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ISS diesen Greis; er hat mich so gut begriffen wie du, und er ist um dreißig Jahre jünger geworden." Der Alte stand ausrecht; er ging behaglich auf und nieder und schlug mit kräftigem Fuße nach dem Takt, als ob er wie ein Jüngling einen großen Plan begeistert ausführen wollte. Die Musik hatte dieses Wunder auf ihn gewirkt; er ging festen Schrittes mit uns den Hügel hinab, ohne sich auf Einen von uns stützen zu wollen. Als sein Gang langsamer wurde, sprach der Musiker zu ihm: „Zdenko, soll ich dir noch den Marsch des großen Prokop spielen, oder de» Fahnensegcn der Orebiten?" Doch der Greis machte ihm, als ob er fürchtete, ein göttliches Heilmittel durch zu vielen Gebrauch zu entweihen, ein Zeichen, daß er noch stark genug sep. Wir näherten uns dem Dorfe, welches wir zur Rechten im Thale liegen ließen, als wir den Weg zu den Ruinen einschlugen. Spartakus sagte jetzt zu dem Unbekannten: „Du hast uns unvergleichliche Melodieen hören lassen, und ich fühle, daß du uns durch dieses herrliche Vorspiel empfänglich machen wolltest für die Begeisterung, mit der du bald zu uns sprechen wirst. Wie die Pythia und wie die Propheten, wolltest du dich selbst erheben, um Orakel auszusprechen, welche von der ganzen Fülle göttlicher Eingebung überfließen. So sprich denn jetzt! Die Luft ist still, der Pfad ist eben, der Mond leuchtet unseren Schritten. Die ganze Natur schweigt, wie um deinen Offenbarungen zu lauschen, und unsere Herzen sehnen sich danach. Unsere eitle Weisheit, unsere stolze Vernunft beugt sich vor deinem begeisterten Worte. Sprich; der Augenblick ist gekommen!" Doch der Unbekannte weigerte sich, weitere Aufklärungen zu geben. „Was könnte ich dir sagen", sprach er, „was ich dir nicht eben in einer schöneren Sprache gesagt hätte? Du glaubst, ich wollte zu deinen Sinnen sprechen; doch meine Seele sprach zu der deinen ; die Seele der ganzen Mensch heit sprach durch mich zu dir. Als ich spielte, war ich begeistert ; jetzt bin ich es nicht mehr. Jetzt muß ich ruhen, und du würdest dasselbe Bedürfniß empfin den, wenn du Alles begriffen hättest, was ich durch die Töne aus meiner Seele in die deine hinübcrleiten wollte." Vergeblich suchte Spartakus diesen Abend von dem Unbekannten noch eine andere Antwort zu erlangen. Als wir die ersten Hütten erreichten, sagte er zu unS: „Meine Freunde, folget mir nicht weiter; sucht mich morgen wieder auf. Ihr könnt an die erste beste Thür klopfen; wenn ihr der Landessprache kundig seyd, wird man euch überall freundlich aufnehmen." In der That brauchten wir das wenige Geld, das wir besaßen, nicht für ein Nachtlager anzubieten. Die böhmischen Bauern sind gastfrei wie die Patriarchen. Man empfing uns freundlich, und als man hörte, daß wir der slavischen Sprache vollkommen mächtig scyen, zeigte man sich sehr zuvor kommend und herzlich gegen unS; nur gegen die, welche sich durch deutsche Worte einführen, ist das Volk mißtrauisch. Wir erfuhren bald, daß wir am Fuße des Gebirges und Schlosses „der Riesen" uns befanden ; denn so hatte einer der Vorfahren der Familie Podiebrad in Erinnerung an ein Gelübde, daS er auf dem Riesengebirge gethan, seine Güter benannt. Man erzählte unS auch, wie die Nachkommen Podiebrad's nach den Unglücksfällen des dreißigjährigen Krieges ihren Namen aufgaben und sich „von Rudolstadt" nannten. Man verfolgte damals nicht bloß Personen, sondern auch ihre Namen, so wie die Namen von Städten, Ländern und Familien. All' diese Ueberlieferungen haben sich im böhmischen Volke noch lebendig erhalten. Der geheimnißvolle Trismegistos, den wir suchten, ist in der That Albert Podie brad, der vor fünfundzwanzig Jahren lebendig begraben und durch ein noch jetzt unergründetcS Wunder dem Grabe wieder entrissen wurde, der lange Zeit darauf verschollen war, zehn oder fünfzehn Jahre später verfolgt und angeblich als Betrüger, doch in Wahrheit als Rosenkreuzer und Freimaurer, in Prag eingekerkert wurde; es ist dies der berühmte Graf von Rudolstadt, dessen un geheuren Prozeß man sorgfältig verborgen hielt, und der es nie dahin bringen konnte, daß die