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Wöchentlich «scheint,, drei Nummern. Prönumeriuion» - Preis 22; Silbergr. Thlr.) vierteljährlich, Z Thlr. süi d»« ganze Jahr, ohne Erhitzung in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Pränumerationen werden (von jeder Buchhandlung (in Berlin bei Veit u. Comp., ISgerstraße Nr. 22), so wie von allen König!. Post > Aemtern, angenommen. Literatur des Auslandes. 49. Berlin, Dienstag den 23. April 1844 Nord-Amerika. West Rorbury Community. Mittheilungen eines in Nord-Amerika reisenden Deutschen. Wir verließen das enge, geschäftige Boston, das sich rühmt, das Emporium der Künste und Wissenschaften zu sepn, die in dem jugendlichen Amerika Raum zum Keimen finden, und wandten dem gewaltigen, stillen Häuserberge den Rücken. Wie eine Wafferspinne streckt das hochragende Boston die langen, dünnen Brückenbeine über die salzigen Wasser, die es rings um- fluthen, und schaut mit der stolzen Kuppel seines amerikanisch-schönen Stadt hauses stolz auf die Wogen des anbrausendcn MeereS, das es mit sicherer Hand seit Jahren beherrscht, und auf die breiten Spiegel des Charles- und anderer Flüsse, die ihm Kunde von dem Heimatlande bringen, an das cS durch eine schmale Landzunge nur leicht, durch seine Interessen so unauflöslich gefesselt ist. Auf dieser Zunge rollten wir im leichten Wagen und auf den herrlichsten Wegen durch lachende Fluren, wie sie nur das wellenförmige Neu- England mit seinen zerstreuten Häusern, die alle wie Lusthäuser reicher Städter auösehcn, seinem köstlichen Laube und dem die sorgsamste Mühe gleich dankbar lohnenden Boden aufzuweisen vermag. Die reichlichste Obstfülle zierte die wohlgehaltenen Gärten, das in seinen Formen so gefällige Mais zeigte in üppigen Knollen die Perlenreihen seiner nahrhaften Frucht, das Gold der meist gereiften Kürbisse, deren Zucht in Neu-England mit besonderer Vorliebe be trieben wird, glänzte aus dem dunklen Laube am Boden hervor, und in der Ferne tönte das lockend ladende Glöckchen einer Kirche. An dem heiterklaren Himmel stand eine Sonne, die dem Europäer ganz unbekannt — die Sonne, welche während des Indianer-Sommers dem kühnen Jäger auf seinem Zuge leuchtet und die arme Erde leise und friedlich in den langen, kühlen Winter schlaf einlullt. Die Luft ist so klar, die Contouren so scharf, die ganze Erde so fröhlich und kräftig, daß auch der Mensch dem Einflüsse der Außenwelt nach- giebt und fröhlich die Gegenwart zu genießen strebt. Das Land ist doch schön — sagte die gelehrte Buchhändlerin und Schrift stellerin, Miß Peabody — und lieber hätte ich es noch, wenn es mir nicht ein so peinliches Mißbehagen an der Stadt erweckte. Ein wahres Leben, mag es immerhin höher als die Sterne hinauf streben, ist doch an die Mutter Erde gefesselt. Der sanfte Odem des Klees ist mein Parfüm. Die Töne des Viehes auf dem Felde bilden den natürlichen Baß zu den menschlichen Stimmen. „Klar, aber hart und — verzeihen Sie mir — fast ungefällig in Ausdruck und Sinn", erwiederte die geistreiche Witwe unseres viclbeklagtcn Landsmanns Follen; „mir ist genug, daß wir auf dem Lande den Frieden von Außen und Innen finden, den die Städte uns nicht geben können. So find auch die guten Gemeindegliedcr in Rorbury aus dem Getümmel der Städte, der Kinder des Krieges, in die freie Natur gezogen. Unser guter Herr B. kam zuerst durch ein ernsteres Studium der Geschichte