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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. PränumcrationS-Preis 22^ Silbergr. (f Thlr.) vierteljährlich, 3 Thlr. sür das ganze Jahr, ohne Erhöhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Pränumerationen werden von jeder Buchhandlung (In Berlin bei Veit u. Comp., Jägerflraße Nr. 25), so wie von allen König!. Post-Aemlern, angenommen. Literatur des Auslandes. Berlin, Donnerstag den 7. März 1844. Frankreich. Ueber die katholische Bewegung in Frankreich. (Dritter Artikel. °) Die Kanzelredncr und die Journalisten. Auch die Kanzel hatte in der letzten Zeit ein wechselndes Schicksal. Die Restauration brauchte sie zu einem Werkzeuge der Politik und schuf ihr da durch viele und heftige Feinde; ihr Einfluß nahm ab und erstreckte sich zuletzt fast nur auf die ländliche Bevölkerung und die Frauen. Nur Frapssinous erfreute sich einer großen und wohlverdienten Theilnahme, denn, allem Partci- treiben fern, setzte er an die Stelle jenes intoleranten Orakcltones eine ruhige und durchdachte Untersuchung und bestrebte sich, Vernunft und Glaube» im Einklänge zu zeigen. Seit 1830^ und namentlich in den letzten Jahren, hat sich der Kanzelton geändert. Die Geistlichkeit hat begriffen, daß die Politik nicht in die Kirche gehört, und hat sich mit seltenen Ausnahmen auf die religiöse Belehrung be schränkt. Auch die geistlichen Behörden haben sich in diesem Punkte streng ge zeigt, und erst ganz vor kurzem soll ein Jesuit zu Paris von seinem Orden selbst einen scharfen Verweis erhalten haben, weil er sich lcgitimistische Aus fälle auf der Kanzel erlaubt hatte. Die Seminare bilden einen merkwürdigen Gegensatz zu den Kanzelrednern. Jene erstarren gleichsam täglich mehr in einer längst abgestorbenen Vergangenheit, diese suchen sich in die engste Bezie hung zur Gegenwart zu setzen. ES haben sich zwei Schulen gebildet; die eine schließt sich, wenigstens der Methode nach, an die Redner des I7ten und I8ten Jahrhunderts, die andere folgt dem freieren Gange des Iliten. Diese letztere Schule beschäftigt sich weit weniger damit, den Jrrthum zu bekämpfen, als die Wahrheit zu bestätigen, fast als glaubte sie durch die Untersuchung dem Zweifel neuen Stoff und neue Kraft zu geben. Sie mildert so viel als möglich die Formen und die ausschlicßcnden Lehren des Katholizismus und versucht namentlich aus die gebildeten Klaffen durch die Liebe und das Gefühl zu wirken. Ihre bekannten Vertreter sind Deguerry, Coeur, Co mbalot und Lacor- daire. Lacordaire war anfangs Advokat, später nahm er sehr thätigcn An theil an der Redaction des Journals l'^venir und wurde mit Lammennais genau befreundet Als Letzterer sich von der Kirche trennte, blieb jener zwar orthodvr, aber er folgte dennoch in vielen Punkten den veränderten Ansichten seines großen Freundes. Seine Predigten hatten solchen Erfolg, daß I2W junge Leute den Erzbischof von Paris in einer Bittschrift ersuchten, dem Redner die Kirche Notre-Dame zu öffnen, um hinreichenden Raum für die Zuhörer zu gewinnen. Herr von Quelcn trug Bedenken, auf dies Gesuch einzugkhcn, denn die Gegenpartei war zu mächtig; man versuchte aus alle Weise, den Schüler des neuen AriuS wo möglich ganz zu entfernen, und noch heute hegt ein ge wisser Theil der Geistlichkeit eine geheime und oft übel verhüllte Feindschaft gegen