Identität seiner Person und des todtgeglaubten Grafen wäre sesigestcllt worden. Du siebst demnach, Freund, wie sehr die Ahnungen un seres Meisters Glauben verdienen. Du zittertest, als wir, da unser eigenes Wissen unvollkommen war, auszogen, um einen Mann zu suchen, der, wie so viele andere Jlluminaten der früheren Periode, ein betrügerischer und frecher Abenteurer seyn konnte. Der Meister hatte das Rechte gefühlt. Aus einzel nen Berichten und den wenigen Schriften dieser geheimnißvollen, großartigen Erscheinung hatte er geschloffen, daß dies ein Hüter des heiligen Feuers und der tiefen Ueberlieferung der älteren Jlluminaten, ein Eingeweihter des frü heren Geheimnisses, ein Prophet der neuen Lehre scy. Wir haben ihn gefunden und wissen jetzt mehr von der Geschichte der Freimaurer, von den berühmten Unsichtbaren, deren Wirken und deren Dascyn selbst wir oft in Zweifel zogen, von den alten und neuen Geheimnissen, die wir nicht zu erkennen vermochten, weil der Schlüssel zu den Hieroglyphen verloren war und die alten Eingeweihten entweder todt oder durch elende Furcht zum Schweigen gebracht waren. Das himmlische Feuer ist jetzt in unseren Händen! Unser Meister ist der Prometheus, der es hcrabgeholt hat, und Trismegistos trug es im Herzen. Die Erzählungen unterer freundlichen Wirthsleute hielten uns lange um ländlichen Heerd wach. Sie fragten nichts nach den Gerichten, welche A'dert von Rudolstadt seines Namens und seiner Rechte verlustig erklärten: sie fühlte^ die innigste Liebe zu ihm und den innigsten Haß gegen die öster- reichlschen Räuber, welche sich in bie Güter getheilt, die Albert zu so edlen Zwecken einst verwandt hatte; selbst Albert s Stammschloß hatte man zerstört, um die Steine desselben zu niedrigem Preise als Baumaterialien zu verlausen. Fünfundzwanzig Jahre war Albert Podiebrad von den Bauern des Böhmer- waldeS entfernt gewesen, doch hatte Niemand unter ihnen seinen Tod geglaubt, obwohl ihn alle deutschen Zeitungen verkündeten ; und nun lebte Albert seit acht Tagen in den heimatlichen Gebirgen und ging jeden Abend zum väterlichen Schlosse, um daselbst zu beten und zu singen. Die Alten im Dorfe, welche Albert in der Jugend gesehen, erkannten ihn unter seinen grauen Haaren wiever und fielen nieder vor ihm als ihrem wahren Herrn und alten Freunde. Diese Liebe des Volkes hatte etwas tief Rührendes; sie erfüllte Spartakus mit einer ehrfurchtsvollen Andacht und sollte sich an uns selbst noch am folgenden Morgen durch ein unerwartetes Ereigniß bethätigen. — Als wir nämlich mit Tages anbruch die Hütte verlassen wollten, um unseren Violinspieler aufzusuchen, sahen wir dieselbe von einer Schaar Bewaffneter umringt, die uns den Aus gang versperrte. „Verzeiht uns", sprach der Familienvater ruhig, „daß wir unsere Verwandten und Freunde gerufen haben, damit sie euch zurückhalten. Diesen Abend geben wir euch frei." Als wir unsere Verwunderung hierüber aussprachen, entgegnete unser Wirth ernst: „Wenn ihr edel seyd, wenn ihr die Pflichten der Freundschaft und treuen Anhänglichkeit kennt, werdet ihr uns nicht zürnen. Doch wenn ihr niedrige Gesinnungen habt, wenn ihr Spione seyd, die unseren Podiebrad verfolgen und fangen sollen, so dulden wir dies nicht und setzen euch nicht eher in Freiheit, als bis er fern genug ist, um von euch nicht mehr erreicht zu werden." — Wir sahen, daß dieses Mißtrauen in den edlen Menschen erst in der Nacht aufgestiegcn war, und wir konnten ihre ängstliche Treue nur ehren. Doch der Meister war in Verzweiflung, daß wir den Hierophanten verlieren sollten, den wir so lange vergeblich gesucht hatten. Er schrieb daher in der Freimaurerschrift an Trismegistos. Bald darauf kam eine Frau aus der benachbarten Hütte auf dis unsere zu; die Bauern öffneten ehrfurchtsvoll ihren Kreis und flüsterten: „Die Zingara, die Trostbringerin!" Die Frau trat mit uns in die Hütte und schloß die Thür hinter sich; daraus befragte sic uns mit größter Genauigkeit durch Zeichen und Formeln der schottischen Freimaurer. Wir waren überrascht, eine Frau mit Geheimnissen vertraut zu sehen, in die, so viel ich weiß, keine andere eingeweiht worden