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326 liert sie in unserer Meinung, wenn wir sie handeln sehen! Leute von so gefügigem Gewissen und so großer Schlauheit verschwenden ihr ausgezeichnetes Talent zu boshaften Jntrigucn um eine reine Lappalie. Und dennoch, ob. gleich sie sich als die geschicktesten Bösewichter ankündigen, gelingen ihnen die einfachsten Bubenstreiche nicht. Sie machen einen Anlauf, als wollten sie Berge spalten, und kaum reicht ihre Kraft hin, ein Paar elende Kiesel zu zer. schmettern. Doch dieses Mißverhältniß zwischen den Erwartungen, die sie bei ihrem ersten Auftreten erregen, und ihren Leistungen kommt daher, daß sie in der Wirklichkeit nicht eristiren, sondern, wie sie dort erscheinen, völlig er« dichtete Figuren sind. Diejenigen, denen daran gelegen war, die Existenz der Jesuiten in der wirklichen Welt zu leugnen, fanden gerade in dem ewigen Juden eine Stütze für ihre Behauptung. „Man nennt", sagten sie, „die Jesuiten einen höllischen Bund, der sich zur Vernichtung der menschlichen Ge sellschaft verschworen hat und sich durch nichts in seinem verderbenbringenden Umsichgreifen aufhalten läßt, und man zeigt uns ganz gewöhnliche Bösewichter mit den kleinlichsten Jntriguen. Man behauptet, daß sie die Hand über den Erdball ausstrecken wollen, um die Menschheit in ihre Tasche zu stecken, und sie kommen nicht einmal dazu, fünf bis sechs Individuen in ihre Macht zu bringen. Man sagt, die ganze Erde sey von den Fäden der Jesuiten-Ver- schwörung umstrickt, so daß der Wille des Ordens mit der Raschheit eines elektrischen FlmkenS von einem Ende des Universums zum anderen mitgetheilt werde, und die Erzählung beweist gerade das Gegentheil. Man spricht von einer ungeheuren und fürchterlichen Verbindung, gegen welche die ganze mensch liche Gesellschaft mit aller Kraft ankämpfen müsse, in der That aber treten Leute auf, die man verscheuchen kann, wenn man nur den Polizei-Kommissa» riuS auf sie aufmerksam macht. Es sind also solche Personen reine Hirn- gespinnste, denn, wären sie wirklich, so würden sie sich nicht so großartig lächerlich machen." Wir haben bereits gesagt, daß Eugen Sue, um so ernste Feinde zu be- kämpfen, als er sich ausgesucht hat, Feinde, deren wirkliche Existenz wir so wenig, als Andere, leugnen, sich sorgfältiger hätte vorbereiten sollen. Die Romanform mochte er beibehalten, denn sie ist die beste, wenn cS darauf an kommt, eine Wahrheit unter so vielen Menschen als möglich zu verbreiten ; aber eben darum mußte er sich hüten, dieses schöne Mittel der Volksbelehrung durch Leichtfertigkeit in Mißkredit zu bringen. Man wird uns freilich den Einwurf machen, daß das Werk Sue's, so wie es ist, in allen Ländern den lautesten Anklang gefunden haben, daß die Charakterschilderungen, trotz ihrer Oberflächlichkeit, geschickt genug entworfen sepen, um alle Uebertreibungen und Widersprüche zu verdecken, daß sich in dem Buche die ergreifendsten und inter essantesten Scenen finden; aber es kann dies nicht anders sepn. Ein Schrift steller, wie Eugen Sue, dessen frühere Werke ihn den Besten an die Seite stellten, könnte, wie viel Mühe er sich auch gäbe, seine natürliche Anlagen nicht verleugnen. Man trifft in der That in dem ewigen Juden manche Stellen, in denen sich das Genie des Autors in seinem vollen Glanze zeigt. Läßt sich zum Beispiel eine Scene denken, die geistreicher gezeichnet wäre, als die, in welcher die Fürstin von Saint-Dizier, der Abbe d'Aigrigny und irgend ein abscheu licher Fabrikhcrr, der Baron geworden ist, das Fräulein von Cardoville durch nichtswürdige Verleumdungen zu einer Uebertreibung ihrer natürlichen Leb haftigkeit reizen, um den Vorwand einer Geisteszerrüttung zu rechtfertigen, unter dem man sie einsperren will? Wahrhaft erschütternd ist ferner jene andere Scene, in der Adrienne von Cordoville, durch die boshafte Beweis- führung des Doktor Baleinier wankend gemacht, selbst an ihrer Vernunft zu zweifeln anfängt und sich mit Schaudern fragt, ob sie nicht