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192 Gemeinde in ClementS-lane zu besuchen, deren Kellergeschoß als Begräbnißplatz benutzt wurde, und zwar so, daß die Särge ohne alle Bedeckung auf dem Boden standen und die lebende Gemeinde von der tobten nur durch leichte Dielen getrennt war, die gar manche breite Nitze zeigten. Während der sieben Jahre, da ich die Kapelle besuchte, war sie in einem erbärmlichen Zustande, eS herrschte ein unerträglicher Geruch, und ganz eigcnthümliche, wanzenähnliche, aber beflügelte Insekten flogen zu Hunderten umher und setzten sich dem Auditorium in die Kleider, daß man sie, heimkehrend, nicht los werden konnte. Oft bin ich mit peinlichen Kopfschmerzen nach Hause gekommen, auch geschah cs nicht selten, daß mehrere Gemeinde-Mitglieder zu gleicher Zeit in Ohnmacht fielen. Die Kapelle wie das Begräbniß waren Eigenthum des darin fungi- rcnden Predigers, Hrn. Howse, der also aus den Beerdigungs-Gebühren, für die Armen zwischen 8 und I» Sh., ein Hauptcinkommcn zog. Es waren im Ganzen in dem eben nicht umfangreiche» Gewölbe schon an 12,000 Personen begraben worden, aber wie der Raum zu beschränkt ward, mußten die früher Beerdigten Platz machen. Eine Frau, die für den in der Nähe wohnhaften Hrn. Howse die Wäsche besorgte, erzählte, cS würde mit dem Holze der Särge unter dem Waschkessel gefeuert; die Gebeine mochten wohl zusammengeschaufelt werden oder fielen in einen durch den Keller gezogenen Kanal, welchen über wölben zu lassen Hr. H. erst auf Einschreiten einer Kommission gcnöthigt werden mußte." Es folgen noch viele ähnliche Berichte und Zeugnisse, durch welche dieselben Thatsachen sowohl rücksichtlich der schon genannten als mehrerer anderer Kirch höfe bestätigt werde». Die Todtengräbcr Londons wissen Geschichten zu er- zählen, daß einem dabei die Haare zu Berge stehen; sie gehen mit den Schädeln nicht besser um, als ihr Vorfahr in Hamlet, aber sein Räthsel würde heutzutage Keiner aus ihrer Zunft errathen. Ihre Gräber liegen mitunter kaum einen Fuß tief von der Erdoberfläche entfernt, und um so leichter kommen sie dann — mit oder ohne höhere Autorisation — an die Särge. Diese müssen, nach einem förmlichen PlünderungSspstcme der Kirchendiener, zuerst daö Blei hcr- geben, womit die Fugen gelöthet werden, dann wird das Holz zu ganzen Ladungen weggeführt, um den Küstern rc. zur Heizung zu dienen. Mit den Leichnamen wird dabei echt kannibalisch umgcgangen, die noch nicht verwesten werden ohne Weiteres zur Grundlage der neuen Särge gebraucht, Köpfe adgc- hauen, Beine umhergeworfen und so die menschlichen Ueberreste gewissermaßen zur Düngung des Bodens benutzt, dem dadurch aber verpestende, statt nährende Kräfte mitgcthcilt werden. An solchen Stellen sicht man denn auch in den Sommermorgenstunden aus dem dintenschwarz aussehenden, giftgetränkten Boden Dämpfe „wie von kochendem Wasser" cmporstcigcn, gewöhnlich TodeS- boten für die Unglücklichen, welche der billigen Miethe wegen in diesen Gegenden ihre Wohnungen zu suchen gcnöthigt sind. Eben so sichtbar entströmt strahlen- artig das verderbliche GaS den oben erwähnten über einander geschichteten Särgen, sobald behufs der Umgrabung oder Erweiterung die Gruben geöffnet werden, und man hat Personen, die sich im Bereiche solcher Ausströmungen befanden, todt hinstürzcn sehen, während Andere mit Ohnmächten oder kürzeren Krankheiten vavonkamcn. Manchen noch weniger diSpomrten Arbeitern konnte es nichts anhaben, aber in ihren Kleidern trugen sie die tödtlichen Stoffe weiter, besonders in die WirthShäuscr, wo sie bald von den übrigen Gästen auf's strengste gemieden wurden. Mit dem schwefelartigcn kadaverösen Gase, in einer Flasche aufgefangen, find auch verschiedene Versuche angestcllt worden, aus denen sich ergab, daß eS wie schon ältere Thatsachen bekunden — durch die Länge der