der Städte auf den Gedanken der Noth wendigkeit einer Verbesserung unseres sozialen Lebens. Nicht Liebe und Friede, sondern Streit und Krieg trieb das arme Menschengeschlecht zusammen, bis sie vergaßen, wie es sich auf der weiten Flur und unter dem gewaltigen HimmclSdome ergehe. Waren Sie je in Rorbury, Doktor?" Diese Frage war an den Schreiber gerichtet, der auf bescheidenem Rößlein nebenher trabte, während nach hiesiger Sitte die Damen die Sorge für das eigene Pferd schwesterlich theilten. Ich gestand meine Unwissenheit und er fuhr etwa Folgendes: Bekanntlich ist in keinem Lande der Erde der Wunsch nach einer Regene ration unserer sozialen Verhältnisse so rege geworden, nirgends Versuche zur Lösung dieses ProblemeS so häufig gemacht, als in der Union, dem kaum erwachsenen Kinde, dem Lande der Erpcrimente. Fourier zählt hier vielleicht mehr Anhänger, als im eigenen Vaterlande, und überall bilden sich Vereine zu einer neuen Art des Zusammenlebens, bald von reichen, wohl erzogenen Amerikanern, bald von armen, hülf- und trostlos im fremden Lande verlassenen und nur in gemeinsamer Arbeit Trost und Nath findenden Ein wanderern. Mehr oder weniger find sie wohl alle auf Fourier'S und seiner Schüler Prinzipien bafirt, oft aber freilich z» Verirrungen gekommen, von denen man nicht weiß, ob man sie mehr belachen oder beklagen soll. So sind die fünf deutschen Gewerbs-Vereine, welche allein im Staate Pennsylvanien sich gebildet haben, trotz nicht unbedeutender Kapitalien an Geld und Kennt- nissen, mit denen man dort begann, fast alle und gänzlich mißlungen. Die rein amerikanischen Versuche des rationellen Neu-Englands find im Allge meinen kaum besser ausgefallen, doch find die meisten noch so jung und nur erst im Entstehen begriffen, daß sich kaum ein entscheidendes Urtheil fällen läßt. Das Bedürfniß nach einer Reaction in der Gesellschaft ist jedoch unstreitig allgemein rege, und dies um so mehr, als das soziale Leben der Amerikaner in der That eines der traurigsten ist. Ich will hier nicht der Abwesenheit aller zarteren Gefühle — Rückfichten kennt der Amerikaner gar nicht — er- wähnen, die dem in diesem Punkte vielleicht etwas zu weit gehenden Deutschen auffällt; cs ist schlimm genug, daß Mann und Frau sich selten während deS TageS sehen, während am Abend jener die heißgeliebten Zeitungen, diese ihre Traktate über Anti-Sklaverei, Temperance u. dgl. verschlingt oder gar in die Kirche oder in die im Winter nie ausfallenden, meist höchst traurigen Vor- lesungen geht — lo see »ml to be nesn. Von innigem Zusammenleben, von gegenseitiger Ergänzung, von Erziehung kann dabei natürlich nicht die Rede sepn. Gesellschaften kennt nur der Reiche, und in ihnen herrscht eine weit strengere und durch ihre Begründung auf Dollarsäcke weit gehässigere Rang ordnung, als selbst in den steifsten Zirkeln Berlins. UeberdieS schwindet mit der ersten Einfachheit der Revolution auch die alte wahre Gleichheit immer mehr; bereits sind die Stände streng geschieden, der Advokat, der Arzt und der Geistliche bilden mit dem reicheren Kaufmann eine in der Gesellschaft so gut privilegirte Klaffe, wie unser Adel, und die Abstufungen der Geldmacht werden immer deutlicher, immer drückender. Dies fühlt der unterrichtete und patriotische Amerikaner tief, und daher sein Streben nach einem Wechsel. Schade ist es, daß so mancher aufrichtige Versuch mißlungen, so mancher ehrlich