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MchenUi» erscheinen drei Nummern. Pränumeration--Preis 22) Silbergr. () Thlr.) vierteljährlich, 3 Lhlr. für das ganze Jahr, ohne Erhöhung, in allen Aprilen der Preußischen Monarchie. Magazin . für die Pränumerationen werden von jeder Buchhandlung (in Berlin bei Veit u. Eom».. Jägerstraß- Nr. 28). so wie non allen Königs. Post. Kemtern, angenommen. Literatur des Auslandes. M 82. Berlin, Donnerstag den i(j. Juli L84S. Frankreich. Der ewige Jude. Seitdem Eugen Sue in der literarischen Welt ausgetreten ist, sind mit ihm, als Autor, große Veränderungen vorgegangen. Der hervorstechende Charakter seiner ersten Werke war eine bittere Ironie, die, brachte sie über- Haupt einen nachhaltigen Eindruck auf die Leser hervor, sie zur vollkommensten moralischen Schlaffheit führen mußte. Denn er schilderte die Tugend, um sie verfolgen und strafen, das Laster, um es triumphiren zu lassen. Er sah in der Welt nur Wölfe und Schafe; daß aber die Kraft der Einen mit der Güte der Anderen sich paaren könne, verschwieg er aus einer gewissen Grausamkeit. Sue'S Einseitigkeit ging damals so weit, daß er den Bösen sogar die Ge wissensbisse nahm und sie, entweder aus natürlichem Instinkte, oder weil sie sich an der Gesellschaft zu rächen hatten, einen Jeden vernichten ließ, der ihnen in den Weg kam. Glücklicherweise verharrte Sue nicht auf dieser Bahn und lernte seine Ausgabe besser verstehen. Er fuhr fort, die Sünde zu schildern, aber er sucht» seine Schilderungen fruchtbar zu machen. In den Geheimnissen von Paris sind die Laster der Hohen und der Geringen ohne Prüderie und Parteilichkeit aufgedcckt, aber wir folgen den Verbrechen bis zu ihrer Strafe und wühlen in dem sittlichen Elend, um seine Quelle und die Mittel zu ent decken, die eS versiegen machen. In demselben Sinne ist ober wird der ewige Jude geschrieben. Vom rein literarischen Standpunkte aus mit den Geheimnissen verglichen, zeigt dieses Buch einen großen, aber leicht erklär lichen Rückschritt. Der Autor sieht sich nach dem ungeheuren Erfolge, den sein vorhergehendes Werk gehabt hat, beim Kragen gefaßt und ohne Unterlag gerüttelt und gemahnt, seine sozialen Studien nach allen Richtungen hin fort zusetzen. Auf der einen Seite steht die leidende Menschheit, die zu ihrem beredten Bertheidiger mit bittenden Augen emporsieht, auf der anderen der Journal-Redacteur, der unverzüglich eine fabelhafte Menge von Abonnenten zusammenbringen will, und dem Autor gegenüber das lockende Honorar, das ihm bestimmt ist, wenn er die vereinigten Interesse» der leidenden Menschheit und des leidenden Journals vertreten will. Noch keuchend, noch nicht erholt von seinem ersten Laufe, muß er also zu einem zweiten ansetzen. UebrigcnS ist Keiner zu einem solchen Werke geeigneter, als Eugen Sue; er verachtet die Strapazen und scheut sich nie vor einem kühnen Versuche. Sein vorher» schendeS Talent ist das der Erfindung, wenn auch seine Einbildungskraft etwas springlustig und abenteuerlich ist und manchmal sonderbare Dinge sieht. ES scheint, als wäre der Feuilleton-Roman ausdrücklich für ihn erfunden, dieser Roman, der in einzelnen Brocken zubereitet und verabreicht wird, nach deren jedem sich Schriftsteller und Leser gute Nacht wünschen und sich das Ver sprechen geben, wieder zusammenzukommcn, wenn sie ausgeschlasen haben werden. Diese Art, Bücher zu schreiben, bringt einen ernstlichen