ist; und das gebieterische Wesen und der scharfe, forschende Blick des Weibes flößten uns eine gewisse Ehrfurcht vor ihr ein. Sie trug ein gestreiftes Kleid; ein weiter Mantel von grobem gelben Tuch war fast in antiker Weise um ihre Schultern geschlagen; ihre rabenschwarzen Haare waren auf der Stirn ge scheitelt und wurden von einem blauen Bande zusammengchalten; ihre Augen waren groß und feurig, ihre Zähne weiß wie Elfenbein, ihre Haut gebräunt, doch sehr fein; unter ihrem Mantel trug sie eine Guitarre, so daß man sie auf den ersten Blick für eine Zigeunerin halten konnte, und nach ihrem stolzen, edlen Wesen schien sie die Königin des Dorfes zu seyn. Doch als sie uns sagte, daß sie die Frau des Trismegistos sey, betrachteten wir sie mit noch größerem Interesse. Sie war nicht mehr jung, und doch ließ sich nicht bestimmen, ob sie vierzig Jahre und durch Anstrengungen früh gealtert, oder ob sie fünfzig Jahre sey und sich ausnehmend gut konservirt habe. Sie war noch jung, und in ihrer Haltung und ihrem ganzen Wesen lag etwas so Edles und Zartes, daß man sie, wenn sic ging, für ein Mädchen hielt. Auf den ersten Blick hatten ihre Züge etwas Strenges, doch dieser Eindruck entschwand bald, und wir glaubten immer mehr und mehr Milde und Anmuth aus dem Gesichte lächeln zu sehen. Der Ton ihrer Stimme traf unser Her; wie eine himmlische Melo- die, und wenn wir anfangs erstaunt waren, unseren Weisen durch irdische Bande gefesselt zu sehen, so erkannten wir bald, daß er in den Reihen des höchsten Adels, des Adels, di» vi- Natur durch die Gaben des Geistes und Herzens crtheilt, eine poetische Geliebte, eine verschwisterte Seele gefunden hatte, um mit ihr durch die Stürme des Lebens zu zieben. „Vergebt mir meine Furcht und mein Mißtrauen", sprach sic, al« wir ihre Fragen beantwortet hatten; „wir find verfolgt worden, wir haben viel gelitten. Dank sey es dem Himmel, mein Freund hat die Erinnerung an sein Unglück verloren, ihn kann Nichts mehr beunruhigen noch schmerzen; doch ich, die Gott neben ihn gestellt hat, um ihn zu schützen, ich muß an seiner Statt be sorgt seyn und wachen. Eure Gesichtszügc und der Ton eurer Stimme bür- gen noch mehr für euch, als die Zeichen und Worte, die wir eben gewechselt haben; denn man hat unsere Geheimnisse schrecklich mißbraucht, und es giebt so viele falsche Brüder wie falsche Propheten. Nach unseren Erfahrungen sollten wir Niemanden mehr vertrauen, doch Gott bewahre uns vor solchem Egoismus. Die Familie der Treuen ist zerstreut; cs besteht kein Tempel mehr, wo sie sich im Geist und in der Wahrheit vereinigen könnten. Die Einge weihten haben den Sinn der Mysterien verloren, der Buchstabe hat den Geist gctödtet; die göttliche Kunst ist unter den Menschen mißkannt und entweiht worden; doch was schadet dieses Alles, wenn der Glaube noch in einigen Herzen, wenn das Wort des Lebens noch in einem einzigen Hciligthum zurück- geblieben ist? Aus ihm wird es wieder in die Welt hinauszichen, und der Tempel wird vielleicht durch den Glauben des kananäischcn Weibes oder durch das Scherflein der Witwe wieder ausgebaut werden." „Dieses Wort des Lebens zu holen, sind wir hier", ries der Meister. „Ihr Gemahl soll unseren Glauben heiligen und den Jrrthnm von uns nehmen. Lassen Sic uns denn mit ihm sprechen." „Das hängt weder von mir noch von ihm selbst ab", erwiederte die Frau. „Obwohl Trismegistos jetzt tief in poetischen Träumen lebt, ist er doch nicht immer inspirirt. Die Musik ist die gewöhnliche Form, in welcher er seine Ge danken ictzt ausspricht. Selten sind seine metaphysischen Ideen klar genug, um sich über die Sprache des Gefühls zu erheben und in.Worte zu kleiden. Ich verstehe ihn stets, doch ihr, die ihr ihn nicht kennt, werdet ihn nicht ver stehen; denn Trismegistos ist, um mit den Worten der nüchtern verständigen Menschen zu sprechen, geisteskrank; er leidet, sagen sie, an stillem Wahnsinn ; die Fülle seines Genies überschwillt seinen Verstand, darum glaubt das Volk, ihm fehle der Verstand, und es wirst ihm Almosen zu, ihm, der seiner Begei sterung und seiner Kunst wegen überall als ein willkommener Gast sollte