meinende, brave Mann daran ge scheitert ist, weil die Sache meist ganz ohne Plan und Grundsatz begonnen ward. Daran find freilich die äußerst mangelhafte Erziehung und daS traurige Sektenwesen hauptsächlich schuld; jene gewährt selbst dem Fleißigsten nur un klare und verwirrte, gewöhnlich höchst unvollständige Begriffe, dieses treibt ihn von einem Ertrcme zum anderen, und die wahre Grundlage, die Tüchtig keit und Wahrheit, fehlt im Wissen wie im Glauben. Das wissenschaftlich am weitesten von allen Städten der Union vorge schrittene Boston hat seit einer Reihe von Jahren und zumal wohl unter dem Einfluß über das Meer gekommener Philosophie sich auch in religiösem und philosophischem Streben an die Spitze der Bewegung gestellt. Deutsche Lite ratur ist hier eben so bekannt als beliebt; alljährlich ziehen wißbegierige Ge lehrte — wie in diesem Augenblick der Ehren-Doktor Parker — nach dem fernen Deutschland und bringen reiche Schätze heim. Unter den Bewegungen dieser Art ist seit neuerer Zeit vorzüglich die des sogenannten TranSsccnden- talismus — eines Namens, der freilich seit Jahrhunderten jeder Neuerung ähnlicher Art im Reiche des Gedankens gegeben worden, hier jedoch recht eigentlich paffend ist. An der Spitze stehen ausgezeichnete Männer, wie denn unser Follen selbst, zur Zeit, als er noch Professor an der Universität in dem nahegelegenen Cambridge war, sich offen zu diesem Glauben bekannte; und neben ihnen Frauen wie die Follen, die Peabody und andere von gleicher Auszeichnung. Zumeist aus der Mitte der so „Gläubigen" ist nun der Ver such hervorgegangen, eine Gemeinde zu bilden, welche ihren Gliedern alle politische und moralische Vorthcile gewähre, deren Mangel sie bisher so tief empfunden haben. Aus allen Kreisen der Gesellschaft, verschieden in Alter und Geschlecht, in Erziehung und Beruf, Kenntnissen und Talenten haben sich hier die heterogensten Elemente zusammengefunden und gegenseitig ergänzt. Kaum sind es zwei Jahre, daß die erste Idee einer ähnlichen Unternehmung ins Werk gesetzt ward, und bereits haben sich hundert und einige siebzig Personen dem gemeinsamen Streben angeschloffen. Nichts als das tiefste Gefühl der Nothwendigkcit einer Reform des sozialen Lebens, nichts als die Ucberzeugung, daß diese auf dem einen oder dem anderen Wege zu erreichen sepn müsse, hat diese sich und zum Theil selbst der Sache Fremden zusammengeführt und hält sie noch zusammen. Hierin liegt zugleich der Vorzug und die Mängel deS ganzen Unternehmens. Ein wenn auch noch so entschieden empfundenes, im Grunde doch immer nur unklares Gefühl der Unzufriedenheit, oft eine verfehlte Stellung oder getäuschte Hoffnungen genügen allein nicht für Mitglieder einer neuen Kommune: ohne festen Halt und Plan, ohne gesicherte Prinzipien kann der Versuch nicht ge- deihen, und doch sind diese immer noch mehr Wunsch und Verlangen als Grund lage des Ganzen. Dennoch ist der Versuch als solcher interessant und das erste Gelingen ermuthigcnd und um so mehr zu größeren Hoffnungen berechtigend, als es vorzüglich dazu beigctragen hat, die Mitglieder der neuen Gemeinde aus die Nothwendigkeit einer festeren Grundlage aufmerksam zu machen. Während mir dies und Unwichtigeres mitgctheilt worden, hatten wir die langen, wohlgebauten Vorstädte des mächtigen Boston durchfahren und stiegen allmälig zu jener Hochebene hinaus, welche sich in der unmittelbaren Nähe der