr. (j THIr.) vicrteijähriich, 3 Tb>r. sur da« ganze Jahr, ohne Erhöhung in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Pränumerationen werden non jeder Buchhandlung (in Berlin hei Veit u. Comp., Zägerffmße Nr. 28), so wie von allen Königl. Post -Neuner», angenommen. Literatur des Auslandes. M 31. Berlin, Sonnabend den 27. April 1844 Italien. Jtaliänische Reisebilder. Bon Paul de Müsset. Capua. — Tcrracina. — Vcllclci. — Rom.'s Ich verließ Neapel am 8. Juni. Die Bucht, der Vesuv und Capri waren mir niemals so reizend erschienen. In meinem Unmuthe wünschte ich den Wagen, der mich davontrug, noch viel abscheulicher als er war. Denkt euch eine alte mit allerlei Gepäck vollgestopfte Kutsche. Das Borderstück derselben hatte man zu einer Art von Kabriolet umgebaut, welches ungefähr so gestaltet war, wie die kleinen Kastorhüte der englischen Romanheldinnen. Vor dem Wagen her schwankten drei große Schattenbilder von Pferden, zwei zu beiden Seiten der Deichsel, das dritte zehn Schritt vorauf, an langen, niemals straffen Leinen. Noch ehe wir ans Thor gelangten, waren die Roste bereits dreimal in rührender Eintracht hingesunken und hatten Zügel, Stränge und Kutscher so tief in ihren Fall verwickelt, daß man fic alle loSspannen mußte, um die Ordnung wieder herzustellcn. Ich saß im Abschiedsschmerz versunken und bemerkte kaum, was um mich vorging. Da weckten mich plötzlich die Reisegefährten aus meinen Phantasier», in. dem sie beim letzten Sturze wie Besessen» zu schreien anfingen. Nun gewahrte ich erst, daß die drei Pferde, mit Goldflittern, Pfauenfedern und kleinen Spiegeln bedeckt, »in prächtiges HarlekinSgespann bildeten, würdig, von Cer. vantcs verewigt zu seyn. Mein Nachbar im Kabriolet, ein junger brauner Sicilianer mit krausem Barte, crwieS mir den Dienst, mich durch hundert mehr oder weniger bescheidene Fragen zu zerstreuen. Ich erkannte in ihm einen Karthagincnser und taufte ihn Don HaSdrubal, «in Name, mit dem er wohl zufrieden war und den er später, als wir intime Freunde geworden waren, vollkommen rechtfertigte. Durch eine Oeffnung entdeckte ich in der Kutsche selbst einen wohlaussehenden Erzpriester und einen Abbate, dessen Gesicht von Glückseligkeit glänzte, weil ihm als Ziel seiner Reise eine Erbschaft von hunderttausend Dukaten winkte. Den Fond nahm ein sehr gesprächiger junger Arzt ein und eine hübsche Dame, Vorleserin einer deutschen Fürstin, welche in ihr Taschentuch weinte. Auf der Landstraße angelangt, ging die Fahrt besser von Statten. Um elf Uhr, als die Hitze drückend wurde, kamen wir nach Capua. Meine Reise- geführten gingen bei dreißig Grad Reaumur nach den eine Meile entfernten Trümmern der alten Stadt; ich blieb zurück und philosophirtc bei einem Korbe vortrefflicher Erdbeeren über Capua's berüchtigte Reize, über Hannibal und TituS LiviuS. Um fünf Uhr, als der Zephyr die Luft abznkühlcn begann, stiegen wir wieder in den Wagen und erreichten am Abend das Dorf Sant-Agata, das alte Minturnae, wo die Insekten sich verschworen zu haben scheinen, keinen Reisenden ruhig schlafen zu lassen, seit Marius daselbst eine so traurige Viertel stunde zubrachte. Ich hatte, lesend und rauchend, die Nacht durchwacht und zählte auf den Beistand meiner Reisegefährten, um de» Vetturins am Morgen mit Vorwürfen zu überhäufen, weil er uns kontraktmäßig gute Betten und reine Zimmer schuldig war. Man denke sich mein Erstaunen, als ich alle voll kommen befriedigt sehe. Der Karthagincnser und die geistlichen Herren waren stichfest ; der Arzt machte große Augen, als ich von Insekten redete, und das Fräulein war frisch wie eine Rose, beklagte sich über nichts, und da sie nur deutsch sprach, wovon Niemand ein Wort verstand, konnte man nicht einmal wissen, was sie dachte. Ich tröstete mich also schweigend mit der Hoffnung auf Tcrracina. Kurz hinter Sant-Agata sprangen meine vier männlichen Reisegenoffen aus dem Wagen, um das Wunderwerk einer eisernen Brücke anzustaunen, die mit der kühnen Spannung von fünfundzwanzig Fuß über einem Graben hängt, in welchem ein drei Schritte breiter Bach dahinrollt. Von dem erhabenen Eindrücke überwältigt, würdigten fic die herrlichen Trümmer des Aquadukts von Minturnae nicht eines Blickes. Auf dieser Straße wurden, wie die neuesten Zeitungen berichten, in den ersten Tagen des April, w der Nähe von Terracina, auf päpstliche», Gebiete, zwei von Neapel nach Roni fahrende Ertrawagen der Diligence mir lä oder Ix Passagieren — Deutsche, Engländer, Russen, Franzosen und vier Neapolitaner der Noblcgarde — während der Nacht von sechs Räubern angesallen, von denen vier mit Schießgewehr „nd zwei mit Stöcke» bewaffnet waren. ES gelang ihnen der Plan vollkommen; die Passagiere mußten sämmt- lich kaceia » terra machen, und die Räuber plünderten dann nach Herzenslust, so daß die Reisenden von allen Sachen und Baarschaften entblößt in Rom cintrafen. Am Mittage ruhten wir zu Mola di Gaeta, an der Gränze des König reichs Neapel. Der Wirth behauptet, daß Cicero gerade vor seiner Thür gestorben ist, und wenn man ihn durch Widerspruch reizen wollte, so würde er versichern, daß er ihm selbst zu Hülse gekommen sey, und seine Magd zum Zeugen aufrufcn. Hier sah ich das letzte echt neapolitanische Bild, einen Offizier der Garnison in vollständiger Uniform mit Degen und Hut und Epau- lcttes, der auf cincm kleinen Esel eine behagliche Landpartie machte und mit beiden Händen einen mächtigen Schirm ausgebrcitet hielt, um sich vor der Sonne zu schützen. 