mit Recht im Jrrenhause sitze. — Ungeachtet einiger kleiner Uebertreibungen ist besonders ergötzlich die Spnode, welche die hohen Würdenträger der Kirche bei der Fürstin halten, um über einen Plan zu berathen, wie die reiche Erbschaft der Rennepont's dem Orden bewahrt werden könnte. Hier zeigt sich Rodin in seinem vollen Glanze, indem er die Maske der Demuth, hinter der er bisher verborgen gewesen war, abwirft und vor seinen Mitschuldigen seine ganze widrige Majestät entfaltet. Man weiß, daß diese Scene, die letzte der bis jetzt erschienenen sieben Bände, mit dem Tode Rodin'S endigt. Ist er aber wirklich tobt? Alle Völker, die dem Roman mit Spannung folgen, hegen dar über einen kleinen Zweifel. Wir selbst können nicht glauben, daß ihn uns Eugen Sue im Ernst schon entrückt hat. Rodin scheint uns unentbehrlich zur Vollen dung der drei letzten Bände und gehört nicht zu den Personen, die man un gestraft entfernen kann, ehe der Vorhang gefallen ist. Der Prinz von Conti hatte dem Abbe Prevost eine Pension von ILW Livres zugesichert, so lange sein Cleveland erscheinen würde, den er bandweise herauSgab. Die Bände wollten nicht aufhörcn, und der Prinz sagte zu Prevost: Aber wird denn euer Cleve land niemals sterben? — ^K! Monseigneur, erwiedcrte der Abbe, ich würde sehr undankbar sepn, wollte ich einem Menschen das Leben nehmen, der mich erhält. — Eugen Sue, der kein schlechteres Herz hat, als der Abbe Prevost, kann ohne den schwärzesten Undank Rodin, der ihm Einiges mehr als ISO« LivrcS einbrachte, nicht getödtct haben. Wir hoffen also auf eine kleine jesuitische Auferstehung, denn der berühmte Autor weiß, daß daS Publikum ein noch besserer Prinz ist, als iUonseixneur üe Oonri. °) Unter den vielen Personen, die aus allen Winkeln des Erdballs herbei kommen , um sich am unteren Rande des Vonsmulionnel ein Rendezvous zu geben, sind vornehmlich zwei mit vieler Zartheit gezeichnet: der Missionär Gabriel und jenes junge Mädchen, dem eine körperliche Mißgestaltung den wenig idealen Namen der Mapeur verschafft hat. Gabriel, der evangelische ') Seit diese Zeilen geschrieben sind, ist di- Auferstehung wirklich erfolgt. Priester, der sein Leben der Verbreitung des Christenthums unter den Wilden geweiht hat, und mit dem unerschrockensten Muthe die Gefahren und Entsagun gen seines Berufes erträgt, ist ein schöner Gegensatz zu den habgierigen und heuchlerischen Pfaffen, von denen er umgeben ist. Die Mapeur ist noch sorgfälti ger geschildert, als Gabriel, und eine der glücklichsten Schöpfungen Sue's. Sie erscheint schwächlich, arm und Mißgestalt, aber durch die höchste weibliche Tugend verschönt. Für jeden Schmerz' den sie sieht, hat sie eine Thränd, für jedes Unglück eine hülfreiche Hand. Ihre Entsagung ist wahrhaft erhaben; die Schönheit erregt nicht ihren Neid, sondern ihre Bewunderung, das Glück Anderer tröstet sie über ihre eigene Noth. Die muntere Lachtaube in den Geheimnissen ist glücklich, wenn sie gerade so viel erwirbt, daß sie nicht Hungers stirbt, sie ist schön und schlank, strotzt von Gesundheit und Frische und singt, wenn die Sonne scheint, in ihrem Stübchen, wie ein Vogel in den Zweigen. Die Mapeur, auch ein Mädchen aus dem Volke, ist blaß und kränklich, arbeitet, wie eS kaum eine Stärkere aushaltcn würde, und erhält als Wochen lohn, was ein Arbeiter täglich bekommen würde, vier Franken! Wir wünschten hier den Autor der Uebertreibung zeihen zu können, ihm vorwerfen zu dürfen, daß er die Gesellschaft verleumde; aber die Sache ist leider wahr; ja, Sue hat noch nicht einmal die niedrigste Ziffer gewählt. ES ist wahr, in unserer egoistischen Zeit sind dem Manne oft herbe Tage beschieden, aber wer kann die Leiben des armen alleinstehenden Mädchens abwägen, die täglichen Qualen der Familienmutler, die auf ihre eigenen Hülfsquellen angewiesen ist und keine Aussicht hat, als höchstens einst mit Bequemlichkeit in dem Bette eines Hospitals sterben zu können! Eugen Sue hat, als er in der Mapeur diese unglücklichen Wesen