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48 Bei einer ältlichen Dame, einer Verwandten des Herrn M-, stiegen wir ab, die uns auf das gastfreundlichste empfing und uns ihre Zuckcrfclder, Vor- rathshäuscr, Mühlen u. s. w. mit gleichem Stolz wie die nordische Hausfrau ihre Küche und ihre Wirtschaftsgebäude zeigte. Nachdem wir uns hier einige Stunden ausgehalten und hinlänglich er frischt hatten, traten wir den Rückweg wieder an, auf welchem wir an dem Beerdigungsplatz eines kleinen Dorfes vorüberkamen, wo mir mehrere Särge auffielen, die in Rücklicht der Form ganz von den gewöhnlichen abwichen. Auf meine Frage nach ihrem Zwecke erfuhr ich, daß es der Spanier für eine große Verschwendung halten würde, wenn man mit dem Verstorbenen zugleich den Sarg begraben wollte. Man legt daher den Todten in einen jener all gemeinen Särge und läßt die Leiche, an dem Grabe angekommcn, ganz gemächlich aus zenem in dieses Hineinrutschen. Unser Segelboot erwartete uns in Palo-Scca, und bald stiegen wir wieder bei Portorico ans Land. Am nächsten Morgen riefen alle Glocken, groß und klein, die Gläubigen zur Kirche, wie zugleich das ganze Acußere der Straßen nur zu deutlich ver kündete, daß es Sonntag war. Die Straßen, die während der Woche von Wcltgeistlichen, barmherzigen Brüdern, Dominikanern, Franziskanern und wie die übrigen Mönchsorden alle heißen mögen, eigentlich nie leer wurden, waren doch heute von diesen Müßiggängern förmlich angefüllt. Die spanische Tracht der Damen hat viel Anziehendes, da die hohen, majestätischen Gestalten durch das schwarze Kleid mit der eigenthümlichen Mantilla gleich Vortheilhaft gehoben werden, wie durch den enganschließenden Anzug für Kirche und Promenade. Die Französtnnen rühmen sich ihres kleinen Fußes, die schönen Spanierinnen übertreffen sie darin bei weitem: das wissen Letztere aber auch, da fie alle nur mögliche Sorgfalt auf diesen verwenden, lieber das reiche, üppige Haar, durch einen hohen Kamm und ein schwarz- seidenes Band fcstgehalten, wird gewöhnlich ein reichgesticktcs Tuch nachlässig geworfen, das ungemein viel zu dem schönen Anzug beiträgt. Ihrer Erobe rungen ist sich jede Spanierin gewiß, selbst wenn fie nur mittelmäßig von der Natur auSgestattet ist. Jeder Kirchgängerin folgen zwei, vielleicht auch drei Negerkinder, von denen das eine das Buch, das andere den Teppich und das dritte den kleinen Fußschemel trägt. Sobald die fromme Schöne in der Kirche angekommen ist, wird der Teppich an dem gewünschten Ort auSgc- breitet und die Andächtige kniet nieder; hinter ihr ihre Dienerin. Doch nicht allein das Gebel zieht die Dame in die Kirche, sondern auch die Unterhal tung: denn schenkt auch die fromme Beterin im Anfang dem Mcffclcsenden einige Aufmerksamkeit, so fliegt diese doch ziemlich schnell auf und davon, und wer auch ihre Nachbarin sepn mag, bekannt oder unbekannt, die Unter haltung ist augenblicklich angcknüpft, und wird nur durch das Aufheben der Monstranz gestört, um den abgerissenen Faden derselben augenblicklich wieder anzuknüpfen, bis endlich die Ueberzeugung in ihr lebendig wird, daß sie ihre tägliche Pflicht gegen Gott und die Heiligen erfüllt hat, und fie sein und ihr Haus verläßt. Wer au die Stille des Sabbaths gewöhnt ist, die in England und Nord- Amerika an diesem Tage herrscht, muß den Kontrast in Portorico gar auf fallend finden. Handwerker, Tagelöhner und Neger suchen dann für den Werkcl- tag Erholung, und vergnügen sich mit Tanzen, Spielen und dergleichen; der Beamte, Bürger und Kaufmann macht mit seiner Familie Ausflüge in das Innere des Landes oder sucht aus irgend eine andere Weise sich zu erholen. (Fortsetzung folgt.) Nord-Amerika. Die freiwillige Geißelung