3» Fondi gewahrt man bereits, daß man in pin anderes Land gekommen ist. Der Wuchs der Frauen wird schlanker, die Augen größer, die Nase länger und feiner, und die minder schwarzen und lebhaften Gesichter zeigen die klassische Regelmäßigkeit. Die Beweglichkeit weicht allmälig dem römischen Ernste. Der Ton der Stimme wird harmonischer, die Rede langsamer, der Dialekt hört auf. Mau gelangt in die päpstlichen Staaten durch eine steile und malerische Straße. Unser Betturino pasffrte unangefochten den vor zehn Jahren so ge fährlichen Engpaß von Terracina. Die Räuberei trieb ihr Handwerk deshalb so ungestört, weil Gränzbeamte, Postillone und Bauern zur Bande gehörten und ihren Theil an der Beute erhielten. Der Gränzbeamte untersuchte das Gepäck gewissenhaft. Wenn er nichts Kostbares bemerkte, so bemühte man sich nicht erst: wenn aber die Untersuchung der Reisekosten ein genügendes Er- gebniß zeigte, so benachrichtigte ein auf Schleichwegen abgefcrtigter Bote die Räuber; der Wagen fand den Hohlweg besetzt, und nachher theilte man brüderlich. Jndeß ist diese Industrie durch ihre eigene zu große Bequemlich keit in Verfall gerathcn. Ungeschickte Leute haben sich an Kardinälcn ver griffen, welche dieses Verfahren übel nahmen und sich sehr wunderten, als sie bei der nächsten Reise ihren Rock auf den Schultern des Gränzbcamtcn und ihre Uhr in der Hand des Postillons wicderfanden. Darauf hat denn die päpstliche Regierung Maßregeln ergriffen, und Terracina die sicherste Quelle seiner Einkünfte verloren. Deshalb stiehlt man gegenwärtig nicht mehr so im Großen, aber doch im Kleinen, besonders in den Gasthäusern Taschentücher, Rasirmcffcr, Pantoffeln und dergleichen. In Terracina ermangelt man niemals, gesprungene Waschbecken in die Gastzimmer zu setzen und den Werth derselben mit in Rechnung zu bringen, indem man dem Gaste geradezu ins Gesicht sagt, daß er sie zerbrochen habe. Alle Reisenden unseres Vetturins beklagten sich zugleich über diese grobe Lüge. Ich veranlaßte sie, ihre Waschbecken ruhig zu bezahlen und sich dafür das Vergnügen zu machen, sie ganz zu zertrümmern, was einen recht hübschen Haufen von Scherben abgab. Bei dieser unerwarteten Musik erhob sich ein allgemeiner Aufstand, und unser Condncteur, der seine Leute kannte, war wirklich um uns besorgt. Ich hatte mir von den Pontinischcn Sümpfen ein ganz trauriges Bild entworfen. Ich stellte mir eine Kunststraße vor, der man bei jedem Schritte die Arbeit ansähe, welche sic gekostet hätte, und zu beiden Seiten eine Wüste, als sichtbare Spur der verpesteten Luft. Statt dessen fand ich mit lieber- raschung eine von Akazien und Platanen eingefaßte Straße, und auf der einen Seite derselben einen EntwäffcrungS-Kanal, aus welchem Schiffe mit Binsen und Heu beladen fuhren, auf der anderen ruhig weidende Kühe; ringsum ein frisches, durch den tiefblauen Himmel gehobenes Grün. Hätte uns der Betturino nicht vor dem Einschlafen gewarnt, um dem Fieber zu entgehen, so würde man unmöglich geglaubt haben, mitten in der Malaria sich zu be finden. Man sieht zwar, daß diese Sümpfe nicht bewohnt sind, aber man fühlt sich geneigt, die Ursache davon in dem Mangel an spekulativem Sinne des umwohnenden Landvolkes zu suchen. Gegen elf Uhr wurde die Sonne unerträglich- Der Abbe zog seinen Rock aus, der Erzpriester las sein Brevier, indem der Schweiß über sein Gesicht strömte, der Doktor vertrieb sich die Fliegen mit seinem Taschentuchc, die junge Vorleserin glühte wie eine Rose, und ich stieß Seufzer aus, welche Berge hätten zersprengen können. Nur der Karthaginenser schaute fortwäh rend mit strahlenden Augen ins weite Land hinaus. Allmälig bemächtigte sich die Mattigkeit der ganzen Gesellschaft, und die Köpfe begannen zu schwanken. Don Giuseppe bemerkte die Gefahr und ließ alsbald mit einer Stentorstimme ein Lied erschallen. Wir wollten wieder cinschlasen, da rief er: „Wie gefällt den Herren dieses sonetro ,I'smore?" und rczitirte uns ein Sonnctt von Petrarka, dann noch ein anderes Sonnett, dann ein Gedicht von Monti. „Ich könnte Ihnen", fuhr Don Giuseppe fort, „einen ganzen Gesang aus der kerusslemme liberuts hcrsagen, aber der Orlsuüo furioso geht mir