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Wiche«»!«» erschein»» drei Nummern. Pränumeration«-Prei« 22h Tilbergr. (j Lhir.) »«letcljöhrüch, Z Tb». sur da« ganze Za!>r, ohne Erhöhung, in aUcn Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Pränumerationen merd'en von jeder Buchhandlung (in Berlin bei Veit u. t^omp., Iagerstraste Nr. 26). so ' wie von allen Königs, ^post - Aemtern, angenommen. Literatur des Auslände s. «. —«- « «m,«»«,.«— » «».«<« .'s- Illi. Berlin, Dienstag den 16. September » 1843. Frankreich. Der Mystictsmus und die gallikanische Kirche im >7 Jahrhundert, t. Fcnelon, Bossuet und Madame Guyon. Die Liebe zu Gott, als der Quelle des ewigen Heiles, ist vielleicht das populärste Dogma der katholischen wie aller anderen Kirchen. Aus ihr ent. springen die guten Werke, das Gebet, kurz Alles, was gcthan wird in der Hoffnung einstiger Seligkeit. Sie ist begründet im menschlichen Herzen, das wohl keiner völlig uneigennützigen Liebe fähig ist und keines Opfers ohne Aus- sicht, irgendwie belohnt zu werden. Es gab indeß zu allen Zeiten Männer, deren edles Gemüth von lener zweckdienlichen Liebe nicht befriedigt wurde, die in ihren Gebeten keine Forderung an Gott stellten, noch ihm eine seiner Ver sprechungen vorhielten. Die Kirche duldete auch eine erhab«nere Auslegung des Gebotes der Liebe, vorausgesetzt, daß die Bekenner derselben sonst alle Pflichten der Gläubigen erfüllten. Man nannte diese Leute Mystiker, und einige von ihnen wurden unter die Heiligen ausgenommen. Der Quietismus, der im Jahre I68ü in der Person des Molinos als ketzerisch verurtheilt wurde, war nichts als die bis ins Unvernünftige gehende Uebertreibung der uneigennützigen Liebe der Mystiker. Er verwarf die guten Werke, weil sie ihren Grund im Eigennutz haben, und das Gebet, weil es ein Verlangen und eine Hoffnung in sich schließt. Die Liebe zu Gott durfte nach ihm, wenn sie wahr seyn sollte, so wenig eine Folge Haden, daß zwei Hauptdogmen des Christenthums, das Miltleramt Christi und die Werk- Heiligkeit, durch sie aufgehoben wurden. Durch ihr beschauliches Leben kamen die Quietisten dahin, selbst gegen die ^wige Verdanunniß zteichgültig zu werden, ja sie mit einer gewissen Freude zu erwarten, wenn sie nur über zeugt waren, daß es im Plane Gottes liege, sie der Hölle zu weihen. Viele dergleichen Frömmler vernachlässigten jedes Gebot, das die leibliche Existenz betraf, und thaten, als übten sie ihre Lüberlichkeiten zur Ehre Gottes aus und in der völligen Hingebung gegen seinen Willen. So lebte der be rüchtigte MolinoS, der lange Zeit für einen musterhaften Priester galt, »ach dem Ausdruck Boffuet'S, zwciundzwanzig Jahre in allem Schmutze, ohne zu beichten. ES ist wahrscheinlich, daß für viele jener ausgearteten Mystiker ihre Lehre nur ein Deckmantel für ihre Laster war, während Andere sich im Ernste Mühe gaben, die Eigenschaften eines ThiereS und eines Heiligen in sich zu vereinigen. Man erräth aus diesen wenigen Andeutungen über den Quietismus, von welcher Seite er den tugendhaften «znd schwärmerischen Fenelon anziehen, da- gegen den praktischen Bossuet mit Haß und Widerwillen erfüllen mußte. Von Jugend auf hatten diese beiden Männer eine Richtung genommen, die sie nothwendig zu literarischen Gegnern machen mußte und sie gewissermaßen auf den Streit vorbereitete, der