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W I«. und IS. Jahrhundert"') befindet fich eine überaus charakteristische, seine Zeit sowohl als ihn selbst bezeichnende Rede des bekannten (erst vor wenigen Jahren verstorbenen) Konvents-Mitgliedes Baröre über die Vorzüge, welche die französische Sprache für den Zweck der Revolution habe, und über die Hindernisse, welche namentlich die in Frankreich verbreiteten fremden Sprachen den Freiheits-Ideen entgegenstellcn. ES sind jetzt gerade fünfzig Jahre ver flossen, seitdem diese Rede (am 27. Januar 1794) im National-Konvent ge- halten wurde, aber trotz der gewaltsamen nivellirenden Maßregeln, die aus den Vorschlag Baröre'S damals zur Ausrottung der fremden Sprachen in Frankreich angeordnet wurden, werden noch heutzutage die vier fremden Idiome, die er des HochverratHS an der Republik anklagtc, dort gesprochen. Gleichwohl machte fich die Einwirkung der revolutionairen Maßregeln sehr bald bemerklich, denn die Deutschen des Elsasses, die, wie Baröre sagt, mit den deutschen Heeren spmpathisirt hatten und zu Tausenden mit ihnen ausge wandert waren, lieferten nachmals der republikanischen Armee die tapfersten Soldaten, und was die Jtaliäner Korsika's betrifft, so war bereits in dem Augenblick, als Baröre sprach, vor Toulon die Waffenthat geschehen, die die erste Stufe der Leiter bildete, auf welcher ein korsischer Jtaliäner zu den höchsten Ehren Frankreichs emporstieg. Nachstehendes sind die Hauptargumcnte des Antrages, in Folge dessen der Konvent verordnete, daß in jeder Landgemeinde der bezeichneten Departe ments auf öffentliche Kosten ein Lehrer der französischen Sprache bestellt werde, daß die jungen Bürger beiderlei Geschlechts verpflichtet sepn sollten, sowohl in dieser Sprache als in der Erklärung der Menschenrechte Unterricht zu neh men, und daß endlich an den Dckadentagen vor dem versammelten Volke Vor lesungen über die Gesetze der Republik gehalten werden: „Bier Punkte des Gebiets der Republik", sagte Baröre, „verdienen allein die Aufmerksamkeit der gegenwärtigen Gesetzgeber zu fesseln, in Beziehung aus die Dialekte, welche am meisten der Verbreitung des öffentlichen Geistes ent gegenzustehen scheinen, und welche der Gesetzeskunde der Republik nnd ihrer Ausführung Hemmnisse bereiten. Neben den alten Dialekten, dem welschen, gascognischen, cellischen, westgothischen, phokäischen oder orientalischen, welche einige Nüancen in den Mittheilungen verschiedener Bürger und der Landstriche bilden, aus denen das Gebiet der Republik besteht, haben wir bemerkt (und die Berichte der Repräsentanten treffen in diesem Punkte mit denen znsammen, welche die verschiedenen in die Departements geschickten Agenten erstattet haben), daß der sogenannte nieder-bretonische und der baskische Dialekt, die deutsche und italiänische Sprache am meisten die Herrschaft des Fanatismus und des Aberglaubens unterstützt, die Gewalt der Priester, der Adligen und Aufwiegler gesichert und gehindert haben, daß die Revolution in neun wich tigen Departements Eingang fand, während sie die Feinde Frankreichs be günstigen können. „Ich fange mit dem Nieder-Bretonischen an. Es wird fast aus schließlich gesprochen in den vollständige» Departements: Morbihan, Fini- flerre, CütcS du Nord, Ille et Vilaine und in einem großen Theile des Departements der unteren Loire. Dort erhält die Unkunde das von den Prie stern und Adligen auferlegtc Joch; dort werde» Burger geboren und sterben im Jrthum; sie wissen nicht einmal, ob neue Gesetze vorhanden sind. Die Bewohner des platten Landes verstehen nur das Nieder-Bretonische; mit diesem überlieferten Mittel, worin sie ihre abergläubischen Gedanken aus- drilcken, halten die Priester und Intriganten sie unter ihrer Herrschaft, lenken ihr Gewissen und hindern die Bürger, die Gesetze kennen zu lernen und die Republik zu lieben. Eure Arbeiten sind ihnen unbekannt, eure Anstrengungen für ihre Befreiung werden