Ucbelstand mit sich. ES geht dadurch die Einheit eines Romans verloren; die Ereignisse thürmen sich auf einander, statt sich in einander zu fügen und einzuschachteln ; der Autor, der unvermuthet aufgehalten oder gedrängt wird, kann nicht alle Theile seiner Erzählung sich ebenmäßig entwickeln lassen; alle Augenblicke ist er genöthigt, sich in eine kritische Lage zu stürzen, aus der er sich häufig nur auf Kosten der Wahrscheinlichkeit hcrauSarbeiten kann. In den Geheimnissen vertuschte Sue diese Fehler durch eine merkwürdige Geistesgegenwart und einen großen Reichthum an Hülfsmitteln. Die fieber hafte Raschheit der Erzählung, die spannenden Situationen, von denen selbst diejenigen hingerissen wurden, die öffentlich mit vornehmem Ernste auf sie herabsahen, machten alle Unwahrscheinlichkeiten jenes Buches verdaulich. Im ewigen Juden aber war der Autor weniger glücklich; die Erzählung schleppt sich mit Mühe auf Umwegen weiter, die Personen gleichen nachlässigen Rei senden, die jeden Augenblick wieder umkehren müssen, um dies oder jenes zu holen, was sie in dem letzten Nachtquartier vergessen haben- Uebrigens hat sich der Autor so gesputet, dieselben dem Publikum vorzustellen, daß er sie nicht einmal fertig ankleide» konnte und fortwährend an ihreni Anzuge etwas zurechtrücken oder vervollständige» muß. Ferner hat ei» Feuilleton-Roman die Aufgabe zu lösen, wie eine bestimmte Menge von Stoff über die größt mögliche Oberfläche auSgebreitet werden könne. Eugen Sue versteht sich hierauf besser als irgend Einer; die geringste Einzelheit holt er aus ihrem Schlupfwinkel ans Licht, betrachtet sie so sorgfältig, als gälte es eine mikro stopische Genauigkeit, und umrankt sic mit Kränzen von Synonymen und Guirlanden von Eigenschaftswörtern. Seine Schilderungen haben eine so merkwürdige Elastizität, daß sic sich völlig nach Willkür verlängern lassen und, wenn sie plötzlich abschnappen, das Ansehen haben, als verschwiegen sie, um nicht zu ermüden, Vieles, was, noch hätte gesagt werden können. Dies ist ein Hauptfehler bei einem Werke, das in kleinen Absätzen gelesen wird, denn der ewige Jude macht trotz seiner Siebcnmcilenstiefeln keine größeren Schritte, als ihm der Rauni im Feuilleton des Lonxriruuonnel gestattet. Das Publi kum, wenigstens das sranzvfischc, darf also täglich auf einen nahrhaften Biffen Anspruch machen und ist mit Recht unwillig, wenn man ihm als Ration ein Stück zerfasertes und ausgequetschtes Fleisch giebt. Diese Borwürfe sind um so gerechter, als sie sich auf einen geist. und einflußreichen Schriftsteller beziehen, dessen Werke die Leser nicht sowohl fluch- tig unterhalten, als alle Klassen der Gesellschaft über ernste und wichtig» Dinge aufklären und belehren sollen. Wer sich eine solche Aufgabe stellt, kann nicht genug über seine Feder wachen. Wenn man Personen aus sämmtlichen Ständen auf einer Bühne zusammenführen, die Wechselwirkung ihrer ver. schiedenen Interessen, kurz ein Epos unserer Zeit mit allem Edlen und Nie drigen, das sie birgt, barstellcn will, so darf man ein solches Werk nicht improvisircn, noch sein vollkommeneres oder unvollkommeneres Gelingen von seinem Gelderträge abhängig machen. Wir denken hier weniger an die Nach, theile, von denen die künstlerische Seite der Literatur durch diese industrielle Richtung bedroht wird, sondern vielmehr an die Gefahr, die der von der Literatur vertretenen Sache daraus erwächst. In Lacedämon