Zeit an schäd licher Wirkung kcinesweges verliert und sich, einmal frei geworden, mit äußerster Schnelle überall hin verbreitet. Hierbei wird eines Faktums aus der französischen Revolution erwähnt, daß nämlich die Ausströmungen aus dem Sarge Franz' I. zu St. Denis den gräbcrstürmendcn SanScülottcn bald den Tod gebracht hätten. Hr. Walker, der Physiker, welcher jene Erperimente vornahm, wäre beinahe selbst ein Opfer seiner zum Wohle der Menschheit unternommenen Bemühungen geworden ; das Einhauchcn geringer, durch Un vorsichtigkeit aus der Flasche entwichenen GaStheilche» machte ihn auf mch- rcre Wochen bettlägerig. Nichtsdestoweniger hat er sich diesen so wie anderen auf denselben Gegenstand bezüglichen Untersuchungen mit dem gewissenhaftesten Eifer hingegeben und im Verein mit den Comite-Mitgliedern Colonel Acton, Hrn. Ainsworth und Colonel For die Nothwendigkeit bald vorzunchmender energischer Acnderungs-Maßregeln auf daS überzeugendste dargethan. Bei Gelegenheit der für die Zukunft zu entwerfenden Vorschläge erwähnt der Ueviewer, aus dessen Mittheilung wir die obigen Notizen entnommen, das schon vor mehreren Jahren erschienene Riesenprojekt eines Hrn. Wilson, der von vorn herein das Prinzip, die Todten unter der Erde zu begraben, verwirft, weil dabei — vorausgesetzt, daß jeder Leiche der von SanitätS- Rücksichten verlangte Raum gewährt wird — große Strecken Landes für die Anwendung zum Nutzen und Vergnügen der Lebenden verloren gehen. Darum hat Hr. W. den Plan zu einer Gräber-Ppramide entworfen, die, dem Bedürf nisse der Weltstadt für mehrere Jahrhunderte angemessen, vollkommen hinrei chenden Raum für fünf Millionen Leichen enthalten und neben welcher die große Pyramide von Gizeh nicht länger ein Weltwunder heißen würde. Die Grundfläche dieses babylonischen Baues sollte nicht mehr als 18 Acres betragen, die Höhe aber die doppelte des Kreuzes von St. Paul's erreichen und das Ganze 1000 Acres unserer Kirchhöfe ersetzen. Wir haben den großartigen Plan auf dem Papiere vor uns: Quadersteine bedecken die Außenseite, und vier Nic- sentreppcn führen nach dem Gipfel, der noch einen Obelisken mit einem Ob servatorium zu tragen hat. Den Eingang zur Pyramide bildet ein hohes ägyptisches Portal, längs der Seiten laufen terrassenförmige Spaziergänge, an jedem Winkel erhebt sich ein Wachtthurm, und ringsum schließt eine Mauer noch einige Morgen Landes ein, zum Theil zur Aufnahme zierlicher Grabdenk mäler, zum Theil zur Errichtung der nöthigcn Gebäude, einer Kapelle, einer Registratur und Wohnungen für Oberaufseher, Wächter, Geistliche und Küster bestimmt. Die Kosten de« Ganzen sind auf 2, Million Psd. veranschlagt, und nach einer ungefähren Berechnung würde sich dabei in einem Zeitraum von 100 Jahren für die Kommune eine Ersparniß von 124 Millionen Psd. ergeben. Schließlich theilen wir noch einige interessante Details mit, die bei den Ver- Handlungen des Comite zur Sprache kamen. Ein Redner zeigte nicht ohne Bitterkeit darauf hin, wie dem sonst so praktischen englischen Volke die meisten übrigen Nationen Europa's gerade in dieser hochwichtigen Angelegenheit mit dem besseren Beispiel längst vorangegangcn, ja bei einigen sogar die Abschaf fung des veralteten Mißbrauches durch Engländer veranlaßt worden. Sir James Fellowes, 1804 Militair-Arzt bei dem englischen Heere auf der Halbinsel, machte bei Gelegenheit eines in Andalusien auSgcbrochenen Fiebers die Behörden auf die Schädlichkeit des Begrabens in den Städten aufmerksam, und sie waren erleuchtet genug, um ihn in seinen Maßregeln zur Abhülfe zu unterstützen. Gcncral Castanos gab ihm, trotz der feindlichen Verhältnisse Spaniens und seiner Nation, einen aller Orte gültigen Frcipaß, und so ge lang eS am Ende, das bezweckte Verbot einzuführen, das in der Cortessitzung 1810 Gesetzeskraft erhielt. Bei dieser war Sir