der Koloschen. Ehe die Koloschcn unter russische Herrschaft kamen, gehörte eS bei ihnen zum guten Ton, sich geißeln zu lassen, um von seiner Mannhaftigkeit einen Begriff zu geben und Leib und Seele zu kräftigen. Jetzt geschieht dies weil seltener und ist auch ziemlich überflüssig geworden. Die Geißelung wird am Morgen sehr kalter Wintertage, wenn man im Meere sich badet, und am Abend, beim Feuer in der Jurte, vollstreckt. Der Aelteste einer Familie geht an die Küste, läßt ein Bündel kahler Gerten bri». gen, wählt einige ans, und stellt sich hin, als ob er Jemanden erwartete. Darauf kommt der Beherzteste von Allen, die im eisigen Wogeuschwall sich tummeln, aus dem Meere an den Strand gehüpft, bietet demjenigen, der die Gerten in der Hand hält, seine athletische Brust, und dieser haut nun so lange darauf los, bis sein Arm erlahmt, oder bis ein anderer Held aus Neid und Prahlerei den gegeißelten Helden hinwegstößt und seine Stelle cinnimmt. Die Tapfersten von Allen sind mit der freiwillig empfangenen Stäupung lange nicht zufrieden, sondern ergreifen noch scharfe Steine oder Messer und ritzen sich Brust und Arme so tief, daß es stark blutet. Dann eilen sie wieder ins Wasser und bleiben so lange darin, bis fie völlig erstarrt find. Man trägt sie ans User zurück, legt sie aus eine Decke und läßt ihre mit einer blutigen Eiskruste überzogenen Körper an einem tüchtigen Feuer aufthauen. Diese Morgen-Geißelung ist, wie die Koloschen behaupten, minder schmerzhaft, als man denken sollte, da fie in sehr kalter Atmosphäre stattfindet Co nennt man die Indianer der Nordwesiküste vom Fluss? Columbia bis zum CUaSbergc. und nachdem das Wasser den Körper fast unempfindlich gemacht. Desto fürch terlicher ist die Geißelung an Abenden, in der vom Feuer erwärmten Jurte, wenn Alles um die Lohe niederkauert. Auf ein Zeichen des Familienhauptes wird ein ganzes Bündel Gerten hereingebracht und vor demselben niedergclegt. Der Aelteste erhebt sich sofort, ergreift zwei oder drei von den Gerten und fordert Jeden, der Lust hat, zum Empfang einer Tracht Hiebe heraus. Als- bald wirft der Unerschrockenste von den Hausbewohnern seinen Mantel ab und schreitet, wiederum die nackte Brust bietend, heran. Das Familienhaupt be- ginnt nun aus allen Kräften darauf los zu hauen, und der Gegeißelte hält, indem er abwechselnd Brust, Rücken und Seite prciSgiebt, oft so lange Stand, bis sein ganzer Oberkörper mit blutigen Schwielen überdeckt ist, ohne auch nur einmal zu stöhnen oder das Gesicht zu verziehen. Wer alle diese Geiße lungen rühmlich besteht, von dem ist man überzeugt, daß er nie einer feigen oder niederträchtigen Handlung fähig scyn werde. Die abendliche Geißelung ist heutzutage fast ganz abgeschafft, da fie, wie schon bemerkt, noch viel schrecklicher ist, als Lie am Morgen; aber diese beiden Proben der Mann haftigkeit find nie zugleich als Zwangs- oder Strafmittel angewendet worden; da es vielmehr für die schimpflichste Selbstbestrafung gilt, wenn man ihnen ausweicht. Gus Wenjaminov'« Sspi-U ob ^tcbioskieb äl-utocd i icvtoicbscb.) Mannigfaltiges. — Verhandlungen der gelehrten chstnischen Gesellschaft zu Dorpat. Das zweite Heft des ersten Bandes dieser Zeitschrift ist im vorigen Jahre erschienen und enthält wieder sehr belehrende und anziehende Artikel, als da find: „Kurze Geschichte der ehstnischen Literatur", von Jörgcnson — „Uebcr die Flerion veS Wortstammes in der ehstnischen Sprache", von Fählmann — „Beiträge zur näheren Kcnntniß der Volkssagen und des Aberglaubens der Ehsten", von Boubrig u. s. w. Der litcrar-historische Artikel, dessen Fortsetzung im nächsten Bande versprochen ist, hat es bis in die Mitte des vorigen Jahrhunderts ausschließlich