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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumeration«-Preis 22H Silbergr. Thlr.) vierteljährlich, Z Thlr. für das ganze Jahr, ohne Erhöhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Pränumerationen werden von jeder Buchhandlung (in Berlin bei Veit u. Comp., Iägerstraße Nr. 23), so wie von allen König!. Post-Aemtern, angenommen. Literatur des Auslandes. 37. Berlin, Dienstag den 26. März 1844. England. Die Poesie der Rebekka-Unruhen.") „Welch herrliche Nacht! welch köstlicher Mondschein! Ist dies eine eng. lische Nacht oder eine solche, wie sie Southey am Anfang seines arabischen Gedichts beschreibt? Hier bin ich nun in dem „Distrikt der Unruhen"; hier bin ich auf dem „Schauplatz des Kampfes", im „General-Quartier der Rebek kaitischen Rebellen!" So sprach ich zu mir selbst um ein Uhr des Morgens am 10. September I84Z, indem ich mich an das Fenster des Wirthshauses legte, um die Luft einer prächtigen Sommernacht einzuschlürfen. In dem kleinen malerischen Dorfe, in welchem ich mich befand, breiteten die ländlichen Dächer, die Stroh- oder Heuschober und die Bäume der Obstgärten ihre Schatten über die unregelmäßige Straße, ohne daß ein Geräusch die feierliche Stille unterbrach, außer von Zeit zu Zeit das Krächzen des Uhu, des einsamen Bewohners des Glockenthurms, oder das eintönige Murmeln des Baches, dessen Fluthen sich an den Bogen der alten Brücke brachen. Auch bemerkte ich unter den Fenstern das eines Uhrmacherladens, wo ich den Abend vorher, als ich ankam, e;«» doppelte Reihe von goldenen und silbernen Uhren sah, welche, trotz des Schreckens, v»n die Thatcn Rebekka's verbreiteten, in aller Sicherheit da hingen, ohne anderen Schutz als einen Fensterladen, der zu schwach war, um dem schüchternsten Derbe zu widerstehen. Diesen Morgen (es ist «in Sonntag) zeigt die Straße eine angenehme Sauberkeit; die Bewohner haben sie gestern Abends so hübsch gefegt — ein neuer Beweis von der öffentlichen Sicherheit. Nur im tiefsten Frieden ist der Geist unbefangen genug, um sich so sorgfältig mit jener Straßentoilette, jener ländlichen Reinlichkeit zu beschäftigen, welche für das englische Dors so charak teristisch ist. Ich fing an, mit angenehmer Verwunderung zu lächeln, indem ich an die Uebertreibungcn jener Presse dachte, die uns Londoner Maulaffen weiß machen wollten, daß die „Bluthunde des Krieges" auf diesen grünen Bergen und in diesen idyllischen Thälcrn, wo man sich so gern einmal jährlich in dem reinen Sauerstoff verjüngt, loSgelaffen seyen. — Wie sehr werden Sie Lügen gestraft, meine Herren Zeitungsschreiber, rief ich in einem neuen Selbst, gespräch aus, durch den köstlichen Mondschein, den ich heute Nacht bewundert, und durch diese mächtigen Sonnenstrahlen, die jetzt jene hohen und majestätischen Spitzen des Myncdd-dhu (des schwarzenBergcS) vergolden. Hätte ich euch geglaubt, ihr täglichen, wöchentlichen und monatlichen Lügner, so würde ich noch jetzt den Dampf der Steinkohle statt dieser köstlichen Atmosphäre ein- athmen.... „Verzeihen Sie, mein Herr", unterbrach mich hier ein Reisender, der in demselben Gasthof wohnte und eben so früh auf war, als ich, „haben Sie viel leicht gehört, daß die Zollstätte von Hendy-Gatc gestern Abends zerstört worden? Man fügt hinzu, daß der Zoll-Einnehmer getödtet sey. Wenn Sie etwas Näheres erfahren haben, so theilen Sic mir es gefälligst mit, ehe ich nach London