wurde jeder Solvat streng bestraft, der nicht mit den nöthigen Waffen auf dem Kampf plätze erschien. Eugen Sue ist in diesem Falle; nicht daß ihm die Waffen fehlten, ein ganzes Arsenal liegt um ihn, aber eS liegt ungeordnet, in Eil« zusammengehäuft, so daß es schwer wird, immer das rechte Geschütz zur Vernichtung eines Feindes oder zur Bcschützung eines Verbündeten zu finden. Die Feinde aber, gegen die Sue zu Felde zieht, sind furchtbar, und eS ist gefährlich, ihnen gegenüber den geringsten strategischen Fehler zu begehen. Die Jesuiten find eS, denen unser Autor den VertilgungSkricg erklärt hat; auf fie ist seine Batterie in zehn Bänden gerichtet. Ehre und Dank gebührt ihm dafür, diesen Kampf unternommen zu haben, aber um vieles sicherer wäre sein Angriff, wenn er die starken und schwachen Seiten seiner Gegner besser studirt hätte. Doch wie ist eine Vorbereitung und ein begränzter, systema- tischer Plan in der französischen Feuilleton-Literatur möglich! Ist da einmal die Feder angesetzt, so wissen weder Autor, noch Leser, wo, wann und auf welchem Wege fie an ein Ziel gelangen wird. Knoten wird auf Knoten ge- schürzt, und ein unentwirrbarer Knäuel von Ereignissen und Personen wim- melt vor unseren Augen. Die Figuren find mehr in die Breite als in die Tiefe gezeichnet; Rodin, d'Aigrignp, die Fürstin Saint-Dizier geben davon das vollkommenste Beispiel. Ihr Anzug, ihre Art, sich auszudrücken, sind treu wiedergegeben; aber der Inhalt ihrer Worte befriedigt selten, und die Geschichte ihres Geistes bleibt dunkel und unbestimmt. Die drei genannten Personen sollen drei verschiedene Gattungen von Jesuiten darstcllen. Der Eine, d'Aigrignp, war früher Soldat, verrielh sein Vaterland und setzt im Geheimen den Krieg gegen Frankreich fort, den er einst an der Spitze eines fremden Heeres geführt hatte. Er ist ein gewandter Weltmann und Heuchler und beugt sein Haupt unter der Macht des Ordens, uni seine Hand über die Gesellschaft auSstrecken zu können, die ihn umgiebt. Zur Seite dcS vornehmen und feingesittetcn AbbeS sehen wir Rodin, den Jesuiten zweiter Klasse, in schmutzigen Kleidern, mit erloschenem Auge und ver. dorrtem Geiste, der, als ein gewissenhafter Subalterne, sein Leben in unter geordneten Diensten und schmutzigen, niedrigen Jntrigucn hinbringt. So wenigstens beurthcilen ihn die Welt und seine Vorgesetzten nach dem äußere» Anschein, den er darbietet. Aber dieser Mann, der eben noch einem Jeden, der ihn sah, Mitleidcn, Verachtung und Ekel cinflößtc, ist eine Wiederholung jenes italiänischen Schweinehirten, der langsam und sich schwach und kränklich stellend bis zum päpstlichen Stuhle emporkroch. Rodin ist der furchtbarste Ausdruck jener grausamen Heuchelei, die nichts scheut, um an das Ziel ihres Ehrgeizes zu gelangen; sein Verstand vermag die riesenhaftesten Pläne zu fassen, sein Gewissen ist ein schrankenloses Meer, in welchem alle Moralität versinkt und ertrinkt. Zwischen jenen beiden Typen endlich, an denen der Autor das Gehässige nicht gespart hat, steht die Figur der Madame de Saint- Dizier, einer Frau, die ihre Jugend in den verbotensten Freuden hinbrachte, in ihren mittleren Jahren politische Jntriguen spielte und jetzt, da sie alt ge- worden ist, sich der Frömmelei ergeben hat, die aber in ihrem ganzen Leben danach strebte, über dem Elend Anderer ihr Glück zu begründen. Die Gruppe konnte gewiß nicht besser gewählt sevnl aber wie lehr ve»