drei Jahre lang die Christenheit gegen Ende des siebzehnten Jahrhunderts in gespannter Aufmerksamkeit erhielt. Bossuet konnte sich nie mit der rasfinirten Frömmigkeit der Mystiker be freunden; Fenelon'S Geist war phantastischer und zarter als der seinige und darum dem Ueberschwänglichen zugänglicher. Ueberdies beunruhigte ihn die Kirche seiner Ansichten wegen nicht, denn sie hatte den Grundsatz, in zweifel haften oder gleichgültigen Dingen völlige Meinungsfreiheit zu gestatten. Darum hatte er sich vorzugsweise zu den Schriften der einsiedlerischen Heiligen gewendet; sie eröffneten seinem Geiste einen unendlichen Gesichtskreis, sie ver- führten sogar sein Urtheil, denn er durfte nicht fürchten, auf dem Wege, den so fromme Männer gewandelt waren, das Gebiet der Tugend zu verlassen. Seine profanen Beschäftigungen vcrriethen dieselbe Geistesrichtung. Ver schieden von Bossuet, der mehr römische als griechische Färbung hat, ist Fenelon mehr griechisch als römisch und liebte von den griechische» Autoren vorzugsweise Platon, in dessen Schriften er seine» Idealismus und selbst den Quietismus wicderfand, den Bayle so genau in ihnen nachgewiesen hat. Als Fenelon Lehrer des Herzogs von Bourgogne war, lernte er die be- rüchtigte Madanic Guyon kennen. Diese Frau war schön und geistreich und trug jene schwärmerische Frömmigkeit zur Schau, die Fenelon sy sehr für die Mystiker einnahm. Sie entzückte ihn, und bald entspann sich zwischen Beiden ein geistiges Einvcrständniß, das alle Innigkeit eines Liebesverhältnisses hatte und Fenelon nach und nach zum erklärten Ritter der Madame Guyon machte. Diese Dame hatte bereits einmal ihre Ueberspanntheiten widerrufen, ihre Schriften in Boffuet'S Hände gelegt und dafür von ihn, die Absolution und die Erlaubniß, das Abendmahl zu nehmen, erhalten. Plötzlich aber trat sie von neuen« mit ihrer Schwärmerei hervor, und man hörte sie sagen, die reine Gottesliebe erfülle sic so, daß man sic aufschnüren müßte, wenn sie davon nicht bersten sollte; und nur Jesus Christus, der sie hindere, Gott unmittelbar zu erfaffcn, stehe der endlichen Vervollkommnung ihres Herzens em Wege! . . .. Man darf sich nicht wundern, wenn in einem Jahrhunderte, wo religiöse Sektirungen Staatsverbrechen waren, Madame Guyon in die Bastille gesperrt und eine strenge Untersuchung gegen alle Personen cingeleitet wurde, die in dcm Verdachte standen, an ihre Thorheiten zu glauben. Frau von Main- tenon, die ihr anfangs wegen ihres Geistes und der Reinheit ihrer Sitten geneigt war, opferte sie den rel giösen Bedenklichkeiten auf, die Bossuet in ihr erregt hatte. Fenelon, der aus seiner Hinneigung zu den Mystikern und seiner Freund schaft für die Guyon kein Geheimniß machte, hatte, als das Umsichgreifen der neuen Sekte noch nicht mehr als ein Gerücht war, darüber häufige Unter redungen mit Bossuet. Die Erklärungen, die sich beide Männer gegenseitig machten, trugen lange Zeit einen friedlichen, selbst einen freundschaftlichen Charakter. Bossuet hatte keine Mühe, eine» Gegner zu durchschauen, der seine Gesinnungen keinen Augenblick verhehlte, und wurde im Anfänge von Fenelon'S Hartnäckigkeit weniger erbittert, als um sich selbst besorgt gemacht; denn, sagt er, wo ein so erleuchteter Geist wanken konnte, wäre auch er vor dem Falle nicht sicher. Je gründlicher die