verkannt. Die öffentliche Erziehung kann dort nicht begründet werden, die Nationalumwandlung ist dort unmöglich. Das ist eine unzerstörbare Absonderung, die begründet ist auf dem Mangel an Ge dankenaustausch; und da in den verschiedenen Departements, wenn auch nur auf dem Lande, verschiedene Dialekte gesprochen werden, so können solche Ab sonderungen nicht anders aufgehoben werden, als durch Lehrer und Schul meister. Die Folgen dieses Dialekts, der zu lange Zeit sich erhalten hat und zu allgemein in de» fünf Departements des Westens gesprochen wird, sind so fühlbar, daß die Bauern (nach dem Bericht von Leuten, die dorthin geschickt sind) das Wort Gesetz mit dem Worte Religion verwechseln, und zwar in einem solchen Grade, daß, wenn die öffentlichen Beamten zu ihnen von den Gesetzen der Republik und den Dekreten des Konvents sprechen, sie in ihrer Landessprache ausrufen: Will man denn unaufhörlich die Religion verändern? Welch' eine künstliche Verführung muß bewirkt haben, daß Gesetz und Reli gion in den Gedanken dieser unschuldigen Landleute verwechselt werden! Ur- theilt nach diesem einzigen Zuge, ob es nicht dringend nothwendig ist, fich mit diesem Gegenstände zu beschäftigen. Ihr habt den aufgeregten Fanatikern ihre Heiligen entzogen durch den Kalender der Republik, entzieht sie der Herrschaft der Priester durch Unterricht in der französischen Sprache. „In den Departements des oberen und niederen Rheins spricht der Be wohner des platten Landes dieselbe Sprache, wie unsere Feinde, und hält sich folglich auch mehr für ihren Bruder und Mitbürger als für einen Bruder und Mitbürger der Franzosen, die zu ihm in einer anderen Sprache reden und andere Gewohnheiten haben. Die Macht der Sprachglcichheit ist so groß gewesen, daß bei dem Rückzüge der Deutschen mehr als 2s,000 Land leute aus dem Departement des Niederrheins ausgewandert sind. Die ') Berlin, Vcß'sche Buchhandlung, NM — NM. Herrschaft der Sprache und des Einverständnisses, welches zwischen unseren deutschen Feinden und unseren Mitbürgern dieses Departements bestand, ist so unbestreitbar, daß sie in ihrer Auswanderung durch nichts, was sonst dem Menschen theucr ist, aufgehalten werden konnten, weder durch den Boden, aus dem sie ausgewachsen sind, noch durch das Andenken an ihre Vorfahren, noch durch ihre Besitzungen, welche sic bebaut hatten. Der Unterschied der LebenSverhältnisse, der Uebermuth hat die erste Emigration hervorgerufen, welche Frankreich Milliarden eintrug; der Unterschied der Sprache, der Mangel an Erziehung, die Unwissenheit haben die zweite Aus wanderung herbcigeführt, die fast ein ganzes Departement ohne Bewohner zurückgelaffen hat. Auf diese Weise also hat sich die Gegenrevolution einiger Gränzcn bemächtigt, indem sie ihre Zuflucht zu den celtischen oder barbarischen Dialekten nahm, die wir hätten verdrängen müssen. „An einem andere» Ende der Republik findet sich ein für uns neues, obwohl sonst altes Volk, ein Volk, das aus Hirten und Schiffern besteht, das niemals Sklave noch Herr war, das Cäsar nicht bezwingen konnte mitten auf seinem Siegesläufe durch Gallien, welches von Spanien nicht erreicht werden konnte mitten in seiner Umgestaltung, u»d welches die Gewalt unserer Herrscher nicht dem Joche der Intendanten unterwerfen konnte, ich meine nämlich das baskische Volk. Es besitzt die äußerste» Zweige der westlichen Pyrenäen, wo sie zum Ozean abfallen. Ihre wohlklingende und bilderreiche Sprache wird von ihnen wie das Siegel ihrer Ursprünglichkeit und die von ihren Vor fahren überlieferte Erbschaft betrachtet. Aber sie haben Priester, nnd diese bedienen fich ihrer eigenthümlichcn Sprache, um sic fanatisch zu machen; da gegen kennen sic die französische Sprache nicht, und folglich nicht die Sprache der Gesetze dieser Republik. Sie müssen dieselbe also lernen; denn ungeachtet der Sprachverschiedenheit und ungeachtet ihrer Priester sind sie der Republik ergeben, die sie schon vertheidigt