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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumeration«-Drei« 22j Sildergr. (j THIr.) rierteljShrlich, Z THIr. sm da« ganze Jahr, ohne Erhöhung in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Pränumerationen werden von jeder Buchhandlung (in Berlin bei Veit u, Comp., Jägerstraße Nr. 28), so wie von allen Königs. Post -Aemtern, angenommen. Literatur des Auslandes. 46. Berlin, Dienstag den 16. April 1844. Spanien. Gautier's Tras los Montes. Die Lust, Vergnügungs-Reisen in Spanien zu machen, scheint allmälig von den Engländern auf die Franzosen überzugchcn. Herr Theophile Gautier, ein Schriftsteller von Talent, der unter den französischen Literaten eine geachtete Stelle einnimmt, hat unter dem Titel Tras los Montes (Jenseit der Berge) ein Reiscwerk in zwei Bänden herausgegeben, das den werthvollsten Büchern ähnlichen Inhalts an die Seite zu stellen ist. Die Franzosen reisen weniger häufig, als manche andere Nation: allein mit geringen Ausnahmen, zu denen wir freilich Männer wie Victor Hugo und Soulis zählen müssen, verstehen sie eS, mit wahrem Nutzen zu reisen und die Sitten und Gewohnheiten der von ihnen besuchten Völker zu beobachten; auch wecken sie überall persönliche Sympathie, da sic, im Widcrspiel mit den Engländern, unter Fremden liebenswürdiger sind, als zuhause. Herr Gautier besucht Spanien nicht wie ein gewöhnlicher Tourist, der gleichsam nur an der Halbinsel herumtappt, ein Paar Seehäfen und einige der zugänglichsten Städte in Augenschein nimmt, oder höchstens bis Madrid vordringt und wieder umkehrt. Er wandert durchs ganze Land, von den Pyrenäen bis zu den Säulen des Herkules, macht Abstecher, wo er es für gut findet, und kehrt über Catalonien nach Frankreich zurück. 3m Anfang der Wanderung findet er seine Erwartungen etwas getäuscht; eS macht ihm Verdruß, jene lokale Färbung, jene Originalität zu vermissen, die er allerwärtS erwartet hatte, und fast möchte er in seinen Nachtherbergen mit dem Wirthe zanken, weil die Laken und Umhänge der Betten reinlich, die Fußböden gescheuert, die Stubenmädchen hübsch, und sauber gekleidet sind. Für einen Mann, der einer possüa (Logis) a I» Lervante« sich getröstet hatte, mit ihrem Knoblauchduft, ihrem Fliegcngesumme, ihren Maritornessen und Maulthiertrcibcrn, mußte die Täuschung allerdings grausam sepn. Sobald er aber in Castilien eintritt, findet er einigen Ersatz in dem allmälig spanischer werdenden Charakter des Landes und seiner Bewohner. „Zwischen Pancorbo und Burgos" — so erzählt Herr Gautier — „kamen wir an mehreren halbzerstörten Dörfern vorüber, die sich ausnahmen, als hätte die Sonne sie verkalkt. Zch glaube nicht, daß der Maler Decamps auf seinen Wanderungen im Herzen Kleinasiens jemals einen desolateren An blick gehabt hat. In dem zerfallenen Gemäuer irrten ein Paar Individuen vom Esel-Geschlechte umher, das hier zu Lande einen ordentlich sinnenden und philosophischen Ausdruck hat, als wär' eS seiner Nützlichkeit sich voll kommen bewußt. Außer den Eseln sah man nur noch prächtige Hunde von verschiedener Gattung, unter anderen mehrere ungeheure Windspiele, und hier und da eine Gruppe Bauerkindcr, deren Augen aus ihrem langen verworrenen Haar wie schwarze Diamanten hervorblitztcn." Zwischen