Lacordaire. Dadurch, daß er Mönch geworden, hat er freilich diese Be strebungen ziemlich entkräftet; denn als Abt des Dominikaner-OrdenS genießt er bischöflichen Rang in der Kirche, sonst hätten ihn vielleicht schon diejenigen, welche seine Freunde scheinen, zum Schweigen gebracht. Lacordaire, eine kräftige, edle, aber unbeugsame und sich zuweilen selbst widersprechende Natur, ist gewissermaßen der Savanarola der heutigen Kanzelberedsamkeit zu nennen. Er treibt wissenschaftliche Studien, beschäftigt sich mit dem christlichen Sozia lismus und mit Politik, preist bald die Liguc, bald die Revolution, und erhebt das französische Volk beinahe zu einem auserwählten Volke Gottes. Er über redet mehr, als er überzeugt. Er erkennt die Siege und Eroberungen der Neu zeit an und versucht zugleich, die edlen Bewegungen der Geister zu Gott zurückzuführen, von dem sie sich seit fünfzig Jahren entfernt haben. Er ist weniger ein Theologe als ein Tribun der Religion, welcher die bürgerliche Gesellschaft wieder mit der Kirche aussöhnen will. Der ausgezeichnetste Vertreter der alten Schule, de Ravignan, besitzt den Ernst, die Korrektheit und die Methode der Prediger des Jesuiten-Orbens, welchem er angchört. Während bei Lacordaire sich eine verworrene Menge neuer Ideen im Katholizismus zu entwickeln scheint, beharrt de Ravignan bei den unbeugsamen Regeln der Ueberlieferung und vergegenwärtigt eine Ver gangenheit, welche sich in hartnäckigem Kampfe gegen den Geist der Neuzeit zu behaupten strebt. Die Strenge seines Wesens, sein mönchisches Aeußcre, sein salbungsvolles Auftreten geben de Ravignan fast das Ansehen eines Heiligen. -) Vgl. Rc. I» u. Nr. Ui LkS Magazins. Seine Predigten wirken auf die Frauen weit mehr als auf die Männer, weil sie mehr die Einbildungskraft als den Verstand bewegen. Es ist überhaupt mehr die Methode als die Tiefe des Gedankens, durch welche er wirkt. Doch ist er ausgezeichnet, wenn er den Skeptizismus oder die Ketzerei angreift. Weit entfernt, die Vernunft zu verwerfen, ruft er sie vielmehr zu Hülfe, um die Beweise religiöser Wahrheiten zu unterstützen, so daß er in dieser Hinsicht dem früher genannten Bautain geradezu widerspricht. Es zeigen sich überhaupt merkwürdige Abweichungen und Widersprüche, wenn man die Reden der verschiedenen Pariser Prediger vergleicht, so daß die Rechtgläubigkeit selbst erschrecken und die Philosophie zahlreiche Angriffspunkte finden könnte. Wenn übrigens die Prediger der Gegenwart nicht nur hinter Masfillon und Bourdaloue, sondern auch hinter Frapssinous und de Boulogne zurückblciben, so muß man doch auf der anderen Seite anerkennen, daß ihre Thätigkeit wahrhaft unermüdlich ist. Berühmte Redner aus der Provinz werden auch von Zeit zu Zeit nach Paris berufen, waö gleichsam als eine entscheidende Anerkennung ihres Verdienstes gilt. Die Landprediger find meistenlheils hinter den Anforderungen zurück, die man billigerweise an sie machen muß, und nur ihr wohlthätiges praktisches Eingreifen in das Leben der Gemeinde gleicht diesen Fehler einigermaßen aus. Aber der Einfluß der Kanzel, obgleich man ihn, wie eS scheint, bedeutend überschätzt hat, genügte den Männern der Rcaction nicht. Man suchte also eine andere Bühne und warf sich auf die Presse, um ungestört von ganz anderen Dingen als von Moral und Liebe zu predigen. Sehr viele Priester schufen sich