haben an der Bidaffoa entlang und auf unseren Flotten. „Ein anderes Departement verdient eure Blicke auf sich zu ziehen, nämlich das Departement Korsika. Eifrige Freunde der Freiheit, wenn nicht eine Partei föderalistischer Beamten im Bunde mit den Priestern sie verführen, sind die Korsen französische Bürger; aber seit den vier Jahren der Revolution kennen sic nicht unsere Gesetze, wissen sie nichts von den Entwickelungen und Krisen un serer Freiheit. Zu nahe an Italien gelegen, was konnten sie von dort erhalten? Priester, Jndulgenzen, aufrührerische Adressen, fanatische Bewegungen. Pascal Paoli, Engländer aus Dankbarkeit, hinterlistig aus Gewohnheit, schwach durch sein Alter, Jtaliäner aus Prinzip, den Priestern zugethan aus Bedürfniß, be dient sich mit Erfolg der italiänische» Sprache, um den öffentlichen Geist zu verdrehen, um das Volk aufzureizen, um seinen Anhang zu vermehren ; außer, dem benutzt er die Unwissenheit der Korsen, die nicht einmal das Dasepn von französischen Gesetzen vermuthen, weil diese in einer Sprache abgefaßt sind, die sie nicht verstehen. ES ist wahr, man hat seit einigen Monaten mehrere Gesetze ins Italiänische übertragen; aber würde cS nicht besser sepn, Lehrer unserer Sprache dort hinzuschickcn, als Uebersctzcr einer fremden Sprache? „Bürger, aus diesen Mängeln ist der heutige Zustand der Vendee her- vorgegangcn; seine Wiege war die Nnknnde der Gesetze, seine Zunahme lag in den Mitteln, die man gebrauchte, uni das Eindringen der Revolution daselbst zu verhindern, und dann rissen die Mächte der Unwissenheit, die eid scheuen Priester, die adligen Verschwörer, die geldgierigen Unruhestifter und schwache oder mitschuldige Beamten eine klaffende Wunde in der Brust Frank reichs auf; vernichten wir also die Unwissenheit, stellen wir Lehrer der fran zösischen Sprache auf dem Lande an. .... „Der Föderalismus nnd der Aberglaube rede» hier nieder-breto nisch; die Auswanderung und der Haß gegen die Republik spricht deutsch, die Gegenrevolution spricht italiänisch und der Fanatismus baskisch. Laßt unö die schädlichen und trügerischen Jnstrumcntc vernichtcn. .... „Wozu noch Weiteres? Während die fremden Völker auf der ganzen Erde die französische Sprache lernen, während unsere öffentlichen Schriften in allen Gegenden im Umlauf sind, während unser allgemeines Jour nal und das freier Menschen von einem Pol bis zum anderen gelesen werden, soll man sagen, daß in Frankreich 400,000 Franzosen lebe», welche vollständig die Sprache ihres Volkes nicht verstehen, und die weder von den Gesetzen, noch von der Revolution, die mitten unter ihnen vorgehl, etwas wissen? Laßt uns stolz sepn auf die Vorzüge der französischen Sprache, seitdem sie republi kanisch geworden ist, und laßt uns eine Pflicht erfüllen. Lassen wir die ita- liänischc Sprache gewidmet bleiben dem Vergnügen, der Harmonie und den Ausdrücken einer weichen und verführerischen Poesie. Geben wir die deutsche Sprache auf, die sich für unsere Bevölkerung nicht eignet, so lange die Feudal- und Militairherrschaft, deren würdiges Organ sie ist, dort besteht. Ucbcrlasscn wir dem Spanier seine Sprache für seine Inquisition und seine Universitäten, bis sie einmal die Vertreibung der Bourbonen ausspricht aus spanische» Ländern. Was die englische Sprache betrifft"), die groß und frei war an dem Tage, als sie sich mit den Worten bereicherte: Majestät des Volkes, so ist sie nichts mehr als der Ausdruck einer willkürlichen Verwaltung, der Bank und der Wcchselbriefe. Unsere Feinde hatten aus der französische» Sprache eine Hof sprache gemacht; sie hatten sie erniedrigt. An uns ist eS, sie zu einer Sprache der Völker zu machen, und sie wird geehrt sepn." 's Der Redner scheint nicht gewußt zu baden, daß daß Baskische und das Spanische, da« Nicderdretonischc und da« Englische ganz uersediedcne Sprachen s-pen. Herausgegeben und rcdigirt von I. Lehmann. Im Verlage von Veit tzs Comp. Gedruckt bei A. W. Hayn.