Valladolid,und Madrid macht die Postkutsche eine längere Station zu Olmedo, vormals einer ziemlich bedeutenden Stadt, die jetzt in Ruinen liegt. Ihre einsinkenden Festungswerke sind mit Eppich überwachsen, ihre Häuser größtentheils unbewohnt, und Gras wächst in den Straßen. Olmedo' ist nur Eine von den Hunderten spanischer Städte, die nur noch Eulen und Fledermäuse zu Bewohnern haben. Die Entvölkerung der Halbinsel ist schrecklich gewesen; zur Zeit der Mauren-Herrschaft zählte sie Z2 Millionen Seelen, die jetzt auf weniger als elf Millionen reduzirt sind. In Madrid angelangt, besucht Herr Gautier den Prado, das EScu- rial mit seinen I I00 Fenstern, die Puerta del Sol und alle übrige Welt- berühmte Gebäude und Plätze dieser Hauptstadt wie auch ihrer Umgebungen. Die Puerta del Sol (das Sonnenthor) ist durchaus kein Thor, sondern eine Kirchenmauer, auf die cine gelbe Sonne gemalt ist. Auf dem freien Platze vor derselben kommen die Müßiggänger und Neuigkeitskrämer von Madrid zusammen. Die Zahl dieser Leute kann nicht gering seyn, da der Platz von acht Uhr des Morgens an sich mit Menschen füllt. Hier bat man seit Ausbruch des Bürgerkrieges mehr Pläne zu Feldzügen entworfen, als Generale in 80 Jahren gethan haben würden; mehr Regierungs-Wechsel sind hier besprochen worden, als jemals, seit Spanien ein christliches Land ist; zu Dutzenden hat man in jeder Woche Minister entlassen, Generale abgesetzt, Schlachten geschlagen und Siege gewonnen. Tag für Tag stehen sie hier, diese politischen Kannegießer von Castilien, mit dem Mantel, dessen Falten immer dtMben bleiben, über der Schulter und dem Cigarrito zwischen ihrem safrangelben Daumen und Zeigefinger. Von Madrid begiebt sich Herr G. nach Toledo, einer Stadt, die ihm großes Interesse einflößt, obschon ihre spitzigen Pflastersteine jede Straße in cine via dolorosa verwandeln. Die fürchterliche Hitze machte den Durst so unlöschbar, daß cine Reihe Kellner, die den Reisenden immerfort Krüge voll Wasser zukommen ließen, von der Pumpe bis in die Gaststube stand — eine wahre Löschanstalt. Aus Herrn Gautier's Beschreibung dessen, was er in der Kathedrale gesehen, könnte man den Schluß ziehen, daß Spanien, trotz aller Invasionen und Umwälzungen der letzten 8« Jahre, noch Kostbarkeiten genug zum Schmucke seiner Altäre und seiner Heiligenbilder besitzt. „In einer der Sakristeien" — sagt unser Autor — „verwahrt man den Schatz der Kathedrale, namentlich: prachtvolle Priester-Kragen von Brokat, Gold- und Silbcrstoff, die schönsten Spitzen, Reliquien-Kästchen aus Email, riesenhafte silberne Leuchter, gestickte Fahnen rc. Ein anderes Gemach be wahrt in Schubfächern und Läden die Garderobe der Jungfrau Maria, einen Schmuck, wie ihn vielleicht Kleopatra selber nicht besessen hat. Man zeigte uns einige Kleidungsstücke: den Stoff des einen konnte Niemand unterscheiden, so gänzlich war cs mit Blumengewinden und Arabesken aus den edelsten Per len, darunter mehrcrc von erstaunlicher Größe, überstickt. Man schätzte seinen Werth auf einige Millionen Franken!" — Wir erfahren nicht, durch welches Wunder alle diese Schätze den Taschen der Franzosen oder der Parteien im Bürgerkriege entgangen find. Von Toledo geht die Reise nach Granada, dem großen Anziehungs- Punkte für die Reisenden in Spanien. Er macht auf