im Journalismus eine Art Filial für ihren Predigtstuhl, und diese Bestrebungen griffen Tag für Tag weiter nm sich. Es möge hier genügen, einen flüchtigen Blick auf den Zustand der religiösen Presse zu werfen. Die katholische Reaction hat seit 1830 viel Mühe und Geld an die Presse gewendet, aber ihre Unternehmungen hatten meistenthcilS nur ein sehr vorüber gehendes Bestehen. Unter den religiösen Journalen, die einander seit zwölf Jahren folgten, bat ein einziges, I'.4venir, Aufsehen gemacht. Es wurde redigirt von de Lammenais, Gerbet, Lacordaire, de Salinis, de Scorbiac, de Cour und de Montalembcrt und hatte sich die Aufgabe gestellt, die Kirche aus dem Traume veralteter Ueberlieferung aufzurütteln, sie mit den neuen Ideen in Beziehung zu setzen und zugleich die in vereinzelte Systeme und haltlose Zweifel verirrte und zersplitterte Philosophie um daö katholische Dogma zu sammeln. Das war freilich ein großer Gedanke, aber gefährlich für die Kirche, denn um diesen Standpunkt zu behaupten, mußte man von vornherein unum stößlich darthun, daß die katholische Lehre aller und jeder gegenwärtigen Ent, Wickelung der Wissenschaft, der Philosophie und der menschlichen Gesellschaft Genüge leiste. Denn der geringste Zweifel, den man in dieser Hinsicht hätte be stehen lassen, wäre zu gleicher Zeit ein stillschweigendes Bekenntniß gewesen, daß man, wenn nicht eine neue Offenbarung, so doch eine neue und tiefgehende Entwickelung des katholischen Dogma s für nothwendig erachtet habe. Außer dem verlangte das ^venir die vollständige Trennung der Kirche vom Staate, unbedingte Preßfreiheit, Freiheit des Unterrichts und Einziehung des GehalteS der Geistlichen. An dieser Vereinigung politischer und religiöser Ideen schei terte cs aber, denn eS erhoben sich Gegner aus allen Ständen und von allen Farben, die Bischöfe wie die niedere Geistlichkeit, die Konservativen wie die Radikalen und Nom selber. Die Redakteure widerriefen und zogen sich von dem Blatte zurück, nur Lamcnnais verfolgte den Weg des Abgrundes. Das .4ve,üc hatte Ideen angeregt; die gegenwärtig bestehenden Journale aber, welche sich als Hüter deS Glaubens ankündigen, beschränken sich ohne Ausnahme auf haltlose und sentimentale Declamationen. Heute bringen sie Jubel-Oden auf die Wiedergeburt des religiösen Lebens, morgen Klagelieder über die Gottlosigkeit des Jahrhunderts. ES ist eine vollständige Anarchie, in . welcher der Katholizismus vornehmlich als Mittel politischer Opposition auS- gebeutet wird. Denn alle Journale der katholischen Reaction sind in der That nur in einem Punkte einig, in dem Kampfe gegen die bestehende Macht; die einen führen ihn offen, die anderen versteckter, alle aber bekennen sich zum Legitimismus. Die offizielle Zeitung des Neo-KatholiziSmus ist gegenwärtig derl) niver 8. Er wurde im Jahre 1832 von dem Abb«- Migne gegründet, welcher jetzt die katholische Buchdruckern vonPetit-Montrouge leitet. Migne wollte einen Mittel weg einschlagen und erklärte, daß er keiner politischen oder religiösen Partei dienen werde, daß er rein katholisch sep und zwar die Lehren beurtheilcn, die Per sonen aber mit dem Mantel der christlichen Liebe bedecken wolle. Wie sehr hat sich der lsnivei'8 seitdem von seiner ursprünglichen Richtung entfernt! Durch den Schiffbruch des ävenir erschreckt, hüteten sich die Redacteure des neuen Jour-