James gegenwärtig und konnte sich seines Werkes erfreuen; aber in sein Vaterland heimgekehrt, erreichte er mit all' seiner Beredsamkeit nicht, was ihm den abergläubischen Spaniern ge genüber gelungen war. Dasselbe Resultat erzielte, bei einer noch weniger zur Kultur vorgeschrit tenen Nation, Colonel Patrick Campbell, früher britischer General-Konsul in Alexandrien. „Jegliche Religionspartci" — heißt es in seiner Aussage — „hatte ihren besonderen Begräbnißort innerhalb der Stadt, Protestanten, Rö misch-katholische, Griechisch-katholische, Juden und Armenier: die Muham medaner hatten deren mehrere, die sich durch die mit den verschiedenen Tur- bauen verzierten marmornen Grabmäler auszeichneten. Anfangs I8Z6, kurz nach der verheerenden Pest, sprach ich eines Tages mit Mehmed Ali darüber, und er wollte meine Meinung wissen, ob eine Verlegung der Grabstätten überhaupt zu bewerkstelligen wäre, und ob ich sie für vortheilhaft hielte. Der römisch-katholische Kirchhof war zu jener Zeit besonders mit Todten über häuft, ich machte den Pascha auf das Schädliche einer solchen Nachbarschaft aufmerksam und versicherte ihn, es würde nicht schwer halten, die Einwilligung der verschiedenen Religions-Oberhäupter sowohl für die beabsichtigte Aende- rung als für das Verbot ferneren Beerdigens innerhalb der Stadt zu erlan gen. Er schickte mir auf der Stelle den Polizei-Chef zu, mit dem ich da« Weitere verhandeln sollte, zugleich ward die Mitwirkung sämmtlicher Mit glieder einer Art von Verschönerungs-Baukommission, deren zeitweiliger Prä sident ich war, in Anspruch genommen, endlich zeigte sich ein italiänischer Ingenieur besonders thätig, und so gelang eS uns, in kurzer Zeit die Bedenk lichkeiten der Andersgesinnten zu überwinden und jeder der oben erwähnten Glaubcnsgenossenschaften Beerdigungsplätze außerhalb der Stadt anzuweisen. Die Türken haben die ihrigen bei der Pompejussäule, die übrigen Nationen unweit der Landstraße nach Rosette, ctwa 14—2 (engl.) Meilen von der Stadt. Innerhalb derselben darf Niemand ferner bestattet werden, und sie hat durch die Umgestaltung und den Anbau früherer türkischer Begräbnißplätze bedeutend gewonnen." Die dargestcllten Thatsachen dürften nicht nur der Nation, die sich selbst als die gebildetste der Erde zu betrachten gewohnt ist, sondern auch denen unter uns zur Belehrung gereichen, welche meinen, jenseits des KanalcS sey alles pures glänzendes Gold; wir unsererseits würden, bei aller Achtung vor dem wahrhaft Großen in Englands Institutionen, den Boden der Frei heit, wenn er Pcsthauch und giftige Dünste ausathmet, doch nicht ohne Scheu betreten können. Mannigfaltiges. — Die griechisch-russische Kirche. Von des bayerischen Pfarrers E. G- Schmitt Geschichte der griechischen und der russischen Kirche ist kürzlich eine italiänische Uebersctzung in zwei Bänden erschienen. °) „Die Deutschen", sagt ein italiänischeS Blatt über dieses Buch, „beschäftigen sich doch mit Allem, was nur irgend ein wissenschaftliches oder literarisches Interesse hat! Zu den älteren Arbeiten, die sie bereits über die griechische und die russische Kirche von Johann Michael HeinecciuS und von Philipp Strahl besaßen, ist diese neuere, beide sehr ergänzende von Schmitt gekommen, während wir Jtaliäner, denen doch der Gegenstand, schon wegen des Gegensatzes der morgenländischen zur römisch-abendländischen Kirche, viel näher lag, noch kein Geschichtswerk dieser Art besitzen." — Da Herr Schmitt daS Heil der griechischen und der russischen Kirche nur in deren Vereinigung mit der römischen erkennt, so findet natürlich nicht bloß seine Geschichte, sondern auch sein Urtheil Anerkennung in Italien. ') I-tvri» eritic» Sell, Que»» xreco - mosero» - s-U» Obie»» ru,»,. — e Oomp., 1814. Herausgegeben und redigirt von I. Lehmann. Im Verlage von Veit kr Comp. Gedruckt bei A. W. Hayn.