dem Wege dahin einige Bekanntschaften und wird durch diese nach seiner Ankunft in mehreren Familien cingcführt. Die spanische Gesellschaft ist jedem Fremden sehr zugänglich, wenn cr in den heiteren, ungezwungenen, herzlichen Ton dieser Tertulla'S einstimmen kann, deren größter Zauber in der Abwesenheit aller Ceremonien besteht. „Es ist unmöglich" — sagt der Verf. — „eine noch herzlichere und gast freiere Aufnahme zu finden, als wir sie in jedem hiesigen Zirkel gefunden haben. Schon nach fünf oder sechs Tagen waren wir mit mehreren Familien auf ganz vertrautem Fuße; sie nannten uns, nach spanischer Sitte, bei unseren Vornamen, und wir bedienten uns gegen Herren und Damen derselben Freiheit, einer Freiheit, neben welcher die höflichsten Sitten und die zarteste Aufmerksamkeit sehr wohl bestehen können. Eine Tertulla beginnt um acht Uhr Abends und dauert bis Mitternacht. Gewöhnlich kommt man im Patio zu sammen, einem inneren Hofraume, der mit Stein- oder Marmorplatten ge pflastert und von Säulen aus demselben Material umgeben ist. In der Mitte desselben erhebt sich ein Springbrunnen, dessen Wasser auf die ihn umgebenden blühenden Sträucher und Orangenbäume fällt. An der Mauer sind sechs oder acht Lampen befestigt; in den Ecken stehen einige Guitarren, ein Klavier und ein Tisch zum Kartenspiel." „Jedem ankommenden Gaste bietet die Hausfrau ein Täßchen Chokolade, das gewöhnlich ausgeschlagen wird, und einen Cigarrito, den er selten aus schlägt. Dann schließt er sich an eine der im Patio zerstreuten Gruppen. Die ältercn Personen spielen Karte; die Jugend schwatzt, scherzt oder spielt allerlei GcsellschaftSspielr, welche die Spanier in unerschöpflicher Mannigfaltigkeit be sitzen. Droht die Unterhaltung einzuschlafcn, so nimmt einer der Männer eine Guitarre vor und stimmt irgend ein komisches andalusisches Lied an, das mit vielen »)! und ola! untcrmcngt ist, oder eine Dame setzt sich ans Klavier, giebt etwas von Bellini zum Besten oder singt eine Ballade, die Breton de los HerreroS komponirt hat. Den Beschluß der Tertulla macht oft ein kleiner Ball, bei dem aber leider weder die Jota, noch der Fandango oder Bolero getanzt wird, sondern Quadrillen, Rigodon'S und Walzer. Nationaltänze werden jetzt dem Gesinde und den Zigeunern überlassen. Nur einmal, und zwar auf unser dringendes Ersuchen, tanzten die beiden Töchter der Dame, in deren Hause wir uns befanden, einen Bolero; vorher aber verschlossen sie sorgfältig die Fenster und Thüren zum Patio, so groß war ihre Besorgniß, cinen Skandal zu verursachen. Die heutigen Spanier sehen verlegen und fast ärgerlich auS, wenn man ihnen von Cachucha's, Castagnettcn, Majo'S, Manola's, Mönchen, Contrebandisten und Stiergefcchten spricht, obschon sie im Grunde ihres Herzens an allen diesen echt nationalen und charakteristischen Dingen großen Geschmack finden." „Ist der Tanz vorüber, so empfiehlt man sich mit einem a Io« piss äs Dstcäe« an die Damen und bsso » llstsde« la« mano« an die Herren. Die Antwort ist ein freundliches buena nocbe oder, wenn es Mehreren gilt, buena« noctis« (denn Jeder hat ja seine Nacht für sich), und basta inaü-na (bis morgen)! — Es verdient Bemerkung, daß in Spanien selbst Leute von der niedrigsten Klasse einander Rücksichten beweisen, zu denen die Brutalität unserer