Volltext Seite (XML)
Wöchentlich erscheinen drei Nummern, Priinumerations -Preis 22^ Silbergr. (r Thlr.) vierteljährlich, 3 Thlr, für das ganze Jahr, ohne Erhöhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Pränumerationen werden von jeder Buchhandlung (in Berlin bei Veit u. Como., Iägerstraße Nr. 25), s» wie von allen König!. Post - Almtern, angenommen. Literatur des Auslandes. 40. Berlin, Dienstag den 2. April 1844. Polen. Hoene Wronski. Auf berühmte Männer find die Nationen eifersüchtig und nehmen fie gern als ihnen Zugehörige in Anspruch. Frankreich hat sich den deutschen Cuvier zugeeignet, Deutschland den böhmisch-polnischen Kopernikus, und Viele zwei feln, ob Trentowski Deutschland oder Polen angchöre. Der Philosoph selbst hat dazu beigetragcn, die Zweifel zu mehren, indem er an verschiedenen Stellen seiner Schriften einige Inkonsequenzen ausspricht. Er sagt einmal: „Mein unaussprechlich geliebtes Vaterland, mein Paradies, zürne deinem Sohne nicht, weil er nicht in deiner Sprache schreibt! Für dich zu arbeiten, wäre vielleicht nützlicher, als für ein fremdes Land, wo so viele große Geister blühen." AnderSwo sagt er: „ES ist das dritte Mal, daß der Ver fasser mit seiner geistigen Arbeit vor das deutsche Publikum tritt, heute aber tritt er mit ganz anderen Gefühlen auf, und sein Herz schlägt hoch, da er kraft des erlangten JndigenatS zu den Deutschen gehört." Die Landsleute Trentowski's, die er ehemalige nannte, begriffen das Dilemma, worin sich der Freiburger Docent befand, auf dessen Ruhm fie stolz scyn wollten, und hielten die Anficht, daß man als Philosoph Deutscher, als Mensch Pole seyn könne, für bloße Diplomatie. Trentowski, der in den ersten Stadien seines öffentlichen Auftretens vielleicht mehr ausgesprochen, als sein Herz fühlte, ist zu seiner Ration zurückgekehrt und will lieber der Erste in einem Dorfe sepn, als sich durch den großen Haufen der Stadt tummeln. Seinem hohen Ver dienste wird die Anerkennung nicht entgehen-, fie offenbart sich schon heute. Polen will nicht, daß seine großen Männer ihren Ruhm ins Ausland tragen -, es vindizirt sich seine Rechte an ihnen. Mit dem größten patriotischen Eifer ist Professor Krzyzanowski gegen die Anficht aufgetreten, daß Kopernikus in die Walhalla gehöre ; wunverbar genug, paß es noch nöthig war. Aber es wissen auch sehr Viele nicht) daß mitten in Frankreich ein Mann lebt, den kaum seine polnischen Landsleute kennen, und dessen Wirksamkeit so umfassend ist, daß fie ihn als Heros ihrer Wissenschaft ansehen müssen. Man könnte selbst nicht angeben, ob sich Wronski noch den Polen zurechne, wenn nicht einzelne Stellen seiner Schriften die lebhafteste Theilnahme an dem Schicksale seines Mutterlandes aussprächen. Wronski wurde in Posen geboren, woselbst sein Vater Hoene Baumeister war. Der talentvolle Jüngling hatte schon in seinem löten Lebensjahre den Rang eines Offiziers in der polnischen Artillerie erreicht und zeichnete sich bei der Belagerung von Warschau, so wie in der unglücklichen Schlacht bei Maciejowice aus, wo er mit KosciuSzko in die Gefangenschaft gerieth. Erst im Jahre 1789 wurde es ihm möglich, Rußland zu verlassen und nach Deutsch land zu gelangen. Hier fesselte ihn die deutsche Wissenschaft, und er begann seine eifrigen Beschäftigungen mit der Physik, Mathematik und Philosophie. Nachdem er seine wissenschaftlichen Entdeckungen in mehreren Schriftwerken gesammelt hatte und von der Zukunft Hoffnungen hegen dürfte, begab er sich nach Paris, um dort seine Manuskripte drucken zu lassen. Die ersten von ihm veröffentlichten Werke waren mathematischen Inhalts, und er trat darin gegen die damaligen Koryphäen der Mathematik in Frankreich, gegen Lagrange und Legendre auf, welche durch ihren Einfluß den Fremdling beinahe erdrückt hätten, wenn nicht das französische Institut ihm Aufmunterung für seine Wirk samkeit gegeben hätte. Das spätere Verhältniß des Schriftstellers zu einem reichen Gönner, Namens Arson, begünstigte die Produktivität des Ersteren, indem es ihn der gewöhnlichen LcbenSsorgen enthob. Jenes Freundschafts- Verhältniß war ein so inniges, daß es WronSki nicht aufgeben wollte, ob gleich ihn der Fürst Adam Czartoryski mit dem Versprechen einer namhaften jährlichen Pension und dem Anerbieten, sämmtliche Schriften des Mathema tikers und Philosophen auf seine Kosten zu veröffentlichen, zu fich nach Polen einlud. Wronski hat jetzt vierzig Jahre im Auslande verlebt und ist dem selben als ein Mann von seltener Productionskraft und Originalität bekannt geworden. Seine mathematischen Schriften gehen den philosophisch-theolo gischen vor. Zu den ersteren gehören: is lutrvductio» ä la plulosaplne des metfieuuwiques. -) I'bilosopjüe des mmbematiques, worin die mathematischen Elemente a pnun erwiesen find. Z) Resolution generale den «qustions. 4) llelutmion de I» rlieorie d«8 fonetions anal^tiques «le l.agrsnge. 