schreibe." — „Mit wem habe ich die Ehre zu sprechen?" fragte ich, nachdem ich mich vergebens bemüht, zu errathen, was dieser Herr seyn mochte, der etwas vom Schreiber und etwas vom Gentleman an sich zu haben schien. — „Entschuldigen Sie, mein Herr", antwortete er; „ich scheine etwas zu- dringlich; aber ich bin nach Wäles nur gekommen, um eine politische Korre spondenz zu schreiben, und ich möchte gern unserem Redacteur etwas Substan- tielles berichten. Ich bin einer von den Reporters der Times." Es schien mir, als ob sich zwischen mir und dem Mynedd-Dhu, der eben noch von dem ersten Glanze des strahlte, eine finstere Wolke aufthürmte, eine Wolke, die ans der ganzen Schwärze bestanv, «»tch» ui« Walzen der gigan tischen Dampfpreffe der Times überzieht. Die Sonne verlor vor meinen ge trübten Augen die Hälfte ihres Glanzes, das Grün die Hälfte seiner Frische; das Murmeln des Baches schien mir jenem dumpfen, fernen Heulen zu gleichen, das dem Aufruhr vorausgeht. Indem ich endlich meiner Phantasie Gewalt anthat und dem Fremden zu zeigen hoffte, daß er das Spiel der Seinigcn sey, lud ich ihn zu einem Spaziergang ins Feld ein. Er ging darauf ein, indem er ohne Zweifel glaubte, ich würde ihn zu den rauchenden Ruinen einer Zoll- Nätte führen; aber wir fanden überall nur den Frieden der Natur und den Frieden des Herrn. ') Wir hjer tzj« Einleitung i» einer Erzählung Mil, welche sich an lene Unruhen anlehnl und die pvttisch, tsisiorischen Motive, welche dieselben darbieten, auSbeutet. Der Derfasier derselben erzählt in dieser Einleitung, wie jene Erzählung ihm entstanden seh. Diese selbst ist lang und auch nicht bedeutend genug, als daß st- in unseren Blätter» Raum finden könnte; nur die Einleitung schien uns ihres eigenthümlichcn Humor« wegen der Mittheilung nicht nnwerth. Er entschädigte sich dafür, indem er mir bei dem geringsten Gränzstein national-ökonomische Vorlesungen über die übertriebene Zerstückelung des GrundeigenthumS und die Menge der Pachtungen hielt. „Aus der Zerstückelung des Bodens", sagte er, „entsteht das Elend des Landmanns. In England möchten unsere Bauern gern besitzen, ohne es zu können: Dort wird ein Gut immer im Ganzen verkauft, hier sehr ost parzellenweise. Der Ehrgeiz hat selbst den geringsten Tagelöhner angesteckt; er borgt, um zu kaufen, und der WucheriSmuS hat ihn ruinirt, ehe er Alles bezahlt hat. Was die Pachten be- trifft, so treibt die Konkurrenz den Preis derselben täglich mehr in die Höhe. Die Bewerber lassen die Pacht versteigern und bieten eine Rente, die höher ist als das, was der Boden mit dem darauf verwendeten Kapital einbringcn kann. Kommt der Zinstag, so können sie nicht bezahlen, und wenn sie ihren Nach- folgern Platz machen, haben sie das Grundstück erschöpft. Ueberdies ist nicht bloß der Eigenthümer zu befriedigen, sondern auch der Zehnten-Einnehmer, der Fiskus, endlich der Wucherer in der Stadt. Dies erklärt es, warum ein so malerisches Land mit Unzufriedenen bevölkert ist, die jeden Borwand ergreifen, um sich einer Auflage zu entziehen. Der Wegczoll ist nichts als eine direkte Auflage, und zwar die drückendste von allen, weil sie keine Frist zuläßt: man muß entweder zahlen oder mit seinem Karren, der mit dem Dünger oder den Produkten der Pacht beladen ist, umkehrcn. So oft ein Pächter an einen Schlagbaum kommt, sieht er, ehe er die Hand in die Tasche steckt, sich erst rechts und links um, als suche er die Rebekka. Was