schilderte, den ganzen Neichthum seines Talentes und Herzens entfaltet, ja, er that sich zu ihren Gunsten Zwang an und sprach gelassener von ihrem Elende, als es ihm sein empörtes Gemüth eingeben mochte. Denn er mußte fürchten, es würden sich gegen ihn wieder jene rohen Anschul digungen erheben, die eine ähnliche Schilderung in den Geheimnissen veranlaßt hatte. Damals sagte man von ihm, er verleumde die Gesellschaft, er rege den Haß gegen sie aus, schildere Ausnahmen und gebe sie für die Regel aus. Aber die so sprachen, waren eigennützig oder leig, die Besseren wußten eS ihm zu jener Zeit, wie heute, Dank, daß er mit seiner Bcredtsamkeit der Anwalt der Aermsten unter den Armen gewesen war. Hätte Sue in allen Theilen seines Buches diese tiefe Kenntniß des menschlichen Herzens gezeigt, die er hier an den Tag legt, so würde er ein Meisterwerk geschrieben haben, dem kein Kritiker, welche Interessen er auch vertrete, seine Bewunderung versagt hätte. Die Herrschaft der Pompadour. Nach Arsene Houssaye. fFortsetzung.j Frau von Pompadour war mit edlen Anlagen, mit Sinn für Kunst und Wissenschaft geboren. Sie hätte gern aus Ludwig XV. einen kunstliebenden König gemacht und versuchte immer, ihn durch edle Zerstreuungen aus seiner Apathie zu ziehen. Aber Ludwig XV. fühlte nicht wie sein Vorgänger, daß große Monumente oft den Ruhm der Könige ausmachen. Die Marquise ent- warf manchen Plan zur Verschönerung von Paris; sie wollte alle Benediktiner- Klöster in eines zusammenziehen, die Gärten dieser geräumigen Einöden in öffentliche Plätze verwandeln, die von Bäumen beschattet, mit Rasen bedeckt und mit Statuen verziert sepn sollten; sie wünschte, die Galerieen des Louvre mit Gemälden aus allen Schulen zu schmücken, und machte den Vorschlag, die Eile geräumig und elegant umzubauen, doch scheiterten alle ihre Entwürfe theils an der Devotion, theils am Geize des Königs, der sich nicht einmal zum Bau eines zweiten Hotel-Dieu bewegen ließ, obgleich die Marquise ihm vorstellte, daß es Frankreichs unwürdig sey, zwei arme Kranke in ein Bett zu legen. Nur den Plan mit der Militair-Schule setzte sie durch, und da sie dem König beharrlich vorstellte, daß er sich durchaus durch ein Denkmal auS- zeichncn müsse, so gelang es ihr zuletzt noch, die Manufaktur von Sevres zu gründen. Dann hat sie auch noch die Idee zum Neubau der Magdalenen.Kirche angeregt, weil dies die einzige Kirche war, in der sie gern zu Gott betete. Frau von Pompadour war Ehrendame der Königin, die während aller jener kleinen Soupers, jener munteren Schauspiele und ewigen Feste der Ga- lantcrie ihre Tage still und im Gebet zu Gott verlebte; doch sahen sich die Königin und ihre Dame nie. Als der König eines Tages mit seiner Mai- treffe im Versailler Park spazieren ging und sie sich gar nichts mehr zu sagen wußten, wetteiferten sie mit einander im Lobe der Tugenden der guten Maria Leszczynöka, und Ludwig forderte die Marquise auf, derselben in seinem Namen die Blumen zu überbringen, die sie für ihn gepflückt hatte. Fran von Pom- padour ließ sich natürlich nicht lange bitten, es war ja das erste Mal, daß sie etwas für die Königin that. Nachdem sie gegrüßt und das Bouquet über reicht hatte, verbeugte sie sich und wollte sich wieder fortbegcbcn; die Königin aber forderte sie auf, zu bleiben, und bat sic, ihr etwas vorzusingen, da man ihr von der Stimme der Marquise Wunderdinge erzählt habe. Die Pompa dour suhlte sich beleidigt und entschuldigte sich, die Bitte nicht erfüllen zu können; da befahl die Königin, und nun sang die Marquise die berühmte Arie aus der Lullyschen Armide: „bmtin i> est en ms puisssnce." Aus den Reihen des Volkes hervorgegangen, nahm Frau von Pompadour ohne Umstände auf dem Throne Blanka'S von Castilien Platz, sie beschützte die Künste, vertrieb die Jesuiten und behandelte die großen Herren mit der selben Ungenirthcit wie die Künstler. Einst äußerte sie zum Abbe BerniS: „Nicht allein, daß der ganze Adel zu meinen Füßen liegt, mein kleiner Hund