8) Osnons Se logaritlunes. ü- pkilosopliie ,ie Deeknis, worin die Genesis der Zahl bewiesen wird. Die Generationsfunctionen von Laplace, Euler's Fragmente, Taylor'S Zahlenreihen und Lagrange's Theorem find hier zur organischen Einheit verschmolzen. Das Institut de Trance hat dem Verfasser wegen dieses Werkes eine ehrenvolle Anerkennung angedeihen lassen. 7) Oritique de I» tüeorie des sonetions generstriees de I-aplace. Wronski's Streben geht dahin, die Mathematik mit der Philosophie zu vermitteln und beide zu einer absoluten Wissenschaft zu erheben. Seine Philo sophie hat eine vorherrschend praktische Richtung und lehnt fich deshalb gern an die Politik an. Mit der deutschen Philosophie scheint Wronski sehr ver- traut zu seyn, so wie er überhaupt seinen tiefen Respekt vor der deutschen Wissenschaft nirgends verleugnet. Der talentvolle Mann wäre vielleicht in der Meinung des Auslandes auch schon höher gestiegen, wenn man seinem öffentlichen Auftreten nicht eine gewisse Charlatanerie zum Vorwurf machen könnte. Er nimmt eine fast prophetische Haltung an und schlägt öfters einen Ton an, der mehr Wiffensstolz als philosophische Bescheidenheit auS- drückt. Die geheimnißvolle Magie, welche der Person anklebt, überträgt fich jedoch nicht auf seine Lehre; wir haben keinen Towianski vor uns, sondern Sprache und Gedanke Wronski's zeichnen fich durch Schärfe und Klarheit aus. Ueber Frankreichs intellektuelle und politische Zustände schwingt Wronski eine strenge Geißel, er verachtet die franzöfische Aufklärung und negirt fie fast; Frankreich — sagt er — sey die Wohnung alles Schlechten; statt der Philo- sophie habe cs eine encyklopädische Logomachie, statt der Theologie eine reli- giösc Gnofimachie; deren Erzeugniß sey die franzöfische verabscheuungswerthe Politik, der Kommunismus und Sozialismus. Mit etwas zu süffisantem Selbstbewußtseyn beginnt daher der Ausländer einen Bries an Ludwig Philipp, womit er diesem eines seiner Werke übersandte: „Sirs! v'est pour I» deuxieme et peut - etre pour Is derniere sois, que je ressens le devoir de porter Is lumiere au milieu des-tenebres plnlosoplnques de pranee, o» s'enfantent ces tndeuses monstruosites morales de perpetuellss revolutions politiques ete." Zunächst zog aus Wronski seine im Jahre 1818 hcrausgegebene Zeit- schrift: I-e 8pümx, deren philosophisch-religiös-politischer Inhalt gegen die derzeitige Irreligiosität in die Schranken trat, die allgemeine Aufmerksamkeit der Franzosen. Die leider nur zu rasch eingegangene Zeitschrift erlangte daher großen Einfluß, und das darin verkündigte peril du inonde eivilise fand Glauben in den Herzen großer Männer, so daß Kaiser Alexander und Chateau, briand in die Anfichten des Philosophen einstimmten und ihnen Gewicht schafften. Im Jahre 1829 erschien: Probleme kondawentsl de I» poütique moderne, worin eine umfassende Kenntniß der neueren politischen Verhältnisse wahrzu nehmen ist. Darauf folgte im Jahre 1831 der erste Theil einer umfangreichen Schrift mit dem mystischen Titel „MesfianiSmuS". Die Gedanken, welche hier zur Sprache kommen, behandelte der Verfasser früher unter dem Titel „SchvlianismuS". Der Dlessmnisms soll nach dem auSgcgebenen Prospekt aus fünf Theilen bestehen und den christlichen Pentateuch bilden; zwei Theile find bis zum Jahre 1840 erschienen, und zwar: Prodrome du Dlessisnism«. lievelation des doctrines de I'lmmauite und Illetspoimque messisnique. Oesordre revolutionnaire du moude eivilise. Der Prodrom spricht über den heutigen Krankheitszustand der Menschheit, über die geselligen Gebrechen, den Kampf der Gegensätze und dessen Folgen. Der zweite Theil, welcher in der Politik eigentlich nichts Neues mittheilt, behandelt den revolutionaircn Zustand Europa's, besonders Frankreichs, die Nichtigkeit der modernen Politik, und schlägt Reformmittel vor. Zu erwarten find noch der ?arseletisme messiinüqu«. ^eeomplissement de l'aneien el du nouveau Testament; ferner die Oenese messianique. Oenerarion progressive de I'kumamce depuis son origine jusqu'ä so» lerme Ünal — und endlich ^podietique messmniqu«. kondstion peremptoire de la verits sur la terre. Ob die letzten drei Bände noch erscheinen werden, ist bei dem hohen Alter des Verfassers wohl zu bezweifeln, da er an der Meta politik allein zehn Jahre gearbeitet hat. Läßt man fich durch den kabbalistischen Anschein der Wronskischen Schriften nicht abschrecken, so findet man in ihnen den klaren Grundgedanken der Noth- Wendigkeit einer Reform der politischen und sozialen Welt und das Ziel der Begründung einer transcendentalen Wahrheit. Sehr interessant ist, was Wronski über den heutigen Zustand Frankreichs sagt, obgleich er manchmal zu dunkel fieht und wir ihm nicht in Allem bei pflichten können. Die heutige franzöfische Philosophie — sagt er — sey eine Tochter Deutschlands und des Protestantismus, die auf dem fremden fran- zöfischen Boden bald mit Gleichgültigkeit, bald mit Verachtung behandelt