Unterredungen wurden, desto mehr nahmen sic dc» Anschein von Konferenzen an und desto schwieriger wurde eine gegenseitige Verständigung. Fcnelon wnßte für Alles Erklärungen und Ent schuldigungen; selbst die absurde» Aeußerungen der Guyon setzten ihn nicht in Verlegenheit. Sie hätte, sagtc er, in ihrer Unschuld so gesprochen, hätte ichre Gefühle mit unklaren, vicllcicht mit unrichtigen Worten geschildert und wäre daruni von ihre» Anklägern falsch verstanden worden. Kurz, er gab nichts völlig zu und verwarf nichts mit Bestimmthcit. Mehrere Monate gingen auf diese Weise hin. Nach langen« Bitten er. langte Madame Guyon, daß ihre Schriften von Bossuet, von dem Bischof von ChnlonS und vom Abbe Tronso», den« Vorsteher des Seminars St. Sulpice, geprüft wurden. Fast ei» Jahr wurde damit hingebracht. Denn außer den ungcdrucktcn Schriften und Tagebüchern der Mad. Guyon mußte man Alles lesen, was Fenelon selbst täglich über die Materie schrieb, weil ihn entweder seine Uebcrzeugung drängte, sich auszusprechen, oder weil er die Angriffe, die seiner Freundin drohten, auf sich lenken wollte. Fcnelon nannte Mad. Guyon nicht, damit es nicht scheine, daß er mehr ihre Person, als die Sache ver. theidige. Er hoffte sie zu retten, wenn cr die allgemeinen Grundsätze recht fertigte, die ihren Worte» zu Grunde gelegen haben konnten, und war bereit, zuzugeben, daß sie sich in der Wahl ihrer Ausdrücke mancher Uebertrcibungen schuldig gemacht habe, die bei cincr Frau verzeihlich sind. Seine Eingabe«« an jenes geistliche Comitv waren übrigens mit so viel Ehrerbietung und Demuth adgefaßt, daß seine Richter, obgleich sie zuweilen über seine Verblendung er staunten, sich dennoch niit ihrem Urthcilc nicht beeilten, in der Ueberzcugung, ihn noch eines Besseren zu belehren. Er erbot sich sogar, seine Titel und Würde», selbst seine Lehrerstclle aufzugeben, wenn man ihm beweisen könnte, worin cr gefehlt habe. Er wollte nur überzeugt seyn; als wenn cs so leicht wäre, einen redlichen Mann zu überzeugen, der von seinem Verstände und seiner Tugend getäuscht wird. Dje Sachen mußten indeß zu Ende gebracht werden. Bossuet und die beiden genannten Prälaten faßten die ganze Materie in einige Artikel zu. sammen und legten dieselben Fcnelon zur Unterschrift vor. Er sträubte sich lange, machte an jeder Zeile Ausstellungen, gab aber am Ende nach; sey es, weil die christliche Wahrheit siegte, sey eS, weil ihn eine glückliche Verände rung seiner äußeren Eristcnz in Sache» der reinen Spcculation gleichgültiger oder gefügiger gemacht hatte. Denn in dcm Zeitraum zwischen der Abfassung und der Unterzeichnung jenes Formulars ernannte Ludwig XIV. Fenelon zum Erzbischof von Cambrap. Seine Gefügigkeit blieb dieselbe zwischen seiner Ernennung und der Weihe. Bossuet, der ihn weihen sollte, erzählt in der „Uelmiuu", daß dcr neue Erzbischof zwei Tage vor der Ceremonie kniccnd seine Hand geküßt und sie zum Zeugen angcruftn, daß er niemals eine andere Lehre bekennen würde, als der, von dcm er die Weihe erhielt. Fenelon leugnete dieses Faktum später, doch bleibt die Wahrscheinlichkeit immer auf Boffuet'S Seite. Als Fenelon sein ErzbiSthum inne hatte, änderte er sein Betragen. Bossuet hatte sich in einen« Buche über die Artikel des Formulars ausgc- spreche«« und eine Uebersicht über die Verhandlungen gegeben, aus denen eS