den Zoll-Einnehmer betrifft, so streckt er die Hand nur furchtsam aus. Zn seinem Zollhaus cingeschloffen, könnte man ihn mit einer heimlichen Spinne vergleichen, die sich am Rande ihres Loches zeigt, wenn die Fliege mit der Spitze des Flügels ihr Netz bewegt." So perortrtc mein Journalist mitten unter den Herrlichkeiten einer der reichsten Landschaften von WäleS. Als wir nach Llangaddock zurückkehrten, begab sich gerade die Bevölkerung nach der Kirche. Ich wollte eben meinen Begleiter auf die friedliche und fromme Haltung der guten Walliser aufmerksam machen, als er selbst seine Verwunderung darüber äußerte, indem er hinzufügtc: „Sollte man eS glau ben , daß diese frommen Pfarrkinder, die in aller Demuth hingehen, um die liebevollen Ermahnungen des Geistlichen zu hören, nach dem Gottesdienst ganz eben so bereit sind, wie vorher, den Gesetzen zu trotzen, die Polizei-Beamten zu prügeln, ja selbst zu tödtcn, die Schlagbäume niederzureißen u. s. w.? Alle diese ehrlichen Pächter, sehen Sie, sind Rebekkaitcn, ja noch mehr, eS ist mehr als Einer unter ihnen, der mit Ungeduld wartet, daß an ihn die Reihe kommt, die Rolle Rebekka's zu spielen, sich als Frau zu verkleiden und unter diesem Kostüm ungestraft mit Jack Cade oder Wat T-ler zu rivalisiren." Ich fing an zu glauben, daß ich einen Monomanen getroffen. Um ihn von seiner firen Idee abzuzichen, schlug ich ihm vor, in das Wirthshaus zurückzu- kehren und daselbst zu frühstücken. Er billigte meinen Vorschlag und benahm sich bei Tische mit einem Appetit, der mir zeigte, daß wenigstens sein Magen gesunder sey als sein Kopf. Laßt uns sehen, sagte ich, ob er vielleicht mit Lem Gleichgewicht seiner thierischen Functionen auch den Geschmack für Natur- schönheitcn wiederbekommen hat? Ich wandte die Augen zu dem erhabencu Mynedd-Dhu. Der Dintennebcl war verschwunden, die Sonne strahlte glän zend, das Gras und das Laub war wieder frisch. „Gestehen Sie, sagte ich", daß nichts so sehr den Geist erhebt als die Gebirgslandschaft. Großbritanien würde mir von der Natur enterbt scheinen, wenn eS nicht seine Alpen und Apenninen, seine schottischen und gälischen Hochlande hätte." — „Entschuldigen Sie", antwortete mein Begleiter, ein solcher Enthusiasmus ist mir fremd; ich gehöre zur nützlichen und nicht zur poetischen Presse. Was nennen Sie eint Gebirgslandschaft? Ungestalte Steinmaffen! Wo kann hier der Pflug eine Furche graben? Welches Wasser kann hier ein Fahrzeug tragen? Wo ist hier eine Straße, auf der Sie nicht beim Hinansteigen die Qualen des Sisyphuö und beim Hcruntcrsteigen den Sturz des Vulkan empfinden? Auf den äußer sten Spitzen unfruchtbare Moosflechten, zwischen zwei Abhängen ein gähnende» Abgrund, dessen trügerische Tiefe Ihnen der Nebel verbirgt. Wenn sich de, Mensch hier eine isolirte Wohnung errichtet, dicht neben dem Horst des Adlers, so ist dies eine Höhle von Wilden, die daselbst bald das Leben und die Sitten des Raubvogels annehmen: Zeugen vcs sind die Marodeurs der Romant Walter Scott'S. Sammelt sich ein Dorf daselbst an, so ist es ein Haufcit Schweinekobcn. Die Feuchtigkeit gräbt wohl, statt eine Wiese zu befruchten, einen See aus. Sprechen Sie mir von jenen Ebenen, wo die Anstrengungen der menschlichen Kunst über die unnütze Natur gesiegt haben, wohin die In dustrie eben diese Steinblöcke verpflanzt hat, um sie regelmäßig zu vertheilcn in Häuser, Quais, Magazine, Paläste, Theater, Kirchen ...." — „Und in