mit Katechismen, Gesangbüchern, Postillen, Bibcl-Uebersetzunge» u. dgl. zu thun; an Sammlung und Aufzeich nung der sehr anmuthigen Sagen und Volkslieder cer Ehsten, die doch allein etwas begründen könnten, was den Titel: „ehstnische Literatur" rechtfertigte, war bis dahin und ist auch später kaum gedacht worden. Wir hoffen, daß die Gesellschaft in ihrem nächstens erscheinenden ehstnischen Lesebuch von den Sagen der Ehsten auch in der Ursprache einen Theil mittheilen werde, wie fie bereits in deutscher Sprache gethan. Da ihre Mitglieder fast ohne Ausnahme deutscher oder skandinavischer Abkunft sind, so darf man, obschon sie ihre Thä- tigkeit hauptsächlich den Urbewohnern Ehstlands zuwcnden, von ihrem wackeren Zusammenwirken noch stärkere Befestigung des Bandes »erhoffen, das die deutschen Bewohner der ehemals schwedischen Ostsee-Provinzen zusammenhält. Auch steht die ehstnische gelehrte Gesellschaft mit der finnischen zu Hclsingfors und mit dem antiquarischen Vereine zu Riga in freundschaftlicher Verbindung; und während durch die Bemühungen aller drei Vereine die alten Schicksale eines in Trümmern fortlebcndcn Urvolkes unseres europäischen Nordens anS Licht treten, wird in den Forschern selber das deutsche Bcwußtsepn mehr ge weckt, oder wenigstens vor größerer Trübung und Verfinsterung bewahrt. — — — Literarische Verbindung mit China. Auch auf literarischem Gebiete scheint die große chinesische Mauer eine Bresche bekommen zu haben, so daß wir hoffen dürfen, bald mehr von der dortigen Wissenschaft zu erfahren, als uns unsere übrigens schätzcnSwerthcn Sinologen bisher mitzutheilen ver mochten. Einem Bericht in der Augsb. Allgemeine» Zeitung zufolge, hat der bekannte Pariser Orientalist, Herr Stanislas Julien, kürzlich auf ganz eigcn- thümlichc Weise ein Werk aus China erhalten, das ihm von großer Wichtig keit war. Nachdem er nämlich das bekannte religiös-philosophische Buch des Lao-tsö übersetzt hatte, wünschte er auch den chinesischen Philosophen Tscho- ang-tsö in gleicher Weise zu bearbeiten, doch es fehlte ihm dazu der in Peking herausgekommene große Kommentar. Er wandte sich an den Dolmetsch Herrn Thom, der damals bei dem englischen Heer aus der Ostküstc von China war; Thom gab sich umsonst Mühe, das Buch zu erhallen, machte aber, während die Armee vor Nanking lag, die Bekanntschaft eines gelehrten Chinesen, Namens Zen, des Direktors der Salinen der Provinz, dem er seine Noth klagte. Der Mandarin antwortete, daß er daS Buch kenne, es sey aber sehr selten, und er wisse nur von dem Eremplar auf der kaiserlichen Bibliothek in Nanking, das nicht käuflich sey. Thom bat ihn, sich zu bemühen, das Buch zu ;cdem Preis zu erhalten , der Chinese versprach es und brachte nach einem Monat zweihundertunddreißig kleine chinesische Bände, mit der Erklärung, daß dieses der verlangte Kommentar sey. Thom fragte nach dem Preis, und Jen nannte Z2N Unzen Silber; Thom war erstaunt über die Summe, aber der Chinese erklärte ihm, daß er, da das Buch nicht käuflich sey, cs durch hundert Abschreiber habe abschreibcn lassen, wenn Th. aber glaube, daß cs seinem euro päischen Freund zu theuer sey, so bitte er diesen, es als Geschenk eines Gelehrten an einen anderen anzunehmen, wogegen er sich die Werke des Europäers crbitte. Thom nahm die Bücher, berichtete die Umstände, und Julien bezahlte auf der Stelle die Sumnie, schickte dem Direktor der Salinen seine Werke und hat vor wenigen Wochen den Kommentar erhalten. Es giebi dies in der That einen hohen Begriff von der Civilisation in China und von der auch dort verbreiteten Achtung für die Wissenschaft. HcrauSgegcben und redigirt von I. Lehmann. Im Verlage von